Landessozialgericht Nordrhein-Westfalen:
Beschluss vom 20. Dezember 2007
Aktenzeichen: L 16 B 127/07 KR ER

(LSG Nordrhein-Westfalen: Beschluss v. 20.12.2007, Az.: L 16 B 127/07 KR ER)

Tenor

Auf die Beschwerde der Antragstellerin wird der Beschluss des Sozialgerichts Düsseldorf vom 14. November 2007 aufgehoben. Der Rechtsweg zu den Gerichten der Sozialgerichtsbarkeit ist eröffnet. Gerichtskosten können nicht erhoben werden. Die Antragsgegnerin trägt die außergerichtlichen Kosten der Antragstellerin für das Beschwerdeverfahren. Der Streitwert wird auf 100,00 EUR festgesetzt. Die weitere Beschwerde zum Bundessozialgericht wird zugelassen.

Gründe

I. Streitig ist, welcher Rechtsweg für einen Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung gegen die Zuschlagserteilung in einem Vergabeverfahren gegeben ist. Sachliche Grundlage für das Vergabeverfahren ist ein Vertrag zur Hauszustellung und Lieferung von Inkontinenzartikeln für Versicherte der Antragsgegnerin im Bundesland Nordrhein-Westfalen.

Die Antragstellerin betreibt in E ein Sanitätshaus und ist als Orthopädietechnikbetrieb gemäß § 126 Abs 1 Sozialgesetzbuch Fünftes Buch (SGB V) Vertragspartner der Antragsgegnerin (Zulassungsbescheid vom 12.07.2005). Die Zulassung umfasst ua die Abgabe von Inkontinenzhilfen an Versicherte der Antragsgegnerin. Bei einem geschätzten Gesamtumsatz von rund 750.000,- EUR im Jahr 2006 machte dieser Bereich bei der Antragstellerin nach unbestrittenen Angaben der Antragsgegnerin einen Jahresumsatz von ca 2.000,- EUR aus (11 – 12 % des Umsatzes aller Inkontinenzartikel im Jahr 2006).

Die Antragsgegnerin ist eine gesetzliche Krankenkasse mit allein rund 31.600 Versicherten in Nordrhein-Westfalen. Durch Bekanntmachung vom 10.10.2007 (Europäische Gemeinschaft - Lieferaufträge - offenes Verfahren 2007/S 195-237200) schrieb sie den Abschluss einer Rahmenvereinbarung nach § 127 Abs 1 SGB V zur Versorgung ihrer Versicherten mit aufsaugenden Inkontinenzartikeln und Krankenunterlagen europaweit aus (Tag der Absendung der Bekanntmachung: 08.10.2007). Die Ausschreibung erfolgte in 20 Losen, wobei die Lose 4 bis 8 auf das Bundesland Nordrhein-Westfalen bezogen waren. Schlusstermin für den Eingang der Angebote bzw. Teilnahmeanträge war der 19.11.2007 - 24.00 Uhr (Ziff IV.3.4 der Bekanntmachung), die Bindungsfrist der Angebote reicht bis zum 07.01.2008 (Ziff IV.3.7 der Bekanntmachung).

Die Antragstellerin forderte die Vergabeunterlagen nicht selbst bei der Antragsgegnerin an, sondern beschaffte sich diese außerhalb der unter Ziff IV3.3 der Bekanntmachung genannten Bedingungen auf bisher nicht näher geklärte Weise.

Mit Schreiben vom 23.10.2007 forderte sie die Antragsgegnerin auf, ihr gegenüber innerhalb einer Frist von drei Werktagen klarzustellen, dass aufgrund dieser Ausschreibung kein Zuschlag erteilt werde, denn sie sehe sich durch die Leistungsbeschreibungen und die Vertragsbestimmungen an der Abgabe eines Angebotes gehindert. Zur weiteren Begründung führte sie ua aus, die Leistungs- und Vergabebedingungen benachteiligten sie unangemessen und berücksichtigten nicht die gesetzlichen Bestimmungen, dass sie unter bestimmten Voraussetzungen auch ohne Zuschlag berechtigt sei, eine Versorgung von Versicherten der Antragsgegnerin mit Inkontinenzartikeln weiterhin durchzuführen. Mit Schreiben vom 26.10.2007 lehnte die Antragsgegnerin eine inhaltliche Befassung ab, denn die Antragstellerin habe die Vertragsunterlagen nicht ordnungsgemäß angefordert. Daher sei diese im vorliegenden Vergabeverfahren bereits keine Bewerberin, es fehle das erforderliche Rechtsschutzbedürfnis auf Seiten der Antragstellerin.

Am 30.10.2007 hat die Antragstellerin vor dem Sozialgericht Düsseldorf den Erlass einer einstweiligen Anordnung beantragt und zur Begründung ua ausgeführt, der Rechtsweg zu den Sozialgerichten sei nach § 51 Abs 1 Ziff 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) gegeben. Sie berufe sich nicht auf eine Verletzung von Vergaberecht, sondern mache geltend, durch die Ausschreibung in subjektiv öffentlichen Rechten, insbesondere in ihrem Abwehrrecht aus Art 12 Abs 1 Grundgesetz (GG) verletzt zu sein. Ihrem Antrag fehle auch deshalb keinesfalls das Rechtsschutzbedürfnis, da sie durch die rechtswidrige Ausgestaltung der Vergabe- und der vertraglichen Unterlagen an einer Abgabe eines Angebotes durch die Antragsgegnerin gehindert werde.

Die Antragstellerin hat schriftsätzlich beantragt,

der Antragsgegnerin bis zu einer rechtskräftigen Entscheidung im Hauptsacheverfahren zu untersagen, in dem Vergabeverfahren über einen Vertrag zur Hauszustellung und Lieferung von Inkontinenzartikeln (2007/S 195-237200) einen Zuschlag zu erteilen für die im Bundesland Nordrhein-Westfalen gebildeten Lose 4 bis 8.

Die Antragsgegnerin hat schriftsätzlich beantragt,

den Antrag zurückzuweisen.

Sie hat die Auffassung vertreten, die Antragstellerin begehre ein Unterlassen einer Handlung in einem laufenden Vergabeverfahren, wofür nicht die Gerichte der Sozialgerichtsbarkeit, sondern ausschließlich nach § 104 Abs 2 Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen (GWB) die Vergabekammer des Bundes sachlich zur Entscheidung zuständig sei. Diese Sonderzuweisung habe Vorrang vor § 51 Abs 1 Ziff 2 SGG, wie sich aus der Gesetzesbegründung zu § 127 SGB V ergebe.

Mit Beschluss vom 14.11.2007 hat das Sozialgericht den Rechtsweg zu den Sozialgerichten für unzulässig erklärt und den Rechtsstreit nach § 17a GVG an die Vergabekammer des Bundes verwiesen. Im Ergebnis gehe es der Antragstellerin um die Frage, ob die Ausschreibung korrekt erfolgt und das Vergabeverfahren ordnungsgemäß durchgeführt worden seien. Für diese Prüfung bestehe eine Sonderzuweisung zu den Vergabekammern und -senaten, die Vorrang vor § 69 SGB V, § 51 SGG habe. Unter der Überschrift "Rechtsmittelbelehrung" hat das Sozialgericht ausgeführt, das Hauptsacheverfahren werde bis zur Erledigung des Beschwerdeverfahrens hinsichtlich der Rechtswegentscheidung nach § 114 SGG ausgesetzt.

Gegen den ihr am 15.11.2007 zugestellten Beschluss hat die Antragstellerin am 16.11.2007 Beschwerde erhoben, der das Sozialgericht nicht abgeholfen hat (Beschluss ohne weitere Begründung vom 21.11.2007). Zur Begründung hat die Antragstellerin ausgeführt, das Sozialgericht habe zu Unrecht bei der Prüfung des Rechtswegs offen gelassen, ob die Antragsgegnerin überhaupt eine öffentliche Auftraggeberin iSd § 98 GWB und damit der Rechtsweg zu den Vergabekammern zulässig sei. Tatsächlich sei es zudem sehr fraglich, ob eine Verweisung an die Vergabekammer und nicht an ein anderes Gericht nach § 17a GVG überhaupt zulässig sei. Im Ergebnis habe aber das Sozialgericht bereits den Streitgegenstand verkannt. Sie - die Antragstellerin - habe sich gerade nicht auf die Fehlerhaftigkeit des Vergabeverfahrens, sondern aufgrund der Ausschreibung auf öffentlichrechtliche Abwehrrechte berufen, weil die Antragsgegnerin in ihren Vergabebedingungen die Anerkennung eines öffentlichrechtlichen Vertrages für die Teilnahme an der Versorgung von Versicherten mit Hilfsmitteln zur Voraussetzung mache, der teilweise rechtswidrige, wahrscheinlich auch unwirksame Klauseln enthalte. Betroffen sei damit das Gesamtrechtsverhältnis zwischen Leistungserbringern und Krankenkassen im Rahmen der Gesetzlichen Krankenversicherung, das nach § 69 SGB V ausdrücklich öffentlichrechtlich ausgestaltet sei und damit nach § 51 SGG sachlich der Zuständigkeit der Gerichte der Sozialgerichtsbarkeit unterfalle. Für die Frage des Rechtsweges mache es keinen Unterschied, ob ein solcher Vertrag durch Ausschreibung oder durch Einigung und Annahme zustande komme. Folglich könne es auch keinen Unterschied für den einzuschlagenden Rechtsweg ausmachen, ob - wie hier - eine unangemessene Benachteiligung bereits vor Vertragsschluss und damit vor dem Ausschreibungsverfahren oder nach Vertragsschluss gerichtlich geltend gemacht werde. Vergaberechtlich seien die erhobenen Einwände auch nicht überprüfbar, da nach den § 97 Abs 7, § 107 Abs 2 GWB von den Vergabekammern nur geprüft werde, nach welchem Verfahren eine Auswahl unter mehreren in Betracht kommenden Bietern zu treffen sei.

Die Antragstellerin beantragt,

den Beschluss des Sozialgerichts Düsseldorf vom 14.11.2007 abzuändern und festzustellen, dass der Rechtsweg zu den Sozialgerichten gegeben ist; hilfsweise, entsprechend dem Antrag in der Antragsschrift zu erkennen.

Die Antragsgegnerin beantragt,

die Beschwerde, hilfsweise den Antrag zurückzuweisen.

Unter Verweis auf ihr bisheriges Vorbringen hat sie ergänzend vorgetragen, auf der Basis ihrer Patientenzahlen in den betroffenen fünf Losen komme dem angestrebten Vertrag nach § 127 Abs 1 SGB V allein in Nordrhein-Westfalen ein Auftragsvolumen von jährlich rund 13 bis 14 Millionen Euro zu. Gemessen am Marktanteil der Antragstellerin und des offensichtlichen und in einem Ausmaß unbegründeten Antrags sei eine positive Entscheidung in der Sache ihrer Meinung nach von vornherein ausgeschlossen. Der Zuschlag solle spätestens mit dem Ende der Bindungsfrist am 07.01.2008 erteilt werden. Die nicht berücksichtigten Bieter seien erst am 14.12.2007 von ihr benachrichtigt worden, so dass die Erteilung des Zuschlags frühestens nach Ablauf einer Frist von 14 Tagen nach der Benachrichtigung zulässig sei.

II. Die Beschwerde, über die der Senat ohne Hinzuziehung ehrenamtlicher Richter entscheiden konnte (§§ 12 Abs 1 Satz 1, 176 SGG), ist nach § 17a Abs 3 und 4 Satz 3 GVG iVm §§ 172, 202 SGG zulässig. Dabei hält es der Senat verfahrensrechtlich noch für ausreichend, dass das Sozialgericht im Hinweisschreiben an die Beteiligten vom 09.11.2007 und - wenn auch nur innerhalb der Rechtsmittelbelehrung - im angefochtenen Beschluss selbst hinreichend deutlich gemacht hat, lediglich eine Vorabentscheidung nach § 17a Abs 3 Satz 2 GVG zu treffen (zum Verfahren einer Vorabentscheidung des Gerichts erster Instanz: Albers, in Baumbach/Lauterbach/Albers/Hartmann, ZPO, 66. Aufl. 2008, § 17a GVG RdNr 14 f mwN) und im Ergebnis wohl den ordentlichen Rechtsweg (§ 13 GVG) für eröffnet gehalten hat (Verweisung der Streitsache an die Vergabekammer des Bundes).

Der Senat konnte auch in der Sache über die Beschwerde entscheiden. Zwar ist anerkannt, dass aufgrund des sich aus Art 19 Abs 4 GG ergebenen Gebots effektiven Rechtsschutzes im Eilverfahren eine Vorabentscheidung entsprechend § 17a Abs 3 Satz 2 GVG entfällt, wenn im Einzelfall eine schnelle Entscheidung geboten ist und dem Rechtsschutzsuchenden im Falle des Abwartens der Vorabentscheidung über die Zulässigkeit des Rechtswegs ein schwerer und nicht wieder gut zu machender Schaden droht (Keller in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 8. Auflage 2005, § 86b Rn 7, § 51 Rn 71; OVG Mecklenburg-Vorpommern, Urteil v 02.03.2000 - 2 M 105/99 - NVwZ 2001, 446).

So liegt der Fall hier nicht. Ein Abwarten bis zur abschließenden Entscheidung des Senats über die Beschwerde gegen den Beschluss des Sozialgerichts Düsseldorf vom 14.11.2007 verletzt die Antragstellerin weder in ihrem Anspruch auf effektiven Rechtsschutz aus Art 19 Abs 4 GG noch in dem im Rechtsstaatsprinzip (Art 20 Abs 3 GG) verbürgten allgemeinen Justizgewährungsanspruch. Auch ist weder Art 3 Abs 1 GG (Gleichheitsgrundsatz) noch, worauf die Antragstellerin maßgebend abstellt, Art 12 Abs 1 GG (Berufsausübungsfreiheit) ernsthaft tangiert. Die Antragstellerin wendet sich gegen die anstehende Zuschlagserteilung der Antragsgegnerin als Vergabestelle. Auch wenn sie selbst betont, als Nichtbieterin unmittelbar die eigentliche Vergabeentscheidung nicht angreifen zu wollen, handelt es sich um einen einheitlich zu beurteilenden Vorgang aus dem Bereich des Vergaberechts. Als nur mittelbar betroffene Gewerbetreibende kann sie durch eine staatliche Vergabepraxis in ihren Rechten verletzt werden (BVerfG, Beschluss v 13.06.2006 - 1 BvR 1160/03 - BVerfGE 116, 135; Beschluss v 23.05.2006 - 1 BvR 2530/04 - BB 2006, 1702), so dass ihr selbst als Nichtbieterin ein Anspruch auf effektiven - einstweiligen - Rechtsschutz nach den einfachgesetzlichen Normen grundsätzlich nicht zu verwehren ist.

Es reicht aus, dass sie behauptet, durch eine Vergabe der Antragstellerin in ihren Rechten als zugelassener Leistungserbringer verletzt zu werden.

Dieser Anspruch wird jedoch durch ein Abwarten der hier zu treffenden Vorabentscheidung der Beschwerde über die Zulässigkeit des von der Antragstellerin beschrittenen Rechtswegs zu den Sozialgerichten nicht verletzt. Zwar ist ihr zuzustimmen, dass mit der Zuschlagserteilung an einen anderen Hilfsmittelerbringer ein öffentlichrechtlicher Vertrag nach § 127 SGB V iVm §§ 53 f Sozialgesetzbuch Zehntes Buch (SGB X) zustande kommt (dazu BSG Urteil v 12.05.2005 - B 3 KR 32/04 R - SozR 4-2500 § 69 Nr 1; Urteil v 05.07.2000 - B 3 KR 20/99 R - SozR 3-2500 § 109 Nr 7 (beide aus dem Bereich der Beziehungen der Krankenkassen zu Krankenhausträgern)), der von der Antragstellerin wohl nur im Rahmen des § 58 SGB X (Nichtigkeit) rechtlich anfechtbar ist. Auch bei einer unmittelbaren Anwendung des Kartellrechts wäre ein einmal erteilter Zuschlag nach § 114 Abs 2 Satz 1 GWB grundsätzlich nicht aufzuheben. Die Antragsgegnerin als Vergabestelle des ausgeschriebenen öffentlichen Auftrags hat jedoch bereits ausdrücklich erklärt, sich an die 14-tägige Frist nach § 13 Verordnung über die Vergabe öffentlicher Aufträge (VgV) zu halten, so dass durchaus ein zwar enges, aber noch zeitlich ausreichendes Zeitfenster für eine Entscheidung des zuständigen erstinstanzlichen Gerichts in der Sache verbleibt. Im Übrigen darf nicht verkannt werden, dass mit einer Zuschlagserteilung der Rechtsschutz der Antragstellerin nicht abgeschlossen ist. Mit der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) (Beschluss v 13.06.2005 aaO) geht der Senat davon aus, dass nicht in jedem Fall ein Primärrechtsschutz gegen Vergabeentscheidungen vom Staat vorgehalten werden muss. Dies gilt erst recht, wenn wie hier, versucht werden soll, langfristig ein Auftragsvolumen von ca 2.000,- EUR jährlich durch eine Zuschlagsuntersagung mit einem Auftragsvolumen von ca 13 bis 14 Mill EUR zu blockieren. In diesen Fallkonstellationen bedarf es bei der hier zu treffenden Interessensabwägung, ob vorab die Frage des Rechtswegs geklärt werden kann, besonderer Gründe, die weder die Antragstellerin vorgetragen, noch für den Senat erkennbar sind. Bei der Abwägung der beiderseitigen wirtschaftlichen Interessen der Beteiligten stützt sich der Senat auf die nachvollziehbar begründeten Ausführungen der Antragsgegnerin, die von der Antragstellerin weder bestritten, noch in der erforderlichen Weise glaubhaft gemacht worden sind, § 86b Abs 2 Satz 4 SGG iVm §§ 920, 921, 923, 926, 928 bis 923, 938, 939 und 945 Zivilprozessordnung (ZPO).

In der Sache erweist sich die Beschwerde als begründet. Zu Unrecht hat das Sozialgericht den ordentlichen Rechtsweg (§ 13 GVG) für eröffnet gehalten. In diesem Zusammenhang brauchte es keiner Entscheidung des Senates, ob - wie vom Sozialgericht unterstellt - eine Verweisung an eine Vergabekammer überhaupt nach § 17a Abs 2 Satz 2 GVG zulässig ist (offenbar bejahend: KG Berlin v 21.11.2002 - KartVerg 7/02 - NZBau 2004, 345; zu Recht wohl verneinend: Hinweisbeschluss OLG Karlsruhe v 19.11.2007 - 17 Verg 11/07 - juris.de; OVG Thüringen v 18.11.2004 - 2 EO 1329/04 - NVwZ 2005, 235; OLG Celle v 04.05.2001 - 13 Verg 5/00 - OLGR Celle 2001, 299). Es handelt sich bei dem zweistufigen Vergabenachprüfungsverfahren nach §§ 102 f GWG um kein ordentliches Gerichtsverfahren, die Vergabekammer entscheidet durch Verwaltungsakt (§ 114 Abs 3 Satz 1 GWB) und ist kein Gericht iSd § 17a Abs 2 Satz 2 GVG.

Der Rechtsstreit gehört zum Zuständigkeitsbereich der Sozialgerichtsbarkeit (§ 51 SGG). Die Antragstellerin hat daher zu Recht den Antrag vor dem Sozialgericht Düsseldorf gestellt, der angefochtene Beschluss des Sozialgerichts Düsseldorf vom 14.11.2007 ist aufzuheben.

Nach § 51 Abs 1 Nr 2 und Abs 2 Satz 1 SGG ist der Sozialrechtsweg sowohl für öffentlichrechtliche als auch für privatrechtliche Streitigkeiten in Angelegenheiten der gesetzlichen Krankenversicherung eröffnet, auch soweit dadurch Dritte betroffen werden. Dem Bundessozialgericht (BSG) folgend (Beschluss v 06.09.2007 - B 3 SF 1/07 R - zum Abdruck vorgesehen in SozR 4, mwN), geht der erkennende Senat davon aus, dass die Rechtsbeziehungen der Krankenkassen zu den Leistungserbringern spätestens seit der Neufassung des § 69 SGB V zum 01.01.2000 (Gesetz zur Reform der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV-Gesundheitsreformgesetz 2000) v 22.12.1999, BGBl I 2626) ausschließlich dem öffentlichen Recht und damit die daraus resultierenden Streitsachen abschließend den Gerichten der Sozialgerichtsbarkeit zugewiesen sind (zur Entstehungsgeschichte und den sich daraus ergebenden Folgen zum Rechtsweg: BSG, Urteil vom 12.05.2005 aaO). Mit den gleichzeitig in § 51 Abs 2 SGG und § 87 GWG vorgenommenen Änderungen wurden auch für alle kartellrechtlichen Streitigkeiten aus dem Leistungserbringungsrecht der gesetzlichen Krankenkassen (mit Ausnahme bestimmter Fragen des Krankenhausrechts) ausschließlich die Sozialgerichte zuständig (BT-Drs 14/1977, S 189).

Mit der Neufassung des § 69 SGB V (Gesetz zur Stärkung des Wettbewerbs in der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV-WSG) v 26.03.2007, BGBl I 378) zum 01.04.2007 hat der Gesetzgeber dies noch einmal ausdrücklich klargestellt (BT-Drs 16/4247, S 35 zu Nr 40). Danach sind die §§ 19 bis 21 GWB nur "entsprechend anwendbar", so dass im Umkehrschluss anzunehmen ist, dass andere Vorschriften des GWB jedenfalls nicht unmittelbar gelten sollen (wie hier: OLG Karlsruhe v 19.11.1997 aaO; LSG Baden-Württemberg v 04.04.2007 - L 5 KR 518/07 ER-B - juris.de; Engelmann in: jurisPK-SGB V, § 69 Rn 158). Eine - hier allerdings nicht einschlägige - Ausnahme ist nur in § 69 Satz 2 2. Halbsatz SGB V enthalten, der auf das Schiedsstellenverfahren (§ 89 SGB V) verweist. Die Folge ist, dass für alle übrigen Bereiche der Missbrauch einer marktbeherrschenden Stellung (§ 19 GWB), eine unbillige Behandlung oder ungerechtfertigte Diskriminierung (§ 20 GWB), Boykott und sonstiges wettbewerbsbeschränkendes Verhalten (§ 21 GWB) nicht durch die Kartell-, sondern durch die Aufsichtsbehörden der Krankenkassen zu überprüfen ist. Diese durch § 69 Satz 2 1. Halbsatz SGB V erfolgte Anordnung der entsprechenden Geltung der Vorschriften des GWB (§§ 19 bis 21) führt damit nicht dazu, dass sich die daraus ergebenden Rechtsstreitigkeiten nunmehr dem Zivilrecht zuzuordnen sind.

Dem hatte sich auch die ordentliche Gerichtsbarkeit im Ergebnis angeschlossen (zuletzt vgl BGH v 23.02.2006 - I ZR 164/03 - PatR 2006, 51). Soweit nunmehr der Bundesgerichtshof (BGH) (Beschluss v 09.11.2006 - I ZB 28/06 - WRP 2007, 641) für die Rechtswegzuweisung danach zu differenzieren scheint, ob die Maßnahme "unmittelbar der Erfüllung der den Krankenkassen obliegenden öffentlichrechtlichen Aufgaben dient", dürfte dies nach dem Verständnis des erkennenden Senats zu einer vom Gesetzgeber nicht gewollten und weitgehend zufälligen Aufsplitterung des Rechtswegs bei Maßnahmen von Krankenkassen führen, je nachdem, wer wettbewerblich von dieser betroffen ist. Danach spricht für den Senat alles dafür, der Rechtsprechung des BSG zu folgen, und eine direkte Anwendung der Vorschriften des UWG und des GWB - und damit auch die Zuständigkeitsregelung in § 104 Abs 2 GWB - über den Wortlaut des § 69 Satz 2 SGG nF hinaus auszuschließen, zumal der BGH selbst (Beschluss v 09.11.2006, aaO, juris Rn 14) Auswirkungen für Streitigkeiten aus den - wie hier - von § 69 SGB V erfassten Rechtsbeziehungen der Krankenkassen zu den Leistungserbringern (und umgekehrt) ausdrücklich verneint und insoweit an seiner bisherigen Rechtsprechung festhält.

Soweit insbesondere in der Literatur eingewandt wird, dass die bisherige höchstrichterliche Rechtsprechung sich auf die Anwendung des Wettbewerbs- und Kartellrechts bezieht, der Bezug zum Vergaberecht der §§ 97 f GWB aber offen und umstritten sei (so ausdrücklich Otting, in ZMGR 2005, 243) ist dies sicherlich richtig, führt aber in der Sache zu keinem anderen Ergebnis. Das BSG (Beschluss v 11.12.2007 - B 12 SF 9/07 S) hat in einer Streitsache über Rabattverträge (§ 130a SGB V) zwischen gesetzlichen Krankenkassen und pharmazeutischen Unternehmen sich ausdrücklich auf die Entscheidung der Bestimmung des örtlich zuständigen Gerichts (§ 58 SGG) beschränkt und die Frage des Rechtswegs offen gelassen, während das Bundesverwaltungsgericht (BVerwG) für Streitigkeiten über die Vergabe von öffentlichen Aufträgen mit einem Auftragswert unterhalb des in § 2 VgV genannten Schwellenwertes (heute 211.000,- EUR idF v 23.10.2006, BGBl I 2334) den ordentlichen Rechtsweg als gegeben ansieht. Die Argumentation des BVerwG ist nach Auffassung des Senates auf die hier zur Entscheidung stehende Streitsache allerdings nicht übertragbar, da es sich dort nicht um ein Rechtsverhältnis nach § 69 SGB V gehandelt hat und hier nicht ein privatrechtlicher Beschaffungsvertrag, sondern letztlich der Abschluss eines sozialversicherungsrechtlichen, also öffentlichrechtlichen Vertrages (§ 127 SGB V, §§ 53 ff SGB X) im Streit steht. Der Senat geht auch in Vergabefällen gesetzlicher Krankenkassen, wie hier, von einer Zuständigkeit der Gerichte der Sozialgerichtsbarkeit aus. Das SGB V sieht eine Verweisung auf die §§ 97 ff GWB - und damit auf die dortigen Zuständigkeitsregelungen der §§ 102, 104, 116 GWB - nicht vor, auch soweit es öffentliche Ausschreibungen unter Bekanntgabe objektiver Auswahlkriterien gebietet. Obwohl die Materialien des GKV-WSG für einzelne Gruppen von Leistungserbringer (BT-Drs 16/3100 S 141 (§ 127)) die Anwendung von Vergaberecht vorsehen (vgl auch BT-Drs 16/3100 S 144 (§ 130a), S 152 (§140a Abs 1)), ist diese Vorstellung nicht Gesetz geworden (so ausdrücklich Hauck, in RPG 2007, 64). Soweit erkennbar, wird in der Rechtsprechung und bei der Vergabekammer Baden-Württemberg die hier vertretene Auffassung überwiegend geteilt (vgl. OLG Karlsruhe v 19.11.2007 aaO; Vergabekammer Baden-Württemberg, Beschlüsse v 07.11.2007 - 1 VK 47/07, v 26.01.2007 - 1 VK 82/06; LSG Baden-Württemberg v 04.04.2007 aaO; aA Vergabekammer des Bundes, Beschlüsse v 14.11.2007 - VK 3-124/07 -, v 24.10.2007 - VK 2-102/07; Vergabekammer bei der Bezirksregierung Düsseldorf v 31.10.2007 - VK-31/2007 - L). Im zwischenzeitlich vorliegenden Gesetzentwurf eines Gesetzes zur Änderung des Sozialgerichtsgesetzes und des Arbeitsgerichtsgesetzes (BR-Drs 820/07 S 23 (§ 51 SGG) v 15.11.2007) wird zudem deutlich, dass der Gesetzgeber in Kenntnis der kontroversen Diskussion an seiner Zuweisung derartiger Streitsachen zu den Gerichten der Sozialgerichtsbarkeit festhalten will. Diese Zuordnung beruht auf der Erkenntnis des Gesetzgebers, dass die Kontrolle des notwendig regulierten, speziell ausgestalteten Kassenwettbewerbs am Besten ohne Rechtszersplitterung von den Gerichten entschieden werden soll, die mit den systemkonstituierenden Normen des GKV und den Eigenheiten des Gesundheitsmarktes besonders vertraut und damit bestens geeignet sind, die notwendige Steuerung anhand von Recht und Gesetz zu leisten (Hauck, aaO).

Vorliegend wendet sich die Antragstellerin gegen die Zuschlagserteilung in einem Vergabeverfahren über den Abschluss einer Rahmenvereinbarung zur Hauszustellung und Lieferung von Inkontinenzartikeln (für Versicherte der Antragsgegnerin im Bundesland Nordrhein-Westfalen). Rechtsgrundlage hierfür ist § 127 Abs 1 Satz 1 SGB V in der ab dem 01.07.2008 geltenden Fassung des GKV WSG. Durch die dort vorgesehenen (schon jetzt im Vorgriff zulässiges) Ausschreibungen soll der Preiswettbewerb im Hilfsmittelbereich gefördert werden (BT-Drs 16/3100 S 141). Inkontinenzartikel sind Hilfsmittel nach § 33 Abs 1 Satz 1 SGB V (Produktgruppe 15 des gemäß §§ 138, 139 SGB V von den Spitzenverbänden der Krankenkassen aufgestellten Hilfsmittelverzeichnisses) und dürfen nach § 126 Abs 1 Satz 1 SGB V nur auf der Grundlage solcher Verträge abgegeben werden. Es handelt sich damit um ein Rechtsverhältnis nach § 69 Satz 1 SGB V das nach den dargestellten Grundsätzen abschließend dem öffentlichen Recht zugeordnet ist. Der Rechtsweg daraus resultierender Streitsachen ist nach § 51 Abs 2 Satz 1 SGG den Sozialgerichten zugewiesen. Dies gilt auch, soweit - wie hier - Rechte Dritter betroffen sind bzw. sein können. Für die Rechtswegentscheidung unerheblich ist, ob tatsächlich eine Rechtsverletzung der Antragsgegnerin vorliegt. Ob die mit § 127 Abs 1 Satz 1 SGB V sicherlich langfristig verbundene Marktkonzentration (dazu Möschel, JZ 2007, 601), wie die Antragstellerin meint, hierfür ausreicht, ist materiellrechtlich vom Sozialgericht und nicht in der hier vom Senat allein zu treffenden Vorabentscheidung über den Rechtsweg zu entscheiden.

Der hier getroffenen Rechtswegentscheidung steht nicht europäisches Kartellrecht entgegen. Die Ansicht, wonach § 69 SGB V bezüglich der Vergabe oberhalb der Schwellenwerte in § 2 VgV für unanwendbar gehalten wird, weil der Gesetzgeber nicht über Gemeinschaftsrecht, insbesondere der Richtlinie 2004/18/EG disponieren könne (so OLG Düsseldorf, Vorlagebeschluss v 23.05.2007 - VII-Verg 50/06 - GesR 2007, 429), begründet ebenfalls nicht die Eröffnung eines anderen Rechtswegs. Der Gesetzgeber kann durchaus über die Umsetzung des Gemeinschaftsrechts disponieren, dieses ist dann von der jeweils zuständigen innerstaatlichen Stelle unmittelbar umzusetzen. Diese Zuständigkeit liegt - wie ausgeführt - hier nach der ausdrücklichen Zuordnung des Gesetzgebers bei den Gerichten der Sozialgerichtsbarkeit (wie hier: Vergabekammer Baden-Württemberg, Beschluss v 19.01.2007 aaO); eine Verkürzung des europarechtlich vorgesehenen Rechtsschutzes ist damit nicht verbunden. Soweit im Übrigen die §§ 97 ff GWB mit der Zuständigkeitsnorm in § 104 Abs 2 GWB sekundäres europäisches Vergaberecht umsetzen, ist die Anwendung auf Vergaben gesetzlicher Krankenkassen sehr umstritten (verneinend BayOLG, Beschluss v 24.05.2004 - Verg 6/04 - BayOLGZ 2004, 122; Hauck aaO; offen gelassen BSG, Urteil v 25.09.2001 - B 3 KR 3/01 R - SozR 3-2500 § 69 Nr 1; kritisch dazu: Kaeding, ZESAR 2007, 409; Frenz, NZS 2007, 233). Soweit überhaupt grenzüberschreitendes europäisches Recht Anwendung findet, wird diese Streitfrage materiellrechtlich vom Sozialgericht unter Auswertung der aktuellen Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes (EuGH) (zuletzt Beschluss vom 13.12.2007 - C-337/06 -; Urteil vom 11.07.2006 - C-205/03) zu beantworten sein.

Die Kostenentscheidung (zu deren Notwendigkeit BSG, Beschluss v 06.09.2007 aaO mwN) beruht auf § 197a SGG iVm § 154 Abs 1 Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO) in entsprechender Anwendung. Gerichtskosten sind nach dem Gerichtskostengesetz (GKG) für das Beschwerdeverfahren nicht angefallen, da die Gebührentatbestände (insbesondere Kostenverzeichnis -KV- zum GKG, Nr. 7504) bei dem Ausgang, das das Beschwerdeverfahren hier genommen hat, sämtlich nicht einschlägig sind.

Der Streitwert war, wie den Beteiligten mit Verfügung vom 18.12.2007 mitgeteilt, nach § 52 Abs 1 GKG nach dem sich aus dem Antrag der Antragstellerin für sie ergebenden Bedeutung der Sache nach Ermessen des Senats zu bestimmen. Da nur eine vorläufige Regelung in Streit steht, war dieser Wert um die Hälfte zu reduzieren und mit der Rechtsprechung des BSG (zuletzt Beschluss v 28.09.2007 - B 10 SF 13/07 S) aufgrund der hier nur zur Entscheidung stehenden Beschwerde über den Rechtsweg mit einem Fünftel dieses Wertes festzusetzen. Mangels anderer Ansatzpunkte geht der Senat, wie ausgeführt, davon aus, dass das wirtschaftliche Interesse der Antragstellerin auf den Erhalt des jährlichen Umsatzes von etwa 2.000,- EUR durch Lieferung von Inkontinenzartikeln für Versicherte der Antragsgegnerin gerichtet war - und des dadurch zu erwartenden/wegfallenden Gewinns. Angesichts der Dringlichkeit der Entscheidung verzichtet der Senat auf eine genauere Ermittlung des Gewinns und schätzt ihn pauschal auf 25 v.H. des Jahresumsatzes. Ausgehend von einer angestrebten vertraglichen Laufzeit der Rahmenvereinbarung von zunächst zwei Jahren ergibt dies bei einer Umsatzerwartung von 4.000,- EUR mithin einen Streitwert von 100,- EUR (2.000,- EUR (wegen des einstweiligen Rechtsschutzes), davon 25 v.H. (wegen des Gewinnanteils), mal ein Fünftel)

Der Senat hat die weitere Beschwerde an das BSG zugelassen, weil der Rechtswegfrage grundsätzliche Bedeutung zukommt (§ 17a Abs 4 Satz 4 und 5 GVG). Der Senat folgt nicht der Auffassung des BVerwG, dass in Angelegenheiten des einstweiligen Rechtsschutzes keine weitere Beschwerde zu einem obersten Gerichtshof zulässig sei (BVerwG, Beschluss v 08.08.2006 - 6 B 65/06 - DVBl 2006, 1249). Das GVG beschränkt die Klärung von Rechtswegfragen nicht nur auf Urteile und bestimmte andere Beschlüsse, sondern lässt umfassend die (weitere) Rechtswegbeschwerde zu (vgl. auch BHG, Beschluss v 09.11.2006 - I ZB 28/06 - NJW 2007, 1819).






LSG Nordrhein-Westfalen:
Beschluss v. 20.12.2007
Az: L 16 B 127/07 KR ER


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