Bundespatentgericht:
Beschluss vom 25. Februar 2010
Aktenzeichen: 12 W (pat) 326/05

(BPatG: Beschluss v. 25.02.2010, Az.: 12 W (pat) 326/05)

Tenor

Das Patent 100 18 887 wird widerrufen.

Gründe

I.

Gegen das am 10. Februar 2005 veröffentlichte Patent 100 18 887 mit der Bezeichnung "Verfahren und Einrichtung zur Regelung der Bremse(n) einer Personenförderanlage" hat die Einsprechende am 10. Mai 2005 Einspruch eingelegt.

Das angegriffene Patent betrifft gemäß Anspruch 1 ein Verfahren zur Regelung der jeweiligen mechanischen Bremse einer Personenförderanlage -an diesen Anspruch schließen sich direkt oder indirekt rückbezogene Ansprüche 2 bis 5 an, weiterhin gemäß Anspruch 6 eine Einrichtung zur Durchführung des Verfahrens gemäß einem der Ansprüche 1 bis 5 -an den Anspruch 6 schließen sich direkt oder indirekt rückbezogene Ansprüche 7 und 8 an.

Im Verfahren sind u. a. folgende, von der Einsprechenden herangezogene Entgegenhaltungen:

E2 DE 197 54 141 A1, E6 EN 115, deutsche Fassung vom Juni 1995, E12 US 4 588 065.

Von diesen in der mündlichen Verhandlung erörterten Druckschriften war die E2 im Prüfungsverfahren berücksichtigt worden.

Die Einsprechende hat vorgetragen, dass die Gegenstände der geltenden Ansprüche 1 und 6 nicht patentfähig seien und im Übrigen das Streitpatent die Erfindung nicht so deutlich und vollständig offenbare, dass ein Fachmann sie ausführen könne.

Die Einsprechende beantragt, das Patent (in vollem Umfang) zu widerrufen.

Die Patentinhaberin tritt dem Vorbringen der Einsprechenden in allen Punkten entgegen und verteidigt das Patent mit teilweise geänderten Anspruchssätzen nach Hauptantrag und nach zwei Hilfsanträgen.

Die Patentinhaberin beantragt sinngemäß, das Patent beschränkt mit folgenden Unterlagen aufrechtzuerhalten: Im Rahmen der erteilten Patentansprüche 1 bis 5 gemäß Hauptantrag, Beschreibung und Zeichnung gemäß Patentschrift, hilfsweise im Rahmen der Ansprüche 1 bis 4 gemäß Hilfsantrag 1, vorgelegt mit Schriftsatz vom 9. Februar 2010, Beschreibung und Zeichnung gemäß Patentschrift, gegebenenfalls noch anzupassen, weiter hilfsweise im Rahmen der Ansprüche 1 bis 4 gemäß Hilfsantrag 2, vorgelegt mit Schriftsatz vom 9. Februar 2010, Beschreibung und Zeichnung gemäß Patentschrift, gegebenenfalls noch anzupassen.

Die Patentinhaberin sieht die Patentfähigkeit der Gegenstände der Ansprüche der jeweiligen Anträge als gegeben an.

Der gemäß Hauptantrag weiterverfolgte, erteilte Patentanspruch 1 lautet:

1. Verfahren zur Regelung der jeweiligen mechanischen Bremse

(3) einer Personenförderanlage, wie einer Rolltreppe oder eines Rollsteiges, indem die Steuersignale des Antriebsmotors (2) und der Bremse (3) mittels mehrerer Prozessoren (4, 5) überwacht werden, bei auftretenden Funktionsstörungen im Bereich der Personenförderanlage die Bremse (3) schlagartig zum Einfall gebracht wird, bei Erkennung von Verzögerungswerten die Bremse (3) definiert entlastet und sodann über die Prozessoren (4, 5) innerhalb eines vorgebbaren Zeitintervalles die Personenförderanlage stillgesetzt wird, dergestalt, daß sich die Prozessoren (4, 5) gegenseitig überwachen, wobei jeder Prozessor (4, 5) ein Treiberelement ansteuert, das mit den Schaltelementen der Bremse (3) zusammenwirkt.

Der Patentanspruch 1 nach Hilfsantrag 1 lautet:

Patentansprüche (Hilfsantrag 1)

1. Verfahren zur Regelung der jeweiligen mechanischen Bremse

(3) einer Personenförderanlage, wie einer Rolltreppe oder eines Rollsteiges, indem die Steuersignale des Antriebsmotors (2) und der Bremse (3) mittels mehrerer Prozessoren (4, 5) überwacht werden, bei auftretenden Funktionsstörungen im Bereich der Personenförderanlage die Bremse (3) schlagartig zum Einfall gebracht wird, bei Erkennung von Verzögerungswerten die Bremse (3) definiert entlastet und sodann über die Prozessoren (4, 5) innerhalb eines vorgebbaren Zeitintervalles die Personenförderanlage stillgesetzt wird, dergestalt, dass sich die Prozessoren (4, 5) gegenseitig überwachen, wobei jeder Prozessor (4, 5) ein Treiberelement ansteuert, das mit den Schaltelementen der Bremse (3) zusammenwirkt, wobei auch bei Ausfall eines Prozessors (4 oder 5) über das bzw. die Treiberelemente (6, 7) ein schlagartiges Einfallen der Bremse (3) herbeigeführt wird.

Der Patentanspruch 1 nach Hilfsantrag 2 lautet:

Patentansprüche (Hilfsantrag 2)

1. Verfahren zur Regelung der jeweiligen mechanischen bremse

(3) einer Personenförderanlage, wie einer Rolltreppe oder eines Rollsteiges, indem die Steuersignale des Antriebsmotors (2) und der Bremse (3) mittels mehrerer Prozessoren (4, 5) überwacht werden, bei auftretenden Funktionsstörungen im Bereich der Personenförderanlage die Bremse (3) schlagartig zum Einfall gebracht wird, bei Erkennung von Verzögerungswerten die Bremse (3) definiert entlastet und sodann über die Prozessoren (4, 5) innerhalb eines vorgebbaren Zeitintervalles die Personenförderanlage stillgesetzt wird, dergestalt, dass sich die Prozessoren (4, 5) gegenseitig überwachen, wobei jeder Prozessor (4, 5) ein Treiberelement ansteuert, das mit den Schaltelementen der Bremse (3) zusammenwirkt, wobei sämtliche Prozessoren (4, 5) über zugeordnete Relais (8, 9) auf den Antriebsmotor (2) einwirken und diesen bei Einfallen der Bremse (3) abschalten.

Das Anspruchsbegehren nach den Hilfsanträgen umfasst neben dem jeweiligen Anspruch 1 noch direkt oder indirekt auf diesen rückbezogene Unteransprüche 2 bis 4.

Wegen des Wortlauts der Unteransprüche gemäß Hauptantrag und des Wortlauts der angeführten Ansprüche nach den Hilfsanträgen und weiterer Einzelheiten wird auf die Akte verwiesen.

II.

A) Der fristund formgerecht erhobene Einspruch ist zulässig und hat auch Erfolg, da die mit dem Hauptantrag wie den Hilfsanträgen beanspruchten Verfahren mit den Merkmalen des jeweiligen Anspruchs 1 nicht patentfähig sind.

B) Die geltenden Ansprüche in den jeweils verteidigten Fassungen sind zulässig, die ursprüngliche Offenbarung ist gegeben. Gegenteiliges hat die Einsprechende nicht geltend gemacht und ist auch für den Senat nicht erkennbar.

C) Das gemäß dem erteilten Anspruch 1 nach Hauptantrag weiterhin beanspruchte Verfahren, in dem die Merkmale der Ansprüche 1 und 2 in der ursprünglich eingereichten Fassung zusammengefasst sind, ist in strukturiert gegliederter Fassung wie folgt definiert:

Verfahren zur Regelung der jeweiligen mechanischen Bremse einer Personenförderanlage, wie einer Rolltreppe oder eines Rollsteigs, das vorsieht:

1.1 Die Steuersignale des Antriebsmotors und der Bremse werden mittels mehrerer Prozessoren überwacht.

1.6 Jeder Prozessor steuert ein Treiberelement an, das mit den Schaltelementen der Bremse zusammenwirkt.

1.2 Bei auftretenden Funktionsstörungen im Bereich der Personenförderanlage wird die Bremse schlagartig zum Einfallgebracht.

1.3 Bei Erkennung von Verzögerungswerten wird die Bremse definiert entlastet 1.4 und die Personenförderanlage sodann über die Prozessoren innerhalb eines vorgebbaren Zeitintervalls stillgesetzt.

1.5 Bei dem Verfahren überwachen sich die Prozessoren gegenseitig.

D) Zum Verständnis des Patents Rolltreppen oder Rollsteige müssen nach geltenden Sicherheitsvorschriften so ausgerüstet sein, dass sie im Fall von Störungen selbsttätig stillgesetzt werden, vgl. Absatz [0002] in DE 100 18 887 B4.

Soweit hierfür mechanisch wirkende Bremsen eingesetzt werden, die aufgrund einer Ansteuerung bei Auftreten eines Fehlers schlagartig einfallen, können dabei Personen auf der Rolltreppe unter Umständen hinfallen, vgl. Absätze [0003] und [0004].

Nach dem Verständnis des hier zuständigen Fachmanns, eines Dipl.-Ingenieurs (FH) Maschinenbau mit entsprechendem physikalischtechnischen Grundlagenwissen, das Maßstab für die Ermittlung des Offenbarungsgehaltes der Patentschrift, für die Auslegung des Patentanspruchs wie auch für die Beurteilung einer zugrundeliegenden erfinderischen Tätigkeit ist, stellt sich der Gegenstand des angegriffenen Patents wie folgt dar:

Bei der in den Absätzen [0025] bis [0029] beispielhaft beschriebenen Ausführungsform ist eine als Betriebsbremse, also zur Abbremsung einer sich bewegenden Rolltreppe bis zum Stillstand (Merkmal 1.4, im Gegensatz zu Stillstandsbremsen oder für Bremszwecke angesteuerten Antriebsmotoren) ausgelegte Reibungsbremse (mit Bremsbelägen, vgl. Absatz [0010]) über elektrisch steuerbare (Brems-) Magnete als Schaltelemente entlastet, so dass der Antriebsmotor im störungsfreien Fall ungebremst arbeiten kann, vgl. Absatz [0028], Satz 3, im Zusammenhang mit Absatz [0021], Sätze 3 und 4.

Weil die aktiv entlastete Bremse im Fall einer Betriebsstörung schlagartig einfallen soll, schließt der Fachmann auf eine passiv federoder gewichtsbelastete Bremse; bei Wegfall der Entlastung wird unter Einfluss einer derart vorgegebenen, konstanten Belastungskraft zunächst ein ggf. verschleißabhängiger Lüftweg bis zum Anliegen der Bremsbeläge überbrückt und dann eine Anpressung der Bremse bewirkt. Dies führt beim bloßen "Einfallen" der Bremse zu einer Abbremsung des Systems entsprechend der auf die Bremselemente wirkenden, bis zum Stillstand gleichbleibenden Reibkräfte nach Art einer Vollbremsung. Die Bremszeit und somit Verzögerung hängt bei anliegenden Bremsen nach den physikalischen Gesetzmäßigkeiten von dem erzeugten Reibmoment und den gegen die oder zusammen mit der Schwerkraft abzubremsenden Trägheiten des Systems, d. h. der aufzunehmenden kinetischen Energie des abwärts bzw. aufwärts bewegten Rollsteigs oder der Rolltreppe ab.

Bei derartigen Bremssystemen ergeben sich bei geringer Belastung der Rolltreppe zwangsläufig höhere Bremsverzögerungen und kürzere Rutschzeiten bzw. Bremswege als bei voller Beladung. Die Auslegung muss daher ein Kompromiss bleiben innerhalb der beispielsweise durch Sicherheitsstandards vorgegebenen Grenzen. In diesem Zusammenhang wird auf die E6, Abschnitt 12.4.4.2 oder 12.4.4.4 hingewiesen, die auch nach der von der Patentinhaberin in der mündlichen Verhandlung selbst vertretenen Auffassung die Arbeitsgrundlage des Fachmanns ist und somit dessen Grundwissen dokumentiert.

In den Unterlagen ist im Hinblick auf das beanspruchte Regelverfahren beschrieben, dass die Bremse nach einem anfänglichen schlagartigen, zwangsläufig die Bewegung der Förderanlage verzögernden Einfallen (Absatz [0019]) einem Regelschema folgend definiert gelüftet wird und die Rolltreppe oder der Rollsteig innerhalb eines "dem Sicherheitsstandard entsprechenden Bremsweges und einstellbaren Zeitintervalls geregelt stillgesetzt werden kann" (Absatz [0020], Satz 4). Im vorstehend ausgeführten physikalischtechnischen Kontext versteht der Fachmann diese Aussage im Sinne einer variablen Ansteuerung der die Bremse im störungsfreien Fall gelüftet haltenden Magnete, wobei durch die (eine) definierte Entlastung der Bremse ggf. unnötig hohe Bremsverzögerungen, die sich aufgrund der konstruktiven Auslegung der Bremse bei geringer Belastung zwangsläufig einstellen würden, unterdrückt werden und kleinere Bremsverzögerungen, d. h. längere Abbremszeiten, unter Ausschöpfung vorgegebener zulässiger Bremswege erzielt werden können.

Weil die Prozessoren mit "zugehörigen Treiberelementen (6,7) in Wirkverbindung" stehen -vgl. Absatz [0026], Satz 2, im Zusammenhang mit Absatz [0021], dienen die Prozessoren somit der Ansteuerung der Bremsen auf Basis zu erkennender Verzögerungswerte. Hierfür mag im konkreten Anwendungsfall die vom Merkmal 1.1 geforderte Überwachung (allein) der Steuersignale des Antriebsmotors und der Bremse nicht ausreichend sein - allerdings ist Merkmal 1.1 im Zusammenhang mit Merkmal 1.3 im Sinne des Absatzes [0017] zu verstehen, wonach die Prozessoren "auf selbige (die Steuersignale) regelnd einwirken".

Von dem Verfahren zur Ansteuerung der Bremsen zum Zwecke der Beeinflussung der Bremsverzögerung ist die gegenseitige Überwachung der Prozessoren (Merkmal 1.5) unabhängig, eine kombinatorische Wirkung entfaltet sich erst im Zusammenhang mit Unteranspruch 5 gemäß Hauptantrag, im Anspruch 1 gemäß Hilfsantrag 1 oder Anspruch 4 nach Hilfsantrag 2, wonach der "Ausfall eines Prozessors" insoweit eine "Funktionsstörung im Bereich der Personenförderanlage" im Sinne des Merkmals 1.2 sein kann, als diese ebenfalls ein schlagartiges Einfallen der Bremse zur Folge haben soll.

E) Das Patent offenbart die Erfindung so deutlich und vollständig, dass ein Fachmann sie ausführen kann. Der von der Einsprechenden vorgebrachte Widerrufsgrund nach § 21 Abs. 1 Nr. 2 PatG liegt daher nicht vor.

Denn die wie vorstehend erläutert verstandene Lehre, die sich gemäß Anspruch 1 im Kern in den beiden unabhängigen, widerspruchsfreien Anweisungen erschöpft, den Abbremsvorgang einer Personerförderanlage durch Ansteuerung der Betriebsbremse zu beeinflussen und hierfür mehrere sich gegenseitig überwachende Prozessoren herzunehmen, ist vom Fachmann im Rahmen seiner Kenntnisse und Fähigkeiten ausgehend von den Angaben in der Patentschrift auch ohne Detailanweisungen zum Aufbau der Bremsen und Steuerungsprozessoren bzw. zu deren Funktionen oder der Wege und Art der (Steuer-) Signale nacharbeitbar. Konkrete Angaben zur Größe der "Verzögerungswerte" oder zur Höhe der Entlastung sind hierfür nicht erforderlich.

Soweit die Einsprechende mit Ihrem Vorbringen auch die Klarheit des Anspruchs 1 bemängelt, ist dies jedenfalls kein Widerrufsgrund.

F1.1) Die Neuheit gemäß § 3 PatG des gewerblich anwendbaren Verfahrens mit den im erteilten Anspruch 1 angegebenen Merkmalen gemäß Hauptantrag ist gegeben. Keine der Entgegenhaltungen offenbart für sich alle Merkmale des Anspruchs 1. Dies wurde von der Einsprechenden in der mündlichen Verhandlung auch nicht mehr bestritten.

F1.2) Das gemäß Hauptantrag beanspruchte Verfahren beruht jedoch nicht auf einer erfinderischen Tätigkeit gemäß § 4 PatG.

Die E12 offenbart im Zusammenhang mit einer elektromagnetisch gelüfteten, mechanisch betätigten Bremse ("electrically released, mechanically applied brake") einer Rolltreppe ("escalator") ein Verfahren entsprechend Merkmal 1 zur Regelung der Bremswirkung für einen konstanten Bremsweg ("stopping distance") bzw. eine gleiche Verzögerungsrate ("deceleration rate") unabhängig von der Belastung, vgl. Spalte 1, Zeilen 12 bis 15 und 27 bis 32 und Spalte 3, Zeilen 18 bis 22. Eine von einem Treiberelement in Form eines Transistors 98 mit veränderlichem Strom beaufschlagbare Bremsmagnetspule ("brake control coil 102") hält die Bremse hierfür bei Stromfluss im gelüfteten Zustand, vgl. Spalte 5, Zeilen 6 bis 15, 62 bis 64 und Spalte 6, Zeilen 25 bis 27 ("...holds the brake shoe off"). Im stromlosen Zustand der Bremsmagnetspule liegt die Bremsbacke an, vgl. Spalte 6, Zeilen 27 bis 30.

Bei diesem bekannten Verfahren werden somit die Steuersignale der Bremse, aber auch des Antriebsmotors entsprechend diesem Teil des Merkmals 1.1 überwacht, denn die Auslösung einer Abbremsung erfolgt dort bei elektrischer Abschaltung der Antriebsmotoren -vgl. Anspruch 2 in E12. Die E12 schlägt für das dort beschriebene Bremsregelsystem ("brake control system 60") zwar einen Aufbau in Digital-, Analogoder Hybridtechnik vor -vgl. Spalte 4, Zeilen 31 bis 33, die Komponenten sind dort jedoch ausweislich der Figur 4 nur einfach vorhanden, mithin sieht das Verfahren dort weder die gemeinsame Überwachung durch mehrere Prozessoren wie darüber hinaus vom Merkmal 1.1 gefordert vor, noch ergeben sich Hinweise hinsichtlich Merkmal 1.5.

Zur Ansteuerung des Treiberelementes mittels eines Steuersignales VC (vgl. Spalte 5, Zeilen 6 und 7) in Abhängigkeit von der gemessenen momentanen Geschwindigkeit der Rolltreppe und der gewollten Verzögerung beschreibt die E12 allerdings die Verwendung eines Komparators ("comparator 72"), der beim Vergleich eines die Ist-Geschwindigkeit der Rolltreppe beschreibenden Signals VS (vgl. Spalte 4, Zeilen 41 bis 47) und eines die gewünschte Geschwindigkeit im Verlauf der Abbremsung beschreibenden Signals VR (vgl. Spalte 3, Zeilen 14 bis 18 im Zusammenhang mit Figur 4) ein entsprechendes Steuersignal generiert. Mithin ist dort das Merkmal 1.6 hinsichtlich der Ansteuerung eines mit dem Schaltelement der Bremse zusammenwirkenden Treiberelementes verwirklicht.

Die E12 schweigt sich zwar über den Anlass zur Einleitung eines geregelten Abbremsvorganges aus -Merkmal 1.2 fordert hierfür die Detektion einer Funktionsstörung, jedoch wird auch dort bei Auslösung eines Stoppvorganges entsprechend diesem Merkmal die Bremse zunächst schlagartig zum Zeitpunkt t0 zum Einfall gebracht, vgl. hierzu Figur 2 im Zusammenhang mit Spalte 3, Zeilen 22 bis 25 oder auch Figur 3 betreffend einen weiteren in E12 beschriebenen Regelalgorithmus. Denn die nach einem kurzen Zeitraum angreifende Bremse bewirkt eine zunächst starke, ungeregelte Verzögerung ("large initial deceleration") ausgehend von dem Geschwindigkeitsmaximum vor dem Zeitpunkt t1, vgl. Spalte 3, Zeilen 30 bis 34. Während die Geschwindigkeit in diesem Bereich entsprechend dem steilen Abschnitt der Kurve VS um den Zeitpunkt t1 (...im Bereich der Eintragung des Bezugszeichens 61 in Figur 2 oder der Eintragung des Bezugszeichens 61' in Figur 3) aufgrund der vollständig entlasteten, d. h. mit maximaler Anpresskraft anliegenden Bremse übermäßig stark abnimmt, wird die Bremse mit Einsetzen der Regelung ab dem Zeitpunkt t1 derart entlastet, dass eine Verzögerung entlang einer dort vom Regelsystem generierten Verzögerungsrampe VR erfolgt (...in der Figur 2 dargestellt durch den Kurvenzug 77, in der Figur 3 dargestellt durch den Kurvenzug 87, vgl. Spalte 3, Zeilen 18 bis 22, Spalte 5, Zeilen 31 bis 33 und Spalte 6, Zeilen 16 bis 31). Hierdurch wird die Rolltreppe innerhalb eines vorgebbaren Zeitintervalls entsprechend Merkmal 1.4 stillgesetzt. Somit sehen auch die beiden in E12 für die Figuren 2 oder 3 beschriebenen Verfahren -die sich lediglich in der dynamischen Generierung des Sollgeschwindigkeitsverlaufs unterscheiden, was für den Patentgegenstand im beanspruchten Umfang ohne Belang ist -eine definierte Entlastung der Bremse beim Erkennen von Verzögerungswerten entsprechend Merkmal 1.3 vor, weil diese Regelung dort die laufende Erfassung der Geschwindigkeit (vgl. Spalte 4, Zeilen 34 bis 40) für einen Vergleich mit der Sollgeschwindigkeit zu jedem Zeitpunkt während der Abbremsung voraussetzt, wobei die Bremse entsprechend mehr oder weniger entlastet wird.

Damit unterscheidet sich das beanspruchte Verfahren gemäß Anspruch 1 des Hauptantrags von dem aus der E12 bekannten Verfahren nur noch dadurch, dass der Anspruch 1 zusätzlich -auch den Grund für das plötzliche Stillsetzen der Personenförderanlage ("Beiauftretenden Funktionsstörungen") als Teil von Merkmal 1.2 und die Steuerung der Treiberelemente durch einen digitalen Prozessor als Teil von Merkmal 1.6 ausdrücklich nennt, -die Überwachung der Steuersignale des Antriebsmotors und der Bremse mittels mehrerer Prozessoren gemäß Merkmal 1.1 bewerkstelligt und -vorsieht, dass sich bei dem Verfahren die Prozessoren gegenseitig überwachen entsprechend Merkmal 1.5.

In der E12 ist zwar - wie die Patentinhaberin richtig bemerkt hat - trotz des Hinweises auf die mögliche Digitaltechnik (s. o.) im Ausführungsbeispiel nur eine Regeleinrichtung mit analogen Steuerelementen beschrieben. Das hält den zuständigen Fachmann jedoch nicht davon ab, auch den Stand der Technik gemäß der E2 in Betracht zu ziehen, wenn er nach einer Ausgestaltung des Verfahrens gemäß der E12 sucht, die sicherheitstechnisch auch den am Anmeldetag geltenden Normen (s. DIN EN 115 in E6) entspricht. Die E2 zeigt und beschreibt nämlich eine Sicherheitseinrichtung für Rolltreppen und Rollsteige, bei der beim Ansprechen der Sicherheitseinrichtung ein unverzügliches Stillsetzen der Personenförderanlage erfolgt (s. dort Anspruch 8). Als Funktionsstörung, die ein solches Auslösen bewirken soll, ist dort beispielhaft das Überschreiten des 1,2fachen Wertes der Nenngeschwindigkeit genannt (s. dort Spalte 1, Zeilen 15 bis 19). Damit geht der o. g., aus der E12 nicht bekannte Teil von Merkmal 1.2 aus der E2 hervor. Außerdem wird in der E2 vorgeschlagen, gleich mehrere (digitale) Prozessoren zur Steuerung von Rolltreppen insgesamt einschließlich der Ansteuerung des Antriebsmotors und der Sicherheitselemente sowie zur Überwachung der Steuersignale der Rolltreppen vorzusehen (s. insb. Spalte 2, ab Zeile 64 bis Spalte 3, Zeile 7 und Spalte 3, Zeilen 37 bis 43). Daher entnimmt der Fachmann dieser Entgegenhaltung die Anregung, zur Ansteuerung der Bremse in dem aus der E12 bekannten Verfahren ebenfalls Prozessoren zu verwenden und es dadurch gemäß Merkmal 1.1 auszugestalten, was zu der Prozessorsteuerung der Treiberelemente gemäß Merkmal 1.6 führt. Ferner sollen gemäß der E2 Prozessoren für eine bestimmte Funktion mehrfach vorhanden sein und sich gegenseitig überwachen (s. u. a. Ansprüche 1 und 2 in Verbindung mit Spalte 2; Zeilen 26 bis 36). Auch diesen Vorschlag wird der Fachmann wegen der offensichtlichen sicherheitstechnischen Vorteile bei einer Steuerung der Bremse mit übernehmen und damit Merkmal 1.5. verwirklichen.

Somit ergibt sich der Gegenstand des geltenden Anspruchs 1 nach Hauptantrag in nahe liegender Weise aus einer Zusammenschau des Standes der Technik gemäß den Druckschriften E12 und E2. Anspruch 1 gemäß Hauptantrag hat deshalb keinen Bestand.

F1.3) Die übrigen Ansprüche gemäß Hauptantrag fallen mit Anspruch 1.

F2.1) Das gemäß Hilfsantrag 1 beanspruchte Verfahren beruht nicht auf einer erfinderischen Tätigkeit gemäß § 4 PatG.

In den Anspruch 1 gemäß Hilfsantrag 1 ist gegenüber dem erteilten Anspruch 1 (vgl. Hauptantrag) das zusätzliche, dem erteilten Anspruch 5 entnommene Merkmal eingefügt:

1.7 auch bei Ausfall eines Prozessors wird über das bzw. die Trei berelemente ein schlagartiges Einfallen der Bremse herbeigeführt.

Zur Begründung hinsichtlich der Merkmale 1 bis 1.6 wird auf die vorstehenden Ausführungen in Abschnitt F1.2 zu Patentanspruch 1 nach Hauptantrag verwiesen, die in entsprechender Weise gelten.

Bei der in der E2 gemäß Anspruch 1 für die redundante Überwachung unterschiedlicher sicherheitsrelevanter Parameter an Rolltreppen -vgl. Spalte 2, Zeilen 26 bis 36 -vorgeschlagenen Einbeziehung mehrerer Prozessoren soll durch Kreuzvergleich zwischen den Prozessoren -vgl. Spalte 2, Zeile 9 -eine gegenseitige Überwachung gewährleistet sein. Die Folge einer Fehlererkennung bei der gegenseitigen Überwachung, d. h. die Störfallbehandlung ist in E2 zwar nicht ausdrücklich benannt. Jedoch hat der Fachmann bei der Fehlerbetrachtung die für Rolltreppen einschlägigen Sicherheitsvorschriften zu beachten, vgl. hierzu auch den Hinweis in E2, Spalte 1, Zeilen 15 bis 19.

Gemäß der Vorschrift nach Abschnitt 14 in der hierfür relevanten E6 betreffend Sicherheitsregeln für die Konstruktion und den Einbau von Fahrtreppen und Fahrsteigen dürfen Fehler in der elektrischen Anlage, d. h. der Steuerung (vgl. Überschrift Abschnitt 14), ebenso wie eine "Änderung (...) der Funktion in elektrischen Bauelementen" (vgl. Abschnitt 14.1.1.1 / Punkt e) nicht zu einem gefährlichen Betriebszustand der Fahrtreppe führen (vgl. Abschnitt 14.1.1). Für die Funktion einer entsprechenden elektrischen Sicherheitseinrichtung ist bei deren Ansprechen das Einfallen der Betriebsbremse vorgeschrieben, vgl. Abschnitt 14.1.2.4.

Bei Anwendung dieser Vorschrift wird der Fachmann für den Störfall in Form eines Ausfalls eines Prozessors innerhalb einer Sicherheitseinrichtung -der bei gegenseitiger Überwachung gemäß E2 in Form einer abweichenden Funktion dieses Bauelements ("Kreuzvergleich") erfasst wird -in einem Verfahren zur Regelung der Bremse zwangsläufig ein schlagartiges Einfallen der Bremse entsprechend Merkmal 1.7 vorsehen, zumal "keine absichtliche Verzögerung beim Ansprechen des Bremssystems auftreten" darf -vgl. Abschnitt 12.4.1 in E6.

Mithin lag die Weiterbildung des bereits die Merkmale 1 bis 1.6 in nahe liegender Kombination zusammengefasst aufweisenden Verfahrens durch das zusätzliche Merkmal 1.7 nahe.

Anspruch 1 gemäß Hilfsantrag 1 ist daher nicht gewährbar.

F2.2) Die Ansprüche 2 bis 4 fallen mit Anspruch 1.

F3.1) Das gemäß Hilfsantrag 2 beanspruchte Verfahren beruht nicht auf einer erfinderischen Tätigkeit gemäß § 4 PatG.

Anspruch 1 gemäß Hilfsantrag 2 enthält die Merkmale 1 bis 1.6 des erteilten Anspruchs 1 und ist ergänzt um das folgende, dem erteilten Anspruch 3 entnommene Merkmal:

1.8 sämtliche Prozessoren wirken über zugeordnete Relais auf den Antriebsmotor ein und schalten diesen bei Einfallen der Bremse ab.

Zur Begründung hinsichtlich der Merkmale 1 bis 1.6 wird auf die vorstehenden Ausführungen in Abschnitt F1.2 zu Patentanspruch 1 nach Hauptantrag verwiesen, die in entsprechender Weise gelten.

Die E2 lehrt, im Fall einer Störung über die dort in der Sicherheitsschaltung redundant vorgesehenen Prozessoren Kontakte von Sicherheitsrelais zu betätigen, was zum sofortigen Stillsetzen der Rolltreppe führt, vgl. Spalte 3, Zeilen 37 bis 40. Diese Aussage versteht der Fachmann im Lichte der das Fachwissen dokumentierenden E6 bereits im Sinne des Merkmals 1.8: Gemäß Abschnitt 13.1.2.1.1 der E6 ist es eine allgemeine Anforderung an elektrische Sicherheitseinrichtungen für Rolltreppen, bei deren Ansprechen -neben dem Einfallen der Betriebsbremse (s. o. unter C1.4) -auch das unverzügliche Stillsetzen der Antriebsmaschine zu bewirken, indem die Stromzufuhr zu den Schützen oderihren Vorsteuerschützen unterbrochen wird -die so benannten Schütze haben somit die gleiche Funktion wie die Relais in E2 oder im Rahmen des beanspruchten Verfahrens.

In Kenntnis dieser Vorschrift wird der Fachmann bei der Auslegung eines Verfahrens für den Betrieb einer mehrere, die Signale des Antriebsmotors und der Bremse überwachende Prozessoren aufweisenden Schaltung nach dem Vorbild gemäß E2 zwangsläufig ein Abschalten des Antriebsmotors durch sämtliche an der Überwachung beteiligten Prozessoren vorsehen.

Mithin lag die Ausgestaltung des bereits die Merkmale 1 bis 1.6 in nahe liegender Kombination zusammengefasst aufweisenden Verfahrens durch das zusätzliche Merkmal 1.8 nahe. Anspruch 1 gemäß Hilfsantrag 2 ist daher nicht gewährbar.

F3.2) Die Ansprüche 2 bis 4 fallen mit Anspruch 1.

Dr. Ipfelkofer Bayer Dr. Baumgart Dr. Krüger Me






BPatG:
Beschluss v. 25.02.2010
Az: 12 W (pat) 326/05


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