Oberlandesgericht Dresden:
Beschluss vom 7. Juni 2010
Aktenzeichen: 2 Ws 93/10
(OLG Dresden: Beschluss v. 07.06.2010, Az.: 2 Ws 93/10)
Von dem Begriff "Kanzlei" im Sinne der Vorbemerkung zu Teil 7 VV-RVG wird auch die Zweigstelle einer Rechtsanwaltskanzlei erfasst. Fahrtkosten für eine Geschäftsreise zu einem Ziel innerhalb der Gemeinde, in der die Zweigstelle unterhalten wird, können deshalb nicht gemäß Nr. 7003 VV-RVG erstattet werden.
Tenor
Die weitere Beschwerde des Verteidigers gegen den Beschluss des Landgerichts Dresden vom 22. Dezember 2009 wird als unbegründet verworfen.
Gründe
I.
Mit Verfügung vom 29. Dezember 2008 wurde Rechtsanwalt dem Angeklagten als Pflichtverteidiger in einem Strafverfahren vor dem Amtsgericht Dresden beigeordnet. Rechtsanwalt unterhält seine Kanzlei in B und eine Zweigstelle in D.
Mit Schreiben vom 15. März 2009 beantragte Rechtsanwalt die Festsetzung seiner Pflichtverteidigervergütung in Höhe von 2.861,71 EUR. Unter anderem machte er Reisekosten für Fahrten von B zur Hauptverhandlung nach D und zur Justizvollzugsanstalt C geltend.
Mit Beschluss vom 13. Mai 2009 setzte der Urkundsbeamte der Geschäftsstelle die zu zahlende Vergütung auf 1.512,49 EUR fest. Die Fahrt von B nach D wurde nicht anerkannt; für die Fahrt in die Justizvollzugsanstalt C wurden Reisekosten in Höhe einer fiktiven Fahrt von D nach C anerkannt, weil der Verteidiger eine Zweigstelle in D unterhält.
Die Erinnerung von Rechtsanwalt wies das Amtsgericht Dresden mit Beschluss vom 14. August 2009 zurück.
Die dagegen eingelegte Beschwerde hat das Landgericht mit dem angefochtenen Beschluss als unbegründet verworfen und die weitere Beschwerde wegen der grundsätzlichen Bedeutung der zur Entscheidung stehenden Frage zugelassen. Dabei hat das Landgericht eine Beschränkung der Beschwerde auf die Absetzung der Reisekosten angenommen.
Der weiteren Beschwerden von Rechtsanwalt hat das Landgericht nicht abgeholfen.
II.
1. Nachdem das Verfahren vor dem Landgericht der Kammer übertragen war, entscheidet der Senat in der Besetzung mit drei Richtern (§§ 56 Abs. 2 Satz 1, 33 Abs. 3 Satz 8 RVG).
2. Die weitere Beschwerde erweist sich als zulässig, aber unbegründet.
Gemäß Nr. 7003 VV-RVG werden dem Rechtsanwalt Fahrtkosten für eine Geschäftsreise erstattet. Eine Geschäftsreise gemäß Absatz 2 der Vorbemerkung zu Teil 7 VV-RVG liegt vor, wenn das Reiseziel außerhalb der Gemeinde liegt, in der sich die Kanzlei oder die Wohnung des Rechtsanwalts befindet.
Von dem Begriff der "Kanzlei" im Sinne dieser Vorbemerkung ist auch deren Zweigstelle umfasst.
a) Mit dem Gesetz zur Stärkung der Selbstverwaltung der Rechtsanwaltschaft vom 27. März 2007 (BGBl. I, 358) wurde § 28 BRAO mit Wirkung zum 01. Juni 2007 aufgehoben. § 28 BRAO sah bis dahin das Verbot der Errichtung einer Zweigstelle mit Erlaubnisvorbehalt vor. § 27 Abs. 2 BRAO wurde durch das Gesetz dahingehend neu gefasst, dass der Rechtsanwalt die Errichtung einer Zweigstelle unverzüglich der Rechtsanwaltskammer anzuzeigen hat und die Errichtung einer Zweigstelle im Bezirk einer anderen Rechtsanwaltskammer auch dieser Rechtsanwaltskammer anzuzeigen ist. Weitergehende, mit der Aufhebung des Zweigstellenverbots einhergehende Regelungen, insbesondere solche des RVG, hat der Gesetzgeber nicht getroffen.
Auch die daraufhin geführte Diskussion über die Folgen der Aufhebung des Zweigstellenverbots sowie das Verhältnis zwischen Kanzlei und Zweigstelle (vgl. Dahns, NJW 2007, 1553; derselbe NJW-Spezial 2009, 654; Horn, BRAK-Mitt. 2007, 94; Hartung, AnwBl. 2007, 438; Römermann, AnwBl. 2007, 609; Hommerich/Kilian, AnwBl. 2009, 712) hat keinen Anlass zu weiterer gesetzgeberischer Tätigkeit gegeben.
b) Die Berufsordnung für Rechtsanwälte (BORA) schreibt lediglich vor, dass der Rechtsanwalt verpflichtet ist, die für seine Berufsausübung erforderlichen sachlichen, personellen und organisatorischen Voraussetzungen vorzuhalten (§ 5 BORA). Nach einer Auffassung soll damit verdeutlicht werden, dass Zweigstellen qualitativ eine Zweitkanzlei sind und die bisherigen an eine Kanzlei zu stellenden Voraussetzungen somit auch für Zweigstellen gelten (Dahns, NJW-Spezial 2009, 654). Nach anderer Ansicht sei die Zweigstelle etwas nachgeordnetes, setze schon logisch eine Hauptstelle voraus und sei im Gegensatz zur Abhaltung auswärtiger Sprechtage eine ständige, räumlich gebundene Einrichtung (Horn, BRAK-Mitt. 2007, 95).
c) Die Bezeichnung der Zweigstelle als "Zweitkanzlei" trägt jedoch nicht ausreichend dem Umstand Rechnung, dass der Rechtsanwalt gemäß § 27 Abs. 1 BRAO verpflichtet ist, im Bezirk der Rechtsanwaltskammer, deren Mitglied er ist, eine Kanzlei einzurichten und zu unterhalten. Gemäß Abs. 2 Satz 1 der Vorschrift hat der Rechtsanwalt die Verlegung seiner Kanzlei der Rechtsanwaltskammer unverzüglich anzuzeigen. Bereits die gesetzliche Regelung zeigt deshalb, dass der Rechtsanwalt nur eine Kanzlei unterhalten kann. Diese Auffassung wird auch belegt durch die Abgrenzung in § 29 a BRAO, der ausdrücklich von weiteren "Kanzleien" in anderen Staaten spricht. Die Zweigstelle ist daher zwar nicht zwingend als der Kanzlei nachgeordnet, jedoch als unselbständiger Bestandteil der Kanzlei anzusehen, die der Rechtsanwalt gegenüber der Rechtsanwaltskammer nach § 27 Abs. 1 BRAO mitgeteilt hat. Die Unselbständigkeit der Zweigstelle zeigt sich insbesondere auch darin, dass es im Belieben des Rechtsanwalts steht, in welchem Umfang er von seiner jeweiligen beruflichen Niederlassung Gebrauch macht. Eine bestimmte Anwesenheitsquote des Rechtsanwalts an dem einem oder dem anderen Ort fordert das Berufsrecht nicht. Damit lässt sich in aller Regel auch objektiv nicht feststellen, welche Kanzlei die "Kanzlei" im engeren Sinne und welche die Zweigstelle ist (Römermann, AnwBl. 2007, 609).
d) Damit wird vom Wortlaut des RVG nicht nur die Kanzlei im engeren Sinne gemäß § 27 BRAO, sondern die Gesamtheit der Kanzlei - bestehend aus Hauptstelle und Zweigstellen - umfasst. Ein entgegenstehender Gesetzeszweck, der Anlass zu einer teleologischen Reduktion geben könnte, ist nicht ersichtlich. Auch ein bestimmter Wille des Gesetzgebers ist nicht erkennbar. Mit der Aufhebung des § 28 BRAO war auch keine Änderung des RVG notwendig, weil bereits die alte Rechtslage die Einrichtung von Zweigstellen, wenn auch unter Erlaubnisvorbehalt vorsah.
Schließlich findet auch die teilweise in der Literatur vertretene Auffassung, es komme darauf an, ob der Rechtsanwalt am Tag des Termins in seiner Zweigstelle Sprechstunden abhalte (Gerold/Schmidt-Madert, RVG 18. Aufl. VV 7003, 7004 Rdnr. 8) im Gesetz keine Stütze.
Danach kann im vorliegenden Fall der Verteidiger mit Sitz seiner Zweigstelle in D die Kosten einer Geschäftsreise zu einem Termin vor dem Amtsgericht D nicht geltend machen.
III.
Das Verfahren über die weitere Beschwerde ist gebührenfrei (§ 56 Abs. 2 Satz 2 RVG). Kosten werden nicht erstattet (§ 56 Abs. 2 Satz 3 RVG).
OLG Dresden:
Beschluss v. 07.06.2010
Az: 2 Ws 93/10
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