Oberlandesgericht Köln:
Beschluss vom 9. Juni 2009
Aktenzeichen: 17 W 108/09
(OLG Köln: Beschluss v. 09.06.2009, Az.: 17 W 108/09)
Tenor
Der Beschluss I des Rechtspflegers beim Landgericht Köln vom 12. November 2008 - 37 O 194/08 - in der Fassung des Beschlusses vom 23. April 2009 wird teilweise abgeändert und wie folgt neu gefasst:
Die Rechtsanwalt T aus der Staatskasse zu zahlenden Gebühren und Auslagen werden auf 843,47 € festgesetzt.
Das Verfahren ist gebührenfrei; Kosten werden nicht erstattet.
Gründe
I.
Den Beklagten zu 2) und 3) wurde einschränkungslos Prozesskostenhilfe bewilligt. Zugleich wurde ihnen Rechtsanwalt T beigeordnet, der auch den Beklagten zu 1) vertrat. Im Termin vom 27. August 2008 haben alle Beklagten ihre Zahlungsverpflichtungen anerkannt. Es erging Anerkenntnisurteil mit einer Kostenentscheidung zu Lasten der Beklagten als Gesamtschuldner. Rechtsanwalt T hat Antrag auf Festsetzung der ihm zustehenden Gebühren gestellt, der mit einem Betrag von 843,47 € endet. Mit Beschluss vom 12. November 2008 hat der Rechtspfleger unter Bezugnahme auf den Beschluss des Bundesgerichtshofes vom 1. März 1993 - II ZR 179/91 - (Rpfleger 1993, 452) lediglich 375,66 € festgesetzt und ausgeführt, die Prozesskostenhilfebewilligung erstrecke sich nur auf die Erhöhungsgebühr nebst Umsatzsteuer. Auf das Rechtsmittel von Rechtsanwalt T hin hat der Rechtspfleger die Sache dem Bezirksrevisor vorgelegt. Dieser hält die Entscheidung des Bundesgerichtshofes für vorliegend nicht anwendbar, weil den Beklagten zu 2) und 3) uneingeschränkt Prozesskostenhilfe gewährt wurde. Zugleich hat er auf den Beschluss des Senates vom 29. Juni 1998 - 17 W 302/96 - (= OLGR 1998, 438) hingewiesen, wonach der beigeordnete Rechtsanwalt von der Staatskasse den Betrag verlangen kann, den sein Mandant, dem er beigeordnet wurde, im Innenverhältnis zum gleichzeitig vertretenen Streitgenossen zu tragen hätte, dem keine Prozesskostenhilfe gewährt wurde.
Daraufhin hat der Rechtspfleger weitere 245,30 €, insgesamt mithin 620,96 € zu Gunsten von Rechtsanwalt T festgesetzt und die Sache wegen des Differenzbetrages in Höhe von 222,51 € dem Senat zur Entscheidung vorgelegt.
II.
Die gemäß §§ 56 Abs. 2, 33 Abs. 4 RVG unbedenklich zulässige Beschwerde hat auch in der Sache selbst vollen Erfolg.
Die nur teilweise Festsetzung durch den Rechtspfleger ist rechtsfehlerhaft. Dem beigeordneten Rechtsanwalt T stehen die beantragten 843,47 € in voller Höhe zu. Gemäß § 48 Abs. 1 RVG bestimmt sich der Vergütungsanspruch des beigeordneten Rechtsanwaltes nach den Beschlüssen, durch die Prozesskostenhilfe bewilligt worden ist. Geschieht dies wie vorliegend ohne Einschränkung, dann ist auch für eine reduzierte Gewährung von Gebühren kein Raum. Bei Wertgebühren ist der Anspruch gemäß § 7 Abs. 2 RVG allerdings auf die Grundvergütung nach § 49 RVG zu reduzieren.
Keinesfalls beschränkt sich die Bewilligung von Prozesskostenhilfe jedoch allein auf die Erhöhung nach Nr. 1008 VV RVG, wenn zwei Streitgenossen von dem selben Prozessbevollmächtigten in der selben Angelegenheit vertreten werden, aber nur bei einem von ihnen die persönlichen Voraussetzungen für die Bewilligung von Prozesskostenhilfe vorliegen. Mit der nahezu einhelligen obergerichtlichen Rechtsprechung und der teilweise in der Literatur vertretenen Ansicht (OLG Bamberg OLGR 2001, 28; OLG Brandenburg JB 2007, 259; OLG Celle Rpfleger 2007, 151 = AGS 2007, 250; OLG Düsseldorf Rpfleger 1997, 532; OLG Hamm Rpfleger 2003, 447 = AGS 2003, 509; OLG Jena OLGR 2007, 163; OLG München NJW-RR 1997, 191; OLG Schleswig JB 1998, 476; OLG Stuttgart JB 1997, 200; LG Frankenthal JB 1997, 92; LAG Rheinland-Pfalz JB 1997, 30; Fischer JB 1998, 4; Hartmann, Kostengesetze, 39. Aufl., § 48 RVG Rdn. 65; Kalthoener/Büttner/Wrobel-Sachs, Prozesskostenhilfe und Beratungshilfe, 4. Aufl., Rdn. 48; Mathias, in: Bischof/Jungbauer u.a., RVG, 3. Aufl., § 48 Rdn. 21; Müller-Rabe, in: Gerold/Schmidt u.a., RVG, 18. Aufl., § 49 Rdn. 11; Rönnebeck NJW 1994, 2273; Schnapp, in: N. Schneider/Wolf, RVG, 4. Aufl., § 48 Rdn. 58) hält der Senat an seiner Ansicht fest, dass der anderslautenden Entscheidung des Bundesgerichtshofes nicht zu folgen ist (a. A. ohne Auseinandersetzung mit den Gegenargumenten dem BGH folgend: OLG Koblenz MDR 2001, 1262; JB 2004, 384; OLG Naumburg Rpfleger 2004, 168; Zöller/Philippi, ZPO, 27. Aufl., § 114 Rdn. 7).
Die Auffassung des BGH wird dem Umstand nicht gerecht, dass der Rechtsanwalt sowohl gegenüber dem bedürftigen wie auch dem gleichzeitig von ihm vertretenen vermögenden Streitgenossen gemäß § 7 Abs. 2 Satz 1 RVG "die Gebühren und Auslagen zustehen, die sie schulden würden, wenn der Rechtsanwalt nur in seinem Auftrag tätig geworden wäre". Gemäß § 122 Abs. 1 Nr. 3 ZPO ist er lediglich gehindert, seinen Anspruch gegen die Partei, der er beigeordnet wurde, geltend zu machen. Anstatt dessen steht ihm ein Vergütungsanspruch gemäß §§ 121 ff. ZPO gegen die Staatskasse zu. Soweit der BGH meint, der vermögende Streitgenosse werden nicht schlechter gestellt als in dem Fall, als wenn er allein geklagt hätte oder verklagt worden wäre, so dass der Anwalt dort die vollen Gebühren liquidieren könne, verfängt nicht. Der Durchsetzung können diverse Gründe entgegenstehen, etwa ein nachträglicher Vermögensverfall des ursprünglich nicht bedürftigen Streitgenossen.
Des Weiteren ist der im Wege der Prozesskostenhilfe beigeordnete Rechtsanwalt nach § 48 Abs. 1 Nr. 1 BRAO verpflichtet, seine Partei zu den reduzierten Gebührensätzen des § 49 RVG zu vertreten, und zwar unabhängig davon, ob daneben eine vermögende Partei vorhanden ist. Dann kann der Anwalt aber nicht auf Nr. 1008 VV RVG verwiesen werden, sondern ihm stehen die vollen Gebühren zu, die § 49 RVG vorsieht.
Auch die durch die Regelung des § 426 Abs. 1 BGB vorgesehenen Rechtsfolgen sprechen gegen die Auffassung des Bundesgerichtshofes. Befriedigt der vermögende Streitgenosse den gemeinsamen Anwalt wegen dessen restlicher und überwiegender Gebührenforderung, dann erwirbt er im Regelfalle einen hälftigen Ausgleichsanspruch gegen den bedürftigen Streitgenossen, falls nicht im Innenverhältnis eine andere Absprache getroffen worden sein sollte. Das aber liefe dem Sinn und Zweck der Prozesskostenhilfe, nämlich einer Partei unabhängig von ihren Vermögensverhältnissen ihre Rechtsverfolgung bzw. -verteidigung zu ermöglichen, zuwider. Denn die bedürftige Partei soll allenfalls in Höhe der Sätze der Prozesskostenhilfe mit den Kosten ihres Prozessbevollmächtigten belastet werden.
Ebenso wenig überzeugt das Argument des Bundesgerichtshofes, die vermögende Partei solle nicht auf Kosten der Allgemeinheit entlastet werden. Denn dabei wird außer Acht gelassen, dass nach § 59 RVG der Anspruch des Anwaltes bezüglich seiner Vergütung auf die Staatskasse übergeht, sobald und soweit sie an diesen zahlt.
Schließlich spricht entscheidend gegen die Gegenansicht, dass sie in Fällen, in denen der bedürftigen Partei Prozesskostenhilfe nur gegen Ratenzahlungen zu gewähren ist, zu nicht vertretbaren Ergebnissen kommt. Gemäß § 115 Abs. 3 ZPO scheidet Bewilligung von Prozesskostenhilfe aus, wenn "die Kosten des Prozessführung der Partei vier Monatsraten und die aus dem Vermögen aufzubringenden Teilbeträge voraussichtlich nicht übersteigen". Beschränkt man aber mit dem Bundesgerichtshof die Kosten, für die im Falle der Gewährung von Prozesskostenhilfe die Staatskasse anstelle der Partei aufzukommen hat, auf die 0,3-Erhöhung nach Nr. 1008 VV RVG, so führt dies in vielen Fällen zur gänzlichen Versagung von Prozesskostenhilfe. Denn der fragliche Betrag wird dann so niedrig sein, dass Prozesskostenhilfe nicht gewährt werden kann und die bedürftige Partei infolgedessen sogar den Schutz des § 122 Abs. 1 Nr. 3 ZPO verliert.
2.
a)
Allerdings gelten die vorstehend aufgezeigten Grundsätze nicht ohne jede Einschränkung. Auch insoweit hält der Senat an seiner Rechtsprechung fest. Dort ist folgendes ausgeführt:
"Es gilt, dem Umstand Rechnung zu tragen, daß die von ihm nach § 6 Abs. 3 BRAGO (jetzt: § 7 Abs. 2 RVG) geschuldete Vergütung sich durch Zahlungen der Staatskasse ermäßigt. In den Fällen, in denen die Vergütung, die dem beigeordneten Anwalt nach § 123 BRAGO (jetzt: § 49 RVG) zusteht, höher ist als der Betrag, den der bedürftige Streitgenosse als den auf ihn entfallenden Anteil der Wahlanwaltsvergütung im Innenverhältnis zu tragen hat, würde die ungekürzte Zahlung der Prozeßkostenhilfevergütung dazu führen, daß die nicht bedürftige Partei ihrem Anwalt infolge der Zahlungen der Staatskasse weniger zu zahlen hätte als den Betrag, der im Innenverhältnis zum bedürftigen Streitgenossen als "ihr" Anteil anzusehen ist. Übersteigt die Prozeßkostenhilfevergütung die im Innenverhältnis bestehende anteilige Schuld (dies wird bei zwei Streitgenossen nur bei Streitwerten im unteren Bereich der Fall sein), so muß die Zahlungspflicht der Staatskasse als eingeschränkt angesehen werden.
Die günstigen Folgen, die die Zahlung der Staatskasse für den nicht bedürftigen Streitgenossen hat, werden von einigen Gerichten (zumindest im veröffentlichten Teil der Entscheidungen) nicht berücksichtigt, andere wollen ihnen Rechnung tragen, indem sie die Staatskasse in Fällen, in denen der finanzstarke Streitgenosse durch die Zahlung einen dem Innenverhältnis nicht gerecht werdenden Vorteil erlangt, darauf verweisen, gemäß § 130 BRAGO (jetzt: § 59 RVG) bzw. gemäß § 426 Abs. 1 BGB Rückgriff zu nehmen (vgl. OLGR Düsseldorf 1997, 340; OLG München MDR 1996, 857 = OLGR München 1996, 207; Rönnebeck, NJW 1994, 2273).
Der Senat folgt dem nicht. Er hält es nicht für richtig und nicht für erforderlich, die Staatskasse auf Rückgriffsmöglichkeiten zu verweisen. Das Risiko der Beitreibung wird damit vom Anwalt (der sich vor diesem Risiko durch eine Vorschußforderung schützen kann) auf den Fiskus verlagert. Die Vorteile, die sich vielfach - zumindest zunächst - aus einer ungekürzten Zahlung der Prozeßkostenhilfevergütung für den Streitgenossen, dem keine Prozeßkostenhilfe bewilligt wurde, und auch für den Anwalt, der nur einem Streitgenossen beigeordnet wurde, ergeben würden, sind durch nichts gerechtfertigt.
Es erscheint als sachgerecht, zur Lösung des Problems auf die Grundsätze zurückzugreifen, die der Senat in ständiger Rechtsprechung (vgl. grundlegend den Beschl. v. 25.8.1986 - 17 W 113 - 116/87, JurBüro 1987, 899) auf den Kostenerstattungsanspruch anwendet, der einem obsiegenden Streitgenossen gegen den im Rechtsstreit unterlegenen und in die Kosten verurteilten Gegner zusteht. Der Senat lehnt es ab, zugunsten des Obsiegenden unabhängig vom Innenverhältnis der Streitgenossen den Betrag festzusetzen für den er dem Anwalt gesamtschuldnerisch haftet. Der Erstattungsanspruch bemißt sich in diesen Fällen vielmehr nach dem Betrag, der im Verhältnis der Streitgenossen zueinander seinem Anteil an den Gesamtkosten des gemeinsamen Prozeßbevollmächtigten entspricht. Bei gleicher Beteiligung entspricht dieser Anteil der Hälfte des Gesamthonorars des gemeinsamen Anwalts - unter Einschluß des Mehrvertretungszuschlags nach § 6 Abs. 1 Satz 2 BRAGO (jetzt: Nr. 1008 VV RVG). Wird dieser Anteil als Höchstgrenze berücksichtigt, so ist sichergestellt, daß der obsiegende Streitgenosse im Wege der Kostenfestsetzung nicht mehr erhält als den Betrag, den er im Innenverhältnis zum unterlegenen Streitgenossen zu tragen hat.
Für die hier gegebene Situation, in der es um die Festsetzung der Vergütung des Prozeßkostenhilfeanwalts gegenüber der Staatskasse geht, bedeutet die Anwendung des dargestellten Grundsatzes, daß der Anwalt von der Staatskasse nicht mehr beanspruchen kann als den Betrag, den der Mandant, dem er beigeordnet wurde, im Innenverhältnis zum gleichzeitig vertretenen Streitgenossen zu tragen hat (so wie hier LG Berlin MDR 1996, 754 = JurBüro 1996, 434 und LG Frankenthal MDR 1997, 208 = JurBüro 1997, 91; Hansens, BRAGO, 8. Aufl., § 122 Anm. 9 a)."
b)
Im vorliegenden Fall führt dies dazu, dass es bei dem vom Rechtspfleger insgesamt festgesetzten 620,96 € nicht verbleiben kann.
Die Vergütung für einen Wahlanwalt nach § 13 RVG betrüge, wie der Rechtspfleger im Beschluss vom 23. April 2009 zutreffend ermittelt hat, 1.964,21 €. Mithin hätten die Beklagten zu 2) und 3) im Innenverhältnis je 654,73 € zu tragen. Bei seiner Entscheidung übersieht der Rechtspfleger aber, dass dieser Betrag jeweils von jeder der beiden Parteien zu tragen wäre, so dass der von ihm nach § 49 RVG mit 931,29 € berechneten Vergütung für den PKH-Anwalt 2 x 654,73 € = 1.309,46 € als Vergleichsgröße gegenüberzustellen sind. Die Berechnungsmethode des Rechtspflegers läuft darauf hinaus, dass der im Wege der Prozesskostenhilfe beigeordnete Rechtsanwalt um so weniger an Vergütung erhalten würde, je mehr Streitgenossen er beigeordnet wird. Denn die von den einzelnen Streitgenossen im Innenverhältnis zu tragenden Beträge würden sich immer weiter verringern, während sich die Vergütung für den PKH-Anwalt lediglich jeweils nur im Hinblick auf die Verfahrensgebühr geringfügig um 0,3 bis zu einer Grenze von 2,0 gemäß Nr. 1008 Abs. 3 VV RVG erhöhen würde.
c)
Der Vollständigkeit halber ist darauf hinzuweisen, dass die vom Rechtspfleger in seinem Beschluss vom 23. April 2009 vorgenommene Berechnung auch rechnerisch falsch ist. Da Rechtsanwalt T lediglich den Beklagten zu 2) und 3) beigeordnet worden ist, ist die 0,3-Erhöhungsgebühr bei der Berechnung der Vergütung nach § 49 RVG nur einmal anzusetzen. Zutreffend ist damit ein Betrag von 843,47 €, wie ihn Rechtsanwalt T seinem Antrag richtigerweise zu Grunde gelegt hat.
3.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 56 Abs. 2 Satz 2 und 3 RVG.
OLG Köln:
Beschluss v. 09.06.2009
Az: 17 W 108/09
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