Landgericht Köln:
Urteil vom 30. Juni 2011
Aktenzeichen: 6 S 252/10

(LG Köln: Urteil v. 30.06.2011, Az.: 6 S 252/10)

Tenor

Auf die Berufung der Klägerin wird das Urteil des Amtsgerichts Köln vom 04.11.2010 - 128 C 145/10 - wie folgt abgeändert:

Der Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin eine vollständige Mitgliederliste bezüglich aller Mitglieder des Beklagten (Namen und Anschriften) zum Stichtag Rechtskraft des Urteils der Kammer an die Klägerin auszuhändigen.

Die Kosten Rechtsstreits trägt der Beklagte.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Dem Beklagten bleibt nachgelassen, die Zwangsvollstreckung der Klägerin gegen sich durch Sicherheitsleistung in Höhe von 5.000,- € abzuwenden, wenn nicht die Klägerin vor der Vollstreckung Sicherheit in derselben Höhe leistet.

Die Revision wird zugelassen.

Gründe

Die Klägerin ist ein mittelständisches Unternehmen und Mitglied des Beklagten, der vom Verband der Lebensversicherungsunternehmen, der Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände und dem Bundesverband der Deutschen Industrie zum Zwecke der Insolvenzsicherung nach dem BetrAVG am 01.01.1995 gegründet wurde.

Mit der Klage begehrt die Klägerin die Herausgabe einer Mitgliederliste. Sie stützt dieses Begehren darauf, dass bestimmte Rechte nur von 5 % der Mitglieder des Beklagten geltend gemacht werden können. Zudem stützt sie ihr Begehren darauf, dass der Geschäftsführer der Klägerin nur dann eine Chance habe, in den Aufsichtsrat des Beklagten gewählt zu werden, wenn er eine entsprechende Wahlwerbung betreiben kann.

Der Beklagte meint, einem Anspruch stehe bereits § 67 Abs.6 AktG entgegen. Zudem sei ihm eine Weitergabe der Mitgliederdaten nach § 28 Abs.2 Nr.2 a BDSG verwehrt. Außerdem ergebe sich aus § 15 BetrAVG eine Geheimhaltungspflicht.

Das Amtsgericht hat die Klage mit Urteil vom 04.11.2010 mit der Begründung abgewiesen, dass die mit dem Hauptantrag auf Herausgabe einer Liste zum Stichtag Rechtshängigkeit der Klage schon auf eine unmögliche Leistung gerichtet sei, weil dem Beklagten eine Reproduktion auf den Zeitpunkt der Rechtshängigkeit nicht möglich sei. Den auf den Stichtag Rechtskraft gerichteten Hilfsantrag hat das Amtsgericht mit der Begründung abgewiesen, dass - wie bei der Aktiengesellschaft nach § 67 Abs.6 Satz 1 AktG - ein Anspruch nicht gegeben sei.

Gegen dieses ihr am 08.11.2010 zugestellte Urteil hat die Klägerin mit bei Gericht am 19.11.2010 eingelegten Schriftsatz Berufung eingelegt und diese mit bei Gericht am 10.01.2011 - Montag - eingegangenen Schriftsatz begründet.

Die Klägerin beantragt,

1.

unter Abänderung des am 04.11.2010 verkündeten Urteils des Amtsgerichts Köln, Aktenzeichen 128 C 145/10, den Beklagten zu verurteilen, an die Klägerin eine vollständige Mitgliederliste bezüglich aller Mitglieder der Beklagten zum Stichtag Rechtskraft des Urteils letzter Instanz an die Klägerin auszuhändigen.

2.

hilfsweise unter Abänderung des am 04.11.2010 verkündeten Urteils des Amtsgerichts Köln, Aktenzeichen 128 C 145/10, den Beklagten zu verurteilen, eine vollständige Mitgliederliste bezüglich aller Mitglieder des Beklagten zum Stichtag Rechtskraft des Berufungsurteils an einen durch das Gericht zu bestimmenden Treuhänder auszuhändigen.

3. (Zu diesem Antrag wurde nicht verhandelt)

hilfsweise den beklagten Verein zu verurteilen, Namen und Anschriften derjenigen Arbeitgeber, die eine insolvenzsicherungspflichtige betriebliche Altersversorgung bei dem Beklagten durchführen, zum Stichtag Rechtskraft des Urteils letzter Instanz in diesem Verfahren an die Klägerin auszuhändigen,

hilfsweise an einen durch das Gericht zu bestimmenden Treuhänder.

Der Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Er wiederholt und vertieft sein erstinstanzliches Vorbringen.

Die zulässige Berufung ist begründet.

Die Klägerin hat einen Anspruch auf Überlassung einer Mitgliederliste zum Stichtag Rechtskraft des Urteils aus einem mitgliedschaftlichen Informationsanspruch, der sich aus den allgemeinen vereinsrechtlichen Grundsätzen ableiten lässt. Das privatrechtliche Vereinsrecht, das auch hier Anwendung findet, gibt den Mitgliedern einen durchsetzbaren Anspruch auf Einsicht in die Mitgliederlisten und Herausgabe einer Abschrift mit deren Anschriften (vgl. BGH, Urteil v. 11.01.2011, Az.: II ZR 187/09; Beschluss v. 21.06.2010, Az.: II ZR 219/09; Beschluss v. 25.10.2010, Az.: II ZR 219/09, ZIP 2010, 2399; OLG Saarbrücken, Urteil v. 02.04.2008, Az.: 1 U 450/07, NZG 2008, 677; jeweils m.w.Nw.).

Die Vorschriften des Vereinsrechts des BGB sind grundsätzlich auch auf den Versicherungsverein auf Gegenseitigkeit (VVaG) anwendbar. Der VVaG ist ein privatrechtlicher Verein, der in erster Linie spezialgesetzlich im VAG geregelt ist. Er ist zudem ein bürgerlichrechtlicher Verein, in dem Sinne, dass die Vereinsvorschriften des BGB auf ihn Anwendung finden, soweit sich nicht aus positiven Vorschriften oder aus der Natur der Sache ein anderes ergibt. Die §§ 21-53 BGB sind daher auf den Verein auf Gegenseitigkeit anwendbar, wenn das einschlägige Sondergesetz, das VAG, Lücken enthält (vgl. Palandt/Ellenberger, BGB, 70. Aufl., Einf. v. § 21, Rdnr.15; Blomeyer/Rolfs/Otto, Betriebsrentengesetz, 5. Aufl., § 14, Rn. 5)

Das VAG verweist in § 36 VAG bezüglich der obersten Vertretung des VVaG auf zahlreiche Vorschriften des Aktiengesetzes. Für die Rechte von Minderheiten in der Mitgliederversammlung verweist § 36b VAG auf einzelne Bestimmungen des Aktiengesetzes, soweit diese Vorschriften einer Minderheit von Aktionären Rechte gewähren.

Auf § 67 Abs. 6 Satz 1 AktG, nach dem der Aktionär von der Gesellschaft lediglich Auskunft bezüglich der zu seiner Person in das Aktienregister eingetragenen Daten verlangen kann - und nicht etwa Informationen, die andere Aktionäre betreffen - wird durch das VAG gerade nicht verwiesen, so dass bezüglich des Auskunftsrechts des Mitgliedes eines Versicherungsvereins auf Gegenseitigkeit aufgrund einer bestehenden Lücke im VAG auf die Normen des Vereinsrechts im BGB zurückzugreifen ist. Bei der Regelung in § 67 Abs.1 AktG handelt es sich um eine Besonderheit des Aktienrechts, die auf Vereinsrecht nicht übertragbar ist (BGH, Urteil v. 11.01.2011, Az.: II ZR 187/09; Beschluss v. 21.06.2010, Az.: II ZR 219/09). Die Verwaltungsrechte der Aktionäre werden, sofern sie mehrheitsabhängig sind, ausdrücklich durch § 127 a AktG gesteigert, der eine Antragstellung und eine Aufforderung anderer Aktionäre in einem Aktionärsforum ermöglicht (vgl. Hüffer, Aktiengesetz, 9. Aufl., § 127 a Rn. 1). Eine vergleichbare Regelung gibt es in dem im BGB geregelten Vereinsrecht nicht.

Auch § 31 GenG, wonach ein Genosse zwar Einsicht in das Genossenschaftsregister, eine Abschrift aber nur für die seine Person betreffenden Daten verlangen kann, steht einem Anspruch nicht entgegen. Der BGH hat in seiner o.g. Entscheidung vom 21.06.2010 unter Hinweis auf die BT-Drucks. 360/93, S. 336 hierzu ausgeführt, dass sich aus der Gesetzgebungsbegründung gerade ergebe, dass das Recht unberührt bleibe, jedenfalls dann eine Abschrift der gesamten Adressen zu erhalten, wenn ein rechtfertigender Anlass besteht. Zudem ist § 31 GenG auf den VVaG nicht anwendbar.

Die Klägerin hat ein berechtigtes Interesse an dem Erhalt einer Mitgliederliste dargetan. Ein solches Interesse ist als Anspruchsvoraussetzung zu verlangen (BGH, Beschluss v. 21.06.2010, Az.: II ZR 219/09; OLG Hamburg, Urteil v. 27.08.2009, Az.: 6 U 38/08; NZG 2010, 317).

Die Klägerin hat dargelegt, dass es ihr in der jetzigen Situation nicht möglich ist, bei der obersten Vertretung des Beklagten, der Mitgliederversammlung, Anträge zu stellen und damit Einfluss auf die Willensbildung in der Mitgliederversammlung zu nehmen. Gemäß § 17 Abs. 4 der Satzung des Beklagten kann nur eine Anzahl von mindestens 5 % der Mitglieder spätestens eine Woche nach der Bekanntmachung der Mitgliederversammlung im Bundesanzeiger verlangen, dass bestimmte Anträge zur Beschlussfassung der Mitgliederversammlung angekündigt werden. 5 % der Mitglieder des Beklagten sind ca. 3.750 Mitglieder, deren Stimmen zur Stellung eines Antrages nötig sind. Da der Klägerin jedoch nur etwa 20 weitere Mitglieder der Beklagten persönlich bekannt sind, ist es für sie nicht möglich, 5 % der Mitglieder zu erreichen, ohne zu wissen, wer die anderen Mitglieder des Beklagten sind. Ein berechtigtes Interesse der Klägerin ergibt sich zudem aus der geplanten Kandidatur des Geschäftsführers der Klägerin für den Aufsichtsrat des Beklagten. Mit dem OLG Saarbrücken (Urteil v. 02.04.2008, Az.: 1 U 450/07, NZG 2008, 677) ist die Kammer der Ansicht, dass ohne Kenntnis der übrigen Mitglieder eine vereinsinterne Wahlwerbung nicht möglich ist, ganz abgesehen von einer erfolgversprechenden Kandidatur für Führungspositionen.

Der Beklagte beruft sich auch ohne Erfolg auf die in § 15 BetrAVG bestimmte Verschwiegenheitspflicht. § 15 BetrAVG legt den Personen, die beim Beklagten beschäftigt sind, eine besondere Geheimhaltungspflicht auf. Fremde Geheimnisse, insbesondere Betriebs- oder Geschäftsgeheimnisse, dürfen nicht unbefugt offenbart oder verwertet werden. Eine Mitgliederliste, in welcher Namen und Adressen der Mitglieder des Beklagten aufgeführt sind, fällt jedoch nicht in den Bereich der von § 15 BetrAVG geschützten Geheimnisse. Darunter sind lediglich die Umstände zu fassen, die nicht allgemein bekannt sind und an deren Geheimhaltung der Geheimnisträger ein Interesse hat. Unter den Betriebs- oder Geschäftsgeheimnissen im Sinne der Norm sind Tatsachen zu verstehen, die nur einem eng begrenzten Personenkreis bekannt sind, nicht offenkundig sind und nach dem Willen des Vereinsmitglieds aufgrund eines berechtigten wirtschaftlichen Interesses geheim gehalten werden sollen (vgl. Blomeyer, Rolfs, Otto, Betriebsrentengesetz, 5. Aufl., § 15, Rn.4). Informationen, welche die Namen und Adressen der Mitglieder betreffen, stellen keine Geheimnisse dar, an deren Geheimhaltung der Beklagte oder die anderen Mitglieder ein berechtigtes Interesse hätte, da es sich um allgemein zugängliche Informationen handelt.

Dem Anspruch der Klägerin auf Erhalt einer Mitgliederliste steht auch nicht § 28 Abs. 2 Nr. 2a) BDSG entgegen.

Nach dieser Norm ist die Übermittlung oder Nutzung personenbezogener Daten für einen anderen Zweck als den der Erfüllung eigener Geschäftszwecke dann zulässig, wenn sie zur Wahrung berechtigter Interessen eine Dritten erforderlich ist und kein Grund zu der Annahme besteht, dass der Betroffene ein schutzwürdiges Interesse an dem Ausschluss der Übermittlung oder Nutzung hat.

Das Übermitteln personenbezogener Daten ist gemäß § 28 Abs.1 Nr.1 BDSG im Rahmen eines rechtsgeschäftlichen Schuldverhältnisses zulässig, wenn es für die Durchführung erforderlich ist. Das ist anzunehmen, wenn der Auskunftsberechtigte bei vernünftiger Betrachtung auf die Datenverwendung zur Wahrnehmung der Rechts aus dem Vertragsverhältnis angewiesen ist (vgl. BGH, Urteil v. 11.01.2011, Az.: II ZR 187/09). Das ist hier, wie oben ausgeführt, der Fall. Schließt sich der Einzelne freiwillig einem Verein an und tritt damit mit anderen Mitgliedern in eine gewollte Rechtsgemeinschaft, kann von ihm auch gefordert werden, dass er den anderen Mitgliedern bei berechtigtem Interesse derselben den Kontakt mit ihm durch Angabe seiner Personalien ermöglicht (VGH München, Beschluss v. 05.10.1998, AZ: 21 ZE 98.2707).

Um eine Zwangsmitgliedschaft, bei der die vorgenannten Grundsätze möglicherweise nicht gelten, handelt es sich vorliegend nicht. Eine solche hat der Gesetzgeber im Rahmen der Anordnung der Beitragspflicht aller Arbeitgeber, die eine sicherungsfähige und -pflichtige betriebliche Altersversorgung gewähren, nicht vorgeschrieben. Danach ist zwischen der Beitragspflicht und der Mitgliedschaft zu trennen. Die Beiträge zur Insolvenzsicherung werden aufgrund öffentlichrechtlicher Verpflichtung aufgebracht, während die Mitgliedschaft in dem privatrechtlich organisierten Träger, dem Pensions-Sicherungs-Verein, zum Privatrecht gehört (vgl. Blomeyer/Rolfs/Otto, Betriebsrentengesetz, 5. Aufl., § 10, Rn. 1; Höfer/Abt, Gesetz zur Verbesserung der betrieblichen Altersversorgung, 2. Aufl., § 10, Rn.4, Paulsdorf, Kommentar zur Insolvenzsicherung der betrieblichen Altersversorgung, § 10, Rn. 1; Prof. Dr. K in BB 2010, 1469).

Auch wenn nach § 3 Abs.1 der Satzung des Beklagten die Mitgliedschaft mit Abschluss der Pflichtversicherung automatisch eintritt, führt dies nicht zu einer Zwangsmitgliedschaft, da in § 3 Abs.3 der Satzung ausdrücklich bestimmt ist, dass auch Versicherungsverhältnisse ohne Mitgliedschaft bestehen können. Auch wenn ein Beitragspflichtiger zunächst automatisch Mitglied wird und es für den Wegfall der Mitgliedschaft einer Erklärung bedarf, bleibt es bei dem grundsätzlich freiwilligen Charakter des Zusammenschlusses.

Die Klägerin ist auch nicht nur auf die Herausgabe an einen zu bestimmenden Treuhänder beschränkt. Wie oben ausgeführt, liegt kein Verstoß gegen den Datenschutz vor. Der Klägerin als Mitglied des Vereins ist es grundsätzlich nicht verwehrt, selbst Einsicht in die Mitgliederliste zu nehmen bzw. Mitteilung der Namen und Anschriften von Mitgliedern an sich zu verlangen (vgl. BVerfG, Beschluss v. 18.02.1991, Az.: 1 BvR 185/91; BGH, Beschluss v. 25.10.2010, Az.: II ZR 219/09).

Soweit der Beklagte einwendet, er sei als Versicherungsverein auf Gegenseitigkeit nicht verpflichtet, eine Mitgliederliste zu führen (vgl. auch Prölss, Versicherungsaufsichtsgesetz, 12. Aufl., § 21, Rn. 21a), entbindet ihn das nicht von seiner Verpflichtung, bei Geltendmachung eines entsprechenden Auskunftsanspruchs, dem Berechtigten eine Aufstellung von Namen und Anschriften, also eine Mitgliederliste, zur Verfügung zu stellen. Dass die Erstellung einer solchen Liste möglicherweise mit nicht unerheblichem Aufwand und Kosten verbunden ist, steht einem Anspruch auch nicht entgegen, zumal die Kosten analog § 811 Abs.3 BGB von der Klägerin zu tragen sein dürften (vgl. OLG Saarbrücken, Urteil v. 02.04.2008, Az.: 1 U 450/07, NZG 2008, 677).

Die Kostenentscheidung beruht auf § 91 Abs. 1 ZPO, die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit auf §§ 708 Nr.10, 711 ZPO.

Die Zulassung der Revision nach § 543 Abs. 2 ZPO war wegen der grundsätzlichen Rechtsfrage, ob bei einem Versicherungsverein auf Gegenseitigkeit ein Anspruch eines Mitgliedes auf Herausgabe einer Mitgliederliste nicht besteht, veranlasst.

Berufungsstreitwert: 5.000,- €






LG Köln:
Urteil v. 30.06.2011
Az: 6 S 252/10


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