Oberlandesgericht Köln:
Beschluss vom 28. November 1994
Aktenzeichen: 13 W 60/94
(OLG Köln: Beschluss v. 28.11.1994, Az.: 13 W 60/94)
1. Die Bewilligung von Prozeßkostenhilfe kommt auch im selbständigen Beweisverfahren in Betracht.
2. Bei der hinreichenden Aussicht auf Erfolg ist auf die Erfolgsaussicht des Antrags im selbständigen Beweisverfahren, nicht auf die einer beabsichtigten Klage abzustellen.
3. Ein rechtliches Interesse im Sinne von § 485 Abs. 2 ZPO ist nur gegeben, wenn im Falle der Bestätigung der Beweisfrage durch das Ergebnis der beantragten Beweisaufnahme ein Anspruch des Antragstellers gegeben sein kann.
Gründe
Die zulässige Beschwerde hat in der Sache keinen Erfolg. Zu
Recht hat das Landgericht dem Antragsteller die nachgesuchte
Prozeßkostenhilfe verweigert.
Es kann dahinstehen, ob der Antragsteller mit der Vorlage der
,Kurzfristigen Erfolgsrechnung" vom 31.03.1994 und den Belegen über
seine Belastungen bereits glaubhaft gemacht hat, daß er nicht in
der Lage ist, die Kosten eines Beweissicherungsverfahrens aus
eigenen Mitteln zu bestreiten. Selbst wenn man nämlich diese
Erfolgsrechnung ohne nähere Erläuterungen für einzelne Positionen
(z.B. 1240 und 1250) als Nachweis für die Armut im
prozeßrechtlichen Sinne gelten lassen wollte, muß die Bewilligung
von Prozeßkostenhilfe daran scheitern, daß dem Gesuch die
hinreichende Aussicht auf Erfolg fehlt.
Die Frage, ob in dem selbständigen Beweisverfahren nach §§ 485
ff ZPO überhaupt die Bewilligung von Prozeßkostenhilfe in Betracht
kommt, ist streitig (vgl. Baumbach-Lauterbach-AlbersHartmann, ZPO,
52. Aufl. 1994, § 114 Rdnr. 38 m.w.N.). Während eine Mindermeinung
(Alternativkommentar zur ZPO (AK) DeppeHilgenberg, 1987, Rnr. 5 zu
§§ 114, 115; LG Bonn, MDR 1985, 415; LG Flensburg Schl HA 1987,
154) die Auffassung vertritt, die Bewilligung von Prozeßkostenhilfe
im selbständigen Beweisverfahren komme nicht in Betracht, weil es
sich bei dem besonderen Verfahren nach §§ 485 ff ZPO nicht um einen
Prozeß handele und § 114 ZPO die - im selbständigen Beweisverfahren
nicht stattfindende - Prüfung der hinreichenden Erfolgsaussicht der
beabsichtigten Rechtsverfolgung voraussetze, nimmt die herrschende
Meinung an, auch im selbständigen Beweisverfahren könne
Prozeßkostenhilfe bewilligt werden (vgl. LG Aurich, JB 1986, 766
f.; LG Köln, NJW RR 87, 319 f.; LG Düsseldorf, MDR 1986, 857; LG
Bayreuth JB 1991, 398; BL-Hartmann, ZPO, 50. Aufl. § 114 Rnr. 38,
102; Stein-Jonas-Bork, 21. Aufl. 1994, § 119 Rnr. 12; Müko-Wax, §
114 Rnr. 10; Thomas-Putzo, 17. Aufl. § 114 Anm. 1; Zöller-Philippi,
18. Aufl. § 114 Rnr. 2 und ZöllerHerget § 490 Rnr. 5). Der Senat
schließt sich der herrschenden Auffassung an. Die Bewilligung von
Prozeßkostenhilfe ist nicht auf das Erkenntnisverfahren nach §§ 253
ff. ZPO beschränkt, sondern kommt auch in den besonderen
Verfahrensarten wie dem Mahnverfahren, dem Arrestverfahren, dem
Verfahren auf Erlaß einer einstweiligen Verfügung oder Anordnung
oder dem selbständigen Bweisverfahren nach §§ 485 ff. ZPO in
Betracht (Müko-Wax, § 114 Rnr. 9 ff.; Zöller-Schneider, 16. Aufl.,
Rnr. 7 vor § 114). Mit der Bezeichnung der staatlichen
Fürsorgeleistung als Prozeßkostenhilfe wollte der Gesetzgeber nicht
deren Bewilligung in solchen Verfahren ausschließen, in denen es
sich nicht um Prozesse im engeren Sinne handelt. Vielmehr kam es
ihm darauf an, den früheren Begriff ,Armenrecht", der als
diskriminierend empfunden wurde, durch eine neutralere Bezeichnung
zu ersetzen. Das Gesetz über die Prozeßkostenhilfe vom 13.6.1980
(BGBl I S. 677) trat gleichzeitig mit dem Gesetz über
Rechtsberatung und Vertretung für Bürger mit geringem Einkommen vom
18.6.1980 (BGBl I S. 689 - Beratungshilfegesetz) am 1. Januar 1981
in Kraft. Mit beiden Gesetzen zusammen wurde versucht, das frühere
Armenrecht auf ,rechts- und sozialstaatliche Füße zu stellen"
(Grunsky, NJW 1980, 2041, 2048). Die Beschreibung der einen
staatlichen Leistung als ,Prozeßkostenhilfe" diente in erster Linie
der Abgrenzung von der neu eingeführten Beratungshilfe, deren
Gewährung nach § 1 Abs. 1 BerHG für die Wahrnehmung von Rechten
,außerhalb eines Gerichtlichen Verfahrens" in Betracht kommt. Im
Gegensatz dazu muß der Begriff der Prozeßkostenhilfe als auf alle
gerichtlichen Verfahren bezogen verstanden werden; dies schließt
das selbständige Beweisverfahren nach § 485 ZPO begrifflich mit
ein. Daß die Einbeziehung des selbständigen Beweisverfahrens in die
Gruppe der von §§ 114 ff. ZPO erfaßten Verfahrensarten dem Willen
des Gesetzgebers entspricht, folgt auch aus § 122 Abs. 3 Satz 3 Nr.
3 BRAGO. Indem der Gesetzgeber durch diese Vorschrift klarstellt,
daß sich die Beiordnung des Rechtsanwalts im Hauptprozeß nicht auf
das selbständige Beweisverfahren erstreckt, sondern eine
ausdrückliche Beiordnung dafür erforderlich ist, gibt er zu
erkennen, daß das selbständige Beweisverfahren zu den
Verfahrensarten gehört, in welchen die Bewilligung von
Prozeßkostenhilfe möglich ist (LG Bayreuth, JB 1991, 398 m. Zust.
Anm. Mümmler; LG Aurich, JB 1986, 766). Die Bewilligung von
Prozeßkostenhilfe kommt mithin in Betracht, sofern die
Voraussetzungen der §§ 114 ff. ZPO gegeben sind, insbesondere eine
hinreichende Aussicht auf Erfolg zu bejahen ist.
Bei Prüfung der Erfolgsaussicht der Rechtsverfolgung ist nach
zutreffender herrschender Ansicht nicht darauf abzustellen, ob die
etwa später beabsichtigte Klage im Hauptprozeß Erfolgsaussicht
bieten würde. Vielmehr kommt es allein darauf an, ob hinreichende
Aussicht besteht, daß dem Antrag auf Anordnung der selbständigen
Beweiserhebung stattgegeben wird (LG Köln, NJW 1987, 320;
BL-Hartmann, a.a.O. § 114 Rnr. 38; Müko-Wax, § 114 Rnr. 10; ebenso
für das selbständige Beweisverfahren im Bauprozeß Werner/Pastor, 7.
Aufl. 1990, Rnr. 127). Der Antragsteller braucht nicht vorzutragen,
welche Ansprüche er in dem Fall, daß der Sachverständige den
behaupteten Sachzustand oder die Schadensursache feststellt, im
Hauptprozeß geltend zu machen beabsichtigt.
Gleichwohl ist die hinreichende Erfolgsaussicht des Gesuchs des
Antragstellers zu verneinen, denn die Voraussetzungen der §§ 485
ff. ZPO für die Anordnung der selbständigen Beweiserhebung liegen
nicht vor. Wenn - wie im vorliegenden Fall - ein Rechtsstreit noch
nicht anhängig ist, kann die schriftliche Begutachtung des
Sachzustands und die darauf bezogene Ursachenfeststellung durch
einen Sachverständigen gemäß § 485 Abs. 2 ZPO nur dann mit Erfolg
beantragt werden, wenn die nachsuchende Partei ein rechtliches
Interesse daran hat. Ein solches rechtliches Interesse fehlt dem
Antragsteller. Zwar ist der Begriff des restlichen Interesses nach
herrschender Auffassung weit zu verstehen (vgl. BL-Hartmann, a.a.O.
§ 485 Rnr. 8 m.w.N.). Nicht zu folgen ist der Auffassung von
Schreiber (NJW 1991, 2601), gegen eine weite Auslegung des Begriffs
spreche der Umstand, daß das selbständige Beweisverfahren eine
Ausnahme vom Grundsatz der Unmittelbarkeit der Beweisaufnahme sei.
Denn wenn nach § 485 Abs. 2 Satz 2 ZPO ein rechtliches Interesse
dann anzunehmen ist, wenn die beantragte Feststellung der
Vermeidung eines Rechtsstreits dienen kann, läßt dies erkennen, daß
das durch das Rechtspflegevereinfachungsgesetz vom 17.12.1990
gegenständlich erweiterte selbständige Beweisverfahren in den
Fällen des § 485 Abs. 2 ZPO gerade nicht der Vorbereitung eines
Rechtsstreits dienen soll. Das Vorliegen eines rechtlichen
Interesses ist daher zu bejahen, wenn die durch den
Sachverständigen zu treffende Tatsachenfeststellung die Grundlage
eines beliebigen sachlichrechtlichen Anspruchs des Antragstellers
oder eines anderen gegen ihn bilden kann (BL-Hartmann a.a.O. § 485
Rnr. 8). Ergibt sich dagegen aus dem Sachvortrag des
Antragstellers, daß auch bei Feststellung des von ihm behaupteten
Sachzustands und der von ihm behaupteten Schadensursache kein
Anspruch gegen den Verfahrensgegner in Betracht kommt, ist ein
rechtliches Interesse zu verneinen.
Nach diesen Grundsätzen kommt im vorliegenden Fall die
Bewilligung von Prozeßkostenhilfe nicht in Betracht. Wie das
Landgericht zutreffend ausgeführt hat, hat der Antragsteller keine
Verpflichtung der Beklagten glaubhaft gemacht, für den an dem
Fahrzeug 1993 aufgetretenen Schaden einzustehen. Vielmehr ergibt
sich aus den von dem Antragsteller vorgelegten
,Garantieinformationen" der Antragsgegnerin, daß keine überwiegende
Wahrscheinlichkeit für einen Anspruch des Antragstellers aus einem
selbständigen Garantievertrag gegen die Antragsgegnerin
spricht.
Die Gewährleistungsbedingungen, an die die Neuwagengarantie
geknüpft ist, sehen die kostenlose Beseitigung von Mängeln vor,
wenn das Fahrzeug trotz normaler Benutzung und richtiger Wartung
innerhalb des Garantiezeitraums Mängel aufweist, die auf die
Verwendung von fehlerhaften Werkstoffen oder auf eine fehlerhafte
Verarbeitung zurückzuführen sind. Der Antragsteller hat indes nicht
glaubhaft gemacht, daß er seinerseits die
Gewährleistungsbedingungen erfüllt hat.
Allerdings spricht - entgegen dem Sachvortrag der
Antragsgegnerin - eine überwiegende Wahrscheinlichkeit dafür, daß
der Antragssteller die gebotenen Wartungsarbeiten hat durchführen
lassen. Denn das Autohaus N., bei dem es sich um eine von der
Antragsgegnerin autorisierte Werkstatt handelt, hat in dem vom
Antragsteller vorgelegten Inspektionsheft eingetragen, daß die
10.000-Kilometer-Inspektion am 20. März 1992 bei Tachostand 10237
und die 20.000-Kilometer-Inspektion, verbunden mit einem Àlwechsel,
am 16.April 1993 bei Tachostand 20.048 durchgeführt wurde. Soweit
die Antragsgegnerin einwendet, zu den genannten Daten sei jeweils
nur ein Àlwechsel, nicht aber die gebotene Wartung durchgeführt
worden, muß die Vorlage des Inspektionsheftes als ausreichende
Glaubhaftmachung nach § 487 Nr. 4 ZPO für die Beachtung des Gebots,
periodische Wartungen durchführen zu lassen, angesehen werden. Dem
steht nicht entgegen, daß bei der 20.000-KilometerInspektion vom
Vertragshändler der Antragsgegnerin nicht die Durchführung der
Karrosserieinspektion bescheinigt wurde, deren Beachtung dem
Antragsteller durch die Neuwagengarantie (S. 9 der
Garantieinformation, Stichwort ,Betrieb und Unterhalt") auferlegt
wurde. Denn die Unterlassung einer Karrosserieinspektion kann für
das Auftreten von Motorschäden nicht ursächlich sein. Der
Antragsteller hat jedoch nicht glaubhaft gemacht, daß er die
Gewährleistungsbedingung einer normalen Benutzung des Fahrzeugs
erfüllt hat. Nach den ,Verpflichtungen" des Antragstellers in der
Neuwagengarantie (S. 9 der Garantieinformationen) ist er für den
richtigen Betrieb und Unterhalt seines Fahrzeugs ,entsprechend den
in der Betriebsanleitung angeführten Anweisungen" verantworlich.
Diese Eigenverantwortlichkeit des Antragstellers schließt im
vorliegenden Falle Garantiehaftung der Antragsgegnerin aus.
Da das Motoröl im Betriebsverlauf des Motors nicht nur einer
Verschmutzung, Alterung und Ànderung seiner Viskosität unterliegt,
sondern auch durch den Betrieb des Motors, technisch bedingt, zu
einem Teil verbraucht wird, ist der Benutzer eines jeden
Kraftfahrzeugs nach den Anweisungen der Betriebsanleitung gehalten,
regelmäßig, insbesondere aber vor Antritt einer größeren Fahrt, den
Àlstand zu kontrollieren. Die Einzelheiten dazu, wie die
Durchführung der Àlstandskontrolle zu erfolgen hat (Motortemperatur
, Wartezeit nach Abstellen des Motors etc.), sind in der
Betriebsanleitung vorgeschrieben. Der Antragsteller hat nicht
glaubhaft gemacht, daß er diese Anweisungen der Betriebsanleitung
beachtet hat. So fehlt es bereits an jedem Vortrag, wieviele
Kilometer er mit dem Fahrzeug seit dem Àlwechsel vom 16. April 1993
bis zum Auftreten des Motorschadens zurückgelegt hat. Auch
erscheint sein Vorbringen, daß der Motorschaden bereits im Mai
1993, also nur drei bis sieben Wochen nach dem Àlwechsel,
aufgetreten sei, wenig glaubhaft. Denn der Kostenvoranschlag der
Fa. N. über die am Motor durchzuführenden Arbeiten datiert vom 30.
August 1993, was den Vortrag der Antragsgegnerin stützt, an diesem
Tage sei das Fahrzeug des Antragstellers von der Firma N. an einer
Autobahnraststätte abgeholt worden, und es sei dort festgestellt
worden, daß der Motor kein Motoröl mehr gehabt habe. Schließlich
hat der Antragsteller nicht einmal vorgetragen, daß er den Àlstand
an dem Fahrzeug überprüft habe. Es besteht daher die überwiegende
Wahrscheinlichkeit, daß der Motorschaden durch das Unterlassen der
regelmäßigen Àlstandskontrolle verursacht wurde.
Der Vortrag des Antragstellers, der Motor sei fehlerhaft gewesen
und deshalb sei es zu Àlverlusten gekommen, ist nich glaubhaft
gemacht. Zum einen wird nämlich ein Lagerschaden, der nach dem
unwidersprochenen Vorbringen der Antragsgegnerin von dem Autohaus
N. festgestellt wurde, erst durch die Unterversorgung der
Pleuellager mit Motoröl und die fehlende Schmierung verursacht,
d.h. nicht der Motorschaden führte zu Àlmangel, sondern letzterer
verursachte den Motorschaden. Zum anderen wird vom Antragsteller
verkannt, daß auch der Betrieb eines voll funktionstüchtigen und
einwandfrei gewarteten Motors zwangsläufig mit dem Verbrauch von Àl
verbunden ist; eben dies ist der Grund für die
Àlstandskontrollpflicht jedes Fahrzeugbenutzers.
Vor diesem Hintergrund kam die Bewilligung von Prozeßkostenhilfe
nicht in Betracht, so daß die Beschwerde des Antragstellers
zurückzuweisen war.
OLG Köln:
Beschluss v. 28.11.1994
Az: 13 W 60/94
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