Bundespatentgericht:
Urteil vom 29. Juni 2010
Aktenzeichen: 1 Ni 4/09

(BPatG: Urteil v. 29.06.2010, Az.: 1 Ni 4/09)

Tenor

1.

Das europäische Patent 0 917 965 wird für das Hoheitsgebiet der Bundesrepublik Deutschland für nichtig erklärt.

2.

Die Beklagte trägt die Kosten des Rechtsstreits.

3.

Das Urteil ist gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 120 % des zu vollstreckenden Betrages vorläufig vollstreckbar.

Tatbestand

Die Beklagte ist Inhaberin des u. a. für die Bundesrepublik Deutschland erteilten europäischen Patents 0 917 965, das am 11. November 1998 unter Inanspruchnahme einer deutschen Priorität vom 24. November 1997 angemeldet worden ist. Das Patent ist in deutscher Sprache veröffentlicht und trägt die Bezeichnung "Sammelhefter für Falzbogen und Verfahren zur Antriebssteuerung eines Sammelheftes" (zutreffend: "Sammelhefters"). Das Patent wird beim Deutschen Patentund Markenamt unter dem Aktenzeichen 598 00 990 geführt. Es umfasst 19 Ansprüche, die sämtlich mit der Klage angegriffen sind. Die Ansprüche 1, 2 und 15 sind nebengeordnet.

Anspruch 1 lautet:

Sammelhefter für Falzbogen mit einer Heftstation, wenigstens einem Falzbogenanleger, einer Sammelkette und einem Antrieb, dadurch gekennzeichnet, dass der Antrieb aus mehreren Einzelantriebseinheiten besteht, von denen jeweils eine der Heftstation, jedem Falzbogenanleger und der Sammelkette zugeordnet ist, jede Einzelantriebseinheit wenigstens einen Elektromotor und eine diesem zugeordnete Steuereinheit aufweist und eine Verbindung zum Austausch von Datenund/oder Steuersignalen zwischen den Steuereinheiten vorgesehen ist.

Anspruch 2 lautet:

Sammelhefter für Falzbogen mit einer Heftstation, wenigstens einem Falzbogenanleger, einer Sammelkette und einem Antrieb, dadurch gekennzeichnet, dass der Antrieb aus mehreren Einzelantriebseinheiten besteht, von denen eine gemeinsam der Heftstation und der Sammelkette zugeordnet ist und die übrigen Einzelantriebseinheiten je einem Falzbogenanleger zugeordnet sind, jede Einzelantriebseinheit wenigstens einen Elektromotor und eine diesem zugeordnete Steuereinheit aufweist und eine Verbindung zum Austausch von Datenund/oder Steuersignalen zwischen den Steuereinheiten vorgesehen ist.

Anspruch 15 lautet:

Verfahren zur Antriebssteuerung eines Sammelhefters nach einem der Ansprüche 4 bis 12, dadurch gekennzeichnet, dass in einem Einrichtbetrieb vorbestimmte Drehpositionsversatzsollwerte zwischen dem Motor der Haupteinheit und jedem Motor der Nebeneinheiten eingestellt werden und während des Produktionsbetriebs die aktuellen Drehpositionen des Motors der Haupteinheit und jedes Motors der Nebeneinheiten erfasst und die erfassten Istwerte der Drehpositionen des Motors der Haupteinheit und der Motoren der Nebeneinheiten auf den jeweiligen vorbestimmten Drehpositionsversatzsollwert geregelt werden.

Anspruch 4, auf den Anspruch 15 rückbezogen ist, hat folgenden Wortlaut:

Sammelhefter nach Anspruch 2, dadurch gekennzeichnet, dass die der Heftstation (22; 76) und der Sammelkette (20; 82) zugeordnete Einzelantriebseinheit als Haupteinheit (86; 142) zur Arbeitstaktvorgabe und alle weiteren Einzelantriebseinheiten als diesem Arbeitstakt folgende Nebeneinheiten (88, 90; 146, 148) ausgebildet sind.

Wegen des Wortlauts der übrigen Ansprüche wird auf die Patentschrift verwiesen.

Die Klägerin stützt ihr Nichtigkeitsbegehren darauf, dass der Gegenstand des Streitpatents nicht neu sei und nicht auf einer erfinderischen Tätigkeit beruhe.

Sie verweist hierzu auf folgende Druckschriften: Die Klägerin beantragt, NK9: Feldbusse - Überblick . In: Elektroniker Nr. 9-1992; Seite 69 bis 72 NK10: "Elektrische Welle" löst mechanische "Königswellen" ab. In: etz, Heft 22/1996, Seite 12 und 15 NK11: Polygraph Fachlexikon der Druckindustrie und Kommunikationstechnik, 1. Auflage 1997, Seite 429 NK12: Industrielle Buchbinderei, 1997, Seiten 151, 182 bis 194 NK13.1: US 5 499 803 A NK13.2: DE 695 07 435 T2 NK14: EP 0 681 923 A1 NK15: DE 195 15 512 A1 NK16: EP 0 761 472 A1 NK17.1: JP 61-229 771 A NK17.2: englische Übersetzung von NK17.1 NK18: Ausdruck aus der Internet-Enzyklopädie Wikipedia (Serielle Schnittstelle)

NK20: Betriebsanleitung "Newsliner" 0357.0400 NK22: Systembeschreibung der Steuerung "Newsliner" vom 30.1.1990.

das europäische Patent EP 0 917 965 mit Wirkung für das Hoheitsgebiet der Bundesrepublik Deutschland für nichtig zu erklären.

Die Beklagte beantragt, die Klage abzuweisen.

Sie ist der Auffassung, der Gegenstand des Streitpatents sei neu und werde durch die genannten Entgegenhaltungen weder allein noch in Kombination nahe gelegt. Die Druckschriften NK11 und NK12 seien zudem nicht vorveröffentlicht.

Gründe

Die in zulässiger Weise erhobene Klage, mit der der Nichtigkeitsgrund der mangelnden Patentfähigkeit geltend gemacht wird (Art. II § 6 Abs. 1 Nr. 1 IntPatÜG, Art. 138 Abs. 1 lit. a, Art. 54 Abs. 1, 2, Art. 56 EPÜ), ist begründet.

I.

1. Das Streitpatent betrifft einen Sammelhefter für Falzbogen und ein Verfahren zur Antriebssteuerung eines Sammelhefters.

Mit einem Sammelhefter werden bedruckte und gefaltete Bogen (Falzbogen) gesammelt und anschließend in derselben Maschine zur Herstellung von mehrseitigen Druckprodukten wie Zeitschriften geheftet. Die Falzbogen werden den Falzbogenanlegern in Stapeln zugeführt, dort vereinzelt, geöffnet und auf die durchgehende Sammelkette aufgelegt. Die zu heftende Anzahl von Falzbogen wird auf der Sammelkette durch Mitnehmer gesammelt und ausgerichtet. Die Sammelkette transportiert die gesammelten Falzbogen zur Heftstation, wo diese durch Heftköpfe mit Drahtklammern geheftet werden. Die einzelnen Falzbogen müssen von den Falzbogenanlegern zeitlich aufeinander abgestimmt auf die Sammelkette abgelegt werden, so dass von den Mitnehmern der Sammelkette jeweils ein vollständiger Stapel unterschiedlicher Falzbogen erfasst werden kann.

In der Beschreibung des Streitpatents wird von einem als Stand der Technik bezeichneten Sammelhefter ausgegangen, dessen Antrieb über einen zentralen Elektromotor erfolgt. Dabei werden die Heftstation, die Sammelkette, die Falzbogenanleger und eventuelle weitere Komponenten des Sammelhefters über ein Getriebe und eine durchgehende Königswelle angetrieben. Die Anzahl der Falzbogenanleger richtet sich nach der maximalen Anzahl der zu verarbeitenden unterschiedlichen Falzbogen, aus denen die Endprodukte bestehen sollen. Die maximal mögliche Anzahl der Falzbogenanleger ist aber durch die Leistung des zentralen Elektromotors und die mechanische Stabilität der Königswelle beschränkt (Abs. [0003]).

Als Nachteil solcher Sammelhefter mit mechanischer Königswelle ist im Streitpatent unter anderem angegeben, dass die Leistung des zentralen Elektromotors auf die maximale gewünschte Anzahl von Falzbogenanlegern ausgelegt werden müsse. Der Antrieb über eine Königswelle bedinge auch einen großen Aufwand beim Austausch von Falzbogenanlegern. Außerdem müssten alle Falzbogenanleger auf einer Seite der Sammelkette angeordnet sein (Abs. [0005]).

Mit der Erfindung soll ein flexibler Einsatz und ein flexibler Betrieb eines Sammelhefters ermöglicht werden (Abs. [0006]).

Zur Lösung dieser Aufgabe schlägt das Streitpatent einen Sammelhefter mit den Merkmalen des Patentanspruchs 1 oder des Patentanspruchs 2 sowie ein Verfahren mit den Merkmalen des Patentanspruchs 15 vor.

Im Streitpatent wird ein Sammelhefter beansprucht, der nach Patentanspruch 1 folgende Merkmale aufweist:

Sammelhefter für Falzbogen 1.

mit einer Heftstation, 2.

wenigstens einem Falzbogenanleger, 3.

einer Sammelkette und 4.

einem Antrieb, dadurch gekennzeichnet, dass 5.

der Antrieb aus mehreren Einzelantriebseinheiten besteht, 5.1 von denen jeweils eine der Heftstation und der Sammelkette zugeordnet ist, 5.2 und jeweils eine jedem Falzbogenanleger zugeordnet ist, 6.

jede Einzelantriebseinheit wenigstens 6.1 einen Elektromotor und 6.2 eine diesem zugeordnete Steuereinheit aufweist 7.

und eine Verbindung zum Austausch von Datenund/oder Steuersignalen zwischen den Steuereinheiten vorgesehen ist.

Die Vorrichtung gemäß dem Patentanspruch 2 unterscheidet sich vom Anspruch 1 lediglich im Merkmal 5.1 und weist die folgenden Merkmale auf:

Sammelhefter für Falzbogen 1.

mit einer Heftstation, 2.

wenigstens einem Falzbogenanleger, 3.

einer Sammelkette und 4.

einem Antrieb, dadurch gekennzeichnet, dass.

5.

der Antrieb aus mehreren Einzelantriebseinheiten besteht, 5.1 von denen eine gemeinsam der Heftstation und der Sammelkette zugeordnet ist, 5.2 und jeweils eine jedem Falzbogenanleger zugeordnet ist, 6.

jede Einzelantriebseinheit wenigstens 6.1 einen Elektromotor und 6.2 eine diesem zugeordnete Steuereinheit aufweist 7.

und eine Verbindung zum Austausch von Datenund/oder Steuersignalen zwischen den Steuereinheiten vorgesehen ist.

Anspruch 15 betrifft ein Verfahren zur Antriebssteuerung eines Sammelhefters nach einem der Ansprüche 4 bis 12, dadurch gekennzeichnet, dass 15.1 in einem Einrichtbetrieb vorbestimmte Drehpositionsversatzsollwerte zwischen dem Motor der Haupteinheit und jedem Motor der Nebeneinheiten eingestellt werden und 15.2 während des Produktionsbetriebs die aktuellen Drehpositionen des Motors der Haupteinheit und jedes Motors der Nebeneinheiten erfasst und 15.3 die erfassten Istwerte der Drehpositionen des Motors der Haupteinheit und der Motoren der Nebeneinheiten auf den jeweiligen vorbestimmten Drehpositionsversatzsollwert geregelt werden.

2. Zum Verständnis des Patents aus der Sicht des hier zuständigen Fachmanns, eines Diplom-Ingenieurs der Fachrichtung Maschinenbau, der über mehrjährige Erfahrung in der Planung und Konstruktion von Sammelheftern verfügt, und der bei der Auslegung des Antriebes mit einem Diplom-Ingenieur der Fachrichtung Elektrotechnik im Team zusammenarbeitet, ist folgendes auszuführen:

Die Erfindung betrifft einen Sammelhefter für Falzbogen mit einer Heftstation, wenigstens einem Falzbogenanleger, einer Sammelkette und einem Antrieb (Merkmale 1 bis 4) sowie ein Verfahren zur Antriebssteuerung eines Sammelhefters. Die Fig. 1 der Streitpatentschrift zeigt folgendes Ausführungsbeispiel:

Beim streitpatentgemäßen Sammelhefter besteht der Antrieb aus mehreren Einzelantriebseinheiten (Merkmal 5), von denen jeweils eine der Heftstation (22), jedem Falzbogenanleger (12, 14, 16, 18) und der Sammelkette (20) zugeordnet ist (Merkmale 5.1 und 5.2), wobei jede Einzelantriebseinheit wenigstens einen Elektromotor (30, 34, 36, 38, 40) und eine diesem zugeordnete Steuereinheit (32, 42, 44, 46, 48) aufweist (Merkmale 6.1 und 6.2). Ferner ist eine Verbindung (50) zum Austausch von Datenund/oder Steuersignalen zwischen den Steuereinheiten (32, 42, 44, 46, 48) vorgesehen (Merkmal 7).

Merkmal 7 hat zunächst ein vorrichtungstechnisches Element zum Gegenstand (= Verbindung zwischen den Steuereinheiten, z. B. durch eine Leitung (vgl. Abs. [0034] der Streitpatentschrift). Diese Leitung muss zum Austausch von Datenund/oder Steuersignalen zwischen den Steuereinheiten geeignet sein, was eine beschränkende Wirkungsangabe beinhaltet, die so zu verstehen ist, dass durch den Austausch der Daten/Steuersignale der synchrone Betrieb der Einzelkomponenten des Sammelhefters gewährleistet sein muss (vgl. Abs. [0009] der Streitpatentschrift).

Der Begriff "Austausch" setzt einen Datenfluss in beide Richtungen voraus, wobei aber eine Abfrage bzw. die Übermittlung eines Betriebszustandes ausreicht. Der Austausch zwischen den Steuereinheiten besagt auch nicht, dass jede Steuereinheit mit jeder anderen Steuereinheit Daten austauschen können muss. Es genügt vielmehr, wenn der Datenaustausch über eine übergeordnete Steuereinheit erfolgt. Der Wortlaut des Merkmals 7 ist allgemein gehalten, eine Auslegung unterhalb des Wortlauts des Patentanspruchs bzw. außerhalb dessen Sinngehalts, wie sie die Beklagte geltend macht, ist nicht zulässig (BGH GRUR 2007, 309 -Schussfädentransport). In welcher Weise der Datenaustausch erfolgt und welche Datenoder Steuersignale auszutauschen sind, lässt Anspruch 1 ebenso wie die gesamte Streitpatentschrift offen. Gemäß Anspruch 3 kann zwar die Steuereinheit eine zentrale Steuerung als vorteilhafte Ausgestaltung aufweisen. Anspruch 4 sieht die der Heftstation (22; 76) und der Sammelkette (20; 82) zugeordnete Einzelantriebseinheit hingegen als Haupteinheit (86; 142) zur Arbeitstaktvorgabe vor, während alle weiteren Einzelantriebseinheiten als diesem Arbeitstakt folgende Nebeneinheiten (88, 90; 146, 148) ausgebildet sind. Anspruch 1 schließt insoweit andere Lösungen nicht aus.

Dieses Verständnis des Merkmals 7 entspricht weitgehend dem des OLG Karlsruhe in dem zwischen den Parteien ergangenen Urteil vom 12. November 2008 -6 U 86/07 (dat. S. 16-18).

Anspruch 2 unterscheidet sich vom Anspruch 1 dadurch, dass der Heftstation und der Sammelkette ein gemeinsamer Einzelantrieb zugeordnet ist.

Das Verfahren gemäß Anspruch 15 zur Antriebssteuerung eines Sammelhefters ist auf einen der Vorrichtungsansprüche 4 bis 12 rückbezogen. Es werden in einem Einrichtbetrieb vorbestimmte Drehpositionsversatzsollwerte zwischen dem Motor der Haupteinheit und jedem Motor der Nebeneinheiten eingestellt und während des Produktionsbetriebs die aktuellen Drehpositionen des Motors der Haupteinheit und jedes Motors der Nebeneinheiten erfasst und die erfassten Istwerte der Drehposition des Motors der Haupteinheit und der Motoren der Nebeneinheiten auf den jeweiligen vorbestimmten Drehpositionsversatzsollwert geregelt. Die Einstellung der Drehpositionsversatzsollwerte im Einrichtbetrieb kann dabei automatisch oder manuell erfolgen. Sie ist notwendig, damit beispielsweise die einzelnen Falzbogen in den einzelnen Falzbogenanlegern zeitlich abgestimmt an die Sammelkette übergeben werden. Die Regelung der Motoren der Nebeneinheiten und der Haupteinheit im Produktionsbetrieb auf die vorbestimmten Drehpositionsversatzsollwerte ermöglicht einen raschen Ausgleich eventueller Ungleichmäßigkeiten im Antrieb. Hierdurch wird der Effekt einer elektrischen Welle zwischen den einzelnen Komponenten des Sammelhefters erreicht, wobei im Unterschied zu einer starren mechanischen Welle auch variierende Drehpositionsversatzsollwerte zwischen den Komponenten möglich sind (Abs. [0023]).

II.

Die so dem Streitpatent in der erteilten Fassung zu entnehmenden Gegenstände der nebengeordneten Patentansprüche sind gegenüber dem Stand der Technik neu -was die Klägerin in der mündlichen Verhandlung auch nicht mehr bestritten hat -, beruhen jedoch nicht auf einer erfinderischen Tätigkeit.

1) Zum Patentanspruch 1 Ein Sammelhefter für Falzbögen mit den Merkmalen des Oberbegriffs des Patentanspruchs ist bereits durch die NK14 verwirklicht, die einen Sammelhefter mit entlang einer durch wenigstens ein Trum eines endlos umlaufenden (Merkmal 4) kettenartigen Zugmittels (Merkmal 3) mit daran befestigten, eine sattelförmige Auflage für die nacheinander aufgespreizt abgelegten Druckbogen (Merkmal 2) bildenden Stützelementen und mit Mitnehmern ausgebildeten Sammelstrecke betrifft, die in eine anschließende, zum Heften der übereinander abgelegten Druckbogen bestimmte Heftstrecke (Merkmal 1) mündet (vgl. Seite 2, erster Abs.). Die NK14 offenbart somit einen Sammelhefter mit den Merkmalen 1 bis 4.

Da die NK14 den Antrieb nicht näher beschreibt, geht der Fachmann von einem herkömmlichen Antrieb mittels einer mechanischen Königswelle aus. Eine Königswelle ist eine zentrale Antriebswelle, die durch den gesamten Sammelhefter hindurchgeht und entlang derer die verschiedenen Komponenten des Sammelhefters durch mehrere Abtriebe angetrieben werden. Diese Abtriebe sind als spezielle Getriebe wie z. B. als Kurvengetriebe ausgebildet. Eine Eigenschaft dieses Maschinenkonzeptes ist, dass alle Bewegungen und Komponenten fest gekoppelt mit dem Hauptantrieb laufen. Dies bedeutet, dass für jede Winkelstellung der Königswelle eine zugehörige Stellung der Komponenten des Sammelhefters mechanisch vorgegeben ist.

Die aufwendigen mechanischen Königswellen durch elektrische Wellen, die allerdings eine abgestimmte Steuerung der Einzelantriebe erfordern, zu ersetzen, war am Prioritätstag des Streitpatents in vielen Zweigen der Technik wie etwa in Papierbeschichtungund Flaschenabfüllanlagen verbreitet. Hierzu wird auf die NK10 verwiesen. Dort ist zudem bereits dargelegt, dass auf diese Weise die Mechanik vereinfacht und Kosten reduziert werden können (vgl. Seite 12, Zusammenfassung).

Die NK10 gibt das Fachwissen am Prioritätstag des Streitpatents wieder. Es mag dahingestellt bleiben, ob sich der Gegenstand des Anspruchs 1 nicht bereits in einer Anwendung dieses Fachwissens bei einem Sammelhefter erschöpft. Denn auch bei der Weiterverarbeitung von Druckerzeugnissen war vor dem Prioritätstag des Streitpatents der Übergang von der mechanischen Königswelle zur elektrischen Welle bereits vollzogen worden, vgl. die US 5 499 803 A (NK13.1), deren Figur 2 nachstehend verkleinert wiedergegeben ist.

Die NK13.1 zeigt und beschreibt eine Zusammentragmaschine (Kollationierer) ohne Hauptantriebswelle (Collator without a main line drive shaft), vgl. Bezeichnung. In einem Kollationierer werden bedruckte Bogen oder Blätter in der richtigen und vollständigen Reihenfolge zusammengetragen, bevor sie beispielsweise zu einem Buch gebunden oder zu einer Broschüre geheftet werden. In der NK13.1 wird bereits auf die Probleme hingewiesen, die sich in Verbindung mit einer langen Hauptantriebswelle (= Königswelle) ergeben, vgl. Spalte 1, Zeile 25 bis 42. Der mechanische Antrieb ist demnach wenig flexibel. Durch die Länge der Antriebswelle wird diese auf Torsion beansprucht, wodurch Probleme bei der Ansteuerung der Zuführeinrichtungen auftreten können. Auch sind die mechanischen Komponenten verschleißanfällig.

Die NK13.1 schlägt zur Beseitigung dieser Probleme vor, jede Zuführeinrichtung (dort hopper section) mit einem eigenen Motor anzutreiben und diesen wiederum mit einer eigenen Steuerung (motor drive controllers) zu versehen, die mit einer Hauptantriebssteuerung (master controller (14)) verbunden ist. Die Hauptantriebssteuerung (14) verbindet damit die Motorantriebsteuerungen untereinander, steuert die Betriebsgeschwindigkeit und koordiniert den Zeittakt des Betriebs der Antriebsmotoren (vgl. Abstract, Anspruch 5 und Figur 2 (mit den dort ersichtlichen Doppelpfeilen zwischen dem "Master Controller" und den "Motor Drive Controls")). Zumindest die Koordination des Zeittaktes des Betriebes der Antriebsmotoren bedingt, dass die Hauptantriebssteuerung (14) Kenntnis der Daten der Motordrehzahl und des Motorstellungsencoders (motor position encoders) erlangt, da anderenfalls der Zeittakt des Betriebes der Motoren nicht aufeinander abgestimmt werden kann. Der Fachmann entnimmt daher der NK13.1 eine Steuerung mit einem bidirektionalen Datenaustausch entsprechend Merkmal 7. Die NK13.1 trifft zwar keine Aussage über den Antrieb der Sammelförderers (collating conveyor 12). Da eine Synchronisation der Zuführeinrichtungen mit dem selbstverständlich angetriebenen Sammelförderer notwendig ist, unterstellt der Fachmann, dass der Sammelförderer über einen eigenen Antrieb verfügt, der von der Hauptantriebssteuerung gesteuert wird. Damit ist in der NK13.1 ein Antriebskonzept gemäß den Merkmalen 5 bis 7 des Anspruchs 1 des Streitpatents verwirklicht.

Die Übertragung der der NK13.1 zu entnehmenden Abkehr von der mechanischen Antriebswelle hin zu einzelnen elektrischen Antrieben und deren Steuerung auf einen Sammelhefter mit den Merkmalen 1 bis 4 ist als nahe liegende Maßnahmen anzusehen. Die Probleme mit der langen Antriebswelle sind bei beiden Maschinen sehr ähnlich, so dass der Fachmann die in der NK13.1 offenbarte Lösung ohne Weiteres auch bei einem Sammelhefter mit Heftstation und Falzbogenanlegern verwirklichen wird.

Die Einspruchsabteilung des Europäischen Patentamts hat demgegenüber in der Entscheidung vom 15. Dezember 2003 in der NK13.1 lediglich eine unidirektionale Verbindung als verwirklicht angesehen (vgl. Anlage NK5, Seite 13, Abs. 1). Die Einspruchsabteilung bezieht sich allerdings lediglich auf einen Abschnitt in der Beschreibung Spalte 3, Zeile 33 bis 45 zum Ausführungsbeispiel nach Fig. 1, nicht hingegen auf die maßgeblichen, oben genannten Offenbarungsstellen, die zu einem anderen Verständnis der NK13.1 führen. Dem Fachmann ist im Übrigen klar, dass eine unidirektionale Verbindung nicht geeignet ist, eine Maschine, wie sie die NK13.1 beschreibt, hinreichend genau zu steuern, da mangels Rückmeldung bei einer unidirektionalen Verbindung der Empfang von Daten sowie insbesondere die Fehlerfreiheit der empfangenen Daten nicht überprüfbar sind.

Der erteilte Anspruch 1 hat nach alledem keinen Bestand.

2) Zum Patentanspruch 2 Patentanspruch 2 unterscheidet sich vom Patentanspruch 1 lediglich hinsichtlich des Merkmals 5.1, nämlich dass eine Einzelantriebseinheit gemeinsam der Heftstation und der Sammelkette zugeordnet ist.

Dieses Merkmal geht über eine einfache handwerkliche Maßnahme nicht hinaus. Da in einem Sammelhefter die Heftstation und die Geschwindigkeit der Sammelkette die Leistung des Hefters bestimmen -was dem Fachmann am Prioritätstag des Streitpatents bekannt war -ist es nahe liegend, diese beiden Geräte mit einem gemeinsamen Motor anzutreiben. Die Ausführung eines gemeinsamen Antriebs für Heftstation und Sammelkette nach Patentanspruch 2 liegt daher im Bereich des fachmännischen Wissens. Im Übrigen lehrt auch die NK13.1 alternativ, mehrere Einzelaggregate (dort: Zuführeinrichtungen) durch einen Motor gemeinsam anzutreiben (vgl. Fig. 1).

Der Gegenstand des Anspruchs 2 beruht daher ebenfalls nicht auf einer erfinderischen Tätigkeit.

3) Zum Patentanspruch 15 Anspruch 15 betrifft ein Verfahren zur Antriebssteuerung eines Sammelhefters nach einem der Ansprüche 4 bis 12. Bei einem Sammelhefter müssen die einzelnen Falzbogen von den Falzbogenanlegern zeitlich aufeinander abgestimmt auf die Sammelkette abgelegt werden, so dass von den Mitnehmern der Sammelkette jeweils ein vollständiger Stapel unterschiedlicher Falzbogen erfasst werden kann. Der Abwurfzeitpunkt des Falzbogens muss in Bezug auf die Geschwindigkeit der Sammelkette eingestellt werden, so dass der Falzbogen stets im richtigen Abstand vor einem Mitnehmer der Sammelkette auf der Sammelkette aufkommt. Die einzelnen Falzbogenanleger werden daher bei einem Sammelhefter mit Königswelle bezüglich ihres Drehpositionsversatzes zu dem zentralen Antrieb, der auch die Sammelkette antreibt, im Stillstand über eine Kupplung eingestellt (vgl. Abs. [0004] der Streitpatentschrift). Dieses ist der sogenannte Einrichtbetrieb.

Da bei Sammelheftern mit den Merkmalen des Anspruchs 4 des Streitpatents keine mechanische Kopplung der einzelnen Komponenten vorliegt, muss in deren Einrichtbetrieb zunächst die Drehposition der Komponenten zueinander eingestellt und dann überwacht werden. Als Haupteinheit ist wie bei einem Antrieb mittels einer mechanischen Königswelle der Antrieb der Sammelkette heranzuziehen, da die Arbeitszeitpunkte der weiteren Komponenten auf die Geschwindigkeit der Sammelkette einzustellen sind, d. h. es werden vorbestimmte Drehpositionsversatzsollwerte zwischen dem Motor der Haupteinheit und jedem Motor der Nebeneinheiten eingestellt (Merkmal 15.1). Diese Sollwerte müssen während des Produktionsbetriebes eingehalten werden, was eine Erfassung der aktuellen Drehpositionen der einzelnen Motoren gemäß Merkmal 15.2 und die Regelung der erfassten Istwerte auf den vorbestimmten Drehpositionsversatzsollwert erfordert (Merkmal 15.3). Anspruch 15 erschöpft sich damit in der einfachen Anpassung des bekannten Einrichtbetriebes eines Sammelhefters, der eine mechanische Antriebswelle als Antrieb aufweist, auf einen Sammelhefter mit elektrischen Einzelantrieben für die Komponenten des Sammelhefters unter Verwendung der bei elektrischen Einzelantrieben notwendigen Steuerungsmöglichkeiten. Diese Übertragung vermag eine erfinderische Tätigkeit nicht zu begründen.

Die Einstellung bestimmter Drehpositionsversatzsollwerte in einem Einrichtbetrieb setzt die NK13.1 ebenfalls voraus (dort Sp. 4, Z. 60 bis Sp. 5 Z. 4).

4) Die Unteransprüche weisen keinen eigenständigen erfinderischen Gehalt auf.

Ein solcher wurde von der Beklagten auch nicht geltend gemacht.

III.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 84 Abs. 2 PatG i. V. m. § 91 Abs. 1 Satz 1 ZPO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus § 99 Abs. 1 PatG, § 709 Satz 1 und 2 ZPO.

Schramm Richter Dr. Frowein Prietzel-Funk Sandkämper Dr. Baumgart ist wegen Eintritts in den Ruhestand an der Unterschriftsleistung gehindert.

Schramm Ko






BPatG:
Urteil v. 29.06.2010
Az: 1 Ni 4/09


Link zum Urteil:
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