Bundespatentgericht:
Beschluss vom 13. Dezember 2007
Aktenzeichen: 17 W (pat) 326/04
(BPatG: Beschluss v. 13.12.2007, Az.: 17 W (pat) 326/04)
Tenor
Das deutsche Patent 102 09 780 wird widerrufen.
Gründe
I.
Auf die am 27. Februar 2002 beim Deutschen Patent- und Markenamt unter Inanspruchnahme der Priorität der deutschen Voranmeldung 101 50 008.4 vom 11. Oktober 2001 eingegangene Patentanmeldung 102 09 780 wurde ein Patent mit der Bezeichnung
"Datenverarbeitungssystem für Patientendaten"
erteilt. Veröffentlichungstag der Patenterteilung ist der 8. April 2004.
Gegen das Patent ist mit Schriftsatz vom 28. Juni 2004 ein Einspruch erhoben worden. Die Einsprechende hat geltend gemacht, dass der Gegenstand des Patents nicht neu ist und auch nicht auf einer erfinderischen Tätigkeit beruht.
Sie stellt den Antrag, das Patent zu widerrufen.
Die Patentinhaberin verteidigt ihr Patent in beschränktem Umfang.
Sie stellt den Antrag, das Patent in beschränktem Umfang mit folgenden Unterlagen aufrechtzuerhalten:
Patentansprüche 1 - 7 und Beschreibung S. 1-5, 5a jeweils vom 11. Juli 2007, im Übrigen wie erteilt.
Die Patentinhaberin ist der Auffassung, dass der Einspruch unzulässig ist, weil sich das Vorbringen der Einsprechenden nicht in hinreichender Weise mit den Kernmerkmalen der Ansprüche des Streitpatents auseinandersetzt. Ein Teil der entgegengehaltenen Druckschriften sei außerdem nicht vorveröffentlicht, so dass der Einspruch nicht ausreichend substantiiert sei. Sie regt für den Fall, dass der Senat zu der Auffassung komme, dass der Einspruch zulässig sei, die Zulassung der Rechtsbeschwerde an. Weiter macht sie geltend, dass der Einspruch nicht begründet sei, weil der Gegenstand des Streitpatents, jedenfalls in der verteidigten Fassung, gegenüber dem vorveröffentlichten Stand der Technik neu sei und auf erfinderischer Tätigkeit beruhe. Sie vertritt auch die Auffassung, dass aufgrund der Aufhebung der Übergangsvorschrift des § 147 Abs. 3 PatG mit Wirkung vom 1. Juli 2006 der Senat des BPatG für erstinstanzliche Entscheidungen im Einspruchsverfahren nicht mehr zuständig sei.
Der Patentanspruch 1 in der verteidigten Fassung lautet:
"Datenverarbeitungssystem zur Verarbeitung von Patientendaten, die für einen jeweiligen Patienten personenidentifizierende Personendaten und einen zugehörigen Satz von Gesundheitsdaten umfassen, mit - einer oder mehreren Zentralstellen (3) jeweils mit einer Datenbank (4), in der die Gesundheitsdaten ohne Zuordnung zu Personendaten gespeichert sind, und - mit der Datenbank verbundenen Endgeräten (1) zum Abrufen von Gesundheitsdaten aus der zentralen Datenbank und zum Einlesen von Gesundheitsdaten in die zentrale Datenbank (4), wobei - dem Gesundheitsdatensatz (GD) eines jeweiligen Patienten ein Datensatzidentifikationscode (DIC) zugeordnet ist, dessen Eingabe zum Abruf von zugehörigen Gesundheitsdaten notwendig ist und dereinen auf einer elektronischen Patientenkarte (5) gespeicherten Patientenkartencode (5a) undmindestens einen von einem vom Patienten einzugebenden Patientenidentifikationscode (PIN) undeinem Behandleridentifikationscode (6a) umfasst, und wobei - ein zeitbegrenzter Einleseberechtigungscode vorgesehen ist, der bei einem Abruf von Gesundheitsdaten von der Zentralstelle zusammen mit den Gesundheitsdaten an das abrufende Endgerät übermittelt wird und dem abrufenden Endgerät nur für einen vorgebbaren anschließenden Zeitraum eine Berechtigung zum Einlesen von Gesundheitsdaten in die zentrale Datenbank verleiht."
Dem Patent soll ausweislich Abs. [0005] der Patentschrift als technisches Problem die Bereitstellung eines neuartigen Datenverarbeitungssystems zur Verarbeitung von Patientendaten zugrunde liegen, bei dem die Gesundheitsdaten in der zentralen Datenbank mit hohem Schutz vor nicht autorisiertem Zugriff abgespeichert sind, insbesondere auch vor nicht vom Patienten erlaubten Zugriffen.
II.
Der Senat ist für die Entscheidung über den Einspruch zuständig.
Nach § 147 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 PatG entscheidet der Beschwerdesenat des Bundespatentgerichts über den Einspruch nach § 59 PatG, wenn der Einspruch vor dem 1. Januar 2005 erhoben worden ist. Diese Zuständigkeitsregelung wurde bis 30. Juni 2006 verlängert.
Im vorliegenden Fall wurde mit Schriftsatz vom 28. Juni 2004, eingegangen am 29. Juni 2004, Einspruch erhoben, so dass das Bundespatentgericht jedenfalls zunächst für die Entscheidung über den Einspruch zuständig war.
Wie vom Bundesgerichtshof im Beschluss X ZB 6/05 vom 27. Juni 2007 ausgeführt, ist es sachgerecht und naheliegend, die Zuständigkeit des Bundespatentgerichts davon abhängig zu machen, zu welchem Zeitpunkt ein Patent mit dem Einspruch angegriffen wurde. Nach dem allgemeinen verfahrensrechtlichen Grundsatz der perpetuatio fori, der in § 261 Abs. 3 Nr. 2 ZPO Ausdruck gefunden hat und von dem abweichen zu wollen der Gesetzgeber nicht hat erkennen lassen, besteht eine solche vor dem 1. Juli 2006 begründete gerichtliche Zuständigkeit unbeschadet dessen fort, dass sie infolge der Aufhebung des § 147 Abs. 3 PatG nach dem 30. Juni 2006 nicht mehr auf der Grundlage dieser Vorschrift begründet werden kann. Die durch den Einspruchszeitpunkt bestimmte Zuständigkeit des Bundespatentgerichts besteht daher fort.
III.
Der Einspruch ist zulässig, da er frist- und formgerecht erhoben sowie nach Maßgabe des § 59 Abs. 1 PatG begründet worden ist.
Die Einsprechende hat im Einspruchsschriftsatz vom 28. Juni 2004 geltend gemacht, dass der Gegenstand des Patents nicht neu ist und auch nicht auf erfinderischer Tätigkeit beruht. Zur Begründung hat sie innerhalb der Einspruchsfrist mehrere Druckschriften genannt und Ausführungen zu einzelnen Patentansprüchen gemacht.
Nach § 59 Abs. 1 Satz 4 und 5 PatG sind die Tatsachen, die den Einspruch rechtfertigen, im Einzelnen anzugeben. Die Angaben müssen, soweit sie nicht schon in der Einspruchsschrift enthalten sind, bis zum Ablauf der Einspruchsfrist schriftlich nachgereicht werden.
Eine Einspruchsbegründung genügt nach den Ausführungen des Bundesgerichtshofs in der Entscheidung "Automatisches Fahrzeuggetriebe" den gesetzlichen Anforderungen, wenn sie die für die Beurteilung der behaupteten Widerrufsgründe maßgeblichen Umstände im Einzelnen so darlegt, dass der Patentinhaber und insbesondere die entscheidende Instanz daraus abschließende Folgerungen für das Vorliegen oder Nichtvorliegen eines Widerrufsgrundes ziehen können. Der Vortrag der Einsprechenden muss erkennen lassen, dass ein bestimmter Tatbestand behauptet werden soll, der auf seine Richtigkeit nachgeprüft werden kann. Die überprüfbare Tatsachenangabe muss sich außerdem auf den geltend gemachten Widerrufsgrund beziehen. Aus der Gesetzesformulierung folgt jedoch nicht, "dass die Einsprechende bei mehreren angefochtenen Ansprüchen zu jedem einzelnen Widerrufsgründe substantiiert vortragen muss, die nach seiner Einschätzung geeignet sind, die Schutzfähigkeit des jeweiligen Anspruchs in Zweifel zu ziehen". Der Einsprechenden bleibt es deshalb unbenommen, bei mehreren Nebenansprüchen die Patentfähigkeit nur eines Anspruchs anzugreifen (vgl. BGH GRUR 2003, 695, II. 3. a) und b) m. w. H.).
In Bezug auf den Anspruch 1 erscheint es dem Senat fraglich, ob der Vortrag der Einsprechenden innerhalb der Einspruchsfrist ausreichend ist, um den behaupteten Widerrufsgrund der mangelnden Patentfähigkeit abschließend überprüfen zu können. Der Patentinhaberin ist insoweit zuzustimmen, als jedenfalls bei einem Teil der entgegengehaltenen Druckschriften Zweifel angebracht sind, ob diese vorveröffentlicht sind. In Hinsicht auf den anderen Teil der Druckschriften wird kein ausreichender Bezug zum Datenverarbeitungssystem nach dem Patentanspruch 1 hergestellt.
Jedoch sind im Vortrag der Einsprechenden im Einspruchsschriftsatz zu Anspruch 6, der aufgrund des nur fakultativen Rückbezugs auf einen der Ansprüche 1 bis 5 auch eine nebengeordnete Variante umfasst, die für die behauptete mangelnde Patentfähigkeit maßgeblichen Umstände im Einzelnen so dargelegt, dass sie Patentinhaberin und Senat in die Lage versetzen, abschließende Folgerungen für das Vorliegen oder Nichtvorliegen der Patentfähigkeit zu ziehen.
Die Einsprechende hat zu diesem Anspruch u. a. auf die "Informationsbroschüre zur Erhebung und Verarbeitung von Daten über Dialysepatienten und Patienten nach Nierentransplantation" (Anlage 2a) verwiesen. Zum Nachweis der Vorveröffentlichung dieser Broschüre hat sie eine Rechnung vom 19. Juni 1996 (Anlage 2c) und eine eidesstattliche Versicherung (Anlage 2b) vorgelegt, in der versichert wird, dass die Informationsbroschüre 1996 gedruckt und in mehr als 30000 Stück an Patienten, Behandlungseinrichtungen, Behörden und Industrievertreter verteilt wurde. Die in den Anlagen 2b und 2c enthaltenen Angaben reichen aus, um den Senat in die Lage zu versetzen, die behauptete Vorveröffentlichung der Broschüre zu überprüfen.
In Hinsicht auf die Patentfähigkeit des Datenverarbeitungssystems nach Anspruch 6 verweist die Einsprechende bezüglich des Oberbegriffs auf Ausführungen zum inhaltlich entsprechenden Anspruch 1. Dort wird u. a. auf die Seiten 8 und 9 der Informationsbroschüre verwiesen, aus der sich die Speicherung der Gesundheitsdaten ohne Zuordnung zu Personendaten ergeben soll. Bezüglich des kennzeichnenden Teils des Anspruchs 6 und dem dort angesprochenen physikalisch getrennten Pseudonymisierungsrechner verweist sie u. a. ebenfalls auf die Broschüre, aus der die räumliche und organisatorische Trennung von Datentreuhänder und Projektstelle und die Pseudonymisierung der Daten bekannt sein soll. Mit diesem Tatsachenvortrag wird ein knapper, aber noch ausreichender Bezug zwischen dem Datenverarbeitungssystem nach Anspruch 6 und dem aus der entgegengehaltenen Broschüre bekannten System hergestellt, der jedenfalls einem Datenverarbeitungsfachmann eine Aussage über die Patentfähigkeit gestattet.
Der Einspruch ist daher zulässig, mit der Folge, dass in eine umfassende Sachprüfung über den Bestand des Patents einzutreten ist (vgl. § 61 Abs. 1 PatG).
Der Anregung der Patentinhaberin, hinsichtlich der Frage der Zulässigkeit des Einspruchs die Rechtsbeschwerde zuzulassen, war nicht zu folgen, weil, wie sich aus der zitierten Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs ergibt, nicht über eine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung zu entscheiden war, über die der Bundesgerichtshof nicht schon entschieden hat. Von der Patentinhaberin wurde auch kein anderer der in § 100 Abs. 2 PatG genannten Gründe aufgezeigt, die die Zulassung der Rechtsbeschwerde gebieten, etwa eine sich widersprechende Rechtsprechung.
IV.
Der Gegenstand des Patents in der verteidigten Fassung beruht nicht auf erfinderischer Tätigkeit, so dass das Patent zu widerrufen war (§ 21 Abs. 1 Nr. 1 PatG).
1. Das Patent betrifft ein Datenverarbeitungssystem für Patientendaten. In der Patentschrift wird einleitend geschildert, dass im Gesundheitswesen die Bestrebungen zunehmen, die Behandlung von Patienten durch eine optimierte Verarbeitung der Gesundheitsdaten kosteneffizient zu verbessern. Gesundheitsdaten seien allerdings hochsensibel und daher strengem Datenschutz zu unterstellen, um zu vermeiden, dass nicht autorisierte Personen Zugriff auf gespeicherte Gesundheitsdaten erhalten können. Als dem Streitpatent zugrunde liegendes technisches Problem wird die Bereitstellung eines neuartigen Datenverarbeitungssystems zur Verarbeitung von Patientendaten genannt, bei dem die Gesundheitsdaten in der zentralen Datenbank mit hohem Schutz vor nicht autorisiertem Zugriff abgespeichert sind, insbesondere auch vor nicht vom Patienten erlaubten Zugriffen (vgl. Abs. [0005] des Streitpatents).
2. Dem Anspruch 1 in der verteidigten Fassung soll die Lösung dieser Problemstellung gelingen mit einem
"Datenverarbeitungssystem zur Verarbeitung von Patientendaten, die für einen jeweiligen Patienten personenidentifizierende Personendaten und einen zugehörigen Satz von Gesundheitsdaten umfassen, mita) einer oder mehreren Zentralstellen jeweils mit einer Datenbank, in der die Gesundheitsdaten ohne Zuordnung zu Personendaten gespeichert sind, undb) mit der Datenbank verbundenen Endgeräten zum Abrufen von Gesundheitsdaten aus der zentralen Datenbank und zum Einlesen von Gesundheitsdaten in die zentrale Datenbank, wobeic) dem Gesundheitsdatensatz eines jeweiligen Patienten ein Datensatzidentifikationscode zugeordnet ist, dessen Eingabe zum Abruf von zugehörigen Gesundheitsdaten notwendig istund der einen auf einer elektronischen Patientenkarte gespeicherten Patientenkartencode undmindestens einen von einem vom Patienten einzugebenden Patientenidentifikationscode undeinem Behandleridentifikationscode umfasst, und wobeid) ein zeitbegrenzter Einleseberechtigungscode vorgesehen ist, der bei einem Abruf von Gesundheitsdaten von der Zentralstelle zusammen mit den Gesundheitsdaten an das abrufende Endgerät übermittelt wird und dem abrufenden Endgerät nur für einen vorgebbaren anschließenden Zeitraum eine Berechtigung zum Einlesen von Gesundheitsdaten in die zentrale Datenbank verleiht."
(Gliederung ergänzt)
Der Fachmann, ein Datenverarbeitungsingenieur oder ein Informatiker, der über eine mehrjährige Berufspraxis auf dem Gebiet der elektronischen Gesundheitssysteme verfügt, entnimmt dem Anspruch 1 ein Datenverarbeitungssystem, das eine oder mehrere Zentralstellen aufweist, in denen Gesundheitsdaten von Patienten in Datenbanken gespeichert sind. Der Abruf und das Einlesen von Gesundheitsdaten erfolgt über Kommunikationsverbindungen durch Endgeräte, die bspw. bei einem Arzt stehen (vgl. Abs. [0023] der Patentschrift).
Dabei ist der Abruf von Gesundheitsdaten eines Patienten nur mit einem Datensatzidentifikationscode möglich. Dieser Datensatzidentifikationscode setzt sich nach Merkmal c) zusammen aus einem auf einer Patientenkarte gespeicherten Patientenkartencode und mindestens einem von einem Patienten einzugebenden Patientenidentifikationscode und/oder einem Behandleridentifikationscode. Wie von der Patentinhaberin auf Nachfrage ausgeführt, ist hierin auch die Variante eingeschlossen, dass Patientenkartencode, Patientenidentifikationscode und Behandleridentifikationscode zum Abruf der Gesundheitsdaten erforderlich sind. Bei allen in Merkmal c) angegebenen Varianten ist der Abruf oder das Einlesen von Gesundheitsdaten eines Patienten nur durch den Patienten allein oder unter Zusammenwirken von Patient und Behandler möglich. Diese Maßnahme gewährleistet, dass entsprechend der im Patent genannten technischen Problemstellung die Gesundheitsdaten mit hohem Schutz vor nicht autorisiertem Zugriff abgespeichert sind, insbesondere auch vor nicht vom Patienten erlaubten Zugriffen.
Über diese Maßnahmen hinaus schlägt Merkmal d) das Vorsehen eines zeitbegrenzten Einleseberechtigungscodes vor. Dieser soll bei einem (autorisierten) Abruf von Gesundheitsdaten von der Zentralstelle zusammen an das abrufende Endgerät übermittelt werden und dem Endgerät für einen vorgebbaren anschließenden Zeitraum (Wochen, Monate, vgl. Abs. [0034] der Patentschrift) eine Berechtigung zum Einlesen von Gesundheitsdaten in die zentrale Datenbank bzw. Datenbanken verleihen. Wie in Abs. [0010] der Patentschrift erläutert, ermöglicht diese Maßnahme dem Behandler, neue Gesundheitsdaten innerhalb eines gewissen Zeitraums nach einem Behandlungstermin in die zentrale Datenbank einzugeben, ohne dass der Patient anwesend sein muss. Die Patentinhaberin erläutert hierzu, dass eine solche Situation bspw. dann auftritt, wenn der Arzt einen später vorliegenden Laborbefund eingeben möchte.
3. Das Datenverarbeitungssystem gemäß dem Patentanspruch 1 ist dem Fachmann durch die Ausführungen in folgenden Druckschriften nahegelegt:
- Aufsatz von Dr. Heiner Grönewald "QuaSi-Niere: Hilfe für Dialyse- und Nieren-Transplantationspatienten", veröffentlicht in der Zeitschrift "Card-Forum" Heft 11, 1997, S. 27 - 28 (Anlage 7a).
- US 6,065,117 (Anlage 22).
Der Aufsatz "QuaSi-Niere" befasst sich mit der Verarbeitung von Daten im Gesundheitswesen. Behandlungsinformationen von Patienten sollen in einem bundesweiten Register erfasst werden. Wie auf S. 28, linke und mittlere Sp. ausgeführt, soll mit dem dort beschriebenen System nicht nur eine pseudonymisierte Datenbasis für wissenschaftliche Zwecke aufgebaut werden, sondern auch eine tatsächliche Verbesserung in der medizinischen Betreuung des Einzelnen erreicht werden, was sich nur mit den persönlichen Daten der Patienten erreichen lässt. Hierzu wird vorgeschlagen, die Daten im Bedarfsfall speziell autorisierten Instanzen wie dem behandelnden Arzt oder einem Notariat zugänglich zu machen. Zum Zweck der Zugriffs-Autorisation auf die Patientendaten werden an die Ärzte und Pflegekräfte "Health Professional Cards" HPC ausgegeben, die als Berechtigungsausweis und als kryptografischer Schlüssel fungieren. Ihr Inhaber kann auf die QuaSi-Niere-Datenbank zugreifen, die dort abgelegten Informationen entschlüsseln und ggf. ändern und ergänzen. Allerdings braucht er in jedem Fall zusätzlich die Autorisierung durch den Patienten, die dieser "durch das Stecken seiner Patientenkarte und die Eingabe einer PIN erteilt".
Der Datenverarbeitungsfachmann entnimmt den dargelegten Umständen, dass das "bundesweite Register" mit Mitteln der elektronischen Datenverarbeitung realisiert wird und aus einer oder mehreren zentralen Datenverarbeitungsanlagen besteht, die zweckmäßig Datenbanken umfassen, auf die bspw. Ärzte über Endgeräte zugreifen können. Dabei sind für den Abruf von Behandlungsinformationen eines Patienten Patientenkartencode, Patientenidentifikationscode und Behandleridentifikationscode notwendig. Insoweit besteht Übereinstimmung zwischen dem im Aufsatz "QuaSi-Niere" beschriebenen System und der mit dem Anspruch 1 (auch) beanspruchten Variante, nach der alle drei Codes für einen Abruf erforderlich sind.
Das Datenverarbeitungssystem nach Anspruch 1 unterscheidet sich - abgesehen von den anderen in Merkmal c) genannten Varianten - von dem in dem Aufsatz "QuaSi-Niere" beschriebenen System nur mehr dadurch, dass ein zeitbegrenzter Einleseberechtigungscode vorgesehen wird (Merkmal d). Wie ausgeführt, soll diese Maßnahme einem Behandler ermöglichen, noch innerhalb eines bestimmten Zeitraums nach einem Behandlungstermin neue Gesundheitsdaten in das System einzubringen. Dass hierfür ein Bedürfnis besteht, ergibt sich aus dem üblichen organisatorischen Ablauf beim Behandler, bspw. Arzt. Dort liegen i. d. R. Laborbefunde eines Patienten nicht schon zum Behandlungstermin vor, sondern erst nach einigen Tagen. Insoweit ist davon auszugehen, dass diese auf vorgegebenen organisatorischen Abläufen beruhende Anforderung an den mit der Konzeption des Systems zur Verarbeitung von Patientendaten befassten Fachmann herangetragen wurde, wenn sie ihm nicht schon aufgrund seiner Kenntnisse über die Abläufe in Arztpraxen vertraut war. In technischer Hinsicht sah sich der Fachmann vor die konkrete Aufgabe gestellt, Maßnahmen zu finden, mit denen eine Ergänzung der Daten in der Zentralstelle durchgeführt werden konnte, ohne dass Patientenkarte und Patientenidentifikationscode vorlagen.
Das Vorsehen eines zeitbegrenzten Einleseberechtigungscodes bei einem Datenverarbeitungssystem zu diesem Zweck war dem Datenverarbeitungsfachmann durch die Ausführungen in der US 6,065,117 nahe gelegt.
Diese Druckschrift befasst sich mit dem Informationsaustausch (transaction) zwischen Endgeräten (client) und Zentralstellen (server) und geht davon aus, dass ein bestimmter Typ von Zentralstellen (stateless server) keine Zustandsinformationen für einen nachfolgenden Informationsaustausch mit einem Endgerät speichert, diese die Endgeräte aber häufig für einen nachfolgenden Informationsaustausch brauchen, da der nachfolgende Informationsaustausch in einen bestimmten Zusammenhang (context for subsequent transactions) zum vorhergehenden steht. Zur Herstellung dieses Zusammenhangs wird vorgeschlagen, einen (Software-) "Token" (nach Art eines HTTP cookies) zu verwenden, der von der Zentralstelle erzeugt und auf die (autorisierte) Anfrage (request) eines Endgerätes hin zusammen mit den angeforderten Daten an das Endgerät übermittelt wird. Bei einem nachfolgenden Informationsaustausch sendet das Endgerät mit seiner Anfrage den Token. Die Zentralstelle prüft den Token und antwortet bei dessen Gültigkeit, andernfalls beantwortet sie die Anfrage nicht (vgl. Sp. 1, Z. 14 - 31 i. V. m. Figur 2 samt zugehöriger Beschreibung Sp. 5, Z. 63 - Sp. 7 Z. 18).
Da der durch den Patienten autorisierte Zugriff des Behandlers und die nachfolgende Ergänzung der Gesundheitsdaten dieses Patienten ebenfalls in einem Zusammenhang stehen, lag es für den Fachmann nahe, den aus der US 6,065,117 bekannten Informationsaustausch unter Verwendung eines Tokens bzw. eines Einleseberechtigungscodes zur Herstellung dieses Zusammenhangs auch bei einem Datenverarbeitungssystem zur Verarbeitung von Gesundheitsdaten zu verwenden. Wie in Sp. 1, Z. 34 - 38 der US 6,065,117 erläutert, kann der Token dabei mit einer Ablaufzeit (expiration time) versehen werden, nach deren Ablauf die Zentralstelle den Token nicht mehr akzeptiert, d. h. die Anfrage nicht mehr beantwortet. Dies aber bedeutet nichts anderes als dass der Einleseberechtigungscode zeitbegrenzt ist, d. h. nur für einen vorgebbaren anschließenden Zeitraum eine Berechtigung zum Zugriff auf die zentrale Datenbank verleiht.
Der Patentinhaberin ist allerdings dahingehend beizutreten, dass aus der US 6,065,117 nicht hervorgeht, dass bei Gültigkeit des Tokens der dort stattfindende Informationsaustausch nicht wie nach Merkmal d) auf das Einlesen beschränkt ist. Offensichtlich kann der Austausch auch ein Auslesen der Daten aus der Zentralstelle umfassen. In der Beschränkung auf das Einlesen von Daten vermag aber unter Berücksichtigung der einleitend in der Patentschrift genannten Aufgabenstellung, insbesondere hohen Schutz vor nicht vom Patienten erlaubten Zugriffen bieten zu wollen, keine erfinderische Leistung erkannt werden. Der Fachmann wird besonders dann, wenn entgegen der ursprünglichen Zielsetzung ein Zugriff auf die Gesundheitsdaten ohne Zutun des Patienten zugelassen wird, diesen jedenfalls möglichst restriktiv gestalten, im vorliegenden Fall also nur das Einlesen von Gesundheitsdaten ermöglichen, nicht aber auch ein Auslesen ohne Autorisierung durch den Patienten ermöglichen.
Das Datenverarbeitungssystem zur Verarbeitung von Patientendaten nach dem Anspruch 1 ist sonach in der erläuterten Variante des Merkmals c) aus dem vorveröffentlichten Stand der Technik nahe gelegt. Dem Antrag der Patentinhaberin auf Aufrechterhaltung im beschränktem Umfang konnte daher nicht gefolgt werden.
Im Übrigen hätte auch eine Einschränkung auf die beiden anderen im Merkmal c) angegebenen Varianten, d. h. ein Abrufen der Gesundheitsdaten unter Verwendung von Patientenkartencode und entweder Patientenidentifikationscode oder Behandleridentifikationscode nicht zu einer anderen Bewertung geführt. Denn für den Fachmann lag eine Reduzierung der Anzahl der für einen Zugriff auf die Gesundheitsdaten erforderlichen Codes nahe, sofern er einen geringeren Schutz vor nicht autorisierten Zugriffen in Kauf nehmen wollte.
Das Patent war daher zu widerrufen.
Dr. Fritsch Prasch Eder Baumgardt Fa
BPatG:
Beschluss v. 13.12.2007
Az: 17 W (pat) 326/04
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