Bundespatentgericht:
Beschluss vom 13. Mai 2004
Aktenzeichen: 5 W (pat) 437/03

(BPatG: Beschluss v. 13.05.2004, Az.: 5 W (pat) 437/03)

Tenor

Auf die Beschwerde der Antragstellerin wird der Beschluß der Gebrauchsmusterabteilung I des Deutschen Patent- und Markenamts vom 11. Dezember 2002 aufgehoben, insoweit darin der Löschungsantrag zurückgewiesen wurde. Die in dem angegriffenen Beschluß enthaltene Kostenentscheidung wird ebenfalls aufgehoben.

Das Gebrauchsmuster 201 01 202 in der Fassung des angegriffenen Beschlusses wird gelöscht, soweit es über Schutzanspruch 10 und über die auf Schutzanspruch 10 zurückbezogenen Schutzansprüche 11, 12, 15 und 16 und über die auf Schutzanspruch 10 zurückbezogenen Schutzansprüche 17 und 19 vom 13. Mai 2004 hinausgeht.

Der weitergehende Löschungsantrag und die weitergehende Beschwerde werden zurückgewiesen.

Von den Kosten in beiden Rechtszügen werden der Antragsgegnerin 4/5 und der Antragstellerin 1/5 auferlegt.

Gründe

A Die Antragsgegnerin ist Inhaberin des am 24. Januar 2001 beim Deutschen Patent- und Markenamt angemeldeten und am 10. Mai 2001 mit der Bezeichnung Vorrichtung zum Vereinigen von mindestens zwei Papierbahnenzu einem Papierstrangin das Register eingetragenen Gebrauchsmusters 201 01 202, für das die Priorität der Anmeldung in der Schweiz 2000 0971/00 vom 16. Mai 2000 in Anspruch genommen wurde.

Die mit der Anmeldung des Gebrauchsmusters eingereichten und der Eintragung zugrundeliegenden Schutzansprüche 1 bis 10 lauten:

1. Vorrichtung zum Vereinigen von mindestens zwei Papierbahnen (1a-1e) zu einem Papierstrang (1), mit zwei Sandwichwalzen (3, 103, 203, 303), zwischen denen die Papierbahnen (1a-1e) durchführbar und von denen diese zu einem Papierstrang (1) zusammenführbar sind, wobei die Vorrichtung ein Walzenpaar mit einer ersten und einer zweiten Walze (3, 103, 203, 303) umfaßt, die jeweils eine hochleitende oder halbleitende äußerste Schicht (34, 132, 233, 331) aufweisen, und Lademittel vorhanden sind, um zumindest die äußerste Schicht (34, 132, 233, 331) der ersten Walze (3, 103, 203, 303) elektrisch aufzuladen, dadurch gekennzeichnet, daß die Lademittel eine Induktorelektrode (2; 102) umfassen, die beabstandet von der ersten Walze (3, 103, 203, 303) angeordnet ist.

2. Vorrichtung nach Anspruch 1, dadurch gekennzeichnet, daß sie eine weitere Induktorelektrode (2; 102) umfaßt, die beabstandet von der zweiten Walze (3, 103, 203, 303) angeordnet ist, um deren äußerste Schicht (34, 132, 233, 331) mit im Vergleich zur äußersten Schicht (34, 132, 233, 331) der ersten Walze (3, 103, 203, 303) vorzeichenmäßig entgegengesetzter Ladung elektrisch aufzuladen.

3. Vorrichtung nach Anspruch 1 oder 2, dadurch gekennzeichnet, daß die erste und/oder die zweite Walze (3) eine halbleitende äußerste Schicht (34), eine darunter liegende hochleitende Schicht (33), eine darunter liegende isolierende Schicht (32) und einen Kern (31) aufweisen.

4. Vorrichtung nach einem der Ansprüche 1 bis 3, dadurch gekennzeichnet, daß die erste und/oder die zweite Walze (203) eine halbleitende äußerste Schicht (233), eine darunter liegende isolierende Schicht (232) und einen Kern (231) aufweisen.

5. Vorrichtung nach einem der Ansprüche 1 bis 4, dadurch gekennzeichnet, daß die erste und/oder die zweite Walze (103) eine hoch- oder halbleitende äußerste Schicht (132) und einen direkt darunter liegenden Kern (131) aufweisen.

6. Vorrichtung nach einem der Ansprüche 1 bis 5, dadurch gekennzeichnet, daß die zweite Walze eine Stahlwalze (303) ist und die hochleitende äußerste Schicht (331) durch die Stahlwalze (303) selbst gebildet ist.

7. Vorrichtung nach einem der Ansprüche 1 bis 6, dadurch gekennzeichnet, daß die Lager (35, 135) der ersten und/oder der zweiten Walze (3, 103, 203, 303) elektrisch isoliert sind.

8. Vorrichtung nach einem der Ansprüche 1 bis 7, dadurch gekennzeichnet, daß die erste und die zweite Walze (3, 103, 203, 303) die beiden Sandwichwalzen sind.

9. Vorrichtung nach einem der Ansprüche 1 bis 8, dadurch gekennzeichnet, daß die erste und die zweite Walze (3, 103, 203, 303) in Laufrichtung des Papierstrangs (1) nach den beiden Sandwichwalzen so angeordnet sind, daß der Papierstrang (1) zwischen ihnen durchführbar ist und an beiden anliegt, wobei vorzugsweise die erste und die zweite Walze (3, 103, 203, 303) in Laufrichtung des Papierstrangs (1) versetzt angeordnet sind.

10. Vorrichtung nach einem der Ansprüche 1 bis 9, dadurch gekennzeichnet, daß die Induktorelektrode bzw. -elektroden (2; 102) von der ersten und gegebenenfalls der zweiten Walze (3, 103, 203, 303) in einem wirksamen Abstand von zwischen 1 mm und 50 mm angeordnet ist bzw. sind und vorzugsweise die an die Induktorelektrode bzw. -elektroden (2; 102) angelegte Spannung zwischen 10 kV und 60 kV beträgt.

Die Antragstellerin hat mit Schriftsatz vom 27. September 2001 beim Deutschen Patent- und Markenamt die vollständige Löschung des Gebrauchsmusters beantragt. Dem hat die Antragsgegnerin zunächst in vollem Umfang widersprochen. Mit Schriftsatz vom 18. Februar 2002, beim Deutschen Patent- und Markenamt eingegangen am 19. Februar 2002, hat sie angekündigt, das eingetragene Gebrauchsmuster hilfsweise nur noch im Umfang der mit diesem Schriftsatz eingereichten neuen Schutzansprüche 1 bis 16 verteidigen zu wollen.

Diese zunächst hilfsweise mitgeteilten Schutzansprüche lauten:

Schutzansprüche 1 bis 3 wie eingetragen.

4. Vorrichtung nach einem der Ansprüche 1 bis 3, dadurch gekennzeichnet, daß die erste und/oder die zweite Walze (203) eine halbleitende äußerste Schicht (233), eine direkt darunter liegende isolierende Schicht (232) und einen Kern (231) aufweisen.

5. Vorrichtung nach einem der Ansprüche 1 bis 4, dadurch gekennzeichnet, daß die erste und/oder die zweite Walze (103) eine hochleitende äußerste Schicht (132) und einen direkt darunter liegenden Kern (131) aufweisen.

6. Vorrichtung nach einem der Ansprüche 1 bis 4, dadurch gekennzeichnet, daß die erste und/oder die zweite Walze (103) eine halbleitende äußerste Schicht (132) und einen direkt darunter liegenden Kern (131) aufweisen.

7. Vorrichtung nach Anspruch 5, dadurch gekennzeichnet, daß die zweite Walze eine Stahlwalze (303) ist und die hochleitende äußerste Schicht (331) durch die Stahlwalze (303) selbst gebildet ist.

8. Vorrichtung nach Anspruch 5, 6 oder 7, dadurch gekennzeichnet, daß die Lager (35, 135) der ersten und/oder der zweiten Walze (3, 103, 303) elektrisch isoliert sind.

9. Vorrichtung nach einem der Ansprüche 1 bis 8, dadurch gekennzeichnet, daß die erste und die zweite Walze (3, 103, 203, 303) die beiden Sandwichwalzen sind.

10. Vorrichtung nach einem der Ansprüche 1 bis 8, dadurch gekennzeichnet, daß die erste und die zweite Walze (3, 103, 203, 303) in Laufrichtung des Papierstrangs (1) nach den beiden Sandwichwalzen so angeordnet sind, daß der Papierstrang (1) zwischen ihnen durchführbar ist und an beiden anliegt, wobei die .erste und die zweite Walze (3, 103, 203, 303) in Laufrichtung des Papierstrangs (1) versetzt angeordnet sind.

11. Vorrichtung nach einem der Ansprüche 1 bis 10, dadurch gekennzeichnet, daß die Induktorelektrode bzw. -elektroden (2; 102) von der ersten und gegebenenfalls der zweiten Walze (3, 103, 203, 303) in einem wirksamen Abstand von zwischen 1 mm und 50 mm angeordnet ist bzw. sind.

12. Vorrichtung nach Anspruch 11, dadurch gekennzeichnet, daß die an die Induktorelektrode bzw. -elektroden (2; 102) angelegte Spannung zwischen 10 kV und 60 kV beträgt.

13. Vorrichtung nach einem der Ansprüche 3 bis 12, dadurch gekennzeichnet, daß die unter der halbleitenden äußersten Schicht (34) liegende hochleitende Schicht (33) aus Gummi ist.

14. Vorrichtung nach einem der Ansprüche 3 bis 12, dadurch gekennzeichnet, daß die unter der halbleitenden äußersten Schicht (34) liegende hochleitende Schicht (33) aus Kunstharz ist.

15. Vorrichtung nach einem der Ansprüche 3 bis 14, dadurch gekennzeichnet, daß die unter der hochleitenden Schicht (33) liegende isolierende Schicht (32) aus Gummi ist.

16. Vorrichtung nach einem der Ansprüche 3 bis 15, dadurch gekennzeichnet, daß die unter der hochleitenden Schicht (3) liegende isolierende Schicht (32) aus Kunstharz ist.

In der mündlichen Verhandlung vor der Gebrauchsmusterabteilung am 11. Dezember 2002 hat die Antragsgegnerin das Gebrauchsmuster in einem einzigen Hauptantrag nur im Umfang der Schutzansprüche 1 bis 16 vom 19. Februar 2002 verteidigt.

Mit Beschluß vom 11. Dezember 2002 hat die Gebrauchsmusterabteilung I des Deutschen Patent- und Markenamts die Teillöschung des Gebrauchsmusters 201 01 202 beschlossen, nämlich insoweit es über folgende Schutzansprüche vom 19. Februar 2002 hinausgeht: Schutzansprüche 4 und 5 id Rückbeziehung auf Schutzansprüche 1 und 2, Schutzanspruch 7, Schutzanspruch 8 id Rückbeziehung auf Schutzansprüche 5 und 7, Schutzanspruch 9 id Rückbeziehung auf Schutzansprüche 4, 5 und 8, Schutzanspruch 10, Schutzanspruch 11 id Rückbeziehung auf Schutzansprüche 4, 5, 7 bis 10, Schutzanspruch 12 id Rückbeziehung auf Schutzansprüche 4, 5, 7 bis 11 und Schutzansprüche 13 bis 16.

Mit ihrer Beschwerde verfolgt die Antragstellerin ihren Löschungsantrag weiter.

In dem Beschwerdeverfahren hat die Antragsgegnerin in der mündlichen Verhandlung vom 13. Mai 2004 noch folgende neuen Schutzansprüche 17 bis 19 vorgelegt:

17. Vorrichtung nach einem der Ansprüche 4, 5, 7, 8, 9, 10, 11, 12, 13 bis 16 mit Mitteln zum Zuführen von mehreren Papierbahnen zu den Sandwichwalzen (3, 103, 203, 303).

18. Vorrichtung nach Anspruch 4 oder 9, bei der sich das Leistungsfeld der zugehörigen Induktorelektrode über annähernd die ganze Walzenbreite erstreckt.

19. Vorrichtung nach einem der Ansprüche 4, 9, 11 bis 18 dadurch gekennzeichnet, daß die halbleitende äußerste Schicht aus Gummi ist.

Auch diese Schutzansprüche wurden zum Gegenstand der mündlichen Verhandlung gemacht.

Die Antragstellerin hat zum Stand der Technik auf die folgenden Druckschriften hingewiesen:

(1) WO 98/43905 (WO I),

(2) WO 98/03049 (WO II),

(3) DE 197 16 325 A1 (DE II),

(4) DE 27 54 179 A1,

(5) DE 197 13 662 A1,

(6) DE 31 17 419 A1,

(7) WO 98/43904,

(8) DE 27 13 334 A1 (DE I),

(9) EP 0 761 458 A1 (EP I).

Die Antragstellerin hält den verteidigten Schutzanspruch 4 für unzulässig erweitert. Das Wort "direkt" im kennzeichnenden Teil sei weder der ursprünglichen Beschreibung noch den ursprünglichen Ansprüchen zu entnehmen. Im übrigen sei der Gegenstand des Schutzanspruchs 4 aus der DE I bekannt und könne mit Rücksicht auf die EP I nicht auf einem erfinderischen Schritt beruhen. Zu den Schutzansprüchen 5, 7 bis 14 nennt die Antragstellerin die WO I, WO II, DE I, DE I und EP I, aus denen die zusätzlichen Merkmale dieser Schutzansprüche bekannt seien oder die deutliche Anregungen für diese Merkmale enthielten. Der Fachmann könne die zusätzlichen Merkmale der Schutzansprüche 15 und 16 bereits aufgrund seines Fachwissens entwickeln.

Die Antragstellerin beantragt, den Beschluß der Gebrauchsmusterabteilung I des Deutschen Patent- und Markenamts vom 11. Dezember 2002 insoweit aufzuheben, als darin der Löschungsantrag teilweise zurückgewiesen wurde, und das angegriffene Gebrauchsmuster 201 01 202 vollständig zu löschen.

Die Antragsgegnerin beantragt, die Zurückweisung der Beschwerde;

hilfsweise: Im Fall der Löschung der Schutzansprüche 4 und 9 in der Fassung vom 19. Februar 2002 den Löschungsantrag im Umfang der neuen Schutzansprüche 17, 18, und 19 vom heutigen Tage zurückzuweisen.

Sie hält ihr Gebrauchsmuster im verteidigten Umfang für schutzfähig und den angegriffenen Beschluß insoweit für zutreffend begründet.

B I. Die zulässige Beschwerde der Antragstellerin ist nur teilweise begründet. Denn der Löschungsantrag ist, soweit er noch Gegenstand des Beschwerdeverfahrens ist, nur in dem aus dem Tenor ersichtlichen Umfang nach § 15 Abs 1 Nr 1 GebrMG begründet. Der weitergehende Löschungsantrag ist unbegründet. Im Umfang seiner Zurückweisung konnte nicht festgestellt werden, daß das Gebrauchsmuster nicht schutzfähig iSv § 15 Abs 1 Nr 1 GebrMG iVm §§ 1 und 3 GebrMG wäre.

II. Gegenstand dieses Verfahrens ist das Gebrauchsmuster in der Fassung, die es mit Beschluß der Gebrauchsmusterabteilung I vom 11. Dezember 2002 erhalten hat. Die Antragsstellerin und alleinige Beschwerdeführerin hat die in diesem Beschluß enthaltene teilweise Zurückweisung ihres Löschungsantrages mit der Beschwerde angegriffen. Dagegen hat die Antragsgegnerin die in dem Beschluß enthaltene teilweise Löschung des Gebrauchsmusters nicht im Wege der Beschwerde angegriffen. Dieser Teil des Beschlusses ist damit rechtskräftig geworden.

III. Das Streitgebrauchsmuster betrifft eine Vorrichtung zum Vereinigen von mindestens zwei Papierbahnen zu einem Papierstrang. Nach der Beschreibungseinleitung werden derartige Vorrichtungen in Falzapparaten von Tief- und Offsetdruckmaschinen eingesetzt und dienen dazu, mehrere zu einem Papierstrang vereinigte Papierbahnen elektrostatisch zusammenzuhalten. Dazu seien Papierstranghaftungen entwickelt worden, die den Papierstrang über elektrisch aufladbare Sandwichwalzen mittels Induktorelektroden aufladen, welche beidseits des Papierstrangs jeweils mit der äußersten Papierbahn in Kontakt sind. Der Nachteil dieser indirekten Art der Aufladung des Papierstrangs bestehe darin, daß die Lager der Walzen aufwändig isoliert werden müßten. Ferner erfordere die Stromübertragung über Schleifringe oder Walzen eine entsprechende Wartung. Weiterhin sei die Stromverteilung auf der Walzenoberfläche nicht in jedem Fall gleichmäßig.

Aufgabe der Erfindung ist es daher, eine derartige Vorrichtung zu schaffen, die einfach und schnell zu installieren und zu warten ist. Vorzugsweise sollen außerdem bestehende Falzapparate auf einfache Weise nachrüstbar sein.

Dieses Problem soll nunmehr nach dem Sach- und Streitstand im Beschwerdeverfahren mit Merkmalen des Schutzanspruchs 4, 5, 7 bis 16 nach Hauptantrag und den Merkmalen der Schutzansprüche 17 bis 19 nach Hilfsantrag gelöst werden.

IV. Fachmann ist ein Techniker oder Ingenieur der Elektrotechnik mit beruflicher Erfahrung auf dem Gebiet der elektrostatischen Stranghaftung, der mit einem Fachmann für Druckmaschinen zusammenarbeitet, um diese Stranghaftung in Druckmaschinen anzuwenden.

V.1 Die verteidigten Schutzansprüche 4, 5, 7 bis 12, 15 und 16 vom 19. Februar 2002, sowie die hilfsweise verteidigten Schutzansprüche 17 bis 19 vom 13. Mai 2004 sind zulässig.

Insbesondere läßt sich eine unzulässige Erweiterung von Schutzanspruch 4 nach Hauptantrag nicht feststellen. Das in den kennzeichnenden Teil zusätzlich aufgenommene Merkmal "direkt" ist zwar expressis verbis weder dem ursprünglichen Patentanspruch 4, auf den er zurückgeht, noch der Beschreibung entnehmbar. Auf S 13 der ursprünglichen Beschreibung wird ab Z 15 darauf hingewiesen, daß zwischen äußerster Schicht 233 und isolierender Schicht 232 eine hochleitende Schicht fehlt. Insofern folgt, wie auch in Fig 14 dargestellt, der äußersten Schicht ohne weitere Zwischenschicht die isolierende Schicht, womit aber auch die isolierende Schicht direkt unter der äußersten Schicht liegt.

V.2 Dagegen sind die Schutzansprüche 13 und 14 unzulässig, weil ihre Merkmale nicht ursprünglich offenbart sind.

Mit diesen Schutzansprüchen wird beansprucht, daß die unter der halbleitenden äußersten Schicht liegende hochleitende Schicht aus Gummi oder aus Kunstharz ist. Eine diese Merkmale deckende Aussage ist der Gebrauchsmusterschrift, die den eingereichten Unterlagen entspricht, nicht zu entnehmen. Vielmehr ist als einziger Hinweis hierzu, dem die S 9 und 10 der Beschreibung überbrückenden Satz nur zu entnehmen, daß die hochleitende Schicht und die isolierende Schicht aus üblichen leitenden bzw isolierenden Materialien bestehen, beispielsweise Metall, Gummi oder Kunstharz. Dieser Satz kann nach Auffassung des Senats nur so interpretiert werden, daß die leitenden Materialien aus Metall sein sollen und die isolierenden Materialien aus Gummi oder Kunstharz. Dem Fachmann ist zwar bekannt, daß Gummi oder Kunstharz durch eingelagerte Zusätze auch leitfähig gemacht werden kann. Hätte der Verfasser der Gebrauchsmusterschrift auf eine derartige besondere Leitfähigkeit von Gummi oder Kunstharz Bezug nehmen wollen, so hätte er darauf hinweisen und nicht nur die reinen Werkstoffe nennen müssen. Da jedoch dies nicht erfolgt ist, kann dieser Satz auch nicht im beanspruchten Sinne ausgelegt werden.

VI. Die Gegenstände der zulässig verteidigten Schutzansprüche 4, 5, 7 bis 12, 15 und 16 nach Hauptantrag und der hilfsweise verteidigten Schutzansprüche 17 bis 19 mögen neu sein. Auf einem erfinderischen Schritt beruht jedoch nur Schutzanspruch 10 nach Hauptantrag und die Schutzansprüche 11, 12, 15 und 16 nach Hauptantrag sowie die Schutzansprüche 17 und 19 nach Hilfsantrag, soweit diese nachfolgenden Schutzansprüche direkt oder indirekt auf Schutzanspruch 10 zurückbezogen sind. Soweit das verteidigte Gebrauchsmuster über Schutzanspruch 10 und über die direkt oder indirekt auf Schutzanspruch 10 zurückbezogenen Schutzansprüche 11, 12, 15 und 16 nach Hauptantrag sowie über die auf Schutzanspruch 10 zurückbezogenen Schutzansprüche 17 und 19 nach Hilfsantrag hinausgeht, beruht es nicht auf einem erfinderischen Schritt iSv § 1 Abs 1 GebrMG und ist insoweit auch nicht schutzfähig im Sinne des § 15 Abs 1 Nr 1 GebrMG iVm §§ 1 und 3 GebrMG.

VI.1 Der Gegenstand des verteidigten Schutzanspruches 4 nach Hauptantrag mag neu sein, er beruht jedoch nicht auf einem erfinderischen Schritt.

In der WO 98/43905 ist eine Vorrichtung zum elektrostatischen Aufladen beschrieben. Diese Vorrichtung umfaßt in allen Ausführungsbeispielen ein Walzenpaar, bei dem mindestens eine Walze elektrostatisch aufgeladen werden kann, wobei zwischen den Walzen ein oder mehrere Materialbahnen aus Papier oder Kunststoff durchgeführt werden können, die dadurch ebenfalls aufgeladen werden. Der Fachmann liest bei dieser Vorrichtung, gestützt auf die Beschreibung S 1, zweiter Abs, ohne weiteres mit, daß bei mehreren Papierbahnen diese zuvor mit Sandwichwalzen zusammengeführt werden müssen um einen gemeinsamen Strang zu bilden. Gemäß Ausführungsbeispiel nach Fig 4 ist einer Walze 5 im Abstand eine Induktorelektrode 44 zugeordnet, mit der die äußerste Schicht 8 der Walze aufgeladen wird. Diese äußerste Schicht ist begrenzt leitfähig, sie kann daher für den Fachmann erkenntlich halbleitend sein (S 8, zweiter und dritter Abs). Dieser Druckschrift sind somit die Merkmale des Oberbegriffs des Schutzanspruchs 4, gebildet aus den Merkmalen des eingetragenen Schutzanspruchs 1, zu entnehmen.

Wie der Fig 4 und der Beschreibung weiter zu entnehmen ist, erstreckt sich die Induktorelektrode nur über einen kurzen axialen Bereich der Walze, wodurch es, um eine Aufladung der gesamten Oberfläche der Walze zu erzielen, notwendig ist, unter der halbleitenden äußersten Schicht eine hochleitende Schicht 7 über die ganze Länge der Walze anzuordnen. Die hochleitende Schicht ist dann weiterhin mit einer Isolierung 40 vom Walzenkern 45 getrennt. Es liegt im Können des Fachmanns zu erkennen, daß anstatt der kurzen Induktorelektrode auch eine solche verwendet werden kann, die sich über die gesamte Länge der Walze erstreckt. Dann ist aber die hochleitende Schicht unter der halbleitenden Schicht, wobei erstere ja eine Aufladung der gesamten Walze bewirken soll, nicht mehr notwendig. Eine solche Walze weist dann, wie im kennzeichnenden Teil des Schutzanspruchs 4 beansprucht, eine halbleitende äußerste Schicht, eine direkt darunter liegende isolierende Schicht und einen Kern auf.

Das Vorsehen einer zweiten Induktorelektrode an der zweiten Walze gemäß Schutzanspruch 4 im Rückbezug auf Anspruch 1und 2 ist analog zu dem Ausführungsbeispiel nach Fig 1 der WO 98/43905 für den Fachmann ebenfalls nur eine einfache Routinetätigkeit.

VI.2 Auch die nicht ausdrücklich verteidigten Schutzansprüche 5, 7 und 8 beruhen nicht auf einem erfinderischen Schritt.

Die Walzen nach Schutzansprüchen 5 und 7 betreffen Walzen mit einer hochleitenden äußersten Schicht und einem direkt darunter liegenden Kern, die wahlweise mit einer Walze nach Anspruch 4 mit einer äußersten halbleitenden Schicht zusammenarbeiten können.

Zu der Walze nach Fig 4 der WO 98/43905 ist sowohl in der Beschreibung S 8 letzter Satz ausgeführt, als auch im Schutzanspruch 10 beansprucht, daß derartige Vorrichtungen auch als Presseur in einem Tiefdruckwerk eingesetzt werden kann. Dh die Vorrichtung wird dort zu einem anderen Zweck eingesetzt, ist aber in ihrer Wirkung gleichartig. Somit bilden aber auch solche Vorrichtungen in Tiefdruckwerken ein naheliegendes Fachgebiet, die der Fachmann auch für gattungsgemäße Vorrichtungen zum Vereinigen von Papiersträngen beachtet. Er berücksichtigt daher auch die einen Presseur betreffende DE 27 13 334 A1 als Stand der Technik.

Die Vorrichtung nach der DE 27 13 334 A1 besitzt einen Presseur, der entsprechend Schutzanspruch 4 des Streitgebrauchsmusters, mit einer schwach leitenden (halbleitenden) äußersten Schicht 13, 14, einer Isolierschicht 12 und einem metallischen (hochleitenden) Kern 11 aufgebaut ist. Diese Presseur-Walze arbeitet mit einer zweiten Walze zusammen, die aus einer äußeren Schicht und einem darunter liegenden Kern 5 in Form der Welle besteht. Die Walze ist geerdet (S 15 letzter Satz), - daher für den Fachmann ohne weiteres ersichtlich - hochleitend aus metallischem Werkstoff hergestellt (vgl Schutzanspruch 5 des Streitgebrauchsmusters). Der Fachmann erkennt auch aufgrund seines Fachwissens ohne weiteres, daß die hochleitende äußerste Schicht durch eine Stahlwalze gebildet sein kann, wenn eine Vollwalze verwendet wird (vgl Schutzanspruch 7). Die Verwendung einer derartiger Walzenkombination in einer gattungsgemäßen Vorrichtung bedeutet nur eine einfache routinemäßige Übertragung.

Schutzanspruch 8 beansprucht als Weiterbildungen zu den Schutzansprüchen 5 und 7 Walzen, die nicht direkt geerdet werden sollen. Solche in ihren Lagern isolierte Walzen sind aber sowohl aus der WO 98/43905 (Beschreibung S 5, letzter Abs) als auch der DE 197 16 325 A1 (Patentanspruch 5) bekannt. Ihre Verwendung bei gattungsgemäßen Walzen ist daher ebenfalls nicht mit einem erfinderischen Schritt verbunden.

VI.3 Schutzanspruch 9 nach Hauptantrag beruht ebenfalls nicht auf einem erfinderischen Schritt.

Der Oberbegriff des Schutzanspruchs 9 ergibt sich aus dem Rückbezug auf Anspruch 1 und dieser Oberbegriff wird, wie bereits oben zu Schutzanspruch 4 ausgeführt, vom Gegenstand der WO 98/43905 abgedeckt. Aus dieser Druckschrift S 1, zweiter Abs, erhält der Fachmann den Hinweis auf die Vorrichtung nach der DE 31 17 419 A1 (E 6 im Löschungsverfahren). Dort sind zum Zusammenführen der Papierbahnen 1a bis 1h zwei Sandwichwalzenpaare 3 und 5 vorgesehen. Die elektrische Aufladung erfolgt hierbei durch die Induktorelektroden 7, 7', die zwischen beiden Sandwichwalzenpaaren angeordnet sind. Nachdem beim Gegenstand nach der WO 98/43905 darauf hingewiesen wird, daß die Induktorelektroden einem Walzenpaar zuzuordnen sind (S 2, dritter und vierter Abs), ist es für den Fachmann naheliegend hierzu eines der beiden Sandwichwalzenpaare vorzusehen. Somit gelangt der Fachmann ohne erfinderischen Schritt zu diesen Merkmalen, die dem Schutzanspruch 9 entsprechen.

VI.4 Dagegen ist die Merkmalskombination nach Schutzanspruch 10 neu und beruht auf einem erfinderischen Schritt.

a) Zur Neuheit:

Keine der im Verfahren befindlichen Druckschriften zeigt eine Vorrichtung nach den zusätzlichen Merkmalen von Schutzanspruch 10, bei der die erste und die zweite Walze in Laufrichtung des Papierstrangs nach den Sandwichwalzen angeordnet und wobei die erste und die zweite Walze in Laufrichtung des Papierstrangs versetzt angeordnet sind. Auch die Vorrichtung nach der DE 197 16 325 A1 weist diese Merkmale nicht auf. Nach Fig 1 und zugehöriger Beschreibung sind die erste und zweite Walze hier die Walzen 13 und 16. Diese Walzen liegen zwar in Laufrichtung des Papierstrangs nach den Sandwichwalzen 6, sie sind aber eindeutig nicht versetzt zueinander angeordnet. Der Senat kann sich der Meinung des Antragstellers nicht anschließen, wonach die Trichterfalzwalzen 4 bzw die Sandwichwalzen 6 in Laufrichtung des Papiers versetzt zueinander angeordnet sein sollen. Da der Beschreibung hierzu nichts zu entnehmen ist, geht der Senat davon aus, daß der in Fig 1 eventuell vorhandene Versatz nur auf eine zeichnerische Ungenauigkeit beruht, tatsächlich aber nicht vorhanden ist.

b) Zum erfinderischen Schritt:

Wie bereits zuvor ausgeführt, ist dem angeführten Stand der Technik kein Vorbild für einen Versatz der ersten und zweiten Walze in Laufrichtung des Papierstrangs zu entnehmen. Weiter läßt der angeführte Stand der Technik auch keine anderen Ansatzpunkte für die Entwicklung der technischen Lehre nach Schutzanspruch 10 erkennen. Vielmehr hielt der Fachmann bisher unter dem Gesichtspunkt einer guten und gleichmäßigen Aufladung des Papierstrangs in Laufrichtung nebeneinanderliegende Walzen für notwendig. Entgegen dieser allgemein verbreiteten Ansicht wird im Schutzanspruch 10 gerade eine Versetzung der Walzen zu einander vorgeschlagen und darin liegt der erfinderische Schritt.

Mit dem Schutzanspruch 10 haben auch die Schutzansprüche 11, 12, 15 und 16 Bestand, soweit sie auf Schutzanspruch 10 zurückbezogen sind. Insoweit handelt es sich um zweckmäßige, nicht selbstverständliche Weiterbildungen.

VI.5 Ausgenommen von ihren Rückbezügen auf Schutzanspruch 10 - vgl vorstehend die Feststellungen unter B VI.4 - sind die Schutzansprüche 11, 12, 15 und 16 im übrigen nicht schutzfähig, weil sie nicht auf einem erfinderischen Schritt beruhen.

Die Merkmale der Schutzansprüche 11 und 12 lassen sich durch einfache Versuche zur Optimierung der Parameter "Abstand zu den Walzen" und "angelegte Spannung" vom Fachmann von der Vorrichtung nach der WO 98/03049 auf eine gattungsgemäße Vorrichtung übertragen.

Die Schutzansprüche 15 und 16 sind - für sich genommen - nicht schutzfähig, weil für die isolierende Schicht die Werkstoffe Gummi und Kunstharz Verwendung finden. Die Eigenschaften dieser Werkstoffe sind dem Fachmann aber bekannt, ihre Verwendung als isolierende Schicht der Walzen ist somit ebenfalls eine Routinetätigkeit.

VI.6a) Die hilfsweise verteidigten Schutzansprüche 17 und 19 sind schutzfähig, insoweit sie direkt oder indirekt auf den schutzfähigen Schutzanspruch 10 zurückbezogen sind. In diesem Kontext sind sie zweckmäßige, nicht selbstverständliche Weiterbildungen.

VI.6b) Im übrigen mögen die hilfsweise verteidigten Schutzansprüche 17, 18 und 19 neu sein, sie beruhen jedoch ebenfalls nicht auf einem erfinderischen Schritt.

Die auf die Ansprüche 4, 5, 7 bis 9, 11 bis 16 zurückbezogenen Merkmale des Schutzanspruchs 17 sind als selbstverständlich anzusehen. Der Zweck von Sandwichwalzen in gattungsgemäßen Vorrichtungen ist das Vereinigen von mehreren Papierbahnen. Diese Papierbahnen müssen aber hierfür durch geeignete Mittel den Sandwichwalzen zugeführt werden. Diese Zuführmittel sind daher systemimmanent für die Sandwichwalzen und werden vom Fachmann bei jeder Vorrichtung mitgelesen. Die Antragsgegnerin hat auch keine besonderen Mittel offenbart, vielmehr werden in Fig 1 die Papierbahnen ohne Zuführmittel dargestellt. Schutzanspruch 17 ist daher mit jedem der genannten rückbezogenen Ansprüche nicht schutzfähig.

Schutzanspruch 18 ist auf die Schutzansprüche 4 oder 9 rückbezogen. Wie bereits zu Schutzanspruch 4 ausgeführt wurde, liegt es im Können des Fachmanns, die Induktorelektrode nach der WO 98/43905, die sich im Ausführungsbeispiel nach Fig 4 nur über einen kurzen Bereich der Walze erstreckt, auch über die gesamte Länge der Walze zu erstrecken, wenn die hochleitende Schicht zwischen der äußersten halbleitenden Schicht und der isolierenden Schicht entfallen kann. Würden die Induktorelektroden nicht über die gesamte Länge der Walze erstreckt wäre sonst eine gleichmäßige Aufladung der Papierbahnen nicht gewährleistet. Diese Aussage gilt auch dann, wenn gemäß Schutzanspruch 9 die erste und die zweite Walze die Sandwichwalzen sind. Die Ausbildung der Walzen als Sandwichwalzen ist unabhängig von der Aufladung der Walzen mit der Induktorelektrode, deren Ausgestaltung in den Ansprüchen 4, 5, 7 und 8 beansprucht ist, und sie stellt daher ein additives Merkmal dar, das der Fachmann ohne weiteres vorsieht, wie bereits zu Schutzanspruch 9 zuvor begründet.

Schutzanspruch 19 ist auf die Ansprüche 4, 9 und 11 - 18 rückbezogen. Soweit diese Rückbezüge auf Schutzanspruch 10 gerichtet sind, ist Schutzanspruch 19 - wie bereits festgestellt - schutzfähig. Im übrigen fehlt es dieser Merkmalskombination am erfinderischen Schritt. Der Werkstoff Gummi ist dem Fachmann aufgrund seines Fachwissens als isolierender oder halbleitender Werkstoff so bekannt, daß auf einen Nachweis hierzu verzichtet werden kann. Der Einsatz dieses Werkstoffs für die halbleitende äußerste Schicht einer Walze ist daher als eine routinemäßige Tätigkeit anzusehen. Eine Kombination dieses Merkmals mit den Merkmalen der rückbezogenen Schutzansprüche, die die Walzen oder die Induktorelektrode fortbilden, führt nicht zu Anspruchskombinationen, denen ein erfinderischer Schritt beigemessen werden kann. Denn es handelt sich um eine Verknüpfung verschiedener Schritte, die der Fachmann bereits aufgrund seines Fachwissens ohne weiteres entwickeln kann.

VII Die Kostenentscheidung folgt aus § 18 Abs 2 Satz 2 GebrMG iVm § 84 Abs 2 Satz 2 PatG iVm §§ 92 Abs 1, 97 Abs 1 ZPO. Die Antragstellerin hat in beiden Rechtszügen die vollständige Löschung des Gebrauchsmusters betrieben. Mit diesem Antrag war sie im Ergebnis überwiegend erfolgreich. Der Senat mißt den rechtbeständigen Schutzansprüchen nur noch einen Wert bei, der in etwa 1/5 des technischen und des wirtschaftlichen Wertes der Summe aller angegriffenen Schutzansprüche entspricht. Daraus folgt die Entscheidung, die Kosten des Verfahrens in beiden Rechtszügen nur noch zu 1/5 der Antragstellerin und zu 4/5 der Antragsgegnerin aufzuerlegen. Die Billigkeit macht keine andere Entscheidung erforderlich.

Werner Küstner Bülskämper Hu






BPatG:
Beschluss v. 13.05.2004
Az: 5 W (pat) 437/03


Link zum Urteil:
https://www.admody.com/urteilsdatenbank/08dd82c7fc41/BPatG_Beschluss_vom_13-Mai-2004_Az_5-W-pat-437-03




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