Bundesgerichtshof:
Urteil vom 13. November 2001
Aktenzeichen: X ZR 32/99
(BGH: Urteil v. 13.11.2001, Az.: X ZR 32/99)
Tenor
Die Revision gegen das am 14. Januar 1999 verkündete Urteil des 2. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Düsseldorf wird mit der Maßgabe zurückgewiesen, daß unter Teilaufhebung des angefochtenen Urteils der Tenor des am 24. Juni 1997 verkündeten Urteils der 4. Zivilkammer des Landgerichts Düsseldorf teilweise abgeändert und wie folgt neu gefaßt wird:
I. Die Beklagten werden verurteilt, 1. es bei Meidung eines vom Gericht festzusetzenden Ordnungsgeldes bis zu 500.000,--DM, ersatzweise Ordnungshaft bis zu sechs Monaten, oder einer Ordnungshaft bis zu sechs Monaten, im Wiederholungsfall bis zu zwei Jahren, zu unterlassen, tragbare Vorrichtungen zum Biegen von Rohren mit einer scheibenabschnittförmigen Biegematrize, deren Umfang eine Nut von halbkreisförmigem, dem zu biegenden Rohr entsprechenden Querschnitt aufweist, an der ein Rohrhalter befestigt ist und die drehantreibbar ist, mit einer in Rohrzuführrichtung sich erstreckenden Gegenmatrize, auf deren der Biegematrize zugekehrten Seite eine Nut mit einem dem zu biegenden Rohr angepaßten Querschnitt vorgesehen ist, und mit einem die Gegenmatrize abstützenden Halteglied, durch das die Gegenmatrize gegenüber der Biegematrize verstellbar ist, herzustellen, anzubieten, in Verkehr zu bringen oder zu gebrauchen oder zu den genannten Zwecken einzuführen oder zu besitzen, bei denen die Nut der Gegenmatrize einen an deren Eingangskante beginnenden Abschnitt, in dem der Radius des Nutquerschnitts dem des zu biegenden Rohres bzw. dem der Nut der Biegematrize entspricht, und einen weiteren Abschnitt aufweist, der an der -gegenüberliegenden -Ausgangskante mit einem Radius des Nutquerschnitts beginnt, der kleiner ist als der Radius des an der Eingangskante beginnenden Abschnitts, und der sich stetig auf den Radius des letztgenannten Abschnitts erweitert;
2. der Klägerin darüber Rechnung zu legen, in welchem Umfang sie die zu I. 1. bezeichneten Handlungen begangen haben, und zwar unter Angabea) der Herstellungsmengen und -zeiten, b) der einzelnen Lieferungen, aufgeschlüsselt nach Liefermengen, -zeiten und -preisen und Typenbezeichnungen sowie den Namen und Anschriften der jeweiligen Abnehmer, c) der einzelnen Angebote, aufgeschlüsselt nach Angebotsmengen, -zeiten und -preisen und Typenbezeichnungen sowie den Namen und Anschriften der Angebotsempfänger, d) der betriebenen Werbung, aufgeschlüsselt nach Werbeträgern, deren Auflagenhöhe, Verbreitungszeitraum und Verbreitungsgebiet, e) der nach den einzelnen Kostenfaktoren aufgeschlüsselten Entstehungskosten und des erzielten Gewinns, wobei sich die Verpflichtung zur Rechnungslegung für die Zeit vor dem 1. Mai 1992 auf Handlungen in dem Gebiet der Bundesrepublik Deutschland in den bis zum 2. Oktober 1990 bestehenden Grenzen beschränkt sowiedie Angaben vorstehend zu e) von der Beklagten zu 1 für die Zeit seit dem 4. September 1994 und die Angaben vorstehend zu a) bis e) von der Beklagten zu 2 nur für die Zeit vom 4. September 1994 bis zum 24. Oktober 1996 zu machen sind.
II. Es wird festgestellt, 1. daß die Beklagte zu 1 verpflichtet ist, der Klägerin für die zu I. 1. bezeichneten, in der Zeit vom 14. November 1982 bis zum 3. September 1994 begangenen Handlungen eine angemessene Entschädigung zu zahlen, wobei sich die Verpflichtung für die Zeit vor dem 1. Mai 1992 auf Handlungen in dem Gebiet der Bundesrepublik Deutschland in den bis zum 2. Oktober 1990 bestehenden Grenzen beschränkt, 2. daß die Beklagten als Gesamtschuldner verpflichtet sind, der Klägerin allen Schaden zu ersetzen, der ihr durch die zu I. 1. bezeichneten, in der Zeit vom 4. September 1994 bis zum 24. Oktober 1996 begangenen Handlungen entstanden ist und noch entstehen wird, 3. daß die Beklagte zu 1 weiter verpflichtet ist, der Klägerin allen Schaden zu ersetzen, der ihr durch die zu I. 1. bezeichneten, seit dem 25. Oktober 1996 begangenen Handlungen entstanden ist und noch entstehen wird.
III.Im übrigen ist der Rechtsstreit hinsichtlich des Antrages auf Rechnungslegung in der Hauptsache erledigt.
IV. Die Kosten des Rechtsstreits haben die Beklagten zu tragen.
Von Rechts wegen.
Tatbestand
Die Klägerin ist Inhaberin des unter Inanspruchnahme italienischer Prioritäten vom 16. März 1981, 12. November 1981 und 8. Februar 1982 am 16. März 1982 angemeldeten deutschen Patents 32 09 536 (Klagepatents), das eine tragbare Vorrichtung zum Biegen von Rohren betrifft.
Patentanspruch 1 des Klagepatents lautet:
"Tragbare Vorrichtung zum Biegen von Rohren, mit einer scheibenabschnittförmigen Biegematrize, deren Umfang eine Nut von halbkreisförmigem, dem zu biegenden Rohr entsprechenden Querschnitt aufweist, an der ein Rohrhalter befestigt ist und die drehantreibbar ist, mit einer in Rohrzuführrichtung sich erstreckenden Gegenmatrize, auf deren der Biegematrize zugekehrten Seite eine Nut mit einem dem zu biegenden Rohr angepaßten Querschnitt vorgesehen ist, und mit einem die Gegenmatrize abstützenden Halteglied, durch das die Gegenmatrize gegenüber der Biegematrize verstellbar ist, dadur ch ge kenn zei chnet , daß die Nut der Gegenmatrize (218) einen an deren Eingangskante (218') beginnenden Abschnitt (245), in dem der Radius (y) des Nutquerschnitts dem des zu biegenden Rohrs (t) bzw. dem der Nut (214) der Biegematrize (213) entspricht, und einen weiteren Abschnitt (246) aufweist, der an der -gegenüberliegenden -Ausgangskante (218") mit einem Radius (x) des Nutquerschnitts beginnt, der kleiner ist als der Radius des an der Eingangskante beginnenden Abschnitts, undder sich stetig auf den Radius des letztgenannten Abschnitts erweitert."
Die Beklagte zu 1, deren Geschäftsführerin bis zum 24. Oktober 1996 die Beklagte zu 2 war, bezog in der Vergangenheit von der Klägerin elektrisch betriebene tragbare Rohrbiegemaschinen und vertrieb diese. Seit 1988 stellt sie selbst solche Rohrbiegemaschinen her und vertreibt sie. Die Klägerin sieht hierin eine Verletzung des Klagepatents. Sie hat die Beklagten auf Unterlassung, Rechnungslegung und Feststellung ihrer Schadensersatzpflicht in Anspruch genommen. Die Beklagten haben sich auf ein privates Vorbenutzungsrecht berufen.
Das Landgericht hat der Klage im wesentlichen stattgegeben. Die Berufung der Beklagten hatte keinen Erfolg.
Mit ihrer Revision begehren die Beklagten weiterhin die Klageabweisung. Die Klägerin hat in der mündlichen Verhandlung ihre Schadensersatzund Rechnungslegungsansprüche gegen die Beklagte zu 2 im Hinblick auf deren Ausscheiden als Geschäftsführerin der Beklagten zu 1 zum 24. Oktober 1996 auf den Zeitraum bis zum 24. Oktober 1996 beschränkt und das Rechnungslegungsbegehren gegen die Beklagte zu 2 im übrigen in der Hauptsache für erledigt erklärt. Die Beklagten haben sich der Erledigungserklärung nicht angeschlossen.
Gründe
Nachdem die Klägerin ihr Rechnungslegungs- und Schadensfeststellungsbegehren unter Erklärung einer Teilerledigung des Rechtsstreits beschränkt hat, war der Tenor des landgerichtlichen Urteils entsprechend anzugleichen.
Die Revision hat in der Sache keinen Erfolg. Das Berufungsgericht hat zu Recht die auf Unterlassung, Rechnungslegung und Schadensersatz gerichtete Klage für begründet gehalten, weil die angegriffene Ausführungsform gemäß Anl. K 6 und K 7 identisch von der Lehre des Patentanspruchs 1 des Klagepatents Gebrauch mache und den Beklagten ein Vorbenutzungsrecht zur Benutzung der Lehre des Klagepatents im Sinne von § 12 Abs. 1 PatG nicht zustehe.
I. 1. Das Klagepatent betrifft eine tragbare Vorrichtung zum Biegen von Rohren.
Solche Rohrbiegemaschinen besitzen eine scheibenabschnittförmige Biegematrize mit einer Nut, an der ein Rohrhalter befestigt ist, und eine Gegenmatrize mit einem dem zu biegenden Rohr angepaßten Querschnitt. Eine solche Vorrichtung ist ausweislich der Klagepatentschrift (Sp. 1 Z. 32-38) aus der US-Patentschrift 2 955 638 bekannt, bei der Matrize und Gegenmatrize zusammen mit dem zu biegenden Rohr vorwärts bewegt werden. Die US-Patentschrift 2 762 415 beschreibt eine Rohrbiegevorrichtung mit einer Gleitschuh-Gegenmatrize, die auf ihrer ganzen Länge einen gleichbleibenden halbkreisförmigen Querschnitt aufweist, und bei der der Rohrhalter als Haken ausgebildet ist (Sp. 1 Z. 39-43). Wie die Klagepatentschrift weiter ausführt (Sp. 1 Z. 44-60), befriedigen diese Biegemaschinen jedoch nicht. Beim Biegen habe ein ungleichmäßiges Dehnen des Rohres, das auch eventuell erst nach einiger Zeit seine Wirkung zeige, nicht vermieden werden können. Bei der Verwendung von dehnungsempfindlichem Material hätten am Rohr während des Biegevorgangs Fehler und Knicke bzw. Runzeln entstehen können; auch ein Abflachen des gebogenen Rohres sei bisweilen aufgetreten. Diese Effekte aus der ungleichmäßigen Dehnung seien beispielsweise mit großer Wahrscheinlichkeit aufgetreten, wenn Rohre aus hartem Kupfer hätten gebogen werden müssen. Während des Biegevorgangs habe die Bedienungsperson dann die Biegevorrichtung mit größter Aufmerksamkeit bedienen müssen, so daß der Biegevorgang mit den bekannten Biegemaschinen, die im allgemeinen von Hand gesteuert würden, niemals sehr schnell habe durchgeführt werden können.
Der Erfindung liegt nach der Klagepatentschrift (Sp. 2 Z. 3-10) das Problem zugrunde, eine tragbare Vorrichtung zum Biegen bzw. eine Rohrbiegemaschine zur Verfügung zu stellen, die es ermöglicht, Rohre auch im Bereich ungünstigster Material-, Abmessungs- und Biegeparameter so zu biegen, daß der kreisförmige Rohrquerschnitt erhalten bleibt, also die oben genannten unerwünschten Verformungen nicht auftreten, und eine ungleichmäßige Dehnung des Rohres vermieden wird.
Das Berufungsgericht ist zutreffend davon ausgegangen, daß die Lösung nach Patentanspruch 1 in der Kombination folgender Merkmale besteht:
1.
Tragbare Vorrichtung zum Biegen von Rohren 2.
mit einer scheibenabschnittförmigen Biegematrize, a) deren Umfang eine Nut von halbkreisförmigem, dem zubiegenden Rohr entsprechenden Querschnitt aufweist, b) an der ein Rohrhalter befestigt ist, 3.
und die drehantreibbar ist, 4.
mit einer in Rohrzuführrichtung sich erstreckenden Gegenmatrize, a) auf deren der Biegematrize zugekehrten Seite eine Nut mit einem dem zu biegenden Rohr angepaßten Querschnitt vorgesehen ist, 5.
und mit einem die Gegenmatrize abstützenden Halteglied, durch das die Gegenmatrize gegenüber der Biegematrize feststellbar ist.
6.
Die Nut der Gegenmatrize 218 weist einen an deren Eingangskante 218' beginnenden Abschnitt 245 auf, a) in dem der Radius y des Nutquerschnitts dem des zu biegenden Rohres t dem der Nut 214 der Biegematrize 213 entspricht, 7.
und einen weiteren Abschnitt 246, a) der an der gegenüberliegenden Ausgangsseite 218" mit einem Radius x des Nutquerschnitts beginnt, b) der kleiner ist als der Radius des an der Eingangskante beginnenden Abschnittes undc) der sich stetig auf den Radius des letztgenannten Abschnittes erweitert.
Ein Ausführungsbeispiel dieser Lehre zeigt die nachfolgend wiedergegebene Figur 1 der Klagepatentschrift:
2. Das Berufungsgericht hat eine Rechtfertigung der Nutzung der mit der Klage angegriffenen Ausführungsform, die den Patentanspruch 1 des Klagepatents identisch verwirklicht, verneint, weil den Beklagten kein privates Vorbenutzungsrecht nach § 12 Abs. 1 Satz 1 PatG zustehe. Dazu hat es im wesentlichen ausgeführt: Schon nach dem eigenen Sachvortrag der Beklagten lasse sich nicht feststellen, daß die Beklagte zu 1 im Prioritätszeitpunkt des Klagepatents sich im Erfindungsbesitz einer technischen Lehre befunden habe, wie sie der Patentanspruch 1 des Klagepatents beschreibe. Das Berufungsgericht ist davon ausgegangen, daß die Beklagte zu 1 ab 1980 eine Handbiegeeinrichtung vertrieben hat, die wie aus dem nachstehend wiedergegebenen Prospekt ersichtlich ausgestaltet gewesen ist:
Dieses Biegegerät verwirkliche zwar die Merkmale 1, 2 und 4 bis 7 des Klagepatents, es fehle aber Merkmal 3, wonach die Biegematrize drehantreibbar sei. Vielmehr weise die angebliche Vorbenutzung eine feststehende Biegematrize auf. Bei diesem Gerät sei nicht die Biegematrize drehantreibbar, sondern der Biegegleitschuh, der mittels eines Hebels und einer Griffstange von Hand drehantreibbar sei. Damit sei die angeblich vorbenutzte Vorrichtung nicht den Weg der aus den 50iger Jahren bekannten US-Patentschrift 2 762 415 gegangen, sondern den Weg des im Jahre 1979 angemeldeten deutschen Gebrauchsmusters 79 03 552. Es könne dahinstehen, ob eine Maßnahme, anstelle des Biegegleitschuhs die Biegematrize drehantreibbar auszubilden, für den Durchschnittsfachmann des Prioritätstages nahegelegen habe. Selbst wenn dies so sein sollte, seien die Beklagten nicht berechtigt gewesen, die erstmals durch die Erfindung nach dem Klagepatent offenbarte Kombination des Merkmals 3 mit den Merkmalen 1, 2, 4 bis 7 in Gebrauch zu nehmen; das Vorbenutzungsrecht umfasse grundsätzlich nur diejenige Benutzungsweise oder Ausführungsform, die der Begünstigte tatsächlich benutzt oder zu deren alsbaldiger Benutzung er die erforderlichen Veranstaltungen getroffen habe. Die Beklagten könnten sich auch nicht darauf berufen, ein Vorbenutzungsrecht umfasse jedenfalls auch solche Abwandlungen der genutzten Ausführung, die im Bereich des platt Selbstverständlichen lägen, eine Abwandlung dahin, anstelle des Biegeschuhs die Biegematrize drehantreibbar auszubilden, falle als bloße kinematische Umkehr in die Kategorie der platten Selbstverständlichkeit. Die mit Merkmal 3 gelehrte Maßnahme betreffe eine technische zweckmäßige Lehre, die möglicherweise naheliegend erscheine, aber jedenfalls nicht platt selbstverständlich sei.
II. Dies greift die Revision ohne Erfolg an.
1. Entgegen der Auffassung der Revision läßt die Auslegung des Klagepatents durch das Berufungsgericht keinen revisionsrechtlich zu beanstandenden Fehler erkennen.
Zutreffend ist zwar die Auffassung der Revision, daß Gegenstand des Klagepatents eine tragbare Vorrichtung zum Biegen von Rohren ist und daß nach dem in der Klagepatentschrift geschilderten Stand der Technik unter diesen Gattungsbegriff sowohl Rohrbiegemaschinen mit stationärer Biegematrize und beweglicher Gegenmatrize als auch Vorrichtungen mit stationärer Gegenmatrize und beweglicher Biegematrize fallen. Zutreffend ist ferner, daß die US-Patentschrift 2 762 415 wie das Klagepatent mit einer drehantreibbaren Biegematrize arbeitet und ausweislich Fig. 1 (Bezugszeichen 63) für den Handbetrieb vorgesehen ist (vgl. auch Sp. 3 Z. 17 ff.). Der Gegenstand der Erfindung besteht -auch darin ist der Revision zu folgen -in der besonderen Ausgestaltung der Gegenmatrize, die unabhängig davon angewendet werden kann, ob die Biegematrize oder die Gegenmatrize drehantreibbar ist.
Entgegen der Ansicht der Revision ergibt sich aus den Ausführungen des Berufungsgerichts aber nicht, daß es für den Biegevorgang einen Unterschied macht, ob die Biegematrize oder die Gegenmatrize bewegt wird. Das Berufungsgericht hat die Funktion der Gegenmatrize nach der erfindungsgemäßen Lehre zutreffend beschrieben. Es hat rechtsfehlerfrei festgestellt, daß die Gegenmatrize das zur Biegung des Rohres erforderliche Gegenlager bildet und die eigentliche Biegevorrichtung durch die drehantreibbare Biegematrize herbeigeführt wird. Die Gegenmatrize soll das zu biegende Rohr nur dazu zwingen, diesem Biegevorgang nachzugeben. Daß diese Feststellungen des Berufungsgerichts nicht zutreffen, hat die Revision nicht dargetan. Ob die Gegenmatrize die gleiche Funktion auch bei einer Vorrichtung erfüllt, bei der die Gegenmatrize, nicht aber die Biegematrize, beweglich ist, hat das Berufungsgericht nicht festgestellt. Eine solche Feststellung war angesichts der konkreten Ausgestaltung der Erfindung auch nicht erforderlich.
2. Die Revision kann auch nicht mit Erfolg geltend machen, dem Merkmal 3 komme für die technische Lehre keine entscheidende Bedeutung zu. Die Revision meint, für den Fachmann habe es am Prioritätstag aufgrund des auch in der Klagepatentschrift mitgeteilten Standes der Technik ohne weiteres nahegelegen, anstelle des Biegegleitschuhs die Biegematrize drehantreibbar auszubilden, was beispielsweise aus der US-Patentschrift 2 762 415 bekannt gewesen sei und auch vom Berufungsgericht unterstellt worden sei. Die freie Wählbarkeit des drehantreibbar ausgebildeten Teils sei danach nicht nur naheliegend, sondern platt selbstverständlich gewesen. Ein Einfluß auf den Biegevorgang oder das Biegeergebnis sei für den Fachmann nicht ersichtlich. Die Entscheidung für eine der beiden möglichen Ausführungen stelle sich für ihn als ebenso beliebig dar wie die Frage, ob bei der Herstellung einer Schraubvorrichtung die Schraube gedreht und die Mutter festgehalten werde oder umgekehrt.
Auch diese Erwägungen vermögen der Revision nicht zum Erfolg zu verhelfen. Gegenstand des Klagepatents ist die Kombination der Merkmale 1 bis 7 in ihrer Gesamtheit. Auf das Gewicht einzelner Merkmale kommt es nicht an. Ob der Fachmann dem Merkmal 3 entscheidende Bedeutung beimißt oder es für beliebig hält, welche der beiden Möglichkeiten -Drehantreibbarkeit des Biegegleitschuhs oder der Biegematrize -er wählt, ist nicht entscheidend. Der Erfinder hat dadurch, daß er bei seiner Erfindung die Drehantreibbarkeit der Biegematrize vorgesehen hat, seine Wahl getroffen.
3. a) Die Revision rügt schließlich, das Berufungsgericht habe zu Unrecht ein Vorbenutzungsrecht der Beklagten verneint. Bei der Prüfung des sachlichen Umfangs eines Vorbenutzungsrechts dürfe nicht unberücksichtigt bleiben, daß über den Begriff des Erfindungsbesitzes auch eine subjektive Komponente maßgebend sei. Habe der Vorbesitzer die technische Lehre des später angemeldeten Patents erkannt und sei dies in der Vorbenutzung zum Ausdruck gekommen, umfasse das Vorbenutzungsrecht nicht nur die konkret vorbenutzte Ausführungsform, sondern erstrecke sich auf die Erfindung jedenfalls im Umfang des Erfindungsbesitzes. Das Vorbenutzungsrecht der Beklagten zu 1 umfasse deshalb den Einsatz eines Biegegleitschuhs mit den kennzeichnenden Merkmalen 6 und 7 bei Biegemaschinen, die nach dem erörterten Stand der Technik mit einer Biegematrize mit Rohrhalterung und einer Gegenmatrize ausgestattet seien, wobei eine der Matrizen drehantreibbar sei. Bei der Benutzung der angegriffenen Ausführungsform gehe es nicht um die Benutzung eines weiteren Merkmals, wie das Berufungsgericht annehme. Vielmehr unterscheide sich die geschützte Erfindung von der vorbenutzten Vorrichtung lediglich durch eine bekannte, platt selbstverständliche Umkehr der Kinematik, da eine der Matrizen drehantreibbar ausgebildet sei. Von einem weiteren Merkmal könne daher nicht gesprochen werden.
b) Der Umfang des Vorbenutzungsrechts gemäß § 12 Abs. 1 PatG ist in der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes bislang nicht geklärt.
aa) Das Reichsgericht hat in seiner Rechtsprechung auf den durch die Tragweite des benutzten Erfindungsgedankens umrissenen Besitzstand abgestellt (RG GRUR 1903, 146 -Kesselböden). Danach hat es als von der Vorbenutzung umfaßt nur diejenige Ausführungsform angesehen, die der Begünstigte tatsächlich benutzt oder zu deren alsbaldiger Benutzung er die erforderlichen Veranstaltungen getroffen hat (vgl. z.B. RG GRUR 1932, 66 -Fernverbindung; RG GRUR 1935, 157, 16 -Zentrifugaldrehzahlregler; RG GRUR 1941, 272 -Lichtregler).
In späteren Entscheidungen hat das Reichsgericht auch die abweichende Ausführung durch das Vorbenutzungsrecht als gedeckt angesehen, wenn der vorbenutzte Gegenstand einen technischen Gedanken enthalte, der, für den Fachmann ohne weiteres auf der Hand liegend, über die vorbenutzte Formgebung hinausgehe und, einmal offenbart, auch in einer abweichenden Form wiedergegeben werden könne (RGZ 153, 321, 326). Deshalb hat das Reichsgericht die Benutzung "glatter Gleichwerte" der vorbenutzten Ausführungsform als vom Vorbenutzungsrecht umfaßt angesehen (RGZ 133, 377, 380; 166, 326, 331) und später auch die "patentrechtlichen Gleichwerte" einbezogen (RGZ 166, 326, 332 ff.).
Das Reichsgericht hat aber eine Erstreckung des Vorbenutzungsrechts auf zweckmäßigere und vollkommenere Ausgestaltungen, die in einem Patent geschützt sind, verneint (RGZ 133, 377, 381). Der Vorbenutzer habe nicht das Recht, diejenige Ausführungsform zu benutzen, die gerade der Patentinhaber gezeigt habe, ohne daß es darauf ankomme, ob diese besondere Ausführungsform gegenüber dem vorbenutzten Erfindungsgedanken erfinderisch sei (RGZ 133, 377, 380; 153, 321, 326).
bb) In der neueren Literatur wird die Auffassung vertreten, dem Vorbenutzer sei die bisherige Verwendung unter Einschluß der dem Durchschnittsfachmann ohne weiteres auf der Hand liegenden abweichenden Verwendungen zu gestatten, er dürfe aber nicht auf Verwendungen übergehen, die davon abwichen und im Patent unter Schutz gestellt seien (Benkard/Bruchhausen, PatG/GebrMG, 9. Aufl., § 12 PatG Rdn. 22). Abzustellen sei auf den Besitzstand des Vorbenutzers, Schutzbereichsüberlegungen seien im Zusammenhang mit dem Wechsel der Ausführungsform abzulehnen (Eichmann, GRUR 1993, 73). Anstelle von Äquivalenzüberlegungen sei vom objektiven Umfang des Erfindungsbesitzes auszugehen, wie er sich bei objektiver Würdigung aus fachmännischer Sicht darstelle (Busse, PatG, 5. Aufl., § 12 Rdn. 43).
cc) Nach § 9 PatG ist (allein) der Patentinhaber oder der von diesem Ermächtigte befugt, die im Patent unter Schutz gestellte Erfindung zu benutzen; sonstige Dritte sind dauernd von einer solchen Benutzung ausgeschlossen. Diesen Grundsatz schränkt § 12 PatG für einen Sonderfall ein, indem er diese Wirkung des Patents gegenüber demjenigen nicht eintreten läßt, der die Erfindung zur Zeit der Anmeldung im Inland bereits in Benutzung genommen oder die dafür erforderlichen Veranstaltungen getroffen hatte, und diesem zugleich die Befugnis einräumt, die Erfindung für die Bedürfnisse seines Betriebs in eigenen oder fremden Werkstätten zu benutzen. Mit dieser Einschränkung will das Gesetz aus Billigkeitsgründen einen vorhandenen oder bereits angelegten gewerblichen Besitzstand des Vorbenutzers schützen und damit die unbillige Zerstörung in zulässiger, insbesondere rechtlich unbedenklicher Weise geschaffener Werte verhindern (so bereits RGZ 75, 317, 318 unter Hinweis auf das Gesetzgebungsverfahren; Benkard/Bruchhausen, aaO; Busse, aaO; Schulte, PatG/EPÜ, 6. Aufl., § 12 PatG Rdn. 6; Lindenmaier/Weis, PatG, 6. Aufl., § 7 Rdn. 1; Klauer/Möhring, Patentrechtskommentar, 3. Aufl., § 7 Rdn. 27; Eichmann, aaO). Auf der Grundlage seines erst zu einem späteren Zeitpunkt in rechtlich relevanter Weise angelegten bzw. geschaffenen Ausschließlichkeitsrechts soll der Patentinhaber nicht auch die Personen von der Benutzung der unter Schutz gestellten Erfindung ausschließen können, die sie bereits vorher benutzt oder konkrete Anstalten für eine solche Benutzung getroffen haben. Die Regelung enthält insoweit eine an Billigkeitsgründen orientierte Ausnahme von der umfassenden alleinigen Berechtigung des Patentinhabers.
Dieser Funktion der Regelung entsprechend ist der Vorbenutzer - soweit es um den vom Patentinhaber hinzunehmenden Eingriff in dessen Alleinbefugnis geht - auf den von der Ausnahme geschützten Besitzstand beschränkt. Ihm ist eine Benutzung der patentgemäßen Lehre lediglich in dem durch diesen beschriebenen Umfang eröffnet; Weiterentwicklungen über den Umfang der bisherigen Benutzung hinaus sind ihm jedoch dann verwehrt, wenn sie in den Gegenstand der geschützten Erfindung eingreifen. Andernfalls würden seine Befugnisse in einer von Sinn und Zweck der Ausnahmeregelung nicht mehr gedeckten Weise erweitert. Mit der Befugnis zur Benutzung auch solcher Abwandlungen würde zu seinen Gunsten nicht lediglich der bei der Anmeldung des Patents vorhandene Besitzstand geschützt, sondern dieser unter gleichzeitiger weiterer Einschränkung des Rechts an dem Patent auf ursprünglich nicht Vorhandenes erstreckt. Hierfür fehlt es sowohl im Hinblick auf die Funktion der Regelung als auch auf das ihr zugrundeliegende Regel-Ausnahmeverhältnis an einer Rechtfertigung. Insbesondere aber die Billigkeit gebietet eine solche Ausweitung nicht.
4. Die Beklagten können sich danach nicht mit Erfolg auf ein Vorbenutzungsrecht berufen. Das Berufungsgericht hat zu Recht angenommen, daß eine Gestaltung, bei der die Merkmale 1, 2 sowie 4 bis 7 mit dem Merkmal 3 der Drehantreibbarkeit der Biegematrize -kombiniert werden, ausschließlich von der Klägerin als Patentinhaberin beansprucht werden kann, weil dieser Vorschlag nicht Gegenstand der Vorbenutzung gewesen ist, bei der nicht die Biegematrize drehantreibbar ausgestaltet war, sondern der Biegegleitschuh.
III. Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 91, 97 ZPO.
BGH:
Urteil v. 13.11.2001
Az: X ZR 32/99
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