Bundesgerichtshof:
Beschluss vom 6. April 2005
Aktenzeichen: V ZB 25/04

(BGH: Beschluss v. 06.04.2005, Az.: V ZB 25/04)

Tenor

Auf die Rechtsbeschwerde der Verfügungskläger wird der Beschluß des 8. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Nürnberg vom 20. April 2004 aufgehoben.

Die sofortige Beschwerde der Verfügungsbeklagten gegen den Kostenfestsetzungsbeschluß des Landgerichts Nürnberg-Fürth vom 30. Januar 2004 betreffend die Kosten des Beschwerdeverfahrens 8 W 1358/03 wird zurückgewiesen.

Die Verfügungsbeklagten tragen die Kosten der Rechtsmittelverfahren.

Der Gegenstandswert des Rechtsbeschwerdeverfahrens beträgt 602,85 Ú.

Gründe

I.

In einem landgerichtlichen Verfahren auf Erlaß einer einstweiligen Verfügung lehnten die Verfügungsbeklagten den zur Entscheidung berufenen Richter wegen Besorgnis der Befangenheit ab. Das Landgericht wies das Gesuch zurück. Die von den Verfügungsbeklagten eingelegte sofortige Beschwerde wurde den Verfahrensbevollmächtigten der Gegenseite durch das Gericht übersandt, die Verfügungskläger äußerten sich im Beschwerdeverfahren jedoch nicht. Durch Beschluß vom 13. Mai 2003 wies das Oberlandesgericht die sofortige Beschwerde zurück und erlegte den Verfügungsbeklagten die Kosten des Beschwerdeverfahrens auf.

Auf Antrag der Verfügungskläger hat das Landgericht mit Beschluß vom 30. Januar 2004 die ihnen von den Verfügungsbeklagten zu erstattenden außergerichtlichen Kosten des Beschwerdeverfahrens auf 602,85 Ú nebst Zinsen festgesetzt. Auf die sofortige Beschwerde der Verfügungsbeklagten hat das Oberlandesgericht mit Beschluß vom 20. April 2004 die Kostenfestsetzung aufgehoben und den Festsetzungsantrag der Verfügungskläger zurückgewiesen. Hiergegen richtet sich die von dem Oberlandesgericht zugelassene Rechtsbeschwerde der Verfügungskläger.

II.

Das Beschwerdegericht meint, die von den Verfügungsklägern zur Festsetzung angemeldeten Kosten seien nicht entstanden. Zwar falle die Gebühr nach § 61 Abs. 1 Nr. 1 BRAGO grundsätzlich bereits durch die Mitteilung der Beschwerdeschrift an, weil anzunehmen sei, daß der Anwalt anschließend geprüft habe, ob für seinen Auftraggeber im Beschwerdeverfahren etwas zu veranlassen sei. Dieser Grundsatz gelte jedoch nur in kontradiktorischen Verfahren und damit nicht bei der Richterablehnung. Der Prozeßgegner der ablehnenden Partei könne sich an diesem Verfahren zwar beteiligen, infolge des fakultativen Charakters der Beteiligung müsse sie jedoch durch Einreichung eines Schriftsatzes gegenüber dem Beschwerdegericht zum Ausdruck kommen.

III.

1. Die Rechtsbeschwerde ist statthaft (§ 574 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 ZPO). Ihr steht nicht entgegen, daß dem angefochtenen Beschluß ein Verfahren auf Erlaß einer einstweiligen Verfügung zugrunde liegt, in dem die Rechtsbeschwerde wegen des durch die §§ 574 Abs. 1 Satz 2, 542 Abs. 2 Satz 1 ZPO begrenzten Instanzenzugs auch im Fall ihrer Zulassung ausgeschlossen ist (BGHZ 154, 102). Diese Begrenzung gilt nicht für das Kostenfestsetzungsverfahren, da es als selbständige Folgesache mit einem eigenen Rechtsmittelzug ausgestattet ist (vgl. BGH, Beschl. v. 6. Mai 2004, I ZB 27/03, MDR 2004, 1136 sowie Zöller/Gummer, ZPO, 25. Aufl., § 542 Rdn. 9).

2. Die Rechtsbeschwerde ist begründet.

a) Zutreffend ist allerdings der Ausgangspunkt des Berufungsgerichts, wonach der Anwalt eines Beschwerdegegners die Gebühr nach § 61 Abs. 1 Nr. 1 BRAGO (entspricht Nr. 3500 VV-RVG) verdient, wenn er auftragsgemäß im Beschwerdeverfahren tätig geworden ist. Hierzu genügt grundsätzlich die Entgegennahme der von dem Gericht mitgeteilten Beschwerdeschrift, weil als glaubhaft gemacht angesehen wird, daß der Anwalt anschließend pflichtgemäß geprüft hat, ob etwas für seinen Mandanten zu veranlassen ist; die Einreichung eines Schriftsatzes ist nicht erforderlich (OLG Köln, JurBüro 1986, 1663; OLG Düsseldorf, JurBüro 1991, 687; OLG Hamburg, MDR 1994, 522; OLG Stuttgart, JurBüro 1998, 190; Gerold/Schmidt/v.Eicken/Madert, BRAGO, 15. Aufl., § 61 Rdn. 8.).

b) Die Ansicht des Berufungsgerichts, abweichend von diesem Grundsatz entstünde für den Anwalt des Beschwerdegegners bei einer Richterablehnung die Gebühr gemäß § 61 Abs. 1 Nr. 1 BRAGO nur, soweit er im Beschwerdeverfahren schriftsätzlich hervortrete, hält demgegenüber rechtlicher Prüfung nicht stand.

In Rechtsprechung und Literatur ist allerdings umstritten, unter welchen Voraussetzungen in diesem Fall eine erstattungsfähige anwaltliche Beschwerdegebühr entsteht.

aa) Nach einer verbreiteten Auffassung stellt sich das Richterablehnungsverfahren als Streit einer Partei mit dem Gericht dar, an dem die andere Partei des Rechtsstreits formell nicht beteiligt ist. Für deren Prozeßbevollmächtigten bestünde deshalb in aller Regel keine Notwendigkeit zu prüfen, ob die sofortige Beschwerde der ablehnenden Partei Anlaß zu einer Gegenäußerung gebe. Die Folgerungen, die aus der Einordnung der Richterablehnung als eines nichtkontradiktorischen Verfahrens gezogen werden, sind unterschiedlich. Teilweise wird angenommen, daß eine Beschwerdegebühr nur anfällt, wenn die nicht ablehnende Partei sich, etwa durch eine schriftsätzliche Äußerung, an dem Beschwerdeverfahren beteiligt (OLG Stuttgart JurBüro 1984, 566; OLG Schleswig, SchlHA 1989, 131; VGH Mannheim, JurBüro 1999, 362; KG, KGR 2002, 227; Hansens, BRAGOreport 2001, 120, 121). Andere verneinen die Anwendbarkeit der §§ 91 ff. ZPO auf das Richterablehnungsverfahren und damit die Erstattungsfähigkeit etwaiger auf Seiten des Beschwerdegegners entstandener Gebühren (BayObLG, DAVorm 1992, 229; KG, Rpfleger 1962, 156; OLG Hamm, MDR 1975, 235; OLG Düsseldorf, JurBüro 1975, 1216; OLG Celle, Rpfleger 1983, 173; OLG Frankfurt, NJW-RR 1992, 510; OLG Düsseldorf, OLGR 1993, 63; OLG München, MDR 1994, 627; OLG Köln, OLGR 1996, 256; OLG Brandenburg, MDR 2002, 1092; LG Göttingen, Rpfleger 2000, 428; Musielak/Wolst, ZPO, 4. Aufl., § 97 Rdn. 2; Baumbach/Lauterbach/Albers/ Hartmann, ZPO, 63. Aufl., § 91 Rdn. 70; E. Schneider, JurBüro 1977, 1179, 1183) oder machen die Erstattungsfähigkeit davon abhängig, daß sich die Partei an dem Beschwerdeverfahren beteiligt hat (OLG Frankfurt, OLGR 1996, 261; OLG Schleswig, SchlHA 1989, 131; OLG Nürnberg NJW-RR 2002, 720) oder ausdrücklich zu einer Stellungnahme aufgefordert worden ist (OLG Hamm, MDR 1989, 917) oder davon, daß das Beschwerdegericht ausnahmsweise eine Kostenentscheidung getroffen hat (KG, KGR 1995, 252; OLG Düsseldorf, MDR 1985, 589 für die Kosten des Beschwerdeführers; Zöller/Herget, ZPO, 25. Aufl., § 91 Rdn. 13 "Richterablehnung"; Baumbach/Lauterbach/Albers/Hartmann, ZPO, 63. Aufl., § 91 Rdn. 70).

bb) Die Gegenauffassung hält die Erwägungen über den nichtkontradiktorischen Charakter des Ablehnungsverfahrens für unbehelflich. Sie stellt darauf ab, daß dem Prozeßgegner im Beschwerdeverfahren rechtliches Gehör zu gewähren ist, weil die Entscheidung über das Ablehnungsgesuch auch seine Belange berührt. Einige Vertreter dieser Auffassung machen die Entstehung der Beschwerdegebühr oder ihre Erstattungsfähigkeit ebenfalls von einer Beteiligung des Beschwerdegegners an dem Beschwerdeverfahren (OLG Frankfurt, NJW-RR 1986, 740; MünchKomm-ZPO/Feiber, 2. Aufl., § 46 Rdn. 6) oder von der Notwendigkeit dieser Kosten (Thomas/Putzo, ZPO, 26. Aufl., § 46 Rdn. 9) abhängig. Überwiegend wird aus dem Erfordernis, dem Beschwerdegegner rechtliches Gehör zu gewähren, allerdings der Schluß gezogen, daß eine Beschwerdegebühr nach § 61 Abs. 1 Nr. 1 BRAGO bereits anfällt, wenn der Prozeßbevollmächtigte des Beschwerdegegners nach Erhalt der Beschwerdeschrift pflichtgemäß geprüft hat, ob im Beschwerdeverfahren etwas für seinen Mandanten zu veranlassen ist (N. Schneider, KostRsp., BRAGO § 61 Nr. 57), und daß die Anwaltskosten nach den §§ 91 ff. ZPO erstattungsfähig sind (OLG Stuttgart, DJ 1979, 17; OLG Nürnberg, MDR 1980, 1026; OLG Frankfurt, Rpfleger 1981, 408; OLG Köln, Rpfleger 1989, 427; OLG Koblenz, MDR 1992, 310; OLG Saarbrücken, JurBüro 1992, 742; Stein/Jonas/Bork, ZPO, 22. Aufl., § 46 Rdn. 10; Lappe, KostRsp., BRAGO § 61 Nr. 43; vgl. auch OLG Hamburg, MDR 1994, 522).

cc) Die zuletzt genannte Auffassung verdient den Vorzug. Das Richterablehnungsverfahren ist kein auf das Verhältnis zwischen der ablehnenden Partei und dem Gericht beschränktes Verfahren. In ihm wird darüber befunden, ob der zuständige Richter zur Entscheidung des Rechtsstreits berufen bleibt. Das berührt nicht nur die Interessen der ablehnenden Partei. Ihrem Recht auf Bereitstellung eines unparteiischen Richters steht der Anspruch des Gegners auf den gesetzlichen Richter (Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG) gegenüber, der bei Ersetzung eines tatsächlich nicht befangenen Richters verletzt wird (BVerfGE 89, 28, 37). Demgemäß ist heute anerkannt, daß die Frage, ob Befangenheitsgründe gegen die Mitwirkung eines Richters sprechen, die prozessuale Rechtsstellung beider Parteien berührt und deshalb im Ablehnungsverfahren beiden Parteien rechtliches Gehör zu gewähren ist (BVerfGE 89, 28, 36; BGH, Urt. v. 15. Dezember 1994, I ZR 121/92, NJW 1995, 1677, 1679). Aus dem Anhörungsgebot folgt zugleich, daß auch der Gegner der ablehnenden Partei Beteiligter des Ablehnungsverfahrens ist (so zutreffend MünchKomm-ZPO/Feiber, 2. Aufl., § 46 Rdn. 1; Zöller/Vollkommer, ZPO, 25. Aufl., § 46 Rdn. 3).

Damit steht der nicht ablehnenden Partei hinsichtlich ihrer Anwaltskosten ebenfalls die Stellung eines Verfahrensbeteiligten zu. Das ist auch sachgerecht. Ihr Recht, vor einer Entscheidung über die sofortige Beschwerde angehört zu werden, verpflichtet den mit ihrer Interessenwahrnehmung beauftragten Prozeßbevollmächtigten zu prüfen, ob die Beschwerdeschrift eine Gegenäußerung erfordert. Das gilt unabhängig davon, ob das Gericht ihm die Beschwerdeschrift lediglich mitteilt oder darüber hinaus zu einer Stellungnahme auffordert. Da der Anspruch auf rechtliches Gehör das Recht zur Äußerung umfaßt (vgl. BVerfGE 89, 28, 35) und der Anwalt gehalten ist, dieses Recht seiner Partei zu verwirklichen, muß er in jedem Fall prüfen, ob die Beschwerdeschrift eine Stellungnahme erfordert. Damit wird er auftragsgemäß im Beschwerdeverfahren tätig und verdient die Beschwerdegebühr des § 61 Abs. 1 Nr. 1 BRAGO.

Allerdings setzt die Entstehung dieser Gebühr voraus, daß der Anwalt mit der Vertretung im Beschwerdeverfahren beauftragt worden ist. Hiervon kann jedoch in der Regel ausgegangen werden, wenn der Anwalt die Partei im Hauptsacheverfahren vertritt (a.A. N. Schneider, MDR 2001, 130, 132). Ergibt sich aus dem Auftragsverhältnis ausnahmsweise etwas anderes, beschränkt sich die Tätigkeit des Anwalts auf die Entgegennahme und Weiterleitung der Beschwerdeschrift an die Partei, wodurch eine Gebühr nicht ausgelöst wird (vgl. OLG Köln, JurBüro 1986, 1663, 1664; VGH Mannheim, JurBüro 1999, 362; Mümmler, JurBüro 1991, 688; vgl. auch KG, KGR 1995, 252). Ist hingegen von einer Beauftragung des Anwalts auszugehen, sind weder die Entstehung noch die Erstattung der Beschwerdegebühr von dem Nachweis eines besonderen Interesses oder einer erkennbar gewordenen Beteiligung am Ablehnungsverfahren abhängig. Entsprechendes gilt für die Notwendigkeit der Anwaltskosten; sie wird durch § 91 Abs. 2 Satz 1 ZPO fingiert.

IV.

Der angefochtene Beschluß war daher aufzuheben. Der Senat kann in der Sache selbst entscheiden (§ 577 Abs. 5 ZPO), da weitere Feststellungen zur Entstehung der Beschwerdegebühr nicht erforderlich sind. Daß die Prozeßbevollmächtigten der Verfügungskläger mit deren Einverständnis im Beschwerdeverfahren tätig waren, ergibt sich aus der Erhebung der Rechtsbeschwerde. Eine Kostengrundentscheidung zu Lasten der Verfügungsbeklagten ist in dem Beschluß über die sofortige Beschwerde gegen die Zurückweisung des Ablehnungsgesuchs vom 13. Mai 2003 enthalten. Das führt zur Wiederherstellung des Kostenfestsetzungsbeschlusses des Landgerichts.

V.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 91 Abs. 1 ZPO.

Wenzel Krüger Klein Schmidt-Räntsch Stresemann






BGH:
Beschluss v. 06.04.2005
Az: V ZB 25/04


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