Bundesgerichtshof:
Urteil vom 18. November 2014
Aktenzeichen: II ZR 231/13

(BGH: Urteil v. 18.11.2014, Az.: II ZR 231/13)

Tenor

Die Revision des Klägers gegen das Urteil des 11. Zivilsenats des Hanseatischen Oberlandesgerichts Hamburg vom 14. Juni 2013 wird auf seine Kosten zurückgewiesen.

Von Rechts wegen.

Tatbestand

Der Kläger ist Insolvenzverwalter über das Vermögen der S. GmbH & Co. KG (im Folgenden: Schuldnerin). Der Eröffnungsantrag wurde am 6. April 2010 gestellt. Der Beklagte war Geschäftsführer der Verwaltungsgesellschaft S. mbH, der einzigen Komplementärin der Schuldnerin. Die Schuldnerin war jedenfalls seit dem 16. Juli 2009 zahlungsunfähig.

Die Schuldnerin schloss mit der A AG, ihrer Muttergesellschaft, am 28. August 2009 eine "Darlehensvertrag - Rahmenvereinbarung". Deren § 1 lautet:

"§ 1 Darlehen Der Darlehensgeber stellt der Darlehensnehmerin auf einem Rechtsanwaltsanderkonto der D. Rechtsanwaltsgesellschaft mbH einen Betrag in Höhe von maximal € 150.000 darlehensweise zur Verfügung. Das Darlehen in Höhe von maximal € 150.000 steht der Darlehensnehmerin ab dem 06.09.2009 bis längstens 31.12.2009 nach eigenem Ermessen zur Verfügung und kann in voller Höhe oder teilweise und gegebenenfalls mehrfach bei Bedarf abgerufen werden. Sollte die Darlehensnehmerin den vollen Betrag oder Teilbeträge abrufen, so werden die Parteien über den jeweils abgeforderten Betrag eine diese Vereinbarung ergänzende Vereinbarung treffen."

Am 29. September 2009 wurden 150.000 € über ein Rechtsanwaltsanderkonto der D. Rechtsanwaltsgesellschaft mbH an die Schuldnerin auf ein kreditorisch geführtes Bankkonto der Schuldnerin ausgezahlt. Am 9. Oktober 2009 zahlte die Schuldnerin 150.000 € auf dasselbe Rechtsanwaltsanderkonto. Am 16. Oktober 2009 wurden erneut 150.000 € vom Rechtsanwaltsanderkonto auf das Konto der Schuldnerin überwiesen, als Verwendungszweck war angegeben "Darlehen gem. Vertrag vom 14.10.2009".

Der Kläger hat mit der Klage vom Beklagten, soweit für das Revisionsverfahren noch von Bedeutung, Zahlung von 150.000 € verlangt. Das Landgericht hat den Beklagten antragsgemäß verurteilt. Auf die Berufung des Beklagten hat das Berufungsgericht die Klage insoweit abgewiesen. Dagegen richtet sich die vom Berufungsgericht zugelassene Revision des Klägers.

Gründe

Die Revision hat keinen Erfolg.

I. Das Berufungsgericht hat, soweit für das Revisionsverfahren noch von Bedeutung, ausgeführt: Die Rückzahlung von 150.000 € am 9. Oktober 2009 auf das Rechtsanwaltsanderkonto auf das Darlehen der A. sei eine erlaubte Zahlung. Sie führe im Ergebnis nicht zu einer Schmälerung der Insolvenzmasse. Die Darlehenssumme sei am 16. Oktober 2009 über 150.000 € erneut in das Vermögen der Schuldnerin gelangt. Diese Zahlung beruhe auf dem Darlehensvertrag vom 28. August 2009. Zwar sei als Verwendungszweck auf dem Kontoauszug angegeben "Darlehen gemäß Vertrag vom 14. Oktober 2009". Die Zahlung vom 16. Oktober 2009 sei aber über dasselbe Rechtsanwaltsanderkonto abgewickelt worden wie die Zahlungen vom 29. September und vom 9. Oktober 2009. Da der Darlehensvertrag vom 28. August 2009 eine Zahlung von einem Rechtsanwaltsanderkonto vorgesehen habe und weder vorgetragen noch ersichtlich sei, dass dieses Anderkonto für andere Zwecke als die Abwicklung des Darlehens vorgesehen gewesen sei, bestehe kein vernünftiger Zweifel, dass die Zahlung dem Darlehensvertrag zuzuordnen sei.

Die Rückzahlung des Darlehens am 9. Oktober 2009 einerseits und das Wiederaufleben der Möglichkeit, aus dem Rahmendarlehensvertrag den Betrag erneut abrufen zu dürfen, sowie die später erfolgte erneute Auszahlung des Darlehensbetrags über das Rechtsanwaltsanderkonto seien zwar nicht im Sinne eines Synallagmas verknüpft. Ein erneuter Abruf habe aber nach dem Darlehensrahmenvertrag die Zurückzahlung des Betrages vorausgesetzt, weil das Darlehen mit 150.000 € ausgeschöpft gewesen sei. Angesichts des Schutzzwecks von § 130a Abs. 1 HGB, dem es letztlich um die Erhaltung der Insolvenzmasse gehe, könne es bei der Beantwortung der Frage nach einer vollwertigen Gegenleistung nicht entscheidend um die Verknüpfung im Sinne eines Synallagmas gehen. Es müsse genügen, wenn ein Anspruch auf einem kompensierenden Massezufluss bestehe, der aus demselben Rechtsverhältnis herrühre. Die rechtstechnische Gestaltung des Darlehensvertrags spreche hier sogar dafür, bereits eine Zahlung zu verneinen. § 1 des Darlehensvertrags verdeutliche, dass es sich um ein einheitliches revolvierendes Darlehen über maximal 150.000 € handele. Jede andere Wertung entspräche nicht dem Zweck des § 130a HGB, der der Auffüllung, nicht aber der Bereicherung der Masse diene. Die Schuldnerin habe durch die Rückzahlung des Darlehens einen Anspruch auf eine erneute Auszahlung der Darlehensvaluta erworben. Jedenfalls habe die Rückführung am 9. Oktober 2009 der Sorgfalt eines ordentlichen und gewissenhaften Geschäftsleiters entsprochen.

II. Das Berufungsurteil hält den Angriffen der Revision stand. Die Haftung des Beklagten nach § 130a Abs. 1, § 177a Satz 1 HGB für die Zahlung von 150.000 € am 9. Oktober 2009 ist durch die Überweisung des gleichen Betrags am 16. Oktober 2009 auf das Konto der Schuldnerin erloschen.

1. Die Ersatzpflicht des Organs für Zahlungen nach Insolvenzreife nach § 130a Abs. 1 HGB i.V.m. § 177a Satz 1 HGB entfällt, soweit die durch die Zahlung verursachte Schmälerung der Masse in einem unmittelbaren Zusammenhang mit ihr ausgeglichen wird. § 130a Abs. 1 HGB soll im Interesse einer Gleichbehandlung der Gläubiger eine Schmälerung der Masse nach Eintritt der Insolvenzreife ausgleichen (st. Rspr., BGH, Urteil vom 3. Juni 2014 - II ZR 100/13, ZIP 2014, 1523 Rn. 14; Urteil vom 26. März 2007 - II ZR 310/05, ZIP 2007, 1006 Rn. 7; Beschluss vom 5. Februar 2007 - II ZR 51/06, ZIP 2007, 1501 Rn. 4; vgl. zur Parallelvorschrift § 64 Satz 1 GmbHG bzw. § 64 Abs. 2 GmbHG a.F. BGH, Urteil vom 8. Januar 2001 - II ZR 88/99, BGHZ 146, 264, 275; Urteil vom 29. November 1999 - II ZR 273/98, BGHZ 143, 184, 186; Urteil vom 18. Dezember 1995 - II ZR 277/94, BGHZ 131, 325, 328). Der Erstattungsanspruch gegen das Organ muss folgerichtig nicht nur bei Erfüllung durch das Organ entfallen, sondern auch, wenn die Massekürzung anderweitig ausgeglichen und der Zweck der Ersatzpflicht erreicht ist. Aus diesem Grund besteht kein Erstattungsanspruch gegen das Organ mehr, soweit es dem Insolvenzverwalter gelingt, durch die Insolvenzanfechtung eine Rückerstattung der Zahlung zu erreichen und so die Masseschmälerung wettzumachen (BGH, Urteil vom 3. Juni 2014 - II ZR 100/13, ZIP 2014, 1523 Rn. 14; Urteil vom 18. Dezember 1995 - II ZR 277/94, BGHZ 131, 325, 327), oder wenn die Massekürzung dadurch ausgeglichen wird, dass für die Zahlung ein Gegenwert in das Gesellschaftsvermögen gelangt ist, und der Sache nach lediglich ein Aktiventausch vorliegt (vgl. BGH, Urteil vom 18. Oktober 2010 - II ZR 151/09, ZIP 2010, 2400 Rn. 21 - Fleischgroßhandel; Urteil vom 31. März 2003 - II ZR 150/02, ZIP 2003, 1005, 1006; vgl. auch Beschluss vom 5. November 2007 - II ZR 262/06, ZIP 2008, 72 Rn. 5).

Da der "Schaden" bereits in dem Abfluss von Mitteln aus der im Stadium der Insolvenzreife der Gesellschaft zugunsten der Gesamtheit ihrer Gläubiger zu erhaltenden Vermögensmasse liegt (BGH, Urteil vom 26. März 2007 - II ZR 310/05, ZIP 2007, 1006 Rn. 7), ist nicht jeder beliebige weitere Massezufluss als Ausgleich der Masseschmälerung zu berücksichtigen. Vielmehr ist ein unmittelbarer Zusammenhang mit der Zahlung erforderlich, damit der Massezufluss der Masseschmälerung zugeordnet werden kann. Auf eine Zuordnung nach wirtschaftlicher Betrachtung zur einzelnen masseschmälernden Zahlung kann nicht verzichtet werden, da der Ersatzanspruch nicht auf Erstattung eines Quotenschadens gerichtet ist (vgl. BGH, Urteil vom 26. März 2007 - II ZR 310/05, ZIP 2007, 1006 Rn. 7; Beschluss vom 5. Februar 2007 - II ZR 51/06, ZIP 2007, 1501 Rn. 4).

2. Dagegen ist es nach dem Zweck der Vorschrift nicht erforderlich, dass der Gegenstand des Massezuflusses auch bei Eröffnung des Insolvenzverfahrens noch vorhanden ist. Sollten die Entscheidungen, in denen die Berücksichtigung eines "Aktiventausches" für möglich erachtet wurde, wenn die Gegenleistung nicht nur ins Gesellschaftsvermögen gelangt ist, sondern auch darin verbleibt, anders zu verstehen sein (BGH, Urteil vom 18. Oktober 2010 - II ZR 151/09, ZIP 2010, 2400 Rn. 21 - Fleischgroßhandel; Urteil vom 31. März 2003 - II ZR 150/02, ZIP 2003, 1005, 1006; Urteil vom 11. September 2000 - II ZR 370/99, ZIP 2000, 1896, 1897; Urteil vom 18. März 1974 - II ZR 2/72, NJW 1974, 1088, 1089), hält der Senat daran nicht fest. Maßgeblich für die Bewertung ist der Zeitpunkt, in dem die Masseverkürzung durch einen Massezufluss ausgeglichen wird, nicht der Zeitpunkt der Insolvenzeröffnung (Münch-KommGmbHG/Müller § 64 Rn. 137; Ulmer/Casper, GmbHG, § 64 Rn. 85; Habersack/Foerster, ZHR 178 [2014], 387, 404; aA Baumbach/Hueck/Haas, GmbHG, 20. Aufl., § 64 Rn. 70b; Kleindiek in Lutter/Hommelhoff, GmbHG, 18. Aufl., § 64 Rn. 7; Sandhaus in Gehrlein/ Ekkenga/Simon, GmbHG, § 64 Rn. 27). Die Masseverkürzung ist ausgeglichen und die Haftung des Organs für die masseverkürzende Leistung entfällt, sobald und soweit ein ausgleichender Wert endgültig in das Gesellschaftsvermögen gelangt ist (vgl. RGZ 159, 211, 230). Wenn ein Gegenstand oder eine Geldleistung, die als Ausgleich der Masseschmälerung in das Gesellschaftsvermögen gelangt ist, danach wieder ausgegeben wird, führt dies ggf. zu einem neuen Erstattungsanspruch nach § 130a Abs. 1 HGB. Würde demgegenüber der zuvor erfolgte Ausgleich der ersten Masseverkürzung nicht beachtet, würde es ggf. sogar zu einer Vervielfachung des zu erstattenden Betrags kommen, obwohl wertmäßig die Masse nur einmal verkürzt wurde. Das "Zahlungsverbot" soll aber nur eine Masseverkürzung verhindern, nicht einer Massebereicherung dienen.

Eine dem Gesellschaftsorgan nicht zurechenbare, insbesondere zufällige Verschlechterung des Gegenstands des Ausgleichs bei der Gesellschaft bis zur Eröffnung des Insolvenzverfahrens fällt schon nicht unter den Schutzzweck § 130a Abs. 1 HGB. Das Organ ist nach dieser Vorschrift nicht für jede Masseverkürzung verantwortlich. § 130a Abs. 1 HGB schützt nur vor Massekürzungen, die das Organ veranlasst hat (vgl. BGH, Urteil vom 16. März 2009 - II ZR 32/08, ZIP 2009, 956 Rn. 13; zu § 64 Satz 1 GmbHG BGH, Urteil vom 25. Januar 2011 - II ZR 196/09, ZIP 2011, 422 Rn. 28; zu § 93 Abs. 3 Nr. 6 AktG BGH, Urteil vom 16. März 2009 - II ZR 280/07, ZIP 2009, 860 Rn. 42), und erfasst nicht jeden Schaden, der durch die Insolvenzverschleppung entsteht. Für Insolvenzverschleppungsschäden, die nicht in einer Masseschmälerung durch Zahlung bestehen, haftet das Organ nach § 15a Abs. 1 InsO i.V.m. § 823 Abs. 2 BGB.

Auch bei einer durch das Organ veranlassten Verarbeitung oder ähnlichen Fällen eines Verlusts eines als Ausgleich in die Masse gelangten Gegenstands entstehen keine Schutzlücken. Regelmäßig bleibt dadurch der geschaffene Wert im Vermögen der Gesellschaft erhalten oder es wird eine Gegenleistung erwirtschaftet. Ist dies ausnahmsweise nicht der Fall, kommt auch hier eine Haftung nach § 15a Abs. 1 InsO i.V.m. § 823 Abs. 2 BGB wegen Insolvenzverschleppung in Betracht.

3. Mit der Überweisung von 150.000 € am 16. Oktober 2009 auf das Konto der Schuldnerin wurde die Masseschmälerung durch die Rückzahlung des Darlehens am 9. Oktober 2009 ausgeglichen und entfiel die damit ausgelöste Erstattungspflicht des Beklagten.

a) Die Rückzahlung des Darlehens am 9. Oktober 2009 auf das Rechtsanwaltsanderkonto führte zu einer Masseschmälerung. Die Schuldnerin konnte darüber nicht frei verfügen, so dass die Zahlung keiner Umbuchung von einem kreditorischen Konto der Schuldnerin auf ein anderes entspricht. Die Schuldnerin erwarb mit der Rückzahlung nur das Recht, einen entsprechenden Betrag erneut abzurufen. Bei jedem Abruf musste aber nach der Rahmenabrede vom 28. August 2009 eine neue Darlehensvereinbarung getroffen werden.

Dass das Limit von 150.000 € aus der Vereinbarung vom 28. August 2009 nach der Zahlung vom 9. Oktober 2009 wieder ausgeschöpft werden konnte, steht einer Masseverkürzung nicht entgegen. Dabei kann dahinstehen, ob und ggf. unter welchen Umständen bereits durch die Begründung einer Forderung gegen den Empfänger der masseverkürzenden Zahlung ein ausgleichender Wert endgültig in das Gesellschaftsvermögen gelangt und die Masseverkürzung ausgeglichen ist. Die Schuldnerin erwarb mit der Rückzahlung des Darlehens am 9. Oktober 2009 noch keine Forderung gegen ihre Muttergesellschaft, sondern nur eine Abrufmöglichkeit. Die Abrufmöglichkeit stand einer durchsetzbaren Forderung nicht gleich. Bei einem Abruf musste nach der Rahmenabrede erst eine neue Darlehensvereinbarung getroffen werden.

b) Die Masseverkürzung vom 9. Oktober 2009 wurde aber dadurch ausgeglichen, dass der zurückgezahlte Betrag am 16. Oktober 2009 wieder auf das Konto der Schuldnerin gelangte. Die Zahlung beruhte auf der Vereinbarung vom 28. August 2009, die eine wiederkehrende Inanspruchnahme des Darlehens innerhalb des Limits ermöglichte, steht damit in unmittelbarem Zusammenhang mit der Rückzahlung vom 9. Oktober 2009, die erst den erneuten Abruf ermöglichte, und ist dieser Masseschmälerung wirtschaftlich zuzuordnen. Dass damit erneut eine Verbindlichkeit der Schuldnerin begründet wurde, das Darlehen zurückzuzahlen, lässt den Massezufluss nicht entfallen. Die Begründung von Verbindlichkeiten schmälert die zur Verteilung zur Verfügung stehende Masse nicht. Ob die zurückgeführten Mittel bei Eröffnung des Insolvenzverfahrens noch vorhanden waren, ist für die Entscheidung ohne Bedeutung, da der Zeitpunkt des Massezuflusses maßgeblich ist.

Bergmann Caliebe Drescher Born Sunder Vorinstanzen:

LG Hamburg, Entscheidung vom 12.03.2012 - 413 HKO 63/11 -

OLG Hamburg, Entscheidung vom 14.06.2013 - 11 U 33/12 -






BGH:
Urteil v. 18.11.2014
Az: II ZR 231/13


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