Oberlandesgericht Hamm:
Urteil vom 14. Juli 2011
Aktenzeichen: I-4 U 42/11
(OLG Hamm: Urteil v. 14.07.2011, Az.: I-4 U 42/11)
Tenor
Die Berufung der Klägerin gegen das am 06. Januar 2011 verkündete Ur-teil der II. Kammer für Handelssachen des Landgerichts Dortmund wird zurückgewiesen.
Die Klägerin trägt die Kosten der Berufung.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
Der Klägerin bleibt nachgelassen, die Zwangsvollstreckung der Beklagten durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110% des jeweils beizutreibenden Betrages abzuwenden, wenn nicht die Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leistet.
Gründe
I.
Die Klägerin verteilt gewerblich Prospektwerbung von Unternehmen an Haushalte im Münsterland und auch in Hamm. Die Beklagte vertreibt in Hamm, Ahlen, Beckum und Soest zweimal wöchentlich erscheinende kostenlose Anzeigenblätter mit einem redaktionellen Teil. Die Anzeigenblätter werden zusammen mit lose eingelegten Werbeprospekten an die Haushalte verteilt. Die Verteilung erfolgt auch in Briefkästen, an denen sich Aufkleber mit dem Hinweis darauf befinden, dass Prospektwerbung unerwünscht sei.
Die Beklagte verteilte außerdem vor einiger Zeit an Haushalte Aufkleber mit dem Aufdruck "Stadt-Anzeiger + Wochenblatt ja - Werbung NEIN" (vgl. Bl.11).
Die Klägerin sah in diesen Vorgehensweisen einen Wettbewerbsverstoß. Sie ließ die Beklagte mit Anwaltsschreiben vom 19. August 2010 (Bl.19 ff.) erfolglos abmahnen. Mit der Klage hat sie Unterlassung der Verteilung der Anzeigenblätter zusammen mit losen Werbeprospekten in Briefkästen mit Sperrvermerk betreffend den Einwurf von Werbeprospekten, Unterlassung der Verteilung des oben beschriebenen Aufklebers und die Erstattung von Anwaltskosten für die Abmahnung in Höhe von 900,-- € begehrt.
Sie hat gemeint, mit der Verteilung der Werbeprospekte als Beilage zu dem Gratisblatt werde das vom Verbraucher ausgesprochene Verbot des Einwurfs solcher Prospekte in dessen Briefkasten umgangen. Da die Beilagen gegenüber den eigentlichen Anzeigenblättern mit ihrem redaktionellen Teil ein erhebliches Übergewicht hätten, dienten die Anzeigenblätter quasi nur als eine Art von Umschlag für die Werbeprospekte, um den Sperrvermerk umgehen zu können. Die Briefkasteninhaber hätten durch die entsprechenden Aufkleber den Sperrvermerk bereits ausreichend und dauerhaft bekundet. Sie müssten ihn nicht für solche Eventualitäten noch einmal gesondert dokumentieren. Über den Sperrvermerk setze sich die Beklagte einfach hinweg und verschaffe sich durch die darin zu sehende unzulässige Belästigung der Verbraucher einen erheblichen Wettbewerbsvorteil. Das könne sie, die Klägerin, als Mitbewerberin um so weniger hinnehmen, als die Beklagte bei ihren gemeinsamen Auftraggebern den falschen Eindruck erwecke, sie habe ein Konzept gefunden, um das ansonsten unbedingt zu beachtende Werbeverbot in zulässiger Weise umgehen zu können. Die Beklagte könne sich auch nicht mit Abonnements-Zeitungen vergleichen, in denen zulässigerweise auch Werbeprospekte als Beilage enthalten seien. Ein Zeitungsabonnent könne aufgrund des Vertragsverhältnisses in seinem Sinne auf die Verlage einwirken oder zumindest das Abonnement kündigen. Eine solche Möglichkeit besitze der Briefkasteninhaber bei der Zustellung der kostenlosen Anzeigenblätter dagegen nicht. Selbst wenn also die Anzeigenblätter als solche möglicherweise in einen gesperrten Briefkasten eingeworfen werden dürften, müssten jedenfalls die losen Werbeprospekte vorher entfernt werden, was ohne Weiteres möglich und zumutbar sei.
Durch die Verteilung des Aufklebers verschaffe sich die Beklagte eine Möglichkeit, die von ihr ersonnene Umgehung des Sperrvermerks zu besiegeln. Außerdem versuche sie auf diese Weise aktiv, Prospektverteilungsgesellschaften wie sie, die Klägerin, durch die angesprochene Differenzierung des Sperrvermerks vom Markt zu drängen. In diesem schwerwiegenden Eingriff in den Markt sei eine gezielte Behinderung im Sinne des § 4 Nr. 10 UWG zu sehen.
Die Beklagte hat sich gegen die Klage verteidigt. Sie hat behauptet, ihre Anzeigenblätter und die darin befindlichen losen Werbebeilagen seien ein einheitliches Produkt und würden auch vom Empfänger als ein solches verstanden. Der Empfänger könne entscheiden, ob er den Einwurf der Blätter ganz oder gar nicht wünsche. Entweder nehme er wegen des redaktionellen, ihn insbesondere über die örtlichen Gegebenheiten ausführlich informierenden Teils die erkennbar zur Finanzierung dienenden Anzeigen und Beilagen in Kauf oder er sperre sich wegen der unerwünschten Werbung gegen die Zustellung des Anzeigenblattes insgesamt. Dafür brauche er nur den Sperrvermerk entsprechend deutlich zu formulieren. Die allgemeine Erklärung, dass der Einwurf von Prospektwerbung unerwünscht sei, beziehe sich auch dann nicht auf ein Anzeigenblatt, wenn es eingelegte Werbebeilagen enthalte. Dem entspreche es auch, dass sie in den vielen Jahren, in denen sie ihre entsprechend gestalteten Anzeigenblätter in Briefkästen mit einem allgemeinen Sperrvermerk in Bezug auf Werbung einwerfe, nur eine einzige Beschwerde eines empörten Empfängers erhalten habe, der sie jetzt auch gerichtlich auf Unterlassung in Anspruch nehme.
Die Beklagte hat behauptet, den beanstandeten Aufkleber bereits seit vielen Jahren nicht mehr verteilt zu haben. Sie hat sich im Hinblick auf diesen angeblichen Wettbewerbsverstoß auf Verjährung berufen. Wenn sich immer noch das eine oder andere der früher verteilten Exemplare auf Briefkästen befände, könne sie darauf nicht einwirken. Die damalige Verteilung sei aber auch nicht wettbewerbswidrig gewesen. Dem Empfänger werde durch den Aufkleber nur die eigene freie Entscheidung ermöglicht, dass er grundsätzlich zwar keine Werbung aber doch ihre Anzeigeblätter erhalten wolle.
Das Landgericht hat die Klage abgewiesen. Zur Begründung hat es ausgeführt, dass das Einlegen von Anzeigenblättern mit losen Werbeprospekten in Briefkästen von Verbrauchern, die mit einem Sperrvermerk im Hinblick auf den Einwurf von Werbeprospekten versehen seien, keinen Wettbewerbsverstoß im Sinne des § 7 Abs. 2 Nr. 1 Abs. 1 UWG darstelle. Briefkastenwerbung sei grundsätzlich zulässig, solange kein entgegenstehender Wille des Briefkasteninhabers zum Ausdruck gebracht werde. Da das Verständnis des Begriffs "Werbung" unterschiedlich sein könne, sei es Sache des den Sperrvermerk erklärenden Verbrauchers, seinen entgegen stehenden Willen eindeutig zu formulieren. Insbesondere besage ein Sperrvermerk, der nur den Einwurf von Werbeprospekten betreffe, nicht zugleich, dass auch der Einwurf von Gratisblättern mit redaktionellem Teil unerwünscht sei. Da allgemein bekannt sei, dass kostenlose Blätter solcher Art ausschließlich über die Werbung mit Anzeigen oder mit entsprechenden Beilagen finanziert werden, müsse der am Erwerb des kostenlosen Anzeigenblattes interessierte Briefkasteninhaber entscheiden, ob er des Produkts wegen Werbung hinnehmen oder auf den Erhalt des Produkts ganz verzichten wolle. Diese Wahl könne auch durch die einfache Erklärung, dass auch die Verteilung des Anzeigenblattes nicht gewünscht werde, getroffen werden. Durch das Verhalten der Beklagten in Bezug auf die Verteilung der losen Werbebeilagen könnten sich zwar Wettbewerbsnachteile für das Dienstleistungsangebot der Klägerin ergeben. Das sei aber Folge zulässigen Wettbewerbs und stelle keine unzulässige Marktverdrängung im Sinne von § 4 Nr. 10 UWG dar.
Eine gezielte Behinderung im Sinne dieser Vorschrift sei auch nicht in der Verteilung des von der Klägerin beanstandeten Aufklebers zu sehen. Abfangen und Abwerben von Kunden sei im Sinne des § 4 Nr. 10 UWG nur unlauter, wenn der Kunde unzumutbar belästigt oder unangemessen unsachlich beeinflusst werde. Das sei hier aber nicht der Fall. Mit der Verteilung des Aufklebers leiste die Beklagte dem Verbraucher nur eine Entscheidungshilfe, auch wenn sich die Entscheidung gegen die Klägerin richten könnte. Ob der Verbraucher von dem Hilfsangebot Gebrauch mache, sei seine freie Entscheidung. Für eine unlautere Einwirkung auf den Kunden liege kein Anhaltspunkt vor. Da die Abmahnung mangels Wettbewerbsverstoßes unberechtigt gewesen sei, könnten im Hinblick auf diese auch keine Kosten erstattet verlangt werden.
Die Klägerin greift das Urteil mit der Berufung an. Sie hält das beanstandete Verhalten nach wie vor für wettbewerbswidrig und meint, das Landgericht habe das besondere Problem dieses Falles nicht erkannt. Es gehe nämlich überhaupt nicht um die Frage, ob ein Anzeigenblatt wegen der darin enthaltenen Werbeanzeigen als unerwünschte Werbung einzustufen sei, sondern um die Frage, ob die Übermittlung loser Werbebeilagen zusammen mit einem Gratisblatt gegen den unbedingt zu beachtenden Willen des betroffenen Verbrauchers unzulässig sei. Im Rahmen der Beantwortung der entscheidenden Frage habe das Landgericht angenommen, der Verbraucher, der einen Sperrvermerk mit dem Wortlaut "Keine Werbung" angebracht habe, müsse trotz dieser deutlichen Willensbekundung noch zusätzlich deutlich machen, dass er auch einen in ein Anzeigenblatt eingelegten Werbeprospekt nicht wünsche. Wieso der Verbraucher aber ungeachtet des im europäischen Recht geltenden besonderen Verbraucherschutzes das Risiko dafür tragen sollte, dass seine allgemein gehaltene Formulierung in dieser Zweifelsfrage nicht für ausreichend gehalten werden könnte, sei nicht erkennbar. Das schützenswerte Interesse des Verbrauchers, keine unerwünschte Werbung zu erhalten, müsse höher eingeschätzt werden als das wirtschaftliche Interesse der Verleger der Anzeigenblätter, mit diesen zusätzlich lose Werbeprospekte zu verteilen. In diesem Rahmen sei es den Verlegern von Anzeigenblättern im Hinblick auf die im Verhältnis geringe Zahl von Werbeverweigerern insbesondere auch möglich und zumutbar, die losen Werbeprospekte aus den Anzeigenblättern entnehmen zu lassen. Aus den schon erstinstanzlich vorgetragenen Gründen könnten sich die Anzeigenblätter im Hinblick auf solche Werbebeilagen auch nicht mit Abonnementszeitungen vergleichen.
Die Klägerin meint, im Hinblick auf den Klageantrag zu I. 2 habe das Landgericht sich nicht ausreichend mit der Frage der unzulässigen Marktverdrängung auseinander gesetzt. Es gehe dabei um die Verteilung eines Aufklebers, der "JA" zum eigenen Produkt und "NEIN" zu den Produkten der Wettbewerber sage. Da der Aufkleber gratis verteilt werde und der Verbraucher sich keine Gedanken über die dortige Aussage mache, erkenne er nicht, dass er zugleich mit dem im Vordergrund stehenden Sperrvermerk "Werbung NEIN" die Verteilung von losen Werbeprospekten in Anzeigenblättern in seinen Briefkasten ermögliche. Dass es bei den Aufklebern nicht um eine echte Entscheidungshilfe für die Verbraucher gehe, mache schon deren optische Gestaltung deutlich. Das "ja" zum Stadtanzeiger und Wochenblatt werde untergeordnet, quasi als nur als Rahmen für das Werbeverbot dargestellt. Der Sperrvermerk entfalte ein solches Übergewicht, dass es dem Verbraucher mit der Verwendung eines solchen Aufklebers allein darum gehe, dem Einwurf von Werbung in seinen Briefkasten zu widersprechen. Die Konsequenz, dass Prospektwerbung in den Anzeigenblättern zugleich ausdrücklich erlaubt werde, mache er sich nicht deutlich. Die Beklagte habe die Aufkleber in der Erkenntnis verteilt, dass sich bei drohenden Sperrvermerken durch eine solche Aufforderung zum Einwurf der Anzeigenblätter die sichere Möglichkeit biete, "legal" weiterhin lose Werbeprospekte in die Briefkästen einlegen zu können. Sie sei mit dieser erweiterten Möglichkeit, Werbung auch in Briefkästen mit Sperrvermerk zu platzieren, auch an Kunden der Klägerin herangetreten, um diese für sich zu gewinnen. Aus dieser Sicht habe gerade die Verteilung der Aufkleber einen marktverdrängenden Charakter. Sie gehe zu Lasten der Verbraucher, die eigentlich keine losen Werbeprospekte in ihren Haushalten wünschten.
Erstmals behauptet die Klägerin, dass die Beklagte bei der damaligen Verteilung der Aufkleber einen X unter den Empfängern der Aufkleber ausgelost habe, die die Aufkleber an ihrem Briefkasten angebracht hätten. Das sei ihren Geschäftsführern erst zwischenzeitlich zu Ohren gekommen.
Die Klägerin beantragt, das angefochtene Urteil abzuändern und die Beklagte zu verurteilen,
I. es bei Meidung der gesetzlichen Ordnungsmittel zu unterlassen,
im geschäftlichen Verkehr zu Zwecken des Wettbewerbs kostenlose
Anzeigenblätter zusammen mit losen Werbeprospekten in die Briefkästen
von Verbrauchern einzulegen und/oder einlegen zu lassen, die mit einem,
dem Einwurf von Werbeprospekten widersprechenden Sperrvermerk
versehen sind,
2) im geschäftlichen Verkehr zu Zwecken des Wettbewerbs Aufkleber in
in Verkehr zu bringen, bzw. an Haushalte von Verbrauchern zu verteilen
und/oder verteilen zu lassen, die die Aussage
"Stadt-Anzeiger + Wochenblatt ja
WERBUNG NEIN"
beinhalten.
II. der Klägerin die im vorliegenden Verfahren nicht erstattungsfähigen Kosten der
Abmahnung durch Rechtsanwalt Y zu ersetzen, mithin an die
Klägerin 900.00 € zu zahlen.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie verteidigt mit näheren Ausführungen das angefochtene Urteil.
Vorsorglich bestreitet sie, dass die Anbringung des Aufklebers durch ein Gewinnspiel gefördert worden sein soll.
II.
Die Berufung ist unbegründet, weil der Klägerin weder der geltend gemachte Unterlassungsanspruch zusteht noch der zusätzlich verfolgte Zahlungsanspruch.
1) Der Unterlassungsantrag zu I. 1 ist bestimmt genug im Sinne des § 253 Abs. 2 Nr. 2 ZPO. Es wird schon im Antrag klargestellt, dass es nicht um die Einlegung der Anzeigenblätter als solche in Briefkästen der Verbraucher geht, auf denen darauf hingewiesen wird, dass Werbung unerwünscht sei, sondern um die Einlegung von kostenlosen Anzeigenblättern zusammen mit losen Werbeprospekten in solche gesperrten Briefkästen.
2) Ein Unterlassungsanspruch im Hinblick auf die Einlegung von Anzeigenblättern mit losen Werbebeilagen in gesperrte Briefkästen steht der Klägerin nach §§ 8 Abs. 1, Abs. 3 Nr. 1, 7 Abs. 2 Nr. 1 UWG wegen einer unzumutbaren Belästigung von Verbrauchern durch die Beklagte nicht zu. Diese hat gegenüber Verbrauchern nämlich nicht hartnäckig Briefkastenwerbung betrieben, die diese erkennbar nicht wünschten.
a) Die sich aus § 8 Abs. 3 Nr. 1 UWG ergebende Klagebefugnis der Klägerin steht außer Frage, da es sich bei der Klägerin und der Beklagten um unmittelbare Wettbewerber bei der Verteilung von Werbeprospekten bestimmter Unternehmen, sei es in unmittelbarer Form, sei es in Verbindung mit der Verteilung kostenloser Anzeigenblätter handelt.
b) In der Verteilung der Anzeigenblätter mit den losen Werbeprospekten ist auch eine Wettbewerbshandlung zu sehen.
c) Die von der Beklagten unstreitig wiederholt und damit hartnäckig erfolgte Einlegung der Anzeigenblätter zusammen mit den losen Werbeprospekten entsprechend der Anlage B 2 auch in Briefkästen von Verbrauchern, die mit einem dem Einwurf von Werbeprospekten widersprechenden Sperrvermerk versehen sind, ist hier nichterkennbar unerwünscht. Der hier streitgegenständliche Sperrvermerk macht zwar erkennbar, dass der betroffene Verbraucher nicht wünscht, dass in den betreffenden Briefkasten Werbeprospekte eingeworfen werden. Der Einwurf von Werbeprospekten etwa durch die Klägerin würde somit eine unzulässige Belästigung der widersprechenden Verbraucher darstellen. Ob ein solcher Sperrvermerk aber auch für den Einwurf von kostenlosen Anzeigenblättern gilt und somit in jedem Fall zu beachten wäre, hängt von der Auslegung der durch den Verbraucher abgegebenen Erklärung ab (vgl. Köhler/Bornkamm, UWG, 29. Auflage, § 7 Rdn. 109). Die auf Werbeprospekte bezogene ablehnende Willensbekundung ist dabei nicht so auszulegen, dass den betreffenden Verbrauchern auch Anzeigenblätter mit redaktionellem Teil als solche unerwünscht wären (OLG Stuttgart NJW-RR 1994, 502). Der Begriff "Werbung" hat aus der maßgeblichen Sicht des Durchschnittsverbrauchers keinen eindeutigen Erklärungsinhalt und lässt somit für den Verleger eines Anzeigenblattes nicht sicher erkennen, ob derjenige, der keine Werbeprospekte im Briefkasten haben will, auch den Einwurf von Anzeigenblättern ausschließen will oder nicht (vgl. Harte / Henning / Ubber, UWG, 2. Auflage, § 7 Rdn. 74). Erfasst von dem Sperrvermerk ist im Übrigen auch nicht die Zeitungsbeilagenwerbung, die regelmäßig mit dem Bezug von abonnierten Zeitungen und Zeitschriften verbunden ist. Denn der Abonnent bezieht die Zeitung in der Form und in dem Umfang, in dem sie der Verleger vertreibt, also auch mit den überwiegend sogar auf der ersten Seite der Zeitung vermerkten Werbebeilagen. Wenn das der Bezieher der Zeitung nicht hinnehmen will, hat er die Möglichkeit, mit dem Verleger eine vertragliche Sondervereinbarung zu treffen oder das Abonnement zu beenden (vgl. Köhler/Bornkamm, a.a.O. § 7 Rdn. 110). Es kommt deshalb darauf an, ob sich an der Auslegung der Erklärung des Verbrauchers als Briefkasteninhaber für den Fall etwas ändert, dass nicht nur das Anzeigenblatt, das aus dem redaktionellen Teil und der abgedruckten Werbung im Blatt besteht, eingeworfen wird, sondern auch diesem beigefügte lose Werbebeilagen beigefügt werden, wie sie bei der Lieferung der abonnierten Zeitungen üblich sind.
d) Die Klägerin versteht die Erklärung der allgemeinen Werbeverweigerer in diesem Zusammenhang so, dass sie sich auch auf Werbeprospekte bezieht, die lose in ein solches Anzeigenblatt eingelegt worden sind. Den Verlegern des Anzeigenblattes sei es infolge dieses hinreichend erklärten entgegen stehenden Willens zumutbar, die Gratiszeitung ohne die lose Beilagenwerbung in die gesperrten Briefkästen zu legen. Der mit dem auf Werbebroschüren beschränkten Sperrvermerk erklärte Willen der entsprechenden Briefkasteninhaber ist aber anders auszulegen. Bei der Auslegung muss grundsätzlich zwischen der reinen Briefkastenwerbung und der Lieferung einer Gratiszeitung mit redaktionellem Inhalt und losen Werbebeilagen unterschieden werden. Während der Einwurf eines Werbeprospekts nach der insoweit eindeutigen Erklärung des Verbrauchers immer unerwünscht ist, ist bei einem kostenlos gelieferten Anzeigenblatt auf das anders gelagerte Interesse des angemessen gut informierten und angemessen aufmerksamen und kritischen Durchschnittsverbrauchers abzustellen (vgl. Köhler/Bornkamm, a.a.O. § 7 Rdn. 21 für den Durchschnittsmarktteilnehmer). Die redaktionellen Inhalte, die politischen und kulturellen Nachrichten, die im vorliegenden Fall beispielsweise beim stadt.anzeiger für Ahlen verhältnismäßig umfangreich ausfallen, können den Verbraucher erwartungsgemäß auch dann interessieren, wenn er sich nicht für Werbung interessiert und deshalb mit Werbeprospekten nicht behelligt werden will. Er sieht in dem redaktionellen Teil des Anzeigenblattes etwas Eigenständiges gegenüber der ihm gleichfalls übermittelten Werbung (vgl. OLG Stuttgart AfP 1994, 226 = Bl. 79). Das gilt umso mehr, als diese redaktionellen Inhalte insbesondere auch auf örtliche Gegebenheiten bezogen sind, die wie allgemeine Termine, Veranstaltungen und Feste für ihn von besonderem Interesse sind. Bekanntermaßen hat sich die Zeitungslandschaft mittlerweile auch so verändert, dass das kostenlose lokale Anzeigenblatt oft die einzige Zeitung ist, über die manche Verbraucher verfügen. Diese am Bezug des Anzeigenblattes interessierten Leser wissen, dass solche Zeitungen nur kostenlos bezogen werden können, weil sich die Verlage über Werbung finanzieren. Sie sind es gewohnt, dass lose Werbung einer Tageszeitung oder Wochenzeitung beiliegt. Sie wissen, dass sie mehr für solche Druckwerke zahlen müssten, wenn die Werbung entfiele. Um die Gratiszeitung weiter zu erhalten, nehmen sie deshalb auch eine ungeliebte Werbung in Kauf. Es ist auch nichts dafür erkennbar, dass die hier interessierenden durchschnittlichen Verbraucher zwischen der im Blatt selbst enthaltenen Anzeigenwerbung und der zusätzlichen Werbung in losen Beilagen in der Weise unterscheiden, dass sie die eine Art der Werbung noch hinnehmen wollen, die andere Art der Werbung aber nicht mehr. Die Verbraucher sehen das Anzeigenblatt vielmehr als ein Gesamtprodukt an, das auch durch die losen Werbeeinlagen keinen anderen Charakter bekommt. Ein Aussortieren von Werbeeinlagen aus Zeitungen ist nicht tägliche Praxis, sondern völlig unüblich. Den Verbrauchern ist nicht bekannt, dass der Zusteller jemals eine lose Werbung aus der Gratiszeitung entfernt hat. Die entsprechenden Zeitungsleser wissen vielmehr, dass die Aussortierung der losen Werbung die Verleger der Anzeigenblätter besonders belasten würde. Sie wissen, dass der Verlag den Wünschen seiner Werbekunden Rechnung tragen muss. Der Verlag kann nicht entscheiden, ob die Werbung als Anzeigenwerbung oder als lose Werbebeilage erscheinen soll. Die kostenlose Zustellung der Zeitungen wird erkennbar erschwert, wenn ein maßgeblicher Werbeanteil die Werbekunden nicht erreicht. Wenn die Verbreitung der Werbung verkleinert wird, wird von der Werbewirtschaft weniger an die Anzeigenblätter gezahlt. Das geht zu Lasten des redaktionellen Teils. Wird zu wenig gezahlt, kann der Verlag das kostenlose Blatt irgendwann gar nicht mehr herstellen und vertreiben. Auch wenn sie sie teilweise als belästigend empfinden mögen, nehmen die Zeitungsbezieher deshalb gerade auch diese doppelte Art der Werbefinanzierung der Gratiszeitung in Kauf, um die sie interessierende redaktionelle Berichterstattung weiter zu ermöglichen. Dafür spricht auch, dass es keine Flut von Beschwerden darüber gibt, dass lose Werbeprospekte immer wieder auch in die Briefkästen mit allgemeinem Sperrvermerk eingeworfen werden. Wenn sich die Marktteilnehmer wegen einer besonders kritischen Einstellung durch das mögliche Übermaß der Werbung ungeachtet der kostenlosen Informationen zu stark gestört fühlen sollten, ist es ihnen wegen der ihnen bekannten wirtschaftlichen Hintergründe zuzumuten, deutlich zu machen, dass sie nicht nur keine Werbeprospekte, sondern auch keine Gratiszeitung mit solchen Werbeprospekten zu erhalten wünschen. Das ist durch einen insoweit eindeutigen Aufkleber, der überall zu erstehen ist und auch im Internet abgerufen werden kann, ebenso gut möglich wie durch ein Schreiben an die Redaktion des Anzeigenblattes, worauf auch die Verbraucherzentrale eindeutig hinweist (Bl.75). Dadurch werden die durch die Werbung gestörten Verbraucher in jedem Fall weniger stark betroffen als es bei den besonders am redaktionellen Teil der Zeitung interessierten Verbrauchern der Fall wäre, wenn sie wegen des allgemein gegen Werbung gerichteten Sperrvermerks entgegen ihrer Erwartung nur wegen der losen Werbeeinlagen auch das Gratisblatt nicht mehr erhalten würden. Die Auslegung des Verbraucherwillens führt somit zu dem Ergebnis, dass die Beklagte als Verlegerin ohne eine anderslautende eindeutige Mitteilung der Briefkasteninhaber davon ausgehen durfte und darf, dass sie ihre kostenlosen Anzeigenblätter auch mit losen Werbebeilagen in gesperrte Briefkästen einlegen lassen darf.
3) Die Klägerin hat auch keinen Anspruch aus §§ 8, 3, 4 Nr. 10 UWG gegen die Beklagte, weil kein Fall der gezielten Behinderung eines Mitbewerbers durch diese vorliegt.
a) Es reicht insoweit nicht jede Art von Behinderung aus, die der Wettbewerb nahezu zwangsläufig mit sich bringt. Die entsprechende Behinderung des Mitbewerbers muss vielmehr gezielt sein, sich also in erster Linie nicht auf die Förderung des eigenen Wettbewerbs, sondern auf die Beeinträchtigung der fremden wirtschaftlichen Entfaltung richten. Daran fehlt es hier schon, wenn es um die Verteilung der Aufkleber durch die Beklagte geht. Die Beklagte wollte mit der unstreitig längst abgeschlossenen Marketingaktion in Form der Verteilung der Aufkleber zwar ihre wirtschaftliche Position erheblich verbessern, indem sie die Zweifelsfrage, ob der allgemeine Sperrvermerk auch ihre Gratiszeitungen betreffen könnte, gerade weil darin auch lose Werbebroschüren einbezogen sind, durch eine eindeutige vorformulierte Erklärung in ihrem Sinne klarstellen lassen wollte. Davon konnte dann auch die Klägerin in möglicherweise erheblichem Umfang betroffen sein, weil bei Anbringung eines solchen Aufklebers klar war, dass die Beklagte Werbeprospekte als Beilagen mit einwerfen durfte, die Klägerin reine Werbeprospekte aber nicht. Dadurch konnte sich ein erheblicher Marktvorteil für die Beklagte im Verhältnis zur Klägerin ergeben. Die mögliche Beeinträchtigung der Klägerin war insoweit aber nur ein Reflex des Bestrebens der Beklagten, zu einer klareren Rechtslage in Bezug auf ihre Verlegertätigkeit und deren Finanzierung zu kommen. Sie war nicht das Ziel, um gerade die Klägerin oder die anderen Werbeverteilungsfirmen in der Entfaltung ihrer gewerblichen Tätigkeit zu behindern. Die Beklagte wollte den Marktteilnehmern mit den Aufklebern ersichtlich eine Entscheidungshilfe in einer aus ihrer Sicht klärungsbedürftigen Frage bieten. Diese sollten sich durch den Aufkleber genauer erklären können, als es die gängigen Aufkleber wie "Keine Werbung" ermöglichten. Es trifft auch nicht zu, dass die Verbraucher den Inhalt ihrer Erklärung überhaupt nicht hätten überschauen können, wie die Klägerin meint. Die Ausnahme der Anzeigenblätter im Rahmen von an sich unerwünschter Werbung wird durch den Aufkleber hinreichend deutlich, auch wenn der Sperrvermerk optisch im Vordergrund steht. Die mit dem Aufkleber erreichte Klarstellung entsprach dem Vertriebsinteresse der Beklagten. Dafür, dass etwa zu Lasten der Klägerin im Rahmen einer Sperrwirkung in erster Linie Marktteilnehmer angesprochen werden sollten, die zuvor noch überhaupt keinen Sperrvermerk angebracht hatten, ist nichts vorgetragen oder ersichtlich. Soweit die Marktteilnehmer nur einen schon vorhandenen Sperrvermerk im Interesse der Beklagten klarer fassten, hätte die Klägerin an diese ohnehin keine Werbung verteilen dürfen. Soweit die Beklagte den gemeinsamen Kunden dann eine größere Streuung der zu verteilenden Werbung anbieten konnte, war das allein Folge der unterschiedlichen Geschäftsmodelle.
Der erstmals in der Berufungsinstanz erfolgte Vortrag, die Werbemaßnahme sei durch eine KfZ-Verlosung gefördert worden, ist bestritten und nicht unter Beweis gestellt worden. Außerdem würde auch solche Besonderheit die Werbung nicht zu einer gezielten Behinderung machen.
b) Bei der Aktion der Beklagten handelt es sich schon gar nicht um eine Maßnahme von solchem Gewicht, dass sie zu einer allgemeinen Marktbehinderung gerade auch der Werbeverteiler wie der Klägerin führen konnte. Die Marktstruktur als solche konnte dadurch nicht in unlauterer Weise beeinträchtigt werden. Eine allgemeine Marktstörung im Sinne eines ganz schwerwiegenden Eingriffs in das Wettbewerbsgeschehen konnten solche erweiterten Werbemöglichkeiten, die die Beklagte für sich entdeckt hat, schon angesichts des verhältnismäßig geringen Anteils der allgemeinen Werbeverweigerer nicht bewirken.
4) Auch ein weitergehender Anspruch der Klägerin auf Erstattung der vorgerichtlichen Abmahnkosten in Höhe von 900,-- € kommt nicht in Betracht, weil die Abmahnung nicht berechtigt war.
Die sich aus § 543 Abs. 2 ZPO ergebenden Voraussetzungen für eine Zulassung der Revision liegen hier nicht vor.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 97 Abs. 1 ZPO.
Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit ergibt sich aus § 708 Nr. 10, 711 ZPO.
OLG Hamm:
Urteil v. 14.07.2011
Az: I-4 U 42/11
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