Oberverwaltungsgericht Nordrhein-Westfalen:
Beschluss vom 15. März 2001
Aktenzeichen: 13 B 158/01

(OVG Nordrhein-Westfalen: Beschluss v. 15.03.2001, Az.: 13 B 158/01)

Tenor

Der angefochtene Beschluss wird teilweise geändert.

Die aufschiebende Wirkung der Klage 1 K 10149/00 wird angeordnet, soweit sie gegen die Aufforderung gemäÀ Nr. 1.3 des Beschlusses der Antragsgegnerin vom 15. November 2000 gerichtet ist.

Im Àbrigen wird die Beschwerde zurückgewiesen.

Die Kosten beider Rechtszüge tragen die Antragstellerin und die Antragsgegnerin je zur Hälfte.

Der Streitwert wird auch für das Beschwerdeverfahren auf 100.000,-- DM festgesetzt.

Gründe

Die zulässige Beschwerde ist in dem aus dem Tenor ersichtlichen Umfang begründet, im Übrigen unbegründet.

Das Verwaltungsgericht hat den Antrag,

die aufschiebende Wirkung der Klage 1 K 10149/00 gegen den Bescheid der Antragsgegnerin vom 15.11.2000 insoweit anzuordnen, als mit ihm

1. in Ziffer 1.3 die Anpassung der Entgelte für das AfOD und das TICOC um eine zusätzliche nutzungszeitunabhängige Entgeltvariante gefordert wird,

2. in Ziffer 2 eine Umsetzungsfrist bis zum 15.12.2000 für die Ziffern 1.1 und 1.2 angeordnet wird und

3. sie in Ziffer 4 verpflichtet wird, die Entgelte des AfOD vor ihrem Inkrafttreten im Amtsblatt der RegTP zu veröffentlichen,

insgesamt abgelehnt. Diese Entscheidung kann in der Beschwerde nur teilweise Bestand haben. Dem Antragsbegehren zu 1. ist zu entsprechen; hinsichtlich des weitergehenden Antragsbegehrens verbleibt es bei der erstinstanzlichen ablehnenden Entscheidung.

Mit dem Verwaltungsgericht erachtet auch der Senat den Antrag insgesamt für zulässig. Durch das von der Antragstellerin nach dem angefochtenen Beschluss vom 15. November 2000 gemachte Angebot einer Online-Vorleistungsflatrate (OVF) ist nicht etwa das Rechtsschutzbedürfnis entfallen. Das OVF-Angebot bezieht sich nur auf das Produkt AfOD und ist zunächst unter dem Vorbehalt des Ausgangs des vorliegenden Rechtsstreits erklärt worden; die verfahrensrechtliche Bedeutung der in dem Zusammenhang von der Antragstellerin in ihrem Schriftsatz vom 13. Februar 2001, Seite 24, abgegebenen Erklärung kann offen bleiben. Jedenfalls spricht nach dem Schreiben der Beschlusskammer 3 der RegTP vom 25. Januar 2001 vieles dafür, dass die Antragsgegnerin selbst das OVF-Angebot nicht als Erfüllung der verfügten Aufforderung ansieht, so daß der Antragstellerin nach wie vor eine Vollziehung aus dem angefochtenen Beschluss vom 15. November 2000 droht.

Die im Verfahren nach § 80 Abs. 5 VwGO vorzunehmende Interessenabwägung fällt jedenfalls im maßgeblichen gegenwärtigen Zeitpunkt insoweit zu Gunsten der Antragstellerin aus, als sie aufgefordert ist, die Entgelte für das Produkt AfOD und das Produkt TICOC um eine zusätzliche nutzungszeitunabhängige Entgeltvariante zu ergänzen (Antragsbegehren zu 1.). Dabei kann eine nähere Rechtsprüfung der Nr. 1.3 des angefochtenen Beschlusses vom 15. November 2000 im vorliegenden summarischen Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes unterbleiben. Dem Vollziehungsinteresse kommt gegenwärtig kein Gewicht mehr zu. Es besteht kein Bedürfnis für eine sofortige Vollziehung der Nr. 1.3 des Beschlusskammerentscheidung vom 15. November 2000, weil die Sachlage insofern eine wesentliche Änderung erfahren hat, als die von der Beschlusskammer seinerzeit gesehene Bevorteilung der T-Online International AG, einer Tochter der Antragstellerin, im Sinne des § 24 Abs. 2 Nr. 3 TKG und die dem entsprechende Diskriminierung anderer Internet-Service-Provider (ISP) nicht mehr erkennbar ist.

In der angefochtenen Beschlusskammerentscheidung ist als gleichsam wesentliche Grundlage für die Regulierungsmaßnahme der Nr. 1.3 herausgestellt, dass sich für die ISP eine äußerst risikobehaftete Preis-Kosten-Schere auftut, wenn sie für die Zuführung schmalbandigen Verkehrs nutzungszeitabhängige Entgelte zahlen, den Endkunden jedoch aus Wettbewerbsgründen eine Flatrate anbieten müssen; diese Preis-Kosten-Schere werde von der Betroffenen (der Antragstellerin) für die anderen ISP selbst erzeugt, indem sie die eigene Tochtergesellschaft (T-Online International AG) eine Endkundenflatrate anbieten lasse. Dieser Preis-Kosten-Schere und der damit verbundenen Ungleichverteilung des Risikos sollte begegnet werden, wobei nur die Wiederherstellung von strukturell gleichen Entgelten auf Vorleistungs- und Endkundenebene als Lösungsweg gesehen wird. Erkennbares Ziel der Beschlusskammerentscheidung war somit die Beseitigung der durch die frühere Endkundenflatrate der T-Online International AG von 79,-- DM ausgelöste für viele andere ISP risikoreiche Wettbewerbssituation, die zu einem sogenannten Flatrate-Sterben geführt haben soll.

Diese Situation ist allerdings, soweit ersichtlich, schon dadurch beseitigt, dass die T-Online International AG ihre frühere Endkundenflatrate vom Markt genommen und - bisher unbeanstandet - mengen- und tageszeitabhängig gestaffelte Entgelte eingeführt hat, die aus gegenwärtiger Sicht keinen unzulässigen Wettbewerbsvorteil für die T-Online International AG und keine Diskriminierung zu Lasten der übrigen ISP beinhalten. Im Gegenteil scheinen diese neuen Entgelte nach den kritischen Reaktionen hierzu in den Medien eher ungünstiger und die Entgelte anderer ISP demgegenüber vorteilhafter zu sein. Jedenfalls aber dürften aus gegenwärtiger Sicht auch die übrigen ISP ebenso wie die T-Online International AG gestaffelte mengenabhängige Pauschalentgelte neben zeitabhängigen Entgelten für überschießende Kundennachfrage oder ähnlich strukturierte, auf das Nachfrageverhalten ihrer Endkunden zugeschnittene Entgelte ohne die vordem beklagten kalkulatorischen und wirtschaftlichen Schwierigkeiten anbieten können.

Würde in der gegenwärtigen Situation, in der, soweit erkennbar, für die ISP eine der Antragstellerin zurechenbare Preis-Kosten-Schere nicht mehr besteht oder es zu deren Beseitigung einer sofortigen Ergänzung der AfOD- und TICOC-Entgelte um eine nutzungszeitunabhängige Variante nicht bedarf, gleichwohl die Aufforderung zu Nr. 1.3 der angefochtenen Beschlusskammerentscheidung im Wege der Vollziehung durchgesetzt, beinhaltete das - jedenfalls bis zu einer Klärung der Problematik im Hauptsacheverfahren - ein mit dem Verhältnismäßigkeitsgebot nicht mehr vereinbares Vorgehen mit - infolge der dann allgemein zu erwartenden Endkundenflatrates der ISP - Einbußen und Risiken der Antragstellerin auf der Ertragsseite und bei der Netzbelastung.

Die Notwendigkeit einer - weiteren - Vollziehung der Nr. 1.3 des Beschlusses vom 15. November 2000 lässt sich nicht damit begründen, allein schon die weiter bestehende Möglichkeit für einen Nachfrager, hier die T-Online International AG, eine Endkundenflatrate einzuführen, stelle einen nicht zu duldenden Wettbewerbsvorteil im Sinne des § 24 Abs. 2 Nr. 3 TKG dar. Denn die bloße Möglichkeit zur Entwicklung eines die Konkurrenz in Schwierigkeiten versetzenden Entgeltes ist noch kein Wettbewerbsvorteil von Wert, sondern erst - und allenfalls - ihre konkrete Ausnutzung. Die nicht umgesetzte Vorteilsmöglichkeit beeinträchtigt den Wettbewerber noch nicht und beinhaltet noch nicht dessen Diskriminierung. Allein durch die vom Nachfrager nicht wahrgenommene oder aufgegebene Möglichkeit zum Angebot einer Endkundenflatrate wird die der angegriffenen Beschlusskammerentscheidung argumentativ als wesentlich zu Grunde liegende Preis-Kosten-Schere für die ISP nicht ausgelöst. Diese Sicht wird bestätigt durch das eigene Verhalten der Antragsgegnerin, die die von der Antragstellerin in der Zeit vor Einführung der Endkundenflatrate durch die T-Online International AG erhobenen, strukturell gleichen Entgelte für die Produkte AfOD und TICOC ebenfalls nicht beanstandet hat, dies offensichtlich deshalb nicht, weil eine wettbewerbsverzerrende und diskriminierende einseitige Vorteilsgewährung nicht gegeben war. Im Übrigen hält der Senat eine latente Gefahr, dass die T- Online International AG kurzfristig zur früheren Preisgestaltung, mit der sie sich verkalkuliert hatte, zurückkehrt, für äußerst fern liegend.

Aus den dargestellten Gründen kommt es nicht mehr entscheidend darauf an, ob die Nr. 1.3 der angefochtene Beschlusskammerentscheidung von Anfang an etwa aus folgenden Erwägungen zu beanstanden ist:

Das Fehlen eines bestimmten Entgelts kann nur dann als diskriminierend beanstandet werden, wenn für den Anbieter eine gesetzliche Pflicht zur Erhebung des geforderten Entgelts oder der geforderten Entgeltstruktur besteht. Wird ein mit Blick auf § 24 Abs. 1 und Abs. 2 Nr. 1 und 2 TKG nicht beanstandetes Entgelt für alle Nachfrager in gleicher Weise erhoben, dürfte allein der Umstand, dass sich in vergleichbaren ausländischen Märkten eine Vorleistungsflatrate und eine Endkundenflatrate durchgesetzt und sich auf dem deutschen Markt ein entsprechender Druck entwickelt hat, jedenfalls noch keine Rechtspflicht des Verbindungsleistungsanbieters zur Einführung einer Vorleistungsflatrate auf dem deutschen Markt begründen, selbst wenn Derartiges wirtschafts- oder wettbewerbspolitisch und aus verständlicher Sicht der Endkunden wünschenswert sein mag. Auf Forderungen der Endkunden stellen die Entgeltmaßstäbe des § 24 TKG nicht ab.

Offen bleiben kann schließlich auch die Frage nach der Verhältnismäßigkeit des von der angefochtenen Beschlusskammerentscheidung vorgegebenen Mittels zur Beseitigung der Preis-Kosten- Schere, die der erkennbare Anlass des Einschreiten der Regulierungsbehörde war. Bietet sich ein den Betroffenen weniger belastendes oder von ihm akzeptiertes und ebenso zum erstrebten Erfolg führendes Mittel, gebietet der auch im Telekommunikationsrecht geltende, aus der Verfassung abgeleitete Grundsatz der Verhältnismäßigkeit, die Eingriffsentscheidung so zu gestalten, dass der den Betroffenen weniger belastende Weg nicht verschlossen ist. Hier war erkennbar eine Beendigung der Wettbewerbsverzerrungen unter den ISP durch Herausnahme der früheren uneingeschränkten Endkundenflatrate der T-Online International AG zu erwarten. Durch die angefochtene Beschlusskammerentscheidung ist die Antragstellerin jedoch ausschließlich auf eine Reaktion, die Einführung einer Vorleistungsflatrate, auf 1 ½ Jahre festgelegt.

Die Interessenabwägung bezüglich des Antragsbegehrens zu 2. und 4. fällt auch aus Sicht des Senats zu Ungunsten der Antragstellerin aus, weil im vorliegenden Verfahren gegen die Fristsetzung in Nr. 2 des angefochtenen Beschlusses vom 15. November 2000 und gegen die Veröffentlichungsverpflichtung in Nr. 4 keine durchgreifenden Bedenken bestehen.

Nicht ohne Auswirkung auf die Fristsetzung und Veröffentlichungsverpflichtung wäre indes, wenn die ihnen zu Grunde liegenden Aufforderungen gemäß Nr. 1.1 und 1.2 der Beschlusskammerentscheidung Bedenken unterlägen. Das ist aber aus den zutreffenden Gründen der erstinstanzlichen Entscheidung nicht der Fall. Es spricht Überwiegendes dafür, dass für die Aufrechterhaltung von Entgelten für Haupt- und für Nebenzeiten kein sachlicher Grund - etwa eine Verkehrssteuerung gegen Spitzenbelastungen - besteht, jedenfalls ist ein solcher von der Antragstellerin nicht dargetan. Es spricht auch Überwiegendes dafür, dass die gewährten Rabatte einseitige Vorteile für Nachfrager vermitteln sollen und durch sachliche Gründe - etwa mengenabhängige Kostensenkungen - nicht gerechtfertigt sind. Insoweit konnte die Antragsgegnerin die Antragstellerin gemäß § 30 Abs. 4 TKG zur Anpassung der Entgelte auffordern.

Dass sie dazu eine Frist gesetzt hat, ist grundsätzlich unbedenklich, zumal das Gesetz eine unverzügliche Anpassung vorsieht. Ob die von der Beschlusskammer ursprünglich zur Umsetzung der Aufforderung Nr. 1.1 und 1.2 gesetzte Frist bis zum 15. Dezember 2000 knapp bemessen war, mag offen bleiben; die Frist zur Umsetzung der Aufforderung Nr. 1.3 ist gegnstandslos. Die Antragsgegnerin hat im Verlaufe des gerichtlichen Verfahrens zugesagt, bis zum 15. März 2001 aus der angefochtenen Beschlusskammerentscheidung keine Vollziehungsmaßnahmen zu ergreifen. Damit hat sie der Antragstellerin unter faktischer Aufhebung der ursprünglichen Frist eine Umsetzungsfrist bis zum heutigen Tag geboten. Bis zu diesem Zeitpunkt musste der Antragstellerin die Umsetzung der Aufforderungen Nr. 1.1 und 1.2 aus Sicht des Senats verwaltungsmäßig möglich gewesen sein.

Der Senat hat auch keine durchgreifenden Bedenken gegen eine rechtliche Möglichkeit zur Anpassung bestehender Kundenverträge im Sinne der Aufforderung gemäß Nr. 1.1 und 1.2 der Beschlusskammerentscheidung. Unabhängig von etwaigen vertraglichen Kündigungsfristen wird eine Anpassung der Kundenverträge zumindest aus dem Gesichtspunkt des Wegfalls der Geschäftsgrundlage zulässig sein. Geschäftsgrundlage eines Kundenvertrages über das Produkt AfOD und TICOC ist u.a. die Fortgeltung des von der Antragstellerin enthobenen Entgelts im Sinne seiner regulierungsrechtlichen Verbindlichkeit. Auch der ISP als Kunde kennt das Regelwerk der Entgeltregulierung nach dem Telekommunikationsgesetz und seine stringenten Folgen nicht nur für den Marktbeherrscher bis hin zur Unwirksamkeitserklärung von Entgelten durch die Regulierungsbehörde mit der Gefahr der Liefereinstellung durch den Marktbeherrscher und hat den Vertrag in Kenntnis des möglichen Eingreifens der Regulierungsmechanismen hinsichtlich der genannten wesentlichen Vertragsgrundlage abgeschlossen, so daß er sich einer alsbaldigen Entgeltanpassung nicht mit dem Hinweis auf ein alleiniges Risiko des marktbeherrschenden Anbieters entziehen kann. Insoweit hat das Telekommunikationsgesetz auch zwingende Auswirkungen auf den Kunden, was schon dadurch erhellt, dass er bei einer Entgeltregulierung nach unten auf sofortige Vertragsanpassung dringen würde.

Auch hinsichtlich der Verpflichtung der Antragstellerin zur Veröffentlichung der angepassten Entgelte hat der Senat im vorliegenden Verfahren keine Bedenken. Die Ermächtigungsgrundlage der Antragsgegnerin ergibt sich insoweit aus § 31 Abs. 2 TKG. Insoweit wird zur Vermeidung von Wiederholungen auf die überzeugenden Ausführungen des Verwaltungsgerichts verwiesen. Ermessensfehler der Antragsgegnerin sind gegenwärtig nicht erkennbar.

Die Nebenentscheidungen folgen aus §§ 155 Abs. 1, 154 Abs. 2 VwGO und §§ 13 Abs. 1, 20 Abs. 3 GKG.

Dieser Beschluss ist unanfechtbar.






OVG Nordrhein-Westfalen:
Beschluss v. 15.03.2001
Az: 13 B 158/01


Link zum Urteil:
https://www.admody.com/urteilsdatenbank/08eb29cdf32d/OVG-Nordrhein-Westfalen_Beschluss_vom_15-Maerz-2001_Az_13-B-158-01




Diese Seite teilen (soziale Medien):

LinkedIn+ Social Share Twitter Social Share Facebook Social Share