Oberlandesgericht Köln:
Urteil vom 15. Dezember 1995
Aktenzeichen: 19 U 69/94
(OLG Köln: Urteil v. 15.12.1995, Az.: 19 U 69/94)
Ein Schiedsgutachten (hier: über die Bezugsfertigkeit eines Hauses) ist auch dann offenbar unrichtig, wenn es streitige tatsächliche Vorgaben ungeprüft übernimmt und sich nicht damit befaßt, ob von einem Vorgutachter festgestellte erhebliche Mängel nachhaltig beseitigt sind, ohne gleichzeitig darzulegen, warum es auf Feststellungen hierzu nicht ankomme.
Tenor
1. Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil der 17. Zivilkammer des Landgerichts Köln vom 28.1.1994 - 17 O 354/93 - unter Zurückweisung des weitergehenden Rechtsmittels teilweise abgeändert und wie folgt neu ge-faßt:Die Beklagten werden als Gesamtschuldner verurteilt, an den Kläger 16.232,78 DM nebst 10 % Zinsen seit dem 16.5.1993 zu zahlen. Im übrigen wird die Klage abgewie-sen.2. Die Anschlußberufung des Klägers wird zurückgewiesen. 3. Die Kosten des Rechtsstreits beider Instanzen tragen der Kläger zu 54 %, die Beklagten als Gesamtschuldner zu 46 %.4. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
Gründe
Die zulässige Berufung der Beklagten ist in Höhe eines
Teilbetrages von 1.943,00 DM begründet; im übrigen war sie ohne
Erfolg. Die Anschlußberufung blieb insgesamt erfolglos.
Die Beklagten sind dem Kläger dem Grunde nach
schadenersatzpflichtig (§ 326 I BGB), weil sie sich endgültig und
nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme grundlos geweigert haben, das
von ihnen gekaufte und vom Kläger errichtete Haus entsprechend der
vertraglichen Vereinbarung im notariellen Kaufvertrag abzunehmen.
Die Vertragsaufhebung vom 31.12.1992 hat bestehende
Schadensersatzansprüche ausdrücklich unberührt gelassen.
Der Schadensersatzanspruch des Klägers hängt davon ab, ob das
vom Kläger errichtete und den Beklagten verkaufte Reihenhaus im
Dezember 1992 bezugsfertig war, und die Beklagten deshalb
die Zahlung des nach § 4 des notariellen Kaufvertrags drei Wochen
nach Bezugsfertigkeit und Besitzübergabe zu 96,5 % fälligen
Kaufpreises und die Abnahme mit Schreiben vom 16.12.1992
vertragswidrig verweigert haben. Nach § 4 Abs. 2 a des Vertrages
war das Haus bezugsfertig, "wenn der Bau so weit fortgeschritten
ist, daß den Bewohnern der Bezug zugemutet werden kann".
"Sachmängel und geringfügige Restarbeiten, die nicht so
schwerwiegend sind, daß sie die Bezugsfertigkeit ausschließen",
sollten den Eintritt der Zahlungsvoraussetzungen nicht hindern.
Gemäß der Vereinbarung in § 8 des Kaufvertrags ist auf Vorschlag
der IHK Köln der Sachverständige M. als Schiedsgutachter mit der
Prüfung der Bezugsfertigkeit des Hauses per 17.12.1992 beauftragt
worden, der alsdann das Schiedsgutachten vom 19.03.1993 erstellt
hat. Er kommt zu dem Ergebnis, da eine "durchschnittlich-übliche"
Nutzung der Kellerräume (kein zusätzlicher Wohnraum) vorgesehen
gewesen sei, "konnte das Wohnhaus aus sachverständiger Sicht ohne
weiteres als bezugsfertig angesehen werden ", wenn "nur im
Kellergeschoßbereich an verschiedenen Stellen noch die vom
Sachverständigen Dipl.-Ing. R. in seinem Gutachten vom 11.11.1992
festgestellte Feuchtigkeit in geringem Umfang vorhanden gewesen
ist." Bei der Ortsbesichtigung am 03.03.1993 hat der
Sachverständige M. "keine rauminnenseitige Feuchtigkeit"
festgestellt. Vorher hatte der Sachverständige allerdings
festgehalten, "ob in und an diesem Wohnhaus in erheblichem Umfang
(am 17.12.1992) Mängel vorhanden waren, welche die Bezugsfertigkeit
in Frage gestellt hätten", könne er "im nachhinein nicht mehr
verbindlich beantworten..." Es folgt dann die Wiedergabe eines
Schreibens der vom Kläger aufgrund des Gutachtens R. beauftragten
Bauunternehmung H. vom 6.12.1992, und der Sachverständige M.
resümiert, "damit (sei) zumindest zum 17.12.1992 sichergestellt
gewesen, daß ein weiteres Eindringen von Wasser in den
Kellergeschoßbereich nicht mehr möglich war." Ob noch Arbeiten an
der außenseitigen Abdichtung und am Dränrohrsystem vorgenommen
worden seien, könne er nicht sagen. Es folgt dann die eingangs
erwähnte Àußerung zur Bezugsfertigkeit. Die einzige eigene
Feststellung des Sachverständigen M. besteht also darin, daß bei
seiner Besichtigung keine "rauminnenseitige Feuchtigkeit" vorhanden
gewesen sei. Daraus leitet er den Schluß ab, deshalb müßten die
"Nacharbeiten" einwandfrei ausgeführt worden sein; sonst hätte sich
erneut Feuchtigkeit zeigen müssen.
Damit hätte er sich angesichts der Feststellungen im Gutachten
R. nicht begnügen dürfen. Wenn er nicht im einzelnen überprüfte, ob
eine fachgerechte, nachhaltige Sanierung nach dem Vorschlag R.
erfolgt war, hätte er nachvollziehbar darlegen müssen, warum auch
ohne eine solche Untersuchung ein zuverlässiger Schluß auf die
nachhaltige Beseitigung der Feuchtigkeit gezogen werden könne.
Daran fehlt es. Deshalb ist das Gutachten M. "offenbar unrichtig"
im Sinne der Rechtsprechung zu § 319 BGB. Danach ist eine offenbare
Unrichtigkeit anzunehmen, wenn sie sich dem sachkundigen Beobachter
sofort aufdrängt (BGH NJW 1979, 1885), wenn auch möglicherweise
erst nach eingehender Prüfung (BGH NJW 1983, 2244, 2245). Offenbar
unrichtig ist ein Schiedsgutachten auch, wenn es tatsächliche
Vorgaben (soweit sie nicht unstreitig sind) ungeprüft übernimmt und
sich nicht damit befaßt, ob von einem sachkundigen Vorgutachter
festgestellte erhebliche Mängel nachhaltig beseitigt sind, vielmehr
allein auf darauf abstellt, daß die Räume zum Zeitpunkt des
Ortstermins nicht feucht waren (s. zu vergleichbaren Fällen
Palandt/Heinrichs, BGB 53. Aufl., § 319 Rn. 4). Die Entscheidung
war deshalb nunmehr vom Senat zu treffen (§ 319 I 2 BGB). Das zu
ihrer Vorbereitung eingeholte Gutachten des Sachverständigen P. hat
zur Óberzeugung des Senats ergeben, daß die Kellerräume im Dezember
1992 so nachhaltig trocken waren, daß sie als bezugsfertig
angesehen werden können, zumal sie nicht zu Wohnzwecken diesen
sollten. In seinen beiden Gutachten sowie bei seiner Anhörung durch
den Senat hat der Sachverständige P. im einzelnen einleuchtend
begründet, daß sich nach seinen Feststellungen an Ort und Stelle
unter Berücksichtigung aller vorliegenden Gutachten keine
Rückschlüsse auf eine unzureichende Funktionsfähigkeit der Drainage
ergeben hätten. Insbesondere seien die bei einer mangelhaften
Drainage notwendigerweise auftretenden, an den Wänden umlaufenden
Feuchtigkeitsspuren nicht vorhanden. Die im Winter 1992 vorhandene
Kellerfeuchtigkeit sei eindeutig auf einen einmaligen
Wassereinbruch zur Bauzeit zurückzuführen. Einer fehlerhaften
Drainage seien dessen Spuren nicht zuzuordnen. Diese Feststellungen
des Sachverständigen P. lassen einen hinreichend zuverlässigen
Rückschluß auf die Verhältnisse im Dezember 1992 zu. Danach waren
zwar damals die Kellerräume noch nicht trocken, sie waren aber
bezugsfertig im Sinne der oben zitierten Vertragsbestimmung, weil
ihre Abtrocknung in absehbarer Zeit zu erwarten war und sie auch
nicht als Wohnräume verwendet werden sollten. Der Vertrag zeigt
deutlich, daß die Käufer nicht schwerwiegende Beeinträchtigungen
des Baukörpers hinnehmen mußten. Da die Beklagten dennoch die
vertraglich geschuldete Abnahme des Hauses endgültig verweigert
haben, sind sie dem Kläger schadenersatzpflichtig (§ 326 I
BGB).
Der zu ersetzende Schaden beläuft sich auf insgesamt 16.232,78
DM. Dazu gehören die unstreitigen Positionen "Vertragskosten" in
Höhe von 927,11 DM und "Gutachterkosten" in Höhe von 1.827,47 DM,
ferner die in der Berufungsinstanz mit 8.103,67 DM ebenfalls
unstreitigen Verzugszinsen. Zu ersetzen sind ferner die
außergerichtlichen Anwaltskosten des Klägers in der geforderten
Höhe von 5.374, 53 DM. Soweit die Beklagten sich gegen die Höhe
dieser Position mit dem bloßen Hinweis auf § 118 II BRAGO wehren,
ist ihr Vorbringen unsubstantiiert, zumal diese Vorschrift in der
Kostenabrechnung teilweise berücksichtigt worden ist. Weitere
Beträge stehen dem Kläger nicht zu.
Das gilt zunächst für die Rechnungen der Firmen R. & N. und
Po. über 529,46 DM und 280,60 DM. Die Fa. R. & N. soll auf
Bestellung der Beklagten Fliesen geliefert haben, die die Fa. Po.
verarbeitet habe. Nach dem Schreiben der Fa. R. & N. an den
Beklagten vom 15.1.1993 muß aber angenommen werden, daß dieser
Auftrag storniert worden ist, weil die Beklagten ihre Anzahlung
zurückerhalten haben. Die vom Kläger vorgelegte Rechnung datiert
vom 9.1.1993, kann also durch das Schreiben vom 15.1.1993 überholt
sein. Davon ist auszugehen, nachdem der Kläger zu diesem Schreiben
und dem entsprechenden Vortrag der Beklagten nicht Stellung
genommen hat.
Auch die Rechnung der Fa. B. für Lieferung und Montage eines
Handtuchtrockners über 885,50 DM geht nicht zu Lasten der
Beklagten. Ihrer wiederholten Behauptung, der Nacheigentümer A.
habe den Trockner selbst in Auftrag gegeben und auch bezahlt, ist
der Kläger nicht schlüssig entgegengetreten. Er hat sich vielmehr
in beiden Instanzen auf den Vortrag beschränkt, die Fa. B. habe
eine entsprechende Rechnung gestellt.
Schließlich kann der Kläger auch die durch die Beauftragung der
Fa. F. entstandenen Kosten in Höhe von 20.000 DM nicht ersetzt
verlangen. Bei diesen Kosten handelt es sich um Aufwendungen, die
der Kläger im Hinblick auf den Kaufvertrag mit den Beklagten
gemacht haben will. Der BGH sieht nutzlose Aufwendungen auch im
Rahmen des Schadensersatzes wegen Nichterfüllung regelmäßig als
erstattungsfähig an mit der Begründung, es bestehe im allgemeinen
eine "Rentabilitätsvermutung", daß der enttäuschte Vertragspartner
seine Aufwendungen durch Vorteile aus der vereinbarten
Gegenleistung wieder erwirtschaftet hätte; dem Schuldner stehe
allerdings der Nachweis des Gegenteils offen (BGHZ 99, 182 [196 f.]
= NJW 1987, 831; NJW 1993, 2527). Die Rentabilitätsvermutung ist
widerlegt, wenn nicht davon auszugehen ist, daß bei ungestörter
Abwicklung des Geschäfts die nutzlos gewordenen Aufwendungen durch
die Vorteile der Gegenleistung (mit-)aufgewogen worden wären (BGHZ
114, 193 = NJW 1991, 2277; NJW 1993, 2527). So liegt es hier. Der
notarielle Kaufvertrag führt in § 3 Nr. 2 a - e alle Kosten auf,
die im Kaufpreis enthalten sind. Die Deckung dieser Kosten hat der
Kläger in den Kaufpreis einkalkuliert; sie werden durch den
Kaufpreis erwirtschaftet. Dazu gehören die Aufwendungen für die
Tätigkeit der Fa. F. nicht. An diese, nicht an den Kläger, hatten
die Beklagten nach § 11 des Vertrages lediglich eine
Vermittlungsprovision in Höhe von 5.000 DM zu zahlen. Aus dieser
Vertragsgestaltung läßt sich entnehmen, daß die Beklagten nur in
Höhe der genannten Provision der Fa. F. verpflichtet sein, im
übrigen aber mit deren Kosten nicht belastet werden sollten. Der
Kläger hätte etwaige von ihm zu zahlende Maklerprovision aus dem
vom Käufer zu zahlenden Kaufpreis selbst erbringen müssen, er kann
sie deshalb nicht auf die Beklagten abwälzen.
Der Kläger hat auch nicht substantiiert dargelegt, daß er
verpflichtet war, für den Verkauf des Grundstücks "Im P. 60
a" zwei mal Maklerprovision zu zahlen. Dabei kann dahinstehen, ob
zwischen dem Kläger und der Firma. F. überhaupt ein
provisionspflichtiger Maklervertrag abgeschlossen war, was die
Beklagten bestreiten. Gegen eine solche Vereinbarung spricht schon
§ 11 des zwischen den Parteien geschlossenen notariellen
Vertrages.
Eine Verpflichtung des Klägers zur Zahlung einer Provision je
Verkauf ist vom Kläger nicht schlüssig vorgetragen. In erster
Instanz hat der Kläger ausgeführt :
"Für die Vermittlung der Objekte zahlt der Kläger an die Firma
F. 20.000 DM je Objekt. Die Firma F. hat dem Kläger für die
Vermittlung des Objektes unter dem 15.12.1992 vereinbarungsgemäß
20.000 DM berechnet."
Aus diesem Vortrag folgt, daß die Maklerprovision für jedes
Objekt einmal zu zahlen war. Aus der Rechnung vom 15.12.1992 folgt
weiter, daß auf den Rechnungsbetrag eine aconto-Zahlung in Höhe
von 5.000 DM zuzüglich MWSt bereits geleistet war. Da nach § 11 des
zwischen den Parteien geschlossenen notariellen Vertrages dieser
Betrag vom Käufer zu zahlen war, hat der Kläger schon nicht
schlüssig vorgetragen, daß er selbst überhaupt 20.000 DM an die
Maklerfirma gezahlt hat. Dieses Verständnis der vom Kläger mit der
Maklerfirma getroffenen Vereinbarung ergibt sich auch aus seinem
späteren Vorbringen, der Kläger schulde dem Makler eine Courtage
... je Haus. Ob der Makler "bei dem neuen Käufer ebenfalls eine
Maklercourtage berechnet hat, spielt ... keine Rolle". Lediglich in
der Berufungserwiderung behauptet der Kläger, die Provision sei
zwei mal angefallen und zwei mal bezahlt worden, fügt aber auch
hier hinzu, die Provision sei "pro verkauftem Haus" zugesagt
worden.
Aus alledem folgt, daß der Kläger nicht behauptet, daß mit dem
Makler vereinbart gewesen sei, je Haus (Objekt) mehr als einmal
Provision zu zahlen. Ohne eine solche Vereinbarung war der Kläger
selbst nicht zur Doppelzahlung verpflichtet und kann eine etwaige
zweite Provisionszahlung nicht auf die Beklagten abwälzen.
Auf seinen Schadensersatzanspruch braucht der Kläger sich einen
etwaigen Verkaufsgewinn aus dem Ersatzgeschäft nicht anrechnen zu
lassen. Vorteile aus einem vom Geschädigten abgeschlossenen
günstigen Vertrag sind in der Regel nicht zu berücksichtigen (vgl.
Palandt/Heinrichs, BGB 53. Aufl., Vorbem. v. § 249 Rn. 127). Ob der
Vorteil eines möglicherweise günstigeren Abschlusses mit dem neuen
Käufer mit dem Verlust durch das Verhalten der Beklagten in einem
so engen inneren Zusammenhang steht, daß hier etwas anderes zu
gelten hätte (vgl. Palandt/Heinrichs, a.a.O., Rn. 129 m.N.), kann
offenbleiben, denn die Darlegungs- und Beweislast für die
Voraussetzungen einer Vorteilsausgleichung tragen die Beklagten
(Palandt/Heinrichs, a.a.O., Rn. 123 m.N.). Sie haben dazu aber
weder konkret vorgetragen noch Beweis angetreten.
Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 92 I, 97 I ZPO. Das
Urteil ist nach den §§ 708 Nr. 10, 713 ZPO vorläufig
vollstreckbar.
Wert der Beschwer des Klägers: 18.767,22 DM,
Wert der Beschwer der Beklagten: 16.232,78 DM.
OLG Köln:
Urteil v. 15.12.1995
Az: 19 U 69/94
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https://www.admody.com/urteilsdatenbank/063844510bbb/OLG-Koeln_Urteil_vom_15-Dezember-1995_Az_19-U-69-94