Bundesgerichtshof:
Urteil vom 22. Oktober 2003
Aktenzeichen: IV ZR 171/02
(BGH: Urteil v. 22.10.2003, Az.: IV ZR 171/02)
Tenor
Die Revision gegen das Urteil des 4. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Düsseldorf vom 14. Mai 2002 wird auf Kosten der Beklagten zurückgewiesen.
Von Rechts wegen.
Tatbestand
Der Kläger verlangt nach Pfändung und Überweisung des Dekkungsanspruchs von der Beklagten als Haftpflichtversicherer eines Rechtsanwalts Zahlung von 135.000 DM nebst Zinsen.
Der Kläger nahm den Rechtsanwalt auf Schadensersatz in Anspruch, weil dieser es pflichtwidrig unterlassen habe, einen Zahlungsanspruch des Klägers in Höhe von 60.000 DM gegen einen Dritten im Wege des dinglichen Arrestes zu sichern. Die zunächst auf Zahlung von 60.000 DM gerichtete Klage beim Landgericht Düsseldorf (8 O 3.../98) erweiterte der Kläger um 135.000 DM wegen eines Folgeschadens. Weil ihm die 60.000 DM nicht zur Verfügung gestanden hätten, habe er sein Haus zur Verhinderung der Zwangsversteigerung unter Wert verkaufen müssen. Im Termin vom 12. Oktober 1999, in dem eine ordnungsgemäße Ladung des beklagten Rechtsanwalts nicht feststellbar war, trennte das Landgericht die Klageerhöhung ab. Die Abtrennung und das für die Klage über 135.000 DM neu angelegte Aktenzeichen 8 O 4.../99 sind aus dem Terminsprotokoll ersichtlich. Der Klageerhöhungsschriftsatz befindet sich nicht bei der Akte 8 O 3.../98.
Im Verfahren 8 O 3.../98 erging am 30. November 1999 gegen den Rechtsanwalt ein Versäumnisurteil über 60.000 DM nebst Zinsen. Hiervon, nicht aber über die Klageerhöhung, unterrichtete der Rechtsanwalt die Beklagte, die dadurch erstmals von dem anhängigen Rechtsstreit Kenntnis erhielt. Sie schaltete Rechtsanwalt B. ein, der rechtzeitig Einspruch einlegte und am 11. Februar 2000 Akteneinsicht nahm. Den Beschluß im Protokoll vom 12. Oktober 1999 über die Abtrennung der Klageerhöhung und das dafür vermerkte weitere Aktenzeichen übersah er. Das Versäumnisurteil wurde durch streitiges Urteil des Landgerichts vom 23. Mai 2000 im wesentlichen bestätigt. Die Beklagte ließ dagegen durch die Rechtsanwälte Dr. P. und W. Berufung einlegen, die diese nach Akteneinsicht am 18. September 2000 zurücknahmen. Insoweit hat die Beklagte die Urteilssumme an den Kläger ausgezahlt.
Im Verfahren über die Klageerweiterung (8 O 4.../99) erließ das Landgericht am 17. April 2000 ein Versäumnisurteil über 135.000 DM nebst Zinsen, das dem Rechtsanwalt am 13. September 2000 zugestellt und gegen das kein Einspruch eingelegt wurde. Erst nach Rechtskraft erlangte die Beklagte Kenntnis von diesem Versäumnisurteil.
Sie ist der Ansicht, an das Versäumnisurteil nicht gebunden zu sein. Der Kläger habe die Obliegenheit nach § 158d Abs. 2 VVG verletzt, ihr die gerichtliche Geltendmachung des Anspruchs anzuzeigen. Deshalb sei im Rahmen ihrer Leistungspflicht nach § 158c Abs. 1 VVG gemäß § 158e Abs. 1 Satz 1 VVG nunmehr zu prüfen, ob der von ihr bestrittene Schadensersatzanspruch von 135.000 DM gegen ihren früheren Versicherungsnehmer bestehe.
Die Klage hatte beim Landgericht und Oberlandesgericht Erfolg. Mit ihrer Revision erstrebt die Beklagte die Abweisung der Klage.
Gründe
Die Revision ist nicht begründet. Die Beklagte ist trotz Leistungsfreiheit gegenüber ihrem Versicherungsnehmer dem Kläger nach § 158c Abs. 1 VVG zur Leistung verpflichtet, da es sich um eine Pflichthaftpflichtversicherung nach § 51 BRAO handelt. Die Vorinstanzen haben zutreffend angenommen, daß die Beklagte an das Versäumnisurteil vom 17. April 2000 gebunden ist und deshalb keine Einwendungen gegen den rechtskräftig titulierten Schadensersatzanspruch erheben kann, obwohl der Kläger seine Anzeigeobliegenheit nach § 158d Abs. 2 VVG verletzt hat.
1. Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs (Urteile vom 11. Oktober 1956 -II ZR 137/55 -VersR 1956, 707 f. und vom 19. Februar 1959 -II ZR 171/57 -VersR 1959, 256 unter 3; zuletzt Urteil vom 19. März 2003 -IV ZR 233/01 -VersR 2003, 635 unter II 2 b) schadet das Unterlassen der in § 158d Abs. 2 VVG vorgeschriebenen Anzeige dem geschädigten Dritten nicht, wenn der Versicherer von der Schadensersatzklage gegen seinen Versicherungsnehmer auf andere Weise rechtzeitig erfährt. Der Sinn und Zweck der §§ 158d Abs. 2, 158e Abs. 1 Satz 1 VVG besteht allein darin, daß der Versicherer die Möglichkeit haben soll, sich rechtzeitig in den Haftpflichtprozeß einzuschalten, etwa noch notwendige Schadensfeststellungen zu treffen und unbegründete Ansprüche des Dritten abzuwehren. Erhält der Versicherer auf andere Weise, z.B. durch den Versicherungsnehmer, so früh Kenntnis vom Prozeß, daß er noch vor Eintritt nachteiliger Folgen eingreifen kann, dann steht er nicht schlechter da, als er bei gehöriger Erfüllung der Verpflichtung nach § 158d Abs. 2 VVG stünde. Da der Inhalt der Anzeigeobliegenheit durch den Zweck der Vorschrift bestimmt wird, können an die anderweitige Kenntniserlangung keine höheren Anforderungen gestellt werden als an die Anzeige durch den Geschädigten selbst.
2. Durch die Mitteilung des Versicherungsnehmers vom Erlaß des Versäumnisurteils vom 30. November 1999 über 60.000 DM hatte die Beklagte Kenntnis vom Schadensersatzprozeß und damit die Möglichkeit, auch von der Erweiterung der Klage um 135.000 DM, der Abtrennung der Klageerweiterung und dem insoweit unter dem Aktenzeichen 8 O 4.../99 geführten anderweitigen Verfahren Kenntnis zu nehmen. Dies ergab sich, obwohl sich eine Kopie des Klageerweiterungsschriftsatzes nicht bei der Akte 8 O 3.../98 befand, deutlich aus dem Sitzungsprotokoll vom 12. Oktober 1999. Der von der Beklagten im Verfahren 8 O 3../98 eingeschaltete Rechtsanwalt B. hätte bei der Akteneinsicht erkennen können, daß die Klage erhöht worden und insoweit ein gesondertes Verfahren anhängig war. Auch die von der Beklagten im Berufungsverfahren beauftragten Rechtsanwälte hatten aufgrund ihrer Akteneinsicht noch die Möglichkeit, vor Ablauf der Einspruchsfrist gegen das Versäumnisurteil vom 17. April 2000 davon Kenntnis zu nehmen und nach Rücksprache mit der Beklagten rechtzeitig Einspruch einzulegen. Die Beklagte befand sich damit in derselben Lage wie bei einer durch Übersendung eines Aktenauszuges einschließlich des Sitzungsprotokolls des Landgerichts vom 12. Oktober 1999 durch den Kläger erteilten Information über die Einleitung des Haftpflichtprozesses gegen den Versicherungsnehmer. Damit hätte der Kläger seine Anzeigeobliegenheit nach § 158d Abs. 2 VVG erfüllt gehabt. Wenn die Beklagte daraufhin jegliche Beteiligung am Haftpflichtprozeß unterlassen und keine Akteneinsicht genommen hätte, hätte sie sich den gesamten Akteninhalt als bekannt zurechnen lassen müssen. Das Versehen der von ihr mit der Akteneinsicht beauftragten Rechtsanwälte geht gleichermaßen zu ihren Lastenwie ein eigener Tatsachenirrtum oder ein Rechtsirrtum über die Eintrittspflicht, der der Bindung des Haftpflichtversicherers an ein Versäumnisurteil ebenfalls nicht entgegensteht (vgl. zum Rechtsirrtum BGH, Urteil vom 11. Oktober 1956 aaO unter 5).
Terno Seiffert Ambrosius Dr. Kessal-Wulf Felsch
BGH:
Urteil v. 22.10.2003
Az: IV ZR 171/02
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