Landgericht Köln:
Urteil vom 23. Juni 2004
Aktenzeichen: 28 O 289/04
(LG Köln: Urteil v. 23.06.2004, Az.: 28 O 289/04)
Tenor
Dem Verfügungsbeklagten wird unter Androhung eines Ordnungsgeldes bis zu 250.000,- EUR und für den Fall, daß dieses nicht beigetrieben werden kann, der Ord-nungshaft oder Ordnungshaft bis zu sechs Monaten für jeden Fall der Zuwiderhand-lung
v e r b o t e n,
wörtlich oder sinngemäß
1. im Hinblick auf die Produkte der Verfügungsklägerin (insbesondere der Marken N, X, T, O und M) den Begriff "Gen-Milch" zu verwenden, insbesondere in Form der nachfolgenden Àußerungen
a) "Gen-Milch, ... oder was€" und/oder
b) "Gen-Milch Skandal bei der N-Partei€" und/oder
c) "Lassen Sie N wissen, daß Gen-Milch bei Ihnen keine Chance hat" und/oder
d) "Alles Gen-Milch bei N- oder was€" und/oder
e) "Fehlen diese verbindlichen Schritte, kann der Verbraucher von N nichts erwarten außer viel heißer Luft und Gen-Milch" und/oder
f) "Zusammen mit Spitzenköchen fordert H von N keine Gen-Milch zu verwenden" und/oder
g) "Stoppt Gen-Milch von N" und/oder
h) "Gen-Milch: Hände weg!";
2. zu behaupten und/oder zu verbreiten, in den Produkten der Verfügungsklägerin (insbesondere der Marken N X, T, Ound M) sei "Gentechnik" enthalten, insbesondere in Form der nachfolgenden Àußerungen
a) "So wird der Anbau von genmanipulierten Pflanzen weiter gefördert und die Gentechnik landet über den Milchreis oder den Joghurt auf dem Teller"und/oder
b) "Die Verbraucher können N jetzt deutlich sagen, daß Gentechnik im Essen nichts zu suchen hat";
3. zu behaupten und/oder zu verbreiten, im Hinblick auf die Verfügungsklägerin gebe es einen Skandal im Hinblick auf den Umgang mit gentech-nisch veränderten Lebens- bzw. Futtermitteln, wie insbesondere durch die nachfolgende Àußerung "Gen-Milch Skandal bei der N-Partei€"
II. die Àffentlichkeit aufzufordern, die Produkte der Verfügungsklägerin nicht zu erwer-ben, solange die Verfügungsklägerin nicht dafür garantiert, keine Milch von Tieren zu verwenden, die mit gentechnisch veränderten Futtermitteln gefüttert werden, insbe-sondere durch unmittelbares "Kennzeichnen" von Produkten der Verfügungsklägerin mit "Warnaufklebern", Banderolen oder sonstigen Hinweisen in Verkaufsstätten und in Form der nachfolgenden Aussagen
1. "Lassen Sie N wissen, daß Gen-Milch bei Ihnen keine Chance hat"
2. "Solange dies nicht garantiert wird, sollte jeder seinen Milchreis besser selber kochen."
3. "Die Verbraucher können N jetzt deutlich sagen, daß Gentechnik im Essen nichts zu suchen hat."
4. "Stoppt Gen-Milch von N"
5. "Gen-Milch: Hände weg!"
III. im Internet oder durch andere Medien einen animierten Zeichentrickfilm zu verbreiten oder verbreiten zu lassen, insbesondere zum Download anzubieten, der inhaltlich an die von der Verfügungsklägerin unter Mitwirkung von C und unter Ein-satz der von der Verfügungsklägerin entwickelten Zeichentrickfigur "Hungermännchen" sowie die sog. "Becher-Girls" betriebene Werbekampagne mit den Schlagworten "N-Partei" oder "Alles N oder was€" anknüpft und diese verunglimpft, insbesondere in Form des auf der Internetseite "www. derzeit verbreiteten Zeichentrickfilms.
Im übrigen wird der Antrag auf Erlaß einer einstweiligen Verfügung zurückgewiesen.
Die Kosten des Rechtsstreits tragen die Verfügungsklägerin zu 14% und der Verfü-gungsbeklagte zu 86%.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Die Verfügungsklägerin kann die Vollstreckung durch den Verfügungsbeklagten durch Sicherheitsleistung in Höhe von 120% des aufgrund des Urteils zu vollstreckenden Betrages abwenden, wenn nicht der Verfügungsbeklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 120% des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.
Tatbestand
Die Verfügungsklägerin ist ein führendes Unternehmen der Milchindustrie, die ihre Produkte vor allem unter den Marken "N", "X", "T" und "M" vertreibt. Der Verfügungsbeklagte ist ein eingetragener Verein, der sich Umwelt- und Tierschutz sowie Verbraucheraufklärung zum Ziel gesetzt hat, und der in der Vergangenheit mehrfach durch spektakuläre Aktionen zur Durchsetzung seiner Ziele aufgefallen ist. Derzeit sieht er eines seiner Hauptziele in der Bekämpfung des Einsatzes der Gentechnik in der Lebensmittelindustrie.
Seit Mitte April 2004 gelten in Deutschland die EU-Verordnungen zur Kennzeichnung, Zulassung und Rückverfolgbarkeit gentechnisch veränderter Lebens- und Futtermittel, VO (EG) 1829/2003 und VO (EG) 1830/2003. Diese Verordnungen sind nicht anwendbar auf tierische Produkte, wie zum Beispiel Milch, Eier oder Fleisch; dies gilt auch dann, wenn diese Produkte von Tieren stammen, die auch mit gentechnisch veränderten Futtermitteln gefüttert worden sind. Die Verfügungsklägerin verwendet in ihren Produkten keine gentechnisch veränderten Zutaten, kann aber nicht dafür garantieren, daß die von ihr verarbeitete Milch nicht von Kühen stamme, die gentechnisch veränderte Futtermittel erhielten.
Seit Dezember 2003 vertreibt der Verfügungsbeklagte einen "Einkaufsratgeber" "Essen ohne Gentechnik". In der ersten Auflage hieß es noch mit Bezug auf die Verfügungsklägerin, "der Milchriese ... will seinen Kunden die Gentechnik unterjubeln". In späteren Auflagen war, nach Korrespondenz zwischen den Parteien, diese Formulierung nicht mehr enthalten.
Der Verfügungsbeklagte geht auf seiner Homepage mit diversen Wortbeiträgen gegen die Verfügungsklägerin vor. Dabei bezeichnet der die Produkte der Verfügungsklägerin wiederholt als "Gen-Milch" und führt aus, in ihnen sei "Gentechnik" enthalten. Mit Bezug auf eine Werbemaßnahme der Verfügungsklägerin, die unter dem Namen "N-Partei" einen Kundenclub organisiert hat, hieß es in einem Beitrag: "Gen-Milch Skandal bei der N-Partei€" Sämtliche, von der Verfügungsklägerin mit ihren Anträgen zu I und II beanstandeten Äußerungen, finden sich auf den Internetseiten des Verfügungsbeklagten. Darüber hinaus organisierte der Verfügungsbeklagte am 30. April 2004 eine Demonstration vor dem Verwaltungsgebäude der Verfügungsklägerin, wobei Plakate mit den entsprechenden Slogans hochgehalten wurden. Am 3. Mai 2004 organisierte der Verfügungsbeklagte eine Aktion auf dem Marienplatz in München. Auch dabei wurden Slogans, die die Verfügungsklägerin betrafen, auf Plakaten und sonst verbreitet.
Der Verfügungsbeklagte rief ferner mehrfach auf, "den Milchreis lieber selber zu kochen" oder "Gen-Milch von N" zu stoppen. Am 15. Mai 2004 haben Aktivisten des Verfügungsbeklagten in 50 Städten in den Supermärkten Produkte der Verfügungsklägerin mit Warenaufklebern mit der Aufschrift "Gen-Milch: Hände weg!" und "Gen-Milch: Igittigitt" gekennzeichnet. Auf seiner Internetseite präsentiert der Verfügungsbeklagte einen Zeichentrickfilm, in dem die Werbung der Verfügungsklägerin für N-Milch aufgenommen, persifliert und mit Texten unterlegt wird, die gegen N-Milch gerichtet sind.
Andere Unternehmen der Milchbranche sind nicht Ziel der Kampagne des Verfügungsbeklagten.
Die Verfügungsklägerin behauptet, daß sich in den tierischen Produkten selbst bei Einsatz gentechnisch veränderter Futtermittel keine Hinweise mehr auf diese wiederfinden. So bleibe die DNA der Milch von Kühen, die gentechnisch verändertes Futter erhalten haben, gegenüber der DNA von Milch von solchen Kühen, die nicht mit solchen Futter gefüttert worden seien, unverändert. Dazu legt sie zwei Berichte vor (Anlagen Ast. 5 und 6), die einmal von der Bundesforschungsanstalt für Ernährung und einmal von der Bundesforschungsanstalt für Landwirtschaft stammen. Die Verfasser beider Stellungnahmen kommen jeweils zu dem Ergebnis, daß eine Veränderung der tierischen Nahrungsmittel durch die Fütterung von gentechnisch veränderten Futtermitteln nicht auftritt bzw. bislang nicht nachgewiesen wurde. 95 Prozent des in der EU hergestellten Mischfutters sei von gentechnisch veränderten Bestandteilen betroffen.
Die Verfügungsklägerin beantragt,
I. Dem Verfügungsbeklagte wird es bei Meidung eines für jeden Fall der Zuwiderhandlung vom Gericht festzusetzenden Ordnungsgeldes bis zu 250.000,00 EUR, ersatzweise Ordnungshaft, letztere zu vollziehen am Vorstand des Verfügungsbeklagten, verboten, wörtlich oder sinngemäß
1. im Hinblick auf die Produkte der Verfügungsklägerin (insbesondere der Marken N, X, T, O und M) den Begriff "Gen-Milch" zu verwenden, insbesondere in Form der nachfolgenden Äußerungen
a) "Gen-Milch, ... oder was€" und/oder
b) "Gen-Milch Skandal bei der N-Partei€" und/oder
c) "Lassen Sie N wissen, daß Gen-Milch bei Ihnen keine Chance hat" und/oder
d) "Alles Gen-Milch bei N - oder was€" und/oder
e) "Fehlen diese verbindlichen Schritte, kann der Verbraucher von N nichts erwarten außer viel heißer Luft und Gen-Milch" und/oder
f) "Zusammen mit Spitzenköchen fordert H von N, keine Gen-Milch zu verwenden" und/oder
g) "Stoppt Gen-Milch von N" und/oder
h) "Gen-Milch: Hände weg!",
2. zu behaupten und/oder zu verbreiten, in den Produkten der Verfügungsklägerin (insbesondere der Marken N, X, T, O und M) sei "Gentechnik" enthalten, insbesondere in Form der nachfolgenden Äußerungen
a) "So wird der Anbau von genmanipulierten Pflanzen weiter gefördert und die Gentechnik landet über den Milchreis oder den Joghurt auf dem Teller" und/oder
b) "Die Verbraucher können N jetzt deutlich sagen, daß Gentechnik im Essen nichts zu suchen hat",
3. zu behaupten und/oder zu verbreiten, im Hinblick auf die Antragstellerin gebe es einen Skandal im Hinblick auf den Umgang mit gentechnisch veränderten Lebens- bzw. Futtermitteln, wie insbesondere durch die nachfolgende Äußerung "Gen-Milch Skandal bei der N-Partei€"
II. Dem Verfügungsbeklagte wird es bei Meidung eines für jeden Fall der Zuwiderhandlung vom Gericht festzusetzenden Ordnungsgeldes bis zu 250.000,00 EUR, ersatzweise Ordnungshaft, letztere zu vollziehen am Vorstand des Verfügungsbeklagten, verboten, die Öffentlichkeit aufzufordern, die Produkte der Verfügungsklägerin nicht zu erwerben, solange die Verfügungsklägerin nicht dafür garantiert, keine Milch von Tieren zu verwenden, die mit gentechnisch veränderten Futtermitteln gefüttert werden, insbesondere durch unmittelbares
"Kennzeichnen" von Produkten der Verfügungsklägerin mit "Warnaufklebern", Banderolen oder sonstigen Hinweisen in Verkaufsstätten und in Form der nachfolgenden Aussagen
1. "Lassen Sie N wissen, daß Gen-Milch bei Ihnen keine Chance hat"
2. "Solange dies nicht garantiert wird, sollte jeder seinen Milchreis besser selber kochen"
3. "Die Verbraucher können N jetzt deutlich sagen, daß Gentechnik im Essen nichts zu suchen hat"
4. "Stoppt Gen-Milch von N"
5. "Gen-Milch: Hände weg!"
III. Dem Verfügungsbeklagte wird es bei Meidung eines für jeden Fall der Zuwiderhandlung vom Gericht festzusetzenden Ordnungsgeldes bis zu 250.000,00 EUR, ersatzweise Ordnungshaft, letztere zu vollziehen am Vorstand des Verfügungsbeklagten, verboten, die Bezeichnung "N1" als Domainnamen und/oder zu benutzen sowie aufgegeben, gegenüber der E. auf die Registrierung des Domainnamens "N1" zu verzichten;
IV. Dem Verfügungsbeklagte wird es bei Meidung eines für jeden Fall der Zuwiderhandlung vom Gericht festzusetzenden Ordnungsgeldes bis zu 250.000,00 EUR, ersatzweise Ordnungshaft, letztere zu vollziehen am Vorstand des Verfügungsbeklagten, verboten, im Internet oder durch andere Medien einen animierten Zeichentrickfilm zu verbreiten oder verbreiten zu lassen, insbesondere zum Download anzubieten, der inhaltlich an die von der Verfügungsklägerin unter Mitwirkung von C und unter Einsatz der von der Verfügungsklägerin entwickelten Zeichentrickfigur "Hungermännchen" sowie der sog. "Becher-Girls" betriebenen Werbekampagne mit den Schlagworten "N-Partei" oder "Alles N, oder was€" anknüpft und diese verunglimpft, insbesondere in Form des auf der Internetseite "www. " derzeit verbreiteten Zeichentrickfilms.
Der Verfügungsbeklagte beantragt,
den Antrag zurückzuweisen.
Der Verfügungsbeklagte behauptet, es sei nicht auszuschließen, daß sich der Einsatz von gentechnisch veränderten Futtermitteln auch auf die Qualität der Milch auswirke. Ihm sei eine Studie bekannt, in der entsprechende Bestandteile in der Milch nachgewiesen worden seien, wobei allerdings unklar sei, wie diese Bestandteile in die Milch gelangt seien. Im übrigen diene seine Kampagne dem Zweck, den Einsatz gentechnisch veränderter Futtermittel zu unterbinden, der sich nachteilig auf die Umwelt auswirke. Der Verbraucher differenziere auch nicht zwischen gentechnisch veränderten Lebensmitteln und solchen, in deren Entstehungsprozeß gentechnisch veränderte Bestandteile eine Rolle gespielt hätten, auch wenn sie im Endprodukt nicht mehr nachweisbar seien.
Gründe
Der Antrag der Verfügungsklägerin auf Erlaß einer einstweiligen Verfügung ist hinsichtlich der Anträge I, II und IV zulässig und begründet.
Die örtliche Zuständigkeit des Landgerichts Köln folgt aus § 32 ZPO. Die Äußerungen bzw. Handlungen, die die Verfügungsklägerin beanstandet, sind - auch - über das Internet abrufbar. In diesem Fall ist eine örtliche Zuständigkeit jedenfalls an den Orten gegeben, an denen sich die Verletzungshandlung bestimmungsgemäß auswirken soll (OLG Bremen, 7. II. 2000 - 2 U 139/99 - OLGR Bremen 2000, 179 ff.) Die Kampagne des Verfügungsbeklagten richtet sich an Verbraucher jedenfalls im gesamten Bundesgebiet, soll sich mithin auch im Bezirk des Landgerichts Köln auswirken.
Die Eilbedürftigkeit ist gegeben. Selbst wenn die Auseinandersetzung zwischen den Parteien bereits mit dem "Einkaufsratgeber" des Verfügungsbeklagten begonnen hat, und in diesem einzelne der beanstandeten Äußerungen enthalten sein sollten, so hat sie durch die Veröffentlichungen des Verfügungsbeklagten auf seinen Internetseiten eine neue Qualität erhalten. Diese Veröffentlichungen setzten mit dem 28. April 2004 ein, mithin einen Monat, bevor der Antrag auf Erlaß einer einstweiligen Verfügung bei Gericht eingegangen ist.
Der Antrag zu I ist begründet. Bei den beanstandeten Äußerungen - dem Ausdruck "Gen-Milch", der Behauptung, in den Produkten der Verfügungsklägerin sei Gentechnik enthalten, und der Frage "Gen-Milch Skandal bei der N-Partei" - handelt es sich
um Tatsachenbehauptungen, die im Rahmen des einstweiligen Verfügungsverfahrens als unwahr anzusehen sind.
Auch Tatsachenbehauptungen sind durch das Grundrecht der Meinungsfreiheit aus Art. 5 Abs. 1 Satz 1 Grundgesetz geschützt, weil und soweit sie die Voraussetzungen der Bildung von Meinungen sind, die Art. 5 Abs. 1 Grundgesetz gewährleistet. Sofern eine Äußerung, in der Tatsachen und Meinungen sich vermengen, durch die Elemente der Stellungnahme, des Dafürhaltens oder Meinens geprägt ist, wird sie als Meinung von dem Grundrecht geschützt. Dies gilt insbesondere dann, wenn eine Trennung der wertenden und der tatsächlichen Gehalte den Sinn der Äußerung aufhöbe und verfälschte (vgl. BGH NJW 1994, 124 unter Verweis auf BVerfG NJW 1992, 1439). Noch klarer präzisiert hat das das Bundesverfassungsgericht in einer jüngeren Entscheidung (AfP 2004,47). Danach werden von dem Grundrecht auf Meinungsfreiheit auch Tatsachen erfaßt, die der Meinungsbildung dienen können. Es würden in diesem Fall von Art. 5 Abs. 1 Grundgesetz grundsätzlich auch unwahre Tatsachenäußerungen geschützt. Unwahre Tatsachenäußerungen fielen erst aus dem Schutzbereich heraus, wenn die Unwahrheit dem Äußernden bekannt sei oder bereits zum Zeitpunkt der Äußerung unzweifelhaft feststehe. Dabei reiche es nicht, daß erst eine spätere Beweisaufnahme die Unrichtigkeit der Äußerung ergebe. Für den Äußernden müsse vielmehr im Zeitpunkt der Äußerung eine zumutbare Möglichkeit bestehen, die Unwahrheit zu erkennen (BVerfG a. a. O.) Verfolgt der Äußernde nicht eigennützige Ziele, sondern dient sein Beitrag den geistigen Meinungskampf in einer die Öffentlichkeit wesentlichen berührenden Frage, dann spricht die Vermutung für die Zulässigkeit der Äußerung (BGH NJW 1994, 124, 126; BVerfG NJW 1999, 2358, 2359).
In Anwendung dieser Maßstäbe ist festzustellen, daß der Ausdruck "Gen-Milch" den tatsächlichen Kern enthält, die Milch, die von Kühen stamme, die gentechnisch verändertes Futter gefressen hätten, weise gegenüber anderer Milch eine andere Zusammensetzung auf. Der von dem Verfügungsbeklagten geäußerten Ansicht, mit "Gen-Milch" werde nur zum Ausdruck gebracht, daß an einer Stelle des Produktionsprozesses gentechnisch veränderte Substanzen zum Einsatz kämen, unabhängig davon, ob sie zu Veränderungen des Ausgangsproduktes führten oder nicht, kann nicht gefolgt werden. Zu berücksichtigen ist bei der Auslegung dieses Begriffes der gesamte Zusammenhang, in dem er von dem Verfügungsbeklagten gebraucht wird. Dieser läßt keine Zweifel daran, daß er von einer nachteiligen Veränderung des Endproduktes Milch selber ausgeht. Äußerungen wie "die Gentechnik landet über den Milchreis oder den Joghurt auf dem Teller" oder "die Verbraucher können N jetzt deutlich sagen, daß Gentechnik im Essen nichts zu suchen hat", lassen nur den Schluß zu, daß der Verfügungsbeklagte von nachteiligen Veränderungen Wirkungen des Produktes Milch selber ("auf dem Teller", "im Essen") ausgeht, und keineswegs damit nur seine Ablehnung des Anbaus gentechnisch veränderter Futtermittel wegen allgemein nachteiliger Auswirkungen auf die Umwelt zum Ausdruck bringen will. Tatsächlich stellt der Verfügungsbeklagte an keiner Stelle klar, daß die Milch als solche keinerlei Veränderungen aufweist.
Die Verfügungsklägerin hat glaubhaft gemacht, daß sich der Einsatz gentechnisch veränderter Futtermittel nicht auf die Milch auswirkt. Sie hat insoweit zwei wissenschaftlich begründete Stellungnahmen vorgelegt; der Verfügungsbeklagte hat insoweit lediglich die eidesstattliche Versicherung eines seiner Mitarbeiter vorgelegt, der eine Stellungnahme gesehen habe, nach der in der Milch mit gentechnisch veränderten Futtermitteln gefütterter Kühe Fragmente der DNA gentechnisch veränderter Pflanzen gefunden worden sei, wobei die Quelle dieser Verunreinigung allerdings unklar sei. Abgesehen davon, daß auch nach dieser Stellungnahme unklar ist, ob sich der Einsatz gentechnisch veränderter Futtermittel tatsächlich direkt auf die Milch auswirkt, hat eine solche "mittelbare" Äußerung gegenüber den von der Verfügungsklägerin vorgelegten Stellungnahmen keinen durchgreifenden Beweiswert. Bei dieser Sachlage hat die Verfügungsklägerin glaubhaft gemacht, daß nach unumstrittener wissenschaftlicher Erkenntnis der Einsatz gentechnisch manipulierter Futtermittel nicht zu Veränderungen der Milch führt. Um diese Einschätzung zu widerlegen, hätte der Verfügungsbeklagte mindestens ebenso fundierte wissenschaftliche Stellungnahmen zu dieser Frage vorlegen müssen. Zu berücksichtigen ist auch, daß bei einer Interessenabwägung hier das Interesse der Verfügungsklägerin überwiegt, daß sie nicht in Verbindung mit dem Vorwurf von Genmanipulation und genveränderter und damit für den Menschen möglicherweise schädlicher Inhalte ihrer Produkte gebracht wird. Denn in diesem Fall ist klar, daß die Verfügungsklägerin sich nicht nur im Rahmen der rechtlichen Vorschriften hält, sondern darüber hinaus der Verbraucher der Produkte der Verfügungsklägerin mit genveränderten Substanzen überhaupt nicht in Berührung kommt. Demgegenüber hat der Verfügungsbeklagte auf ungesicherter tatsächlicher Grundlage eine langfristig angelegte Kampagne gegen die Produkte der Verfügungsklägerin gestartet; er kann sich daher auch nicht mit Erfolg auf den Gesichtspunkt der Wahrnehmung berechtigter Interessen berufen. Insofern ist der Fall nicht mit dem vom Bundesgerichtshof (U. v. 16. VI. 1996 - VI ZR 205/97 - NJW 1998, 3047) entschiedenen Fall zu vergleichen, der die Zulässigkeit einer spontanen Äußerung in einer Fernsehsendung betraf. Dabei hat die Kammer durchaus berücksichtigt, daß es sich um eine die Öffentlichkeit wesentlich berührende Angelegenheit handelt und der Verfügungsbeklagte nicht im eigenen Interesse, sondern in der Sorge um politische, wirtschaftliche oder soziale Belange der Allgemeinheit tätig wird.
Vor diesem Hintergrund ist auch die von den Vertretern des Verfügungsbeklagten in der mündlichen Verhandlung geäußerte Ansicht, irgendwann werde schon eine nachteilige Veränderung gefunden werden, nicht geeignet, seine Äußerungen zu rechtfertigen. Die Kammer hat somit von der tatsächlichen Situation auszugehen, daß der Verfügungsbeklagte Tatsachenbehauptungen aufgestellt hat, die unumstrittener wissenschaftlicher Erkenntnis zuwiderlaufen und damit auch für ihn evident falsch sind. Er kann sich für diese Tatsachenbehauptung nicht auf den Schutz des Artikels 5 Grundgesetz berufen.
Ebenso ist der Antrag zu II begründet. Der Boykottaufruf des Verfügungsbeklagten gegenüber einzelnen Produkten der Verfügungsklägerin ist unzulässig und stellt einen Eingriff in ihr Unternehmen dar. Die Äußerungen des Verfügungsbeklagte stellen einen Boykottaufruf dar; Äußerungen wie beispielsweise "Stoppt Gen-Milch von N!" oder "Gen-Milch: Hände weg!" in Bezug auf Produkte der Verfügungsklägerin können von dem Verbraucher nur so verstanden werden, daß der Verfügungsbeklagte dazu auffordert, auf den Kauf dieser Produkte zu verzichten. Grundsätzlich fallen auch solche Boykottaufrufe in den Schutzbereich des Artikels 5 Abs. 1 Grundgesetz; sie sind aber im Zweifel unzulässig, wenn sie auf unrichtige Fakten gestützt werden (Wenzel, Das Recht der Wort- und Bildberichterstattung, 5. Auflage, Rn. 10, 138). Wie bereits ausgeführt, stellt der Ausdruck "Gen-Milch", der von dem Verfügungsbeklagten auch in diesem Zusammenhang benutzt wird, eine unrichtige Tatsachenbehauptung dar. Die Interessen der Verfügungsklägerin, die nicht in den Ruf gebracht werden will, potentiell schädliche Lebensmittel zu verkaufen, überwiegen bei dieser Sachlage gegenüber denen des Verfügungsbeklagten.
Schließlich ist auch der Antrag zu IV, mit dem die Verfügungsklägerin die Unterlassung der satirischen Verfremdung ihrer Werbemaßnahmen begehrt, begründet. Auch in dem von der Verfügungsklägerin beanstandeten Zeichentrickfilm ist wieder die Behauptung enthalten, die Produkte der Verfügungsklägerin seien gentechnisch verändert. Anders als in dem vom Bundesgerichtshof entschiedenen Fall zur satirischen Verfremdung von Zigarettenwerbung (U. v. 17. IV. 1984 - VI ZR 246/82 - BGHZ 91, 117 ff.) steht hier die Schädlichkeit der Produkte, "gegen" die geworben werden soll, gerade nicht fest. Dadurch, daß der Verfügungsbeklagte ohne sachlichen Grund unwahre Tatsachenbehauptungen über die Produkte - nur - der Verfügungsklägerin in Umlauf setzt, greift er ihr Unternehmen in diskriminierender und diffamierender Weise an. Solche Äußerungen sind auch nach der zitierten Rechtsprechung des BGH nicht vom Grundrecht der Meinungsfreiheit gedeckt (BGH a. a. O. unter II a aa der Gründe).
Zurückzuweisen war dagegen der Antrag zu III. Soweit die Verfügungsklägerin mit diesem Antrag begehrt, dem Verfügungsbeklagten aufzugeben, die Domäne "N1" gegenüber der E freizugeben, ist der Antrag bereits unzulässig, da mit ihm die Entscheidung in der Hauptsache vorweggenommen würde. Im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes können nur vorläufige Regelungen getroffen werden. Zulässig ist allein der Antrag, die Domäne nicht weiter zu nutzen, nicht aber, sie gegenüber der E freizugeben.
Soweit der Antrag zulässig ist, ist er allerdings unbegründet. Die Verfügungsklägerin kann dem Verfügungsbeklagte nicht schlechthin jede Nutzung der Domäne "N1" untersagen; in dem Gebrauch dieser Bezeichnung allein liegt keine Verletzung der Rechte der Verfügungsklägerin. Markenrechte der Verfügungsklägerin (§§ 14, 15 MarkenG) werden schon deshalb nicht verletzt, weil der Verfügungsbeklagte die Bezeichnung nicht im Geschäftsverkehr einsetzt; er benutzt sie ausschließlich, um auf seine Stellungnahmen zu den Produkten der Verfügungsklägerin aufmerksam zu machen.
Der Verfügungsklägerin stehen auch keine namensrechtlichen Ansprüche gemäß § 12 BGB zu. Der Namensschutz nach § 12 BGB schützt nur gegen die Identitätsverwirrung durch unbefugten Namensgebrauch. Es bedarf keiner Entscheidung, ob in der Verwendung der Bezeichnung "N1" überhaupt der Name der Verfügungsklägerin unbefugt gebraucht wird, da es sich nur um die Zusammensetzung zweier gebräuchlicher Ausdrücke ("N2 " und "N3 ") handelt. Selbst wenn dies so wäre, würde dadurch das Identitätsinteresse der Verfügungsklägerin nicht angetastet. Die Verfügungsbeklagte benutzt die Bezeichnung gerade als Hinweis auf die Marktgeltung der Produkte der Verfügungsklägerin, um dadurch eine "Gegenhaltung" zu diesen Produkten zu erzeugen. Ein solcher Gebrauch ist nicht durch § 12 BGB untersagt (BGH, U. v. 17. IV. 1984 - VI ZR 246/82 "Mordoro" - BGHZ 91, 117). Hierin unterscheidet sich der Fall gerade von den von der Rechtsprechung bereits entschiedenen, in denen bekannte Namen verballhornt wurden; denn dort war die Annahme zumindest möglich, daß eine Verbindung zwischen dem Träger des Namens und dem durch die verfremdete Bezeichnung gekennzeichneten Produkt bestand (BGH, 10. II. 1994 - I ZR 79/92 "Nivea" - BGHZ 125, 91 ff.; BGH, 19. X. 1994 - I ZR 130/92 "Mars" - GRUR 1995, 57 ff.) Dies ist im vorliegenden Fall ausgeschlossen.
Die nach dem Schluß der mündlichen Verhandlung eingegangenen Schriftsätze der Parteien vom 17. VI. 2004 geben keinen Anlaß zu einer abweichenden Beurteilung (§ 296a ZPO). Dies gilt auch für den Schriftsatz des Verfügungsbeklagten vom 21. VI. 2004. Soweit der Verfügungsbeklagte mit diesem Schriftsatz nunmehr einen Untersuchungsbericht des Forschungszentrums X vom 20. Oktober 2000 vorlegt, so ergeben sich aus diesem Bericht keine neuen Tatsachen: Vielmehr wird dort ausdrücklich offengelassen, wie die festgestellten vereinzelten Fragmente in die Milch gelangt seien. Abschließend heißt es in dem Bericht, die sehr geringe Menge der nachgewiesenen Fremd-DNA habe "...nur analytische, aber keinerlei biologische Relevanz". Ein solches Ergebnis ist nicht geeignet, die Zulässigkeit der Kampagne des Verfügungsbeklagten zu begründen.
Die prozessualen Nebenentscheidungen beruhen auf §§ 92 Abs. 1, § 708 Nr. 6, 711 ZPO.
Streitwert:
Antrag zu I 1 25.000,- EUR
zu I 2 25.000, - EUR
zu I 3 25.000,- EUR
zu II 50.000,- EUR
zu III 25.000,- EUR
zu IV 25.000,- EUR
175.000,- EUR
LG Köln:
Urteil v. 23.06.2004
Az: 28 O 289/04
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