Bundesgerichtshof:
Beschluss vom 7. Juni 2006
Aktenzeichen: XII ZB 245/04
(BGH: Beschluss v. 07.06.2006, Az.: XII ZB 245/04)
Tenor
Auf die Rechtsbeschwerde der Beklagten wird der Beschluss des 12. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Frankfurt am Main vom 27. September 2004 aufgehoben.
Die Sache wird zur erneuten Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsbeschwerdeverfahrens, an das Oberlandesgericht zurückverwiesen.
Gegenstandswert: 1.580 €
Gründe
I.
Die Parteien streiten um die Erstattung der Kosten eines Berliner Verkehrsanwalts für ein beim Oberlandesgericht Frankfurt am Main - Senate in Darmstadt - vor Inkrafttreten des OLG-Vertretungsänderungsgesetzes am 1. August 2002 anhängiges Berufungsverfahren.
Die Beklagte hat 1989 von der Rechtsvorgängerin der Klägerin ein Hotel in Darmstadt gepachtet. In diesen Pachtvertrag ist die Klägerin ab 1. Dezember 1999 auf Verpächterseite eingetreten. Das Landgericht Darmstadt hat die Beklagte mit Urteil vom 21. Februar 2002 verurteilt, der Klägerin für die Zeit vom 1. Dezember 1999 bis 30. Juni 2001 bezahlte Grundsteuer in Höhe von 73.614,02 € zu erstatten. Gegen dieses Urteil hat die Beklagte Berufung eingelegt. Die Klägerin, die ihren Sitz in Berlin hat, beauftragte daraufhin eine Anwaltssozietät in Darmstadt, die sich mit Schriftsatz vom 15. Juni 2002 als Prozessbevollmächtigte der Klägerin beim Berufungsgericht bestellte. Die bisherigen Berliner Prozessbevollmächtigten der Klägerin wurden als Verkehrsanwälte tätig. Nachdem das Oberlandesgericht darauf hingewiesen hatte, dass es beabsichtige, die Berufung nach § 522 Abs. 2 ZPO zurückzuweisen, nahm die Beklagte die Berufung zurück.
Die Klägerin hat beim Landgericht gegen die Beklagte Festsetzung u.a. der Gebühren und Auslagen ihrer Verkehrsanwälte in Höhe von brutto 1.832,80 € beantragt. Hilfsweise hat sie insoweit die Festsetzung der Kosten einer fiktiven Informationsreise von Berlin nach Darmstadt in Höhe von 601,62 € begehrt. Die Rechtspflegerin hat die genannten Gebühren und Auslagen auf netto 1.580 € festgesetzt. Das Oberlandesgericht hat die sofortige Beschwerde der Beklagten, die die Gebühren und Auslagen der Verkehrsanwälte für nicht erstattungsfähig hielt, als unbegründet zurückgewiesen. Die Rechtsbeschwerde hat es zugelassen. Mit ihr sucht die Beklagte die Absetzung der Gebühren und Auslagen der Verkehrsanwälte in Höhe von 1.580 € zu erreichen.
II.
1. Das Beschwerdegericht hat ausgeführt: Nach seiner ständigen Rechtsprechung zur Erstattungsfähigkeit der Kosten eines Verkehrsanwalts könnten die Parteien in jeder Tatsacheninstanz, also auch in der Berufung, den Sach- und Streitstand mit einem Rechtsanwalt ihres Vertrauens besprechen, ohne später Nachteile bei der Kostenerstattung befürchten zu müssen, wenn die Anreise zum Prozessbevollmächtigten am Ort des Prozessgerichts und dessen unmittelbare Information wegen der Entfernung nicht zumutbar sei. Diese Voraussetzungen seien bei der in Berlin ansässigen Klägerin gegeben gewesen. Der Sachverhalt sei auch nicht so einfach gelagert, dass sich die Klägerin, die über keine Rechtsabteilung verfüge, ausnahmsweise auf eine schriftliche oder fernmündliche Information ihrer zweitinstanzlich erstmals beauftragten Prozessbevollmächtigten in Darmstadt hätte beschränken müssen. Die Rechtsanwälte in Darmstadt seien mangels Tätigwerden in der ersten Instanz über den erstinstanzlich verhandelten Sachverhalt vollständig zu informieren gewesen. Zudem habe auf den neuen Vortrag der Beklagten auf der Grundlage ergänzender Informationen erwidert werden müssen.
2. Dies hält der rechtlichen Nachprüfung nicht stand.
Den Maßstab für die Erstattungsfähigkeit von Kosten eines Verkehrsanwalts legt § 91 Abs. 1 Satz 1 ZPO fest. Danach sind nur solche Kosten zu erstatten, die zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung notwendig waren. Vor der Erweiterung der Postulationsfähigkeit der Rechtsanwälte war es in der Rechtsprechung der Oberlandesgerichte und der Literatur weitgehend einheitliche Ansicht, dass die Einschaltung eines Verkehrsanwalts, insbesondere im Berufungsverfahren, grundsätzlich nicht notwendig ist und im Allgemeinen nur die Kosten einer oder ggf. mehrerer Informationsreisen der auswärtigen Partei zu ihrem Prozessbevollmächtigten erstattungsfähig sind (vgl. OLG Hamm Juristisches Büro 1987, 270 f.; OLG Frankfurt Rechtspfleger 1999, 463 f.; OLG Düsseldorf OLGR 2000, 41 f.; OLG Hamburg MDR 2002, 542; Hartmann Kostengesetze 35. Aufl. RVG VV 3400 Rdn. 48 ff., 70 ff.; Stein/Jonas/Bork ZPO 22. Aufl. § 91 Rdn. 98 ff., 117 ff.; Zöller/Herget ZPO 25. Aufl. § 91 Rdn. 13 "Verkehrsanwalt"; Musielak/Wolst ZPO 4. Aufl. § 91 Rdn. 27 ff., jeweils m.w.N.). Danach sind Kosten des Verkehrsanwalts nach den Umständen des Einzelfalls ausnahmsweise erstattungsfähig, wenn es der Partei etwa wegen Krankheit oder sonstiger persönlicher Unfähigkeit unmöglich oder unzumutbar ist, den Prozessbevollmächtigten am entfernten Gerichtsort persönlich oder schriftlich und telefonisch zu informieren. Im Berufungsverfahren kann die Beteiligung eines Verkehrsanwalts auch dann notwendig werden, wenn ein neuer tatsächlich oder rechtlich besonders schwieriger Prozessstoff in das Verfahren eingeführt wird (Stein/Jonas/Bork aaO Rdn. 117).
Die Ansicht, dass die Einschaltung eines Verkehrsanwalts in der Regel, insbesondere im Berufungsverfahren, nicht erforderlich ist, hat auch der Bundesgerichtshof gebilligt und in letzter Zeit bestätigt (vgl. BGH Beschluss vom 21. September 2005 - IV ZB 11/04 - NJW 2006, 301 m.w.N.). Die eingeschränkte Erstattungsfähigkeit der Kosten des Verkehrsanwalts beruht auf der gesetzlichen Beschränkung seines Pflichtenkreises. Nach § 52 Abs. 1 BRAGO, jetzt RVG VV 3400, führt er lediglich den Verkehr der Partei mit dem Prozessbevollmächtigten.
Unter diesen Voraussetzungen war die Einschaltung eines Verkehrsanwalts durch die Beklagte nicht notwendig. Zwar macht die Klägerin in der Beschwerdeerwiderung geltend, die Beklagte habe in der Berufungsbegründung umfangreiche neue rechtliche Ausführungen getätigt und sich insbesondere auch erstmals auf ihr eigenes Schreiben vom 8. Februar 2000 an die Rechtsvorgängerin der Klägerin berufen. Dieser neue Vortrag habe daher mit der Klägerin ausführlich erörtert werden müssen. Ferner hätten im Hinblick auf den Vortrag in der Berufungsbegründung noch die Schreiben der Rechtsvorgängerin vom 26. Februar 2002, vom 29. Oktober 1999 und vom 16. November 1999 eingereicht werden müssen.
Dies erforderte jedoch nicht, auch wenn die Klägerin über keine eigene Rechtsabteilung verfügte, die Einschaltung der Verkehrsanwälte. Vielmehr war die Klägerin auch ohne ihre Verkehrsanwälte in der Lage, ihre in Darmstadt ansässigen Prozessbevollmächtigten umfassend zu informieren, zumal der Rechtsstreit den Kernbereich der geschäftlichen Tätigkeit der Klägerin betraf. Auch kann keine Rede davon sein, dass der Klägerin eine etwaige Informationsreise nach Darmstadt wegen der großen Entfernung von Berlin nicht zumutbar gewesen wäre. Vielmehr lässt sich eine solche Reise mit den heutigen Verkehrsmitteln an einem Tag in angemessener Zeit bewältigen.
Allerdings sind die entstandenen Verkehrsanwaltskosten der Klägerin in Höhe der Kosten einer solchen fiktiven Informationsreise der Klägerin zu ihrem Prozessbevollmächtigten in Darmstadt erstattungsfähig.
Im Allgemeinen sind die durch die Beauftragung von Verkehrsanwälten entstehenden Kosten in Höhe der dadurch ersparten Kosten für Informationsreisen der Partei erstattungsfähig, wenn solche Reisen zweckmäßig gewesen wären (vgl. Zöller/Herget aaO m.w.N.). Dies wird regelmäßig der Fall sein, da das grundsätzlich schützenswerte Interesse der Partei anzuerkennen ist, ihren Prozessbevollmächtigten persönlich kennen zu lernen (BGH Beschluss vom 16. Oktober 2002 - VIII ZB 30/02 - NJW 2003, 898, 900). Dies trifft auch für die Klägerin zu. Eine Informationsreise zu ihrem Prozessbevollmächtigten wäre daher eine Maßnahme zweckentsprechender Rechtsverfolgung i.S. von § 91 Abs. 1 Satz 1 ZPO gewesen.
Das Beschwerdegericht hat, von seinem Standpunkt aus folgerichtig, keine Feststellungen zur Höhe der der Klägerin im Falle einer Informationsreise nach Darmstadt zustehenden Reisekosten getroffen. Im Rechtsbeschwerdeverfahren können diese Feststellungen nicht nachgeholt werden (§ 577 Abs. 2 Satz 4 ZPO i.V. mit § 559 ZPO). Der angefochtene Beschluss ist deshalb aufzuheben und die Sache zur erneuten Entscheidung an das Beschwerdegericht zurückzuverweisen, um der Antragstellerin die Möglichkeit zu eröffnen, die Höhe der ersparten Reisekosten glaubhaft zu machen (§ 577 Abs. 4 Satz 1, Abs. 5 ZPO).
Hahne Wagenitz Ahlt Vezina Dose Vorinstanzen:
LG Darmstadt, Entscheidung vom 02.07.2004 - 3 O 320/01 -
OLG Frankfurt/Main, Entscheidung vom 27.09.2004 - 12 W 135/04 -
BGH:
Beschluss v. 07.06.2006
Az: XII ZB 245/04
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