Bundesverwaltungsgericht:
Beschluss vom 30. Juni 2010
Aktenzeichen: 6 B 9.10

(BVerwG: Beschluss v. 30.06.2010, Az.: 6 B 9.10)

Tenor

Die Beschwerden der Beklagten und der Beigeladenen gegen die Nichtzulassung der Revision in dem Urteil des Verwaltungsgerichts Köln vom 19. November 2009 werden zurückgewiesen.

Die Beklagte und die Beigeladene tragen die Kosten des Beschwerdeverfahrens je zur Hälfte.

Der Wert des Streitgegenstandes wird für das Beschwerdeverfahren auf 524 074,17 € festgesetzt.

Gründe

1. Die Beschwerden, die sich auf den Zulassungsgrund der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache stützen (§ 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO), bleiben ohne Erfolg. Grundsätzlich bedeutsam im Sinne dieser Vorschrift ist eine Rechtssache nur, wenn für die angefochtene Entscheidung der Vorinstanz eine konkrete, fallübergreifende und bislang ungeklärte Rechtsfrage des revisiblen Rechts

von Bedeutung war, deren Klärung im Revisionsverfahren zu erwarten ist und zur Erhaltung der Einheitlichkeit der Rechtsprechung oder zur Weiterentwicklung des Rechts geboten erscheint. Den Darlegungen der Beschwerden lässt sich nicht entnehmen, dass diese Voraussetzungen im vorliegenden Fall erfüllt sind.

a) Die Beklagte will geklärt wissen:

"Hat die Beklagte einen Beurteilungsspielraum dahingehend, in welchem Umfang die Kosten des regulierten Unternehmens für die Beurteilung, ob die Entgelte sich an den Kosten der effizienten Leistungsbereitstellung orientieren, nachgewiesen sein müssen, mit der Folge, dass sie auch auf den Nachweis einzelner in die zu vergütende Leistung einfließender Kosten des regulierten Unternehmens verzichten kann€

Kann die Beklagte ein genehmigungspflichtiges Entgelt ganz oder teilweise genehmigen, obwohl die Stundensätze des regulierten Unternehmens und die den Gemeinkostenzuschlägen zugrundeliegenden Einzelkosten je Kostenstelle nicht nachgewiesen sind€"

Diese Fragen rechtfertigen die Zulassung der Revision nicht. Sie lassen sich, soweit sie sich in dem erstrebten Revisionsverfahren stellen würden, auf der Grundlage der bisher ergangenen Rechtsprechung unmittelbar aus dem Gesetz beantworten.

Ob und inwieweit ein regulierungsbehördlicher Beurteilungsspielraum bei der Bestimmung der Kosten der effizienten Leistungsbereitstellung besteht, ist zwar in der Rechtsprechung des Senats noch nicht allgemein geklärt. Der Senat hat bisher angenommen, dass bei der Überprüfung von Kostenpositionen auf Richtigkeit und Erforderlichkeit, wie sie die Effizienzkontrolle regelmäßig kennzeichnet, die Anerkennung eines nur eingeschränkt überprüfbaren Beurteilungsspielraums jedenfalls nicht durchgängig geboten, sondern allenfalls in Bezug auf abgrenzbare Teilaspekte angezeigt ist (Urteil vom 24. Juni 2009 - BVerwG 6 C 19.08 - Buchholz 442.066 § 35 TKG Nr. 3 Rn. 21). Zu einer weitergehenden Klärung etwaiger Beurteilungsspielräume bei der Entgeltkontrolle bietet auch der vorliegende Fall keinen Anlass. Denn das angefochtene Urteil beruht nicht auf der Anerkennung eines derartigen Spielraums für einen bestimmten Fragenkreis, sondern umgekehrt auf der - zutreffenden - Einschränkung, dass ein etwaiger Beurteilungsspielraum, soweit er anzuerkennen sein sollte, jedenfalls den in der Rechtsprechung hierfür allgemein entwickelten Grenzen unterliegt. Danach hat das Gericht mindestens zu überprüfen, ob die Behörde die gültigen Verfahrensbestimmungen eingehalten hat, von einem richtigen Verständnis des anzuwendenden Gesetzesbegriffs ausgegangen ist, den erheblichen Sachverhalt vollständig und zutreffend ermittelt hat und sich bei der eigentlichen Beurteilung an allgemein gültige Wertungsmaßstäbe gehalten, insbesondere das Willkürverbot nicht verletzt hat (s. nur Urteil vom 2. April 2008 - BVerwG 6 C 15.07 - BVerwGE 131, 41 = Buchholz 442.066 § 10 TKG Nr. 1 Rn. 21 m.w.N.).

Unter dieser Prämisse hat das Verwaltungsgericht zutreffend angenommen, dass sich aus dem Urteil des Europäischen Gerichtshofs vom 24. April 2008 - Rs. C-55/06 - (Slg. 2008, I-2931) keine zusätzliche Einschränkung des gerichtlichen Kontrollmaßstabes ergibt. Zwar hat der Gerichtshof den nationalen Regulierungsbehörden hinsichtlich der Beurteilung der entgeltrelevanten Kosten des Zugangs zum Teilnehmeranschluss eine "weitreichende Befugnis" zugesprochen (a.a.O. Rn. 155 ff.). Das bedeutet aber nicht, dass die dem effizienten Rechtsschutz verpflichtete gerichtliche Kontrolle hinter den für die Überprüfung von Beurteilungsspielräumen allgemein entwickelten Kriterien zurückzubleiben hätte. Der Europäische Gerichtshof hat vielmehr in seinem vorbezeichneten Urteil ausdrücklich klargestellt, dass die damals maßgeblichen und auch auf den vorliegenden Fall noch anwendbaren gemeinschaftsrechtlichen Bestimmungen - insbesondere der Verordnung (EG) Nr. 2887/2000 über den entbündelten Zugang zum Teilnehmeranschluss - keine Angleichung der nationalen Vorschriften über den Umfang der gerichtlichen Kontrolle im Einzelfall anstrebten. Die Ausgestaltung gerichtlicher Verfahren, einschließlich der Art und Weise der richterlichen Kontrolle von Entscheidungen der nationalen Regulierungsbehörde über die Entgeltgenehmigung, sei vielmehr unter Beachtung des Äquivalenzgrundsatzes und des Effektivitätsgrundsatzes eine Angelegenheit der innerstaatlichen Rechtsordnung, wobei das nationale Gericht die Einhaltung der gemeinschaftsrechtlich gebotenen Kostenorientierung der Entgelte sicherzustellen habe (a.a.O. Rn. 163 ff.).

Das Verwaltungsgericht hat in Anwendung der allgemein anerkannten Schranken eines (etwaigen) Beurteilungsspielraums beanstandet, dass die Regulierungsbehörde den entscheidungserheblichen Sachverhalt nicht vollständig und zutreffend ermittelt, sondern die Ansätze und Berechnungen der Beigeladenen ohne ausreichende Prüfung übernommen habe, obwohl ausweislich eines behördeninternen Prüfberichts sowohl die maßgeblichen Stundensätze als auch die Gemeinkostenzuschlagssätze nicht nachgewiesen gewesen seien. Dem Urteil lässt sich weder entnehmen, dass die Behörde daran gehindert wäre, anstelle der Kostenberechnung des Unternehmens gegebenenfalls auf ein analytisches Kostenmodell zurückzugreifen, noch, dass eine Schätzung bestimmter Kostenpositionen auf Grund nachvollziehbarer Schätzungsgrundlagen von vornherein ausgeschlossen wäre. Darauf kam es für die Entscheidung nicht an, weil die Behörde weder ein analytisches Kostenmodell aufgestellt, noch eine Schätzung vorgenommen, sondern auf die Kostenberechnung der Beigeladenen abgehoben hatte. Welche Anforderungen an die diesbezügliche Ermittlung des maßgeblichen Sachverhalts konkret zu stellen sind, ist ersichtlich eine Frage des Einzelfalls und entzieht sich damit einer verallgemeinernden Klärung.

b) Die Beigeladene hält für klärungsbedürftig:

"Darf die Regulierungsbehörde Angaben über Kosten, die das regulierte Unternehmen in den Antragsunterlagen gemacht hat, dann für die Ermittlung der genehmigungsfähigen Entgelte übernehmen, wenn die Kostenangaben nach Einschätzung der Regulierungsbehörde plausibel sind, auch wenn eine vollständige Prüfung nicht möglich ist€"

Diese Frage rechtfertigt die Zulassung der Revision schon deshalb nicht, weil sie sich dem Verwaltungsgericht nicht gestellt hat. Rechtsfragen, auf die die Vorinstanz nicht entscheidend abgehoben hat, können regelmäßig nicht zur Zulassung der Revision führen (s. Beschlüsse vom 18. Mai 2006 - BVerwG 6 B 14.06 - juris Rn. 11 und vom 14. November 2008 - BVerwG 6 B 61.08 - Buchholz 422.2 Rundfunkrecht Nr. 47 Rn. 3). Das Verwaltungsgericht ist in dem angefochtenen Urteil ausdrücklich davon ausgegangen, dass die Regulierungsbehörde die Plausibilität der Kostenansätze der Beigeladenen gerade nicht festgestellt, sondern diese vielmehr ohne ausreichende Begründung in die Entgeltgenehmigung übernommen hat. Nach Maßgabe des angefochtenen Urteils unzutreffend ist ferner die der Fragestellung zugrundeliegende Prämisse, eine vollständige Prüfung der Kosten sei nicht möglich gewesen. Denn das Urteil geht im Gegenteil ausdrücklich davon aus, dass die entscheidungserheblichen Grundlagen der Entgeltgenehmigung durch die Beigeladene hätten nachgewiesen werden können. Ob die betreffenden Annahmen des Verwaltungsgerichts in der Sache zutreffend sind oder nicht, betrifft wiederum nur den Einzelfall und hat keine darüber hinausreichende Bedeutung, soweit es sich nicht ohnehin um tatsächliche Feststellungen handelt, gegen die keine Verfahrensrügen vorgebracht sind.

Die Beigeladene fragt weiter:

"Folgt eine Einschränkung der Sachaufklärungspflicht der Behörde aus der Fristbindung des Verfahrens (§ 28 Abs. 2 TKG 1996, § 31 Abs. 6 Satz 3 TKG)€"

Die Antwort auf diese Frage ergibt sich unmittelbar aus dem Gesetz, ohne dass es der Durchführung eines Revisionsverfahrens bedarf. Sie gewinnt eine grundsätzliche Bedeutung insbesondere nicht im Hinblick darauf, dass ein Entgeltantrag, über den die Regulierungsbehörde nach dem auf den Streitfall noch anwendbaren § 28 Abs. 2 TKG 1996 fristgebunden zu entscheiden hat, von ihr lediglich abgelehnt werden "kann", wenn das Unternehmen die maßgeblichen Kostenunterlagen nicht vollständig vorgelegt hat (§ 27 Abs. 4 TKG 1996 i.V.m. § 2 Abs. 3 TEntGV 1996). Diese Ermessensvorschrift bezweckt, eine Versagung der Genehmigung trotz unzureichender Kostenunterlagen dann zu vermeiden, wenn sich die Behörde die erforderlichen Informationen - etwa durch Marktdaten, durch Kostenunterlagen aus anderen Genehmigungsverfahren und durch Kostennachweise von dritter Seite - selbst verschaffen kann; sie bezweckt demgegenüber nicht, die materiellen Anforderungen an die Genehmigungserteilung herabzusetzen (s. Urteil vom 25. November 2009 - BVerwG 6 C 34.08 - N&R 2010, 40 Rn. 29 zu § 35 Abs. 3 Satz 3 TKG 2004). Daher steht fest, dass über einen Entgeltantrag auch im Hinblick auf den nahenden Fristablauf nicht positiv entschieden werden darf, wenn und solange es für die vorgelegten Entgelte an einer ausreichenden Datengrundlage fehlt.

2. Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 und 3 VwGO. Die Streitwertfestsetzung für das Beschwerdeverfahren folgt aus § 47 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 3 i.V.m. § 52 Abs. 1 GKG.






BVerwG:
Beschluss v. 30.06.2010
Az: 6 B 9.10


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