Bundesarbeitsgericht:
Beschluss vom 14. Dezember 2010
Aktenzeichen: 1 ABR 93/09
(BAG: Beschluss v. 14.12.2010, Az.: 1 ABR 93/09)
Ein auf die Feststellung des Bestehens oder Nichtbestehens der Tendenzeigenschaft eines Unternehmens iSd. § 118 Abs. 1 Satz 1 BetrVG gerichteter Feststellungsantrag ist unzulässig.
Tenor
Die Rechtsbeschwerden des Konzernbetriebsrats der S GmbH und des Betriebsrats der T a P P Produktionsgesellschaft mbH gegen den Beschluss des Landesarbeitsgerichts Hamburg vom 3. März 2009 - H 2 TaBV 102/08 - werden zurückgewiesen.
Gründe
A. Die Beteiligten streiten über die Tendenzeigenschaft der Arbeitgeberin.
Die Arbeitgeberin ist die Konzernmuttergesellschaft der deutschen S-Gruppe mit Sitz in H. Antragsteller sind der bei ihr gebildete Konzernbetriebsrat und der Betriebsrat der T a P P Produktionsgesellschaft mbH (TaPP).
Nach den Eintragungen im Handelsregister ist Unternehmensgegenstand der Arbeitgeberin das "Halten und Verwalten von Beteiligungen an Unternehmen sowie die Produktion und Aufführung von Musicals und anderen Theaterveranstaltungen in Deutschland". Sie ist Alleingesellschafterin von elf Produktions- und Betriebsgesellschaften, die bundesweit Theater betreiben, in denen Musicals und Tanzshows aufgeführt werden.
Der Konzernbetriebsrat und der Betriebsrat der TaPP haben geltend gemacht, die Arbeitgeberin sei kein Tendenzunternehmen. Da die Arbeitgeberin selbst keine Musicals und Theaterveranstaltungen produziere, diene sie nicht unmittelbar künstlerischen Bestimmungen. Die Arbeitgeberin könne ihren Tendenzschutz auch nicht von ihren abhängigen Unternehmen ableiten, denn bei diesen handele es sich gleichfalls nicht um Tendenzunternehmen.
Der Konzernbetriebsrat und der Betriebsrat der TaPP haben beantragt
festzustellen, dass es sich bei der Arbeitgeberin nicht um ein Tendenzunternehmen iSv. § 118 Abs. 1 BetrVG handelt.
Der Konzernbetriebsrat hat darüber hinaus in der Rechtsbeschwerde hilfsweise beantragt
festzustellen, dass der Konzernbetriebsrat über aktuelle wirtschaftliche Angelegenheiten iSv. § 106 Abs. 3 Nr. 1 bis 10 BetrVG von der Arbeitgeberin zu unterrichten ist;
weiter hilfsweise,
festzustellen, dass der Konzernbetriebsrat über den Gesamtspielplan der Konzerngruppe des jeweils aktuellen Kalenderjahres von der Arbeitgeberin zu unterrichten ist.
Die Arbeitgeberin hat beantragt, die Anträge abzuweisen.
Das Arbeitsgericht hat dem Hauptantrag des Konzernbetriebsrats stattgegeben. Das Landesarbeitsgericht hat ihn als unbegründet abgewiesen. Den Betriebsrat der TaPP hat es nicht am Verfahren beteiligt. Mit ihren Rechtsbeschwerden verfolgen der Konzernbetriebsrat und der Betriebsrat der TaPP ihre Begehren weiter.
B. Die Rechtsbeschwerden des Konzernbetriebsrats und des Betriebsrats der TaPP sind unbegründet. Deren gleichlautende Hauptanträge sind unzulässig. Die in der Rechtsbeschwerde vom Konzernbetriebsrat vorgenommene Antragserweiterung ist gleichfalls unzulässig.
I. An dem Beschlussverfahren ist gem. § 83 Abs. 3 ArbGG neben dem Konzernbetriebsrat und der Arbeitgeberin auch der Betriebsrat der TaPP beteiligt. Dieser ist als Antragsteller notwendiger Beteiligter, weil er mit seinem Antrag das Verfahren eingeleitet hat (BAG 30. Oktober 1986 - 6 ABR 52/83 - zu B II 1 der Gründe, BAGE 53, 279). Der Betriebsrat der TaPP hat im ersten Rechtszug einen eigenen Sachantrag gestellt. Auch wenn er zur Begründung auf den Inhalt der Antragsschrift des Konzernbetriebsrats Bezug genommen hat, kann aufgrund der klaren Antragsformulierung nicht angenommen werden, er habe ohne eigenen Sachantrag nur den Antrag des Konzernbetriebsrats unterstützen wollen (dazu BAG 26. März 1987 - 6 ABR 1/86 - zu II 2 a der Gründe, AP BetrVG 1972 § 26 Nr. 7 = EzA BetrVG 1972 § 26 Nr. 3). Dagegen spricht auch der weitere Verfahrensverlauf. Der Betriebsrat der TaPP hat im zweiten Rechtszug die in erster Instanz unterbliebene Beteiligung gerügt, Zurückweisung der Beschwerde der Arbeitgeberin beantragt und eigene Ausführungen zu der von ihm angenommenen Tendenzeigenschaft der Arbeitgeberin gemacht. Entsprechendes ist in der Rechtsbeschwerde erfolgt. Seine Beteiligungsbefugnis hängt auch nicht davon ab, ob er durch die begehrte Entscheidung in seiner betriebsverfassungsrechtlichen Position tatsächlich betroffen sein kann. Ob der Antragsteller befugt ist, den konkreten Antrag zur Entscheidung zu stellen, ist eine Frage seiner Antragsbefugnis, nicht aber seiner Beteiligung am Verfahren (BAG 25. August 1981 - 1 ABR 61/79 - BAGE 37, 31).
II. Der Hauptantrag ist unzulässig. Er ist nicht auf die Feststellung eines konkreten Rechtsverhältnisses iSd. § 256 Abs. 1 ZPO gerichtet. Gründe der Prozesswirtschaftlichkeit rechtfertigen kein anderes Ergebnis.
1. Nach dem auch im arbeitsgerichtlichen Beschlussverfahren anwendbaren § 256 Abs. 1 ZPO kann die gerichtliche Feststellung des Bestehens oder Nichtbestehens eines Rechtsverhältnisses beantragt werden, wenn der Antragsteller ein rechtliches Interesse an einer entsprechenden richterlichen Entscheidung hat. Ein Rechtsverhältnis ist jede durch die Herrschaft einer Rechtsnorm über einen konkreten Sachverhalt entstandene rechtliche Beziehung einer Person zu einer anderen Person oder zu einer Sache. Ein Antrag nach § 256 Abs. 1 ZPO muss sich dabei nicht notwendig auf das Rechtsverhältnis als Ganzes erstrecken. Er kann sich auch auf daraus folgende einzelne Beziehungen, Ansprüche oder Verpflichtungen und auf den Umfang einer Leistungspflicht beschränken. Bloße Elemente oder Vorfragen eines Rechtsverhältnisses können jedoch ebenso wie abstrakte Rechtsfragen nicht Gegenstand eines Feststellungsantrags sein. Das liefe auf die Erstellung eines Rechtsgutachtens hinaus, was den Gerichten verwehrt ist (BAG 20. Januar 2009 - 1 ABR 78/07 - Rn. 28, AP BetrVG 1972 § 77 Betriebsvereinbarung Nr. 44 = EzA ZPO 2002 § 547 Nr. 2).
2. Nach diesen Grundsätzen ist der Hauptantrag unzulässig.
a) Die Frage, ob das Unternehmen der Arbeitgeberin unmittelbar und überwiegend künstlerischen Bestimmungen gemäß § 118 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 BetrVG dient, betrifft eine Vorfrage eines Rechtsverhältnisses iSd. § 256 Abs. 1 ZPO. Sie ist nicht geeignet, das zwischen den Beteiligten bestehende betriebsverfassungsrechtliche Rechtsverhältnis einer Klärung zuzuführen. Diese träte nur ein, wenn dem negativ formulierten Feststellungsantrag stattgegeben würde. Dann stünde fest, dass das zwischen den Beteiligten bestehende Betriebsverhältnis nicht den Einschränkungen des § 118 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 BetrVG unterliegt. Bei einer Abweisung des Antrags stünde dagegen fest, dass die Arbeitgeberin ein Tendenzunternehmen betreibt, denn ein Beschluss, der einen negativen Feststellungsantrag aus sachlichen Gründen abweist, hat dieselbe Rechtskraftwirkung wie ein Beschluss, der das Gegenteil dessen, was mit dem negativen Feststellungsantrag begehrt wird, positiv feststellt (zu negativen Feststellungsklagen vgl. BGH 17. März 1995 - V ZR 178/93 - zu II 1 a der Gründe, NJW 1995, 1757). Stünde jedoch fest, dass die Arbeitgeberin ein Tendenzunternehmen ist, müsste in jedem Einzelfall geprüft werden, inwieweit das vom Konzernbetriebsrat begehrte Mitbestimmungsrecht aufgrund des Tendenzschutzes Einschränkungen erfährt (dazu BAG 13. Februar 2007 - 1 ABR 14/06 - BAGE 121, 139), weil nach § 118 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 BetrVG die Vorschriften des Betriebsverfassungsgesetzes auf Tendenzunternehmen nur insoweit keine Anwendung finden, wie die Eigenart des Unternehmens oder des Betriebs dem entgegensteht. Diese Rechtsfolge träte im Übrigen auch ein, wenn die Arbeitgeberin die positive Feststellung ihrer Tendenzeigenschaft beantragt hätte.
b) Für die Unzulässigkeit eines solchen Antrags spricht des Weiteren, dass in einzelnen gesetzlichen Bestimmungen, wie in § 2a Abs. 1 Nr. 4, Abs. 2 ArbGG, § 18 Abs. 2 BetrVG, die Möglichkeit der gerichtlichen Klärung rechtlicher Vorfragen ausdrücklich vorgesehen ist (BAG 24. April 2007 - 1 ABR 27/06 - Rn. 15, BAGE 122, 121). In Bezug auf die Tendenzeigenschaft iSd. § 118 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 BetrVG fehlt dagegen eine derartige Regelung.
c) Das Vorliegen eines feststellungsfähigen Rechtsverhältnisses kann auch nicht mit dem Hinweis auf den einem Statusverfahren nach § 1 Abs. 4, § 6 Abs. 2 MitbestG iVm. § 98 AktG zugrunde liegenden Rechtsgedanken begründet werden. Denn mit der Rechtskraft einer Entscheidung, welche die Tendenzeigenschaft eines Unternehmens iSv. § 1 Abs. 4 Nr. 1 MitbestG feststellt, ist abschließend geklärt, dass das Unternehmen nicht dem Mitbestimmungsgesetz unterliegt. Bei Abweisung des Antrags steht das Gegenteil fest. Durch einen Feststellungsantrag kann in diesen Fällen das zwischen den Verfahrensbeteiligten bestehende Rechtsverhältnis einer umfassenden Klärung zugeführt werden, weil es in der Unternehmensmitbestimmung - anders als in der Betriebsverfassung - keine eingeschränkte Geltung des Mitbestimmungsgesetzes in Tendenzunternehmen gibt, sondern einen absoluten Tendenzschutz (ErfK/Oetker 11. Aufl. § 1 MitbestG Rn. 9; MünchKommAktG/Gach 3. Aufl. Bd. 2 § 1 MitbestG Rn. 26). Entsprechendes gilt allerdings auch in der Betriebsverfassung für Feststellungsbegehren, die eine Religionsgemeinschaft und ihre karitativen und erzieherischen Einrichtungen iSd. § 118 Abs. 2 BetrVG betreffen. Auch hier führt der Feststellungsantrag zur Klärung des Bestehens oder Nichtbestehens eines betriebsverfassungsrechtlichen Rechtsverhältnisses, weil das Betriebsverfassungsgesetz nach dieser Bestimmung auf derartige Einrichtungen keine Anwendung findet. Ein auf die Feststellung des Bestehens einer Religionsgemeinschaft oder einer karitativen oder erzieherischen Einrichtung gerichteter Antrag wäre daher - anders als der auf die Feststellung der Tendenzeigenschaft nach § 118 Abs. 1 BetrVG gerichtete Antrag - zulässig (BAG 23. Oktober 2002 - 7 ABR 59/01 - zu B I der Gründe, BAGE 103, 163).
d) Soweit der Konzernbetriebsrat in der Rechtsbeschwerde unter Bezug auf im Schrifttum vertretene Auffassungen geltend macht, auch rechtliche Eigenschaften oder Fähigkeiten einer Person oder Sache könnten zulässiger Gegenstand einer Feststellungsklage sein, wird dies dort stets zugleich mit der Einschränkung verbunden, die begehrte Feststellung müsse geeignet sein, den Parteienstreit zu beseitigen. Nur dann bestehe das nach § 256 Abs. 1 ZPO erforderliche rechtliche Interesse an der begehrten Feststellung (MünchKommZPO/Becker-Eberhard 3. Aufl. § 256 Rn. 25; Stein/Jonas/Roth ZPO 22. Aufl. § 256 Rn. 27a; Zeuner FS Schumann S. 595 ff.). Eine solche endgültige Beseitigung des zwischen den Beteiligten bestehenden Streits über den Umfang der Beteiligungsrechte kann jedoch aus den dargelegten Gründen durch eine Sachentscheidung über den Hauptantrag nicht herbeigeführt werden. Aus der Zulässigkeit von Feststellungsklagen zur Klärung des Arbeitnehmerstatus kann entgegen der Ansicht der Rechtsbeschwerde gleichfalls nichts für die Zulässigkeit des streitgegenständlichen Antrags hergeleitet werden. Denn die Möglichkeit, das Bestehen oder Nichtbestehen eines Arbeitsverhältnisses und damit den Arbeitnehmerstatus durch die Arbeitsgerichte klären zu lassen, ist in § 2 Abs. 1 Nr. 3 Buchst. b ArbGG ausdrücklich vorgesehen. Soweit der Senat im Beschluss vom 21. Juli 1998 (- 1 ABR 2/98 - zu B I 2 b der Gründe, BAGE 89, 228; bestätigt durch BAG 23. März 1999 - 1 ABR 28/98 - zu B I der Gründe, BAGE 91, 144) angenommen hat, ein auf die Feststellung der Tendenzeigenschaft eines Unternehmens gerichteter Feststellungsantrag sei zulässig, hält er hieran aus den dargelegten Gründen nicht mehr fest.
III. Die vom Konzernbetriebsrats in der Rechtsbeschwerde erstmals gestellten Hilfsanträge sind unzulässig.
1. Antragsänderungen sind in der Rechtsbeschwerdeinstanz wegen § 559 Abs. 1 ZPO grundsätzlich nicht mehr möglich. Der Schluss der Anhörung in zweiter Instanz bildet nicht nur bezüglich des tatsächlichen Vorbringens, sondern auch bezüglich der Anträge der Beteiligten die Entscheidungsgrundlage für das Rechtsbeschwerdegericht. Antragsänderungen können aus prozessökonomischen Gründen nur dann zugelassen werden, wenn es sich dabei um Fälle des § 264 Nr. 2 ZPO handelt, der neue Sachantrag sich also auf den vom Landesarbeitsgericht festgestellten Sachverhalt stützt und berechtigte Interessen des Gegners nicht beeinträchtigt werden (BAG 15. Juli 2008 - 3 AZR 172/07 - Rn. 24, AP ZPO § 253 Nr. 48).
2. Entgegen der Auffassung des Konzernbetriebsrats verdeutlichen oder modifizieren die Hilfsanträge nicht den Hauptantrag, sondern betreffen einen neuen, erstmals in der Rechtsbeschwerde eingeführten Streitgegenstand. Ein Unterrichtungsanspruch des Konzernbetriebsrats nach § 80 Abs. 2 BetrVG setzte voraus, dass eine Aufgabe des Konzernbetriebsrats gegeben und im Einzelfall die begehrte Information zu ihrer Wahrnehmung erforderlich wäre (BAG 23. März 2010 - 1 ABR 81/08 - Rn. 16, AP BetrVG 1972 § 80 Nr. 72 = EzA BetrVG 2001 § 80 Nr. 12). Das dazu notwendige Vorbringen steht mit der vom Konzernbetriebsrat bestrittenen Tendenzeigenschaft der Arbeitgeberin in keinem Zusammenhang. Dementsprechend hat das Landesarbeitsgericht zu den Anspruchsvoraussetzungen des Unterrichtungsanspruchs auch keine tatsächlichen Feststellungen getroffen. Dem angefochtenen Beschluss ist nicht zu entnehmen, welche Maßnahmen des Arbeitgebers konkret anstehen, die eigene Beteiligungsrechte des Konzernbetriebsrats auslösen könnten, für deren Wahrnehmung er die begehrten Auskünfte benötigte.
Schmidt
Koch
Linck
Klebe
Hann
BAG:
Beschluss v. 14.12.2010
Az: 1 ABR 93/09
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