Oberverwaltungsgericht Nordrhein-Westfalen:
Urteil vom 7. September 2001
Aktenzeichen: 13 A 2814/99

(OVG Nordrhein-Westfalen: Urteil v. 07.09.2001, Az.: 13 A 2814/99)

Tenor

Das angefochtene Urteil wird teilweise geändert.

Die Ordnungsverfügung der Beklagten vom 8. April 1997 in der Gestalt ihres Widerspruchsbescheides vom 14. Juli 1997 wird aufgehoben, soweit der Klägerin darin unter 1. untersagt wird, gemeinsame Einzelaktionen mit einem Krankenversicherer in Form der von der Klägerin im Dezember 1996 veranstalteten Gesundheitstage in ihren Apothekenräumen durchzuführen.

Im Àbrigen wird die Berufung zurückgewiesen.

Die Kosten des Verfahrens in beiden Rechtszügen tragen die Klägerin zu 5/6 und die Beklagte zu 1/6.

Das Urteil ist hinsichtlich der Kosten vorläufig vollstreckbar.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand

Die Klägerin betreibt in O. die "A. -Apotheke im C. ". Nach entsprechenden Vorkommnissen, die die Beklagte für Verstöße gegen die Berufsordnung hielt, untersagte die Beklagte der Klägerin mit Ordnungsverfügung vom 8. April 1997,

1. gemeinsame Einzelaktionen mit einem Krankenversicherer in Form der von der Klägerin im Dezember 1996 veranstalteten Gesundheitstage in den Apothekenräumen durchzuführen,

2. auf einen "Service à la card" mit dem Hinweis "Wir sind ... immer für Sie da, kostenlos unter ..../......" hinzuweisen,

3. mit Hilfe der Veröffentlichung von Photos zu werben, die die Klägerin als Apothekeninhaberin anlässlich der Übergabe eines symbolischen Schecks über einen Spendenbetrag zeigen,

4. in der von ihr am 28. Dezember 1996 und am 15. Januar 1997 im "Wochen-Anzeiger O. " gewählten Art und Weise zu werben, indem sie mehrere werbende Anzeigen, die durch farbliche Unterlegung besonders hervorgehoben sind, auf einer Zeitungsseite veröffentlicht,

5. einen Lieferservice für Heil- und Hilfsmittel zu bewerben und

6. einen Block mit Bleistift in einer Plastikhülle als Zugabe im Sinne des § 9 Satz 5 Nr. 16 der Berufsordnung für Apothekerinnen und Apotheker vom 7. Juni 1995 (BO) abzugeben.

Den hiergegen eingelegten Widerspruch wies die Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 14. Juli 1997 zurück.

Daraufhin hat die Klägerin am 14. August 1997 vor dem Verwaltungsgericht Düsseldorf Klage erhoben und beantragt,

die Ordnungsverfügung vom 8. April 1997 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 14. Juli 1997 und der Erklärung vom 20. April 1999 aufzuheben.

Durch Urteil vom 20. April 1999 hat das Verwaltungsgericht die Klage entsprechend dem Antrag der Beklagten abgewiesen.

Mit der vom Senat zugelassenen Berufung verfolgt die Klägerin unter Darlegung ihrer Rechtsauffassung ihr Anfechtungsbegehren weiter und beantragt,

das angefochtene Urteil zu ändern und nach ihrem Klageantrag zu erkennen.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Wegen des Sachverhalts im Übrigen und des weiteren Vorbringens der Parteien wird auf die Streitakten und die vom Senat beigezogenen berufsrechtlichen Akten 31 K 1088/98.T und 1 T 53(II)/85 betreffend die Klägerin Bezug genommen. Aus der Akte 1 T 53(II)/85 ergibt sich, dass die Klägerin durch Urteil vom 15. Mai 1987 wegen Verletzung ihrer Berufspflichten (u. a. durch Werbung und Zugaben an Kunden) verurteilt wurde, indem ihr das passive Berufswahlrecht aberkannt wurde. Auf Antrag der Klägerin wurde ihr vom Landesberufsgericht für Heilberufe beim OVG NRW durch Beschluss vom 30. November 1998 das passive Berufswahlrecht wieder zuerkannt.

Gründe

Die Berufung ist zulässig, hat aber nur in einem Punkt Erfolg. Die Ordnungsverfügung vom 8. April 1997 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 14. Juli 1997 ist in den Untersagungen zu 2., 3., 4., 5. und 6. rechtmäßig, so dass insofern die Berufung zurückzuweisen ist. Die Untersagung zu 1. ist allerdings rechtswidrig und verletzt die Klägerin in ihren Rechten, so dass insofern das angefochtene Urteil zu ändern und die Ordnungsverfügung aufzuheben ist.

I. Mit Bezug auf alle Untersagungspunkte ist klarzustellen, dass Streitgegenstand nicht die ursprünglichen Vorwürfe gegenüber der Klägerin als solche sind, sondern dass diese allein Anlass gebend waren, ein entsprechendes Verhalten für die Zukunft zu untersagen. Dies erhellt, dass es sich bei den Untersagungen um Dauerverwaltungsakte handelt, für deren Beurteilung für die Zukunft es mangels anderweitiger materiellrechtlicher Regelungen auf die Sach- und Rechtslage der letzten mündlichen Verhandlung ankommt.

Vgl. Urteil des Senats vom 10. Dezember 1998 - 13 A 2711/97 -, Sammlung Lebensmittelrechtlicher Entscheidungen (LRE), 36, 150.

Deshalb ist bei der Prüfung des Aufhebungsbegehrens ex nunc auf das Heilberufsgesetz NRW idF vom 9. Mai 2000, GV NRW S. 403, (HeilBerG) sowie die Berufsordnung für Apothekerinnen und Apotheker der Apothekerkammer Nordrhein vom 7. Juni 1995, MBl. NRW S. 1008, in der Änderungsfassung vom 10. Dezember 1997, MBl. NRW S. 860, (BO) abzustellen. Die genannte Berufsordnung ist im Übrigen in Übereinstimmung mit der Ermächtigungsgrundlage in §§ 31, 32, 29 HeilBerG idF von 1994 erlassen worden und entspricht den Anforderungen des Bundesverfassungsgerichts.

Vgl. Beschluss vom 22. Mai 1996 - 1 BvR 744/88 u.a. -, BVerfGE 94, 372 = NJW 1996, 3067.

Nur soweit das Aufhebungsbegehren auch für die Vergangenheit wirken soll (ex tunc), kommt es auf die alte Fassung der Berufsordnung vom 7. Juni 1995 (BO a.F.) an, die die Beklagte herangezogen hatte, sowie auf die Fassung des Heilberufsgesetzes vom 27. April 1994, GV S. 204.

Nach § 6 Abs. 1 Nr. 6 HeilBerG bzw. § 6 Abs. 1 Nr. 5 HeilBerG 1994 können die Kammern bei der Überwachung der Erfüllung der Berufspflichten der Kammerangehörigen sowie zur Beseitigung berufsrechtswidriger Zustände belastende Verwaltungsakte erlassen.

Wenn die Klägerin geltend macht, die Beklagte hätte ihr Verhalten nicht durch eine Ordnungsverfügung ahnden dürfen, geht das schon deshalb fehl, weil die Ordnungsverfügung zukünftige Verhaltensweisen untersagt, also nicht vergangene Verstöße betrifft.

II. Soweit es darum geht, wie Maßnahmen der Klägerin, insbesondere solche der Werbung, auf die angesprochenen Verbraucher wirken, ist zu beachten, dass es nicht mehr auf den flüchtigen Verbraucher ankommt, sondern unter Fortführung der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes

- vgl. Urteile vom 16. Juli 1998 - C-210/96 -, LRE 35, 70, vom 28. Januar 1999 - C-303/97 -, LRE 36, 1 und vom 13. Januar 2000 - C-220/98 -, LRE 38, 49 -

von einem durchschnittlich informierten, aufmerksamen und verständigen Durchschnittsverbraucher auszugehen ist. Dem hat sich aus Anlass der Beurteilung von Irreführungstatbeständen auch das Bundesverwaltungsgericht angeschlossen.

Vgl. Beschluss vom 18. Oktober 2000 - 1 B 45.00 -, LRE 40, 166.

Auch der Bundesgerichtshof hat in Wettbewerbssachen

- vgl. Urteil vom 20. Oktober 1999 - I ZR 167/97 -, WRP 2000, 517 = MDR 2000, 1087, Urteil vom 10. Februar 2000 - I ZR 97/98 -, LRE 38, 157, Urteil vom 7. Dezember 2000 - I ZR 158/98 -, LRE 40, 312 und Urteil vom 3. Mai 2001 - I ZR 318/98 -, LRE 41, Heft 3/4 -

sowie in einer Strafsache

- vgl. Urteil vom 25. April 2001 - 2 StR 374/00 -, LRE 41, 81 -

grundsätzlich auf das neue Verbraucherleitbild abgestellt.

Der Senat hält es angesichts der Vergleichbarkeit der Verbraucherschutzvorschriften und zur Wahrung der Einheitlichkeit der Rechtsprechung für sachgerecht, auch im Apothekenrecht grundsätzlich nicht mehr auf den flüchtigen, sondern auf den durchschnittlich informierten, aufmerksamen und verständigen Durchschnittsverbraucher abzustellen. Er behält sich allerdings vor, einen anderen Maßstab anzulegen, wenn die Gesundheit des Verbrauchers beeinträchtigt werden kann.

Vgl. hierzu EuGH, Urteil vom 13. Januar 2000, a.a.O., RZ 28.

III. 1. Dies vorausgeschickt kann die erste Untersagung in der angefochtenen Ordnungsverfügung, gemeinsame Einzelaktionen mit einem Krankenversicherer in Form der von der Klägerin im Dezember 1996 veranstalteten Gesundheitstage in den Apothekenräumen durchzuführen, keinen Bestand haben. Die auf § 3 BO in Verbindung mit § 1 UWG sowie auf § 9 Abs. 1 Satz 1 BO gestützte Untersagung betrifft nicht von der Klägerin veranstaltete "Gesundheitstage" schlechthin oder die Werbung dafür, sondern die Einbeziehung von einer Krankenkasse als Mitveranstalter. Der Senat vermag insofern keinen Verstoß gegen die guten Sitten, wie ihn § 1 UWG voraussetzt, und keine Unlauterkeit des Wettbewerbs iSv § 9 Abs. 1 Satz 1 BO zu erkennen. Die Betrachtung, es handele sich um einen missbräuchlichen Einsatz fremder "Autorität", deren Einflussmacht in die Absatzwerbung eingespannt werde, um die Umworbenen durch unsachliche Beeinflussung ihrer Entscheidung als Kunden zu gewinnen, ist gekünstelt und überzeichnet. Gerade die zum Beweis angeführte Behauptung, eine solche Aktion mit einer Krankenkasse wie der AOK löse die Vorstellung aus, die zur Neutralität verpflichtete Institution halte die Apotheke der Klägerin generell für besonders empfehlenswert, aus der Sicht des Konsumenten liege es nämlich nahe, dass sich die AOK nicht als Werbemittel irgendeiner Apotheke einsetzen lasse, sondern nur mit einer solchen Apotheke zusammenarbeite, die besonders vertrauenswürdig sei, ist durch nichts belegt. Nach der Überzeugung des Senats werden sich die Kunden und Besucher der Gesundheitstage allenfalls dahingehende Vorstellungen machen, dass eine Institution wie die AOK sich nicht mit einer "in Verruf gekommenen" oder sonst negativ in Erscheinung getretenen Apotheke zusammentun wird. In der Zusammenarbeit eine Empfehlung zu sehen, geht angesichts der auch sonst möglichen Gründe für das gemeinsame Auftreten zu weit. So kann - um nur ein Beispiel zu nennen - die Apotheke von ihren Räumlichkeiten her für die Durchführung solcher Veranstaltungen - etwa für Vorträge - besonders geeignet sein. Im Übrigen ist durch nichts belegt und auch nicht erkennbar, dass sich der Durchschnittsverbraucher dahingehende Gedanken macht, ob und dass es sich bei solchen Gesundheitstagen um die Veranstaltung nur einer einzigen Apotheke handelt und nicht in anderen Bereichen oder zu anderen Zeitpunkten die gleiche oder andere Krankenkassen ähnliches mit anderen Apotheken veranstalten. Auch die Klägerin hat in ihrer Werbung für die Gesundheitstage im Dezember 1996 insofern keine Alleinstellung oder ähnliches behauptet. Dass die Klägerin die Gesundheitstage zumindest auch zu Werbezwecken durchgeführt und sich erhofft hat, dass sie Gelegenheit finden würde, ihre Kompetenz in fachlichen Fragen deutlich zu machen und so möglicherweise Kunden zu gewinnen, ist nicht vorwerfbar, da Werbung nicht grundsätzlich verboten oder i.S.v. § 1 UWG oder § 9 Abs. 1 Satz 1 BO rechtswidrig ist. Dies heißt aber nicht, dass sich die AOK in Werbemaßnahmen der Klägerin hat einspannen lassen. Die Gesundheitstage hatten wegen ihres aufklärenden Inhalts auch einen objektiven Wert, der auch im Interesse der Krankenkasse selbst lag. Bei unbefangener Betrachtung dienen Gesundheitstage (auch in Zusammenarbeit mit einer Krankenkasse oder einem sonstigen Krankenversicherer) dem öffentlichen und privaten Interesse an der Gesundheit. Jedenfalls ist kein Verstoß gegen ein Gemeinwohlinteresse - wie er grundsätzlich zur Einschränkung der Berufsfreiheit nach Art. 12 Abs. 1 GG, aber auch zur Rechtfertigung des vorliegend zu beurteilenden Teils der Verfügung der Beklagten erforderlich wäre - zu erkennen. Dies hindert ein Einschreiten der Beklagten dann nicht, wenn es aus Anlass von an sich zulässigen "Gesundheitstagen" zu Verstößen gegen die Berufsordnung kommen sollte, wie etwa bei der Behauptung der Klägerin, die Kasse empfehle ihre Apotheke.

2. Die Untersagung des Hinweises "Wir sind ... immer für Sie da - kostenlos unter: ..../......" (Nr. 2 der Ordnungsverfügung) ist nach dem - mit höherem Recht vereinbaren - Irreführungsverbot in § 9 Abs. 1 Satz 2 BO rechtmäßig. Auch der Senat sieht in dieser Werbung nicht nur die Behauptung, sich während der Geschäftszeiten voll für den Kunden engagieren zu wollen, sondern eine Irreführung insofern, als eine telefonische Beratung nur während der Öffnungszeit der Apotheke erfolgt, die Verbindung aus dem Werbespruch und der Telefonnummer jedoch eine telefonische "Rundumdie-Uhr-Betreuung" erwarten lässt, zumal es sich nicht um eine private Telefon-Nummer handelt, sondern um eine Service-Nummer. Ob eine solche Beratung zulässig oder unzulässig ist, weiß nämlich auch der an Ladenöffnungszeiten bei Apotheken gewöhnte Kunde nicht. Die Untersagung einer solchen Werbung ist um so mehr angezeigt, als es der Klägerin ein Leichtes wäre, das Auseinanderfallen von Erwartung und ihrem tatsächlichen Verhalten durch einen kurzen Hinweis auf ihre Öffnungszeiten zu vermeiden.

Dabei stellt der Senat - wie eingangs ausgeführt - auf den durchschnittlich informierten, aufmerksamen und verständigen Durchschnittsverbraucher ab. Nicht erforderlich ist, dass dieser Durchschnittsverbraucher regelmäßig dem fraglichen Irrtum unterliegt und es nicht auch teilweise ein Verständnis im Sinne einer Zusage ständigen Bemühens durch die Apotheke gibt.

Vgl. auch BVerwG, Urteil vom 24. November 1994 - 3 C 2.93 -, BVerwGE 97, 132, 139; a.A. wohl OLG Frankfurt/M, Urteil vom 22. Februar 2001 - 6 U 185/99 -, LRE 40, 320.

Der Europäische Gerichtshof hat mangels gemeinschaftsrechtlicher Vorgaben anerkannt, dass die nationalen Gerichte nach ihrem Recht bestimmen können, welcher Prozentsatz der Verbraucher mindestens durch eine Aussage irregeführt werden muss, damit ein Verbot einer Werbeaussage gerechtfertigt ist.

Vgl. Urteil vom 13. Januar 2000, a.a.O., RZ 31.

Da der Senat zu den mit der Werbung der Klägerin angesprochenen Kreisen gehört, kann er aus eigener Sachkunde feststellen, dass ein großer Teil der Durchschnittsverbraucher dem Irrtum unterliegt, und dieser einen schützenswerten und nicht vernachlässigbaren Anteil darstellt.

3. Die unter 3. der Ordnungsverfügung ausgesprochene Untersagung, weiterhin Werbung mit Hilfe der Veröffentlichung von Fotos zu betreiben, die die Klägerin als Apothekeninhaberin anlässlich der Übergabe eines symbolischen Schecks über einen Spendenbetrag zeigt, rechtfertigt sich aus der - mit höherrangigem Recht ohne weiteres zu vereinbarenden - Vorschrift des § 9 Abs. 2 Nr. 7 BO (§ 9 Abs. 2 Nr. 14 BO a.F.). Danach ist nicht erlaubt das Dulden der Apothekerin, dass Berichte oder Bildberichte mit werbendem Charakter über ihre berufliche Tätigkeit angefertigt und mit Verwendung ihres Namens, des Namens der von ihr geleiteten Apotheke oder ihrer Anschrift veröffentlicht werden. Dass die Klägerin zu der Werbung in dem redaktionellen Text durch Duldung der Aufnahme und der zu erwartenden Namensnennung durch ihr Posieren für das Bild beigetragen und zu der Untersagung Anlass gegeben hat, hat das angefochtene Urteil - wenn auch allein in Bezug auf § 9 Nr. 14 der zurzeit des Verwaltungsverfahrens gültigen Fassung der Berufsordnung - zutreffend dargelegt. Hierauf nimmt der Senat Bezug. Darüber hinaus ist der Senat angesichts des Bemühens der Klägerin, mit ihrer Apotheke "aufzufallen", davon überzeugt, dass die Klägerin keine Spende an die Aids- Hilfe gemacht hätte, wenn sie nicht hätte zumindest damit rechnen können, in die Zeitung zu kommen.

4. Nr. 4. der Ordnungsverfügung ist ebenfalls rechtmäßig. Die Untersagung von Werbung in der Art wie sie von der Klägerin am 28. Dezember 1996 und am 15. Januar 1997 im "Wochen-Anzeiger O. " veranlasst worden ist, stellt einen Verstoß gegen § 9 Abs. 1 Satz 2 BO insofern dar, als die Anzeigen der Klägerin nach Form (Farbe) und Häufigkeit übertrieben gewirkt haben. Da die Beklagte der Klägerin nicht jede Werbung schlechthin untersagt hat, sondern nur solche, die übertrieben wirkt, bestehen auch keine Bedenken im Hinblick auf den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit oder Art. 12 Abs. 1 GG.

Die Umstände des Einzelfalles rechtfertigen das Verbot, da sich die übertriebene Wirkung auch zur Überzeugung des Senats hinreichend klar aus den Umständen ergibt, die die damalige Werbung gekennzeichnet haben. Vier bzw. fünf rot unterlegte Anzeigen (meist mit dem apothekentypischen-A) springen auf den bei den Verwaltungsvorgängen befindlichen Zeitungsseiten in einer Weise hervor, die alle anderen Anzeigen verdrängt und der sich niemand optisch entziehen kann. Diese hervorspringenden Anzeigen haben einen Verstoß gegen das Verbot von nach Form sowie Häufigkeit übertriebener Werbung erkennbar erfüllt. Vergleichbare Werbung von Konkurrenzunternehmen hinsichtlich des beworbenen apothekentypischen Randsortiments sind - nach den Beobachtungen des Senats bei ihm zugänglichen Werbeblättern sowie den bei den Akten befindlichen Anzeigen-Seiten - weder erkennbar noch von der Klägerin belegt worden; eine schlichte Behauptung reicht insofern nicht aus. Dabei ist die Wahl der Farbe der Anzeigen nicht, wie die Klägerin vorträgt, eine Frage des Geschmacks. Gerade die Signalfarbe Rot springt den Leser in besonderer Weise an. Der Durchschnittsverbraucher, auf den es wie eingangs beschrieben ankommt, gewinnt angesichts der geballten Art der Präsentation des Randsortiments der Klägerin den Eindruck, die Klägerin lege vor allem auf die Steigerung ihres Warenumsatzes im Nebensortiment Wert. Dadurch wird das Vertrauen der Verbraucher darauf beeinträchtigt, dass sich die Klägerin nicht von Gewinnstreben beherrschen lässt, sondern ihre Verantwortung im Rahmen der Gesundheitsberufe wahrnimmt, obwohl sie zugleich auch Gewerbetreibende ist. Auch wenn gegen den Inhalt der Anzeigen und die Wiederholung nach zwei Wochen im gleichen Organ nichts einzuwenden ist und auch die Anzeigengröße an sich noch nicht zu beanstanden ist, sind die Anzeigenserien der Klägerin auch unter Berücksichtigung üblicher Werbepraktiken nicht mehr maßvoll.

Vgl. BVerfG (2. Kammer des 1. Senats), Beschluss vom 20. August 1996 - 1 BvR 1743/88 -, NJW 1996, 3070.

5. Auch die Untersagung unter 5. der Ordnungsverfügung, einen Lieferservice für Heil- und Hilfsmittel zu bewerben, ist rechtmäßig. Rechtsgrundlage ist insofern § 9 Abs. 1 Satz 2 BO, der eine irreführende Werbung verbietet in Verbindung mit § 9 Abs. 2 Nr. 6 BO (§ 9 Abs. 2 Nr. 11 BO a.F.), der einen Hinweis auf einen Zustelldienst für Arzneimittel innerhalb und außerhalb der Apotheke untersagt. Auch ein durchschnittlich informierter, aufmerksamer und verständiger Durchschnittsverbraucher wird nach Auffassung des Senats den Begriff der Heilmittel entweder als einen Oberbegriff verstehen, der Arzneimittel mitumfasst, oder aber für ein Synonym für Arzneimittel halten. Dies gilt um so mehr, als ein solcher Irrtum auch deshalb verständlich ist, weil unter Heilmitteln Dienstleistungen wie Massagen und Bäder verstanden werden, was jedoch auch dem Durchschnittsverbraucher nicht bekannt ist und, soweit er es wissen sollte, nicht geeignet wäre, den Begriff Heilmittel im Zusammenhang mit einem Lieferservice auszufüllen. Zur Überzeugung des Senats steht im Übrigen fest, dass sich die Klägerin bewusst die Unsicherheit der Verbraucher hinsichtlich der Bedeutung des Begriffs Heilmittel zu Nutze macht und damit rechnet, dass auch Arzneimittel bestellt werden könnten. Der Senat hat keinen Zweifel, dass die Klägerin auch bereit ist, Arzneimittel auszuliefern, obwohl dies grundsätzlich § 43 AMG widerspricht. Wenn sie nunmehr hervorhebt, der Testanruf einer anderen Apothekerin hätte möglicherweise deshalb hinsichtlich der Auslieferung von Arzneimitteln positiv beantwortet werden dürfen, weil eine besondere Ausnahmesituation im Sinne von § 17 Abs. 2 Apothekenbetriebsordnung (ApoBetrO) vorgelegen hätte, so ist dem entgegenzuhalten, dass hierfür nach dem Vermerk der Testanruferin kein Anhaltspunkt besteht und die fachkundige Person, die den Anruf getätigt hat, in Kenntnis der Ausnahmesituation nach § 17 ApoBetrO so gefragt hat, dass dieser Fall gerade nicht in Betracht kam. Hätte der Gesprächspartner die Arzneimittelzustellung auf einen solchen Ausnahmefall beschränkt, wäre dies nach der Überzeugung des Senats von der fachkundigen Testperson festgehalten worden. Auch die Bereitschaft, das Rezept in der Arztpraxis abzuholen und dann die Arzneimittel nach Hause zu liefern, zeigt eine allgemeine Bereitschaft der Klägerin zum Verstoß gegen § 43 AMG und § 9 Abs. 2 Nr. 6 BO.

Darauf, ob die Klägerin den Begriff Heilmittellieferservice - wie sie behauptet - nicht mehr benutzt, kommt es rechtlich nicht an, da die Klägerin ohne die Untersagung jederzeit zu ihrem rechtswidrigen Verhalten würde zurückkehren können. Hätte sie der Ordnungsverfügung tatsächlich insoweit nachkommen wollen, hätte sie die Ordnungsverfügung in diesem Punkt bestandskräftig werden lassen können und müssen.

6. Schließlich ist die Untersagung, einen Block mit Bleistift in einer Plastikhülle als Zugabe zu geben (Nr. 6. der Ordnungsverfügung), wie es die Klägerin getan hat, als rechtmäßig zu bewerten. Nach § 9 Abs. 2 Nr. 9 Buchst. a) BO - um Zuwendungen oder Geschenke im Sinne von Buchst. c) der gleichen Vorschrift handelt es sich erkennbar nicht - ist "vorbehaltlich einer Würdigung der konkreten Umstände des Einzelfalls unter besonderer Berücksichtigung von Absatz 1 das Gewähren von Zugaben und Zuwendungen mit Ausnahme von apothekenüblichen Kunden- und Kinderzeitungen oder -zeitschriften sowie Kurzinformationen mit beratendem Inhalt, ferner Kalendern" nicht erlaubt.

Die Gültigkeit oder auch nur die Auslegung dieser Vorschrift wird zunächst nicht dadurch beeinflusst, dass die Zugabeverordnung durch Gesetz vom 23. Juli 2001, BGBl. I, S. 1661 außer Kraft getreten ist. Sicherlich könnten die zuständigen Stellen innerhalb der Beklagten diese Gesetzesänderung zum Anlass für eine Lockerung des Zugabeverbotes nehmen. Zwingend ist dies aber nicht, da Apotheker gerade keine gewöhnlichen Gewerbetreibenden sind und es durchaus im Sinne des Ansehens des Berufsstandes wie einer Stärkung des beruflichen Verantwortungsgefühls der Apotheker liegt, Kunden nicht durch Zugaben in der Wahl ihrer Kaufstätte zu beeinflussen. Hinzu kommt, dass die Apotheken in dem Gesundheitswesen einen öffentlichen Auftrag erfüllen. Da gerichtsbekannt ist, dass viele Apotheken Schwierigkeiten haben wirtschaftlich zu überleben, könnte ein freier Wettbewerb um Kunden durch das Verteilen von Zugaben zu einer Konzentration auf besonders große Apotheken mit besonderem wirtschaftlichem Erfolg führen, was aber nicht im Interesse der Arzneimittelversorgung der Bevölkerung und der sonstigen öffentlichen Aufgaben der Apotheken liegt. Dies sind zugleich Differenzierungsmerkmale zwischen Apotheken und sonstigen Gewerbetreibenden, die insofern ungleiche Regelungen über Zugaben auch i.S.v. Art. 3 Abs. 1 GG rechtfertigen.

Die grundsätzliche Untersagung von Zugaben in § 9 Abs. 2 Nr. 9 BO ist auch im Lichte des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes und des Art. 12 Abs. 1 GG unbedenklich. Dies wird bereits durch die Ausnahme von apothekenüblichen Kunden- und Kinderzeitungen oder -zeitschriften sowie Kurzinformationen mit beratendem Inhalt und von Kalendern (Buchst. a) sowie die Möglichkeit der Abgabe von Warenproben zu Erprobungszwecken (Buchst. b) gewährleistet, zumal auch sonst die konkreten Umstände des Einzelfalles eine abweichende Würdigung des Verbots ermöglichen. Als Einschränkung der Berufsfreiheit nach Art. 12 Abs. 1 GG ist der erforderliche Gemeinwohlbezug dadurch gegeben, dass die Freiheit der wirtschaftlichen Betätigung nicht dazu führen soll, dass sich der Einzelne durch unzulässige Praktiken Vorteile im Wettbewerb verschafft.

Vgl. BVerfG, Beschluss vom 22. Mai 1996 - 1 BvR 744/88 u.a. -, a.a.O.

Das demnach grundsätzlich einzuhaltende Zugabeverbot kann hier auch nach den Umständen des Einzelfalles keine Durchbrechung erfahren. Zwar handelt es sich bei dem Block mit Bleistift in einer Plastikhülle angesichts des Wertes von nur 0,50 DM um eine Kleinigkeit, die auch zu dem von dem Testkäufer zu bezahlenden Betrag von über 60,00 DM in keinem Missverhältnis steht. Jedoch geht es nicht um die Ahndung des einen durch den Testkauf festgestellten Falles. Vielmehr verbietet die Beklagte durch die Ordnungsverfügung die künftige Zugabe solcher Blöcke mit Bleistift. Das findet seine Rechtfertigung darin, dass sich die Klägerin durch ihre Praxis, Zugaben zu geben, einen unlauteren Wettbewerbsvorsprung, der dem Berufsbild des Apothekers und der ordnungsgemäßen Aufgabenerfüllung des Berufsstandes widerspricht, verschafft. Es ist nämlich nach den Erfahrungen der Mitglieder des Senats feststehend, dass solche Apotheken besonders frequentiert werden, die - unerlaubte - Zugaben oder erlaubte Warenproben geben. Dann ist es nicht das einzelne brauchbare oder hübsche kleine Geschenk, sondern die allgemeine Erwartung, etwas als Warenprobe geschenkt zu bekommen oder in der Tüte eine Überraschung vorzufinden, die geeignet ist, die Kundenströme zu beeinflussen. Zugleich werden andere Apotheken ihr Verhalten in Bezug auf die nach der Berufsordnung nicht gewollten Zugaben anpassen, um nicht Kunden zu verlieren.

Die Klägerin macht sich auch immer wieder mit kleinen Geschenken interessant, so z. B. mit einem "Herzlich- Willkommen-Gutschein" für ein kleines Überraschungsgeschenk und dem Angebot eines Glases an der Vitaminbar (Verfahren 13 A 314/01) sowie mit einem Gutschein "Für eine hübsche Weihnachtsfigur", für den die Klägerin in ihrer Apotheke einen mit Sternen bemalten Tonteller von etwa 14 cm Durchmesser überreichen ließ, wobei Einkäufe zudem in eine ungefähr 24 x 19 cm große mit Weihnachtsmotiven bedruckte und einer roten Kordel versehene Papiertragetasche mit Lacküberzug verpackt wurden (Verfahren 13 A 5822/00). Auch wenn der Senat hier nicht inzident prüft, ob diese an sich auch unzulässigen Vorgehensweisen unter irgendeinem Einzelfallgesichtspunkt möglicherweise gerechtfertigt sein könnten, zeigen die Beispiele doch, dass die Klägerin nicht nur einmal einen Block mit Bleistift abgegeben hat, sondern grundsätzlich zu Zugaben bereit ist, um sich einen Wettbewerbsvorteil zu verschaffen. Hierfür spricht überdies auch das gegen die Klägerin einmal betriebene berufsrechtliche Verfahren.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 155 Abs. 2 VwGO, die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit auf § 167 VwGO iVm §§ 708 Nr. 10, 713 ZPO.

Die Revision ist nicht zuzulassen, da die Voraussetzungen des § 132 Abs. 2 VwGO nicht vorliegen.






OVG Nordrhein-Westfalen:
Urteil v. 07.09.2001
Az: 13 A 2814/99


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