Bundespatentgericht:
Urteil vom 29. Juni 2000
Aktenzeichen: 2 Ni 13/99

(BPatG: Urteil v. 29.06.2000, Az.: 2 Ni 13/99)

Tenor

I. Die Klagen werden abgewiesen II. Die Klägerinnen tragen die Kosten des Rechtsstreits.

III. Das Urteil ist für die Beklagte im Kostenpunkt gegen die Klägerinnen gegen Sicherheitsleistung in Höhe von jeweils 60.000.--DM vorläufig vollstreckbar.

Tatbestand

Die amerikanische Firma M... Corp. (B... in O...) hat am 4. Oktober 1989 unter Inanspruchnahme der Priorität der US-amerikanischen Patentanmeldung 254463 vom 5. Oktober 1988 das europäische Patent 0 437 491 (Streitpatent) angemeldet, dessen eingetragene Inhaberin nunmehr die Beklagte ist. Diese hat die dem u.a. für die Bundesrepublik Deutschland, Frankreich und die Niederlande erteilten Streitpatent zugrunde liegende Patentanmeldung ( Anmeldenummer 89911412.8) von der damaligen Anmelderin im Rahmen eines umfassenden Kaufvertrages vom 28. Februar 1992 erworben (Anlagen B3, B 4). Die Patenterteilung wurde am 13. Dezember 1995 veröffentlicht.

Das Streitpatent, dessen Verfahrenssprache Englisch ist und das vom deutschen Patentund Markenamt unter der Nummer 689 25 121 geführt wird, betrifft ein Verfahren zur Verwendung einer elektronisch wiederkonfigurierbaren Gatterfeld-Logik sowie ein dadurch hergestelltes Gerät und umfaßt 18 Patentansprüche. Anspruch 1 hat in der von den Klägerinnen als unrichtig gerügten deutschen Übersetzung gemäß Patentschrift folgenden Wortlaut:

"1. Ein Verfahren zum Betreiben eines Arrays (10) von elektrisch rekonfigurierbaren Gatterarrays (ERCGAs) (12a, 12b), die jeweils eine Mehrzahl von logischen Schaltelementen und Mitteln zum reversiblen Erstellen von Verbindungswegen zwischen den logischen Schaltelementen aufweisen, wobei das Verfahren die Schritte des Bildens erster und zweiter ERCGAs (12a, 12b) aufweisen, die durch ein elektrisches Eingabesignal konfigurierbar sind, um eine gewünschte logische Konfiguration zu erstellen und die ersten und zweiten ERCGAs so zu verbinden, daß das Array als ein logisches System für einen bestimmten Zweck dient, wobei das Verfahren durch die folgenden Schritte gekennzeichnet ist: Bilden erster Eingabedaten, die für ein erstes digitales logisches Netzwerk repräsentativ sind, wobei die Eingabedaten aus booleschen Logikgattern bestehende Grundoperationen und Netze, die die Grundoperationen verbinden, aufweisen; automatisches Partitionieren (14) der ersten Eingabedaten in erste und zweite Abschnitte; Aufbringen des ersten Abschnitts der partitionierten ersten Daten auf den ersten ERCGA (12a), so daß ein erster Abschnitt des ersten digitalen logischen Netzwerks, da dadurch repräsentiert wird, eine tatsächliche Betriebsweise auf dem ersten ERCGA (12a) annimmt; Aufbringen des zweiten Abschnitts der partitionierten ersten Daten auf das zweite ERCGA (12b), so daß ein zweiter Abschnitt des ersten digitalen logischen Netzwerks, das dadurch repräsentiert wird, eine tatsächliche Betriebsweise auf dem zweiten ERCGA (12b) annimmt; Verbinden des ersten und des zweiten ERCGAs derart, daß wenigstens ein in den ersten Daten spezifiziertes Netz sich zwischen dem ersten und dem zweiten ERCGA (12a, 12b) erstreckt; Aufbringen der zweiten Eingabedaten, die für ein zweites digitales logisches Netzwerk, welches mit der Ausnahme hat, daß beide Grundfunktionen aufweisen, die von booleschen logischen Gattern bestehen, zu dem ersten digitalen logischen Netzwerk keinerlei Beziehungen hat, und für Netze, die die Grundoperationen verbinden, und beide dazu da sind, eine tatsächliche Betriebsweise auf denselben ERCGAs anzunehmen, repräsentativ sind; automatisches Partitionieren der zweiten Eingabedaten in erste und zweite Abschnitte; Aufbringen des ersten Abschnitts der partitionierten zweiten Daten auf das erste ERCGA (12a) derart, daß ein erster Abschnitt des zweiten digitalen logischen Netzwerks, das dadurch repräsentiert wird, eine tatsächliche Betriebsweise auf dem ersten ERCGA (12a) annimmt; Aufbringen des zweiten Abschnitts der partitionierten zweiten Daten auf das zweite ERCGA (12b) derart, daß ein zweiter Abschnitt des zweiten digitalen logischen Netzwerks, das dadurch repräsentiert wird, eine tatsächliche Betriebsweise auf dem zweiten ERCGA (12b) annimmt; Verbinden des ersten und des zweiten ERCGAs (12a, 12b) derart, daß wenigstens ein in den zweiten Eingabedaten spezifiziertes Netz sich zwischen dem ersten und dem zweiten ERCGAs (12a, 12b) erstreckt".

Wegen der mit der Teilnichtigkeitsklage außerdem angegriffenen Patentansprüche 2 bis 9, 12 bis 13 sowie14 bis 16 wird auf die Patentschrift Bezug genommen.

Die Klägerinnen sind der Auffassung, daß Zweifel bestünden, ob der Gegenstand des Patentanspruchs 1 gegenüber dem Stand der Technik, den der Artikel von B.W. Kernighan und S. Lin "An Efficient Heuristic Procedure for Partitioning Graphs" in "THE BELL SYSTEM TECHNICAL JOURNAL, Februar 1970, S 291 bis 307 (Anlage N 11) bilde, überhaupt neu sei, jedenfalls aber beruhe er, ebenso wie die der übrigen angegriffenen Ansprüche, gegenüber der Kombination dieser Druckschrift mit dem Inhalt des Artikels von C.E. Stroud et. Alt. "CONES: A System for Automated Synthesis of VLSI and Programmable Logic Form Behavioral Models" in International Conference on Computer-Aided Design, Rye, NY (1986) (Anlage N 12) nicht auf einer erfinderischen Tätigkeit.

Die Klägerinnen beantragen, das europäische Patent 0 437 491 im Umfang der Patentansprüche 1 bis 9, 12 und 13 sowie im Umfang der Patentansprüche 14 bis 16, soweit die Patentansprüche 14 bis 16 nicht auf einen der Patentansprüche 10 oder 11 unmittelbar oder mittelbar rückbezogen sind, mit Wirkung für das Hoheitsgebiet der Bundesrepublik Deutschland für nichtig zu erklären.

Die Beklagte beantragt, die Klage abzuweisen.

Sie hält die Klage für nicht zulässig, da die Klageerhebung eine gegen den Grundsatz von Treu und Glauben verstoßende unzulässige Rechtsausübung darstelle. Die Beklagte habe mit dem Vertrag vom 28. Februar 1992 von der M... Corp. (B... in O...) u.a. das Recht an der dem Streitpatent zugrundeliegenden europäischen Patentanmeldung erworben. Da der nunmehrige Angriff auf das Patent dem Zweck dieses Vertrages zuwiderlaufe, seien die Klägerinnen, die mit der M... Corp. eine wirtschaftliche Einheit darstellten, an der Klageerhebung gehindert. Sowohl die Klägerin zu 1) als auch die Klägerin zu 2) seien 100 %-ige Tochtergesellschaften der M... H...weg in H..., Niederlande, die ihrerseits eine 100%-ige Tochtergesellschaft der damaligen Verkäuferin M... Corp. sei.

Die Klägerinnen sind demgegenüber der Auffassung, daß ihre Klagen zulässig seien. Zwischen den Parteien bestünden keinerlei vertragliche Beziehungen, aufgrund derer es den Klägerinnen untersagt sei, die Nichtigkeitsklage zu erheben. Die M... Corp. und die Klägerinnen seien zwar konzernmäßig verbunden. Dies ändere aber nichts daran, daß es sich um jeweils eigenständige Rechtspersönlichkeiten handle, die nach Zivilund Steuerrecht auch als solche anerkannt seien, die jeweils ohne Rücksicht auf mit ihr verbundene Unternehmen ihren eigenen Vorteil verfolgten. Die Klägerin zu 1) sei wegen Vorrichtungen, die auf eine von der Klägerin zu 2) bereits vor dem Anmeldetag des Streitpatents entwickelten Architektur aufbauten, von der Beklagten wegen Patentverletzung in Anspruch genommen worden.

Gründe

Die Klagen sowohl der Klägerin zu 1), der M... (Deutschland) GmbH, als auch der Klägerin zu 2), der französischen M... S.A.R.L., sind unzulässig. Ihr Ziel, das Streitpatent für (weitgehend) nichtig zu erklären, widerspricht dem Vertragszweck des zwischen der Konzernmutter der Klägerinnen und der Beklagten abgeschlossenen Kaufvertrages vom 28. Februar 1992 und verstößt gegen Treu und Glauben. Dabei ist es unerheblich, daß Vertragsgegenstand kein erteiltes Patent, sondern nur eine Anmeldung war, daß das Patent nicht in seinem gesamten Bestand angegriffen wird und daß die Klägerinnen nicht selbst Partner dieses Vertrages waren, da sie sich auf Grund ihrer Eigenschaft als 100%-ige Töchter der Vertragspartnerin der Beklagten nicht auf eigene berechtigte Interessen an der Nichtigerklärung des Streitpatents berufen können, so daß die gegen die Konzernmutter bestehenden Einwendungen gegen sie durchgreifen.

I.

1. Der Auffassung der Klägerinnen, hier lägen keine besonderen Umstände vor, die einer Klage ihrer Konzernmutter entgegenstünden, kann nicht gefolgt werden. Richtig ist zunächst -und insoweit besteht auch zwischen den Parteien kein Streit -daß die Nichtigkeitsklage auf Grund ihrer Ausgestaltung als Popularklage von jedermann auch ohne eigenes Rechtsschutzbedürfnis erhoben werden kann. Die förmliche Vernichtung eines Patents, das keine Bereicherung der Technik beinhaltet, liegt objektiv im öffentlichen Interesse. Ein Wille des Klägers, diesem Interesse zu dienen, wird nicht gefordert (std. Rspr, vgl. Busse, PatG 5. Aufl. 1999, Rn 37 zu § 81 m.w.N.). Da aber das Nichtigkeitsverfahren neben diesem objektiven Gesichtspunkt auch ein echter Parteienprozeß ist, sind etwaige Besonderheiten im Verhältnis der Parteien zueinander beachtlich, die die Durchführung des Nichtigkeitsverfahrens gerade zwischen ihnen als anstößig oder jedenfalls dem auch im Prozeßrecht zu beachtenden Grundsatz von Treu und Glauben widersprechend erscheinen lassen (vgl. BGH GRUR 1998, 904 f "Bürstenstromabnehmer" mwN) und damit der Zulässigkeit einer in einem solchen Fall dennoch erhobenen Klage entgegenstehen. So liegt der Fall hier. Was die Nichtangriffsverpflichtung bzw. deren Verneinung in den von der Beklagten zitierten Entscheidungen betrifft, stimmen zwar die jeweils zugrunde liegenden Sachverhalte nicht mit dem vorliegend zu entscheidenden überein, wie die Klägerinnen zu Recht ausführen. Allerdings hat der Bundesgerichtshof unabhängig vom fallbezogenen Ergebnis die oben erwähnten Grundsätze jeweils bekräftigt. Insbesondere hat er in den Gründen zu seiner Entscheidung "Entwässerungsanlage" ausgeführt, daß der Angriff eines Verkäufers auf das verkaufte Patent eine unzulässige Rechtsausübung darstellt, da dies in einem mit Treu und Glauben unvereinbaren Widerspruch zu dem mit der Übertragung der Rechte an einer Erfindung zusammenhängenden sonstigen Rechten und Pflichten steht. Es gehört zu den vertraglichen Nebenpflichten des Schuldners, alles zu unterlassen, was geeignet ist, die Erreichung des Zweckes des Schuldverhältnisses zu vereiteln (BGH GRUR 1987, 900 ff, 901). Dies gilt selbstverständlich auch dann, wenn die Parteien in "scharfem" Wettbewerb stehen, ohne daß es etwa auf einen zusätzlichen Vertrauenstatbestand ankäme, wie die Klägerinnen aber offenbar unter Bezugnahme auf die BGH-Entscheidung "Weichvorrichtung II" und die Senatsentscheidung GRUR 1996, 480 -"Nichtangriffsabrede" zu meinen scheinen. Schon auf Grund dieser Erwägungen wäre es entgegen der Auffassung der Klägerinnen der amerikanischen M... Corp. in jedem Fall verwehrt, das Streitpatent anzugreifen. Nach dem Inhalt des Übertragungsvertrag vom 28. Februar 1992 wollte die Verkäuferin der Beklagten bezüglich der umfaßten Schutzrechte und Schutzrechtsanmeldungen die vollständige Rechtsinhaberschaft verschaffen: Die in der Anlage zum Vertrag aufgeführten Technologiebereiche und Schutzbzw. Anwartschaftsrechte wurden vorbehaltlos auf die Beklagte übertragen; in TZ 1.2. ist eine entsprechende Abgrenzung zu andern Vermögensgegenständen der Verkäuferin enthalten. In TZ 1.3. verpflichtete sich die Verkäuferin, der Beklagten die uneingeschränkte und vollständige Verfügungsmacht über die Vertragsgegenstände zu verschaffen. Als Gegenleistung hat die Verkäuferin darüber hinaus im wesentlichen Aktien der Beklagten und Optionen auf weitere erhalten (TZ 2 und TZ 7.7.1. und 7.7.2.). Die Verkäuferin verpflichtete sich außerdem zur weiteren Unterstützung der Beklagten im Marketingbereich (TZ 4.2 und TZ 9). Ihr Angriff auf eines der verkauften, d.h. gegen eine Gegenleistung übertragenen Schutzrechte oder Anmeldungen bedeutete daher in jedem Fall eine unzulässige Rechtsausübung, die in einem mit Treu und Glauben unvereinbaren Widerspruch zu dem mit der Übertragung der Rechte an einer Erfindung zusammenhängenden Pflichten steht. Nicht nur, daß es zu den vertraglichen Nebenpflichten des Schuldners gehört, alles zu unterlassen, was geeignet ist, die Erreichung des Zweckes des Schuldverhältnisses zu vereiteln, die oben dargestellten und weitere Vereinbarungen im Vertrag (z.B. in TZ 7.1., 7.5.2., 7.6. und 8.2.1.) rechtfertigen es, ein gesellschaftsähnliches Verhältnis zwischen Verkäuferin und Beklagter anzunehmen, was einem Angriff der amerikanischen Mentor Graphics auf das Streitpatent zusätzlich entgegenstünde. Die enge, vertrauensvolle Zusammenarbeit zwischen den Vertragsparteien zeigt sich auch noch darin, daß nach der Übertragung auf die Beklagte die europäische Patentanmeldung von denselben Patentanwälten, die zuvor für die Verkäuferin tätig geworden waren, weiter betrieben und zum Abschluß gebracht wurde. Weder rechtfertigt der in TZ 3 enthaltenen Gewährleistungsausschluß ein anderes Ergebnis noch der Umstand, daß ein gewerbliches Schutzrecht stets mit dem Risiko behaftet ist, daß es nach Erteilung wieder zu Fall gebracht werden kann. Die vertragliche Freizeichnung betrifft zum einen nur die Produkthaftung, ansonsten haftet die Verkäuferin weder für die Tauglichkeit der übertragenen Gegenstände für die Beklagte (TZ 3.1. S.2) noch für Gültigkeit oder Durchsetzbarkeit der abgetretenen Patenrechte oder Patentanmeldungen (TZ 3.2. le Satz). Dieser Ausschluß betrifft daher nur die in den übertragenen Gegenständen selbst liegenden oder objektiv mit den Anmeldeverfahren verbundene Risiken oder etwaige Angriffe von dritter Seite. Er beinhaltet aber nicht, daß die Verkäuferin sich das ihr im Gegensatz zu sonstigen beliebigen Dritten auf Grund der Vertragsbindung nicht mehr zustehende Recht vorbehalten wollte, die Schutzrechte zu Fall zu bringen.

Gemäß Art. 27 Abs. 1 S.2, 32 Abs. 1 Nrn. 1, 2 EGBGB ist wegen der im Vertrag (TZ 13.5.) getroffenen Rechtswahl für die Auslegung des Übertragungsvertrags das Recht des Staates Oregon maßgeblich. Aus ihm ergibt sich für die grundsätzlichen Vertragspflichten und für die Geltung von Treu und Glauben nichts Abweichendes, was die Parteien in der mündlichen Verhandlung auf die entsprechende Frage des Gerichts ausdrücklich und übereinstimmend bestätigt haben. Davon, daß es nach der getroffenen Rechtswahl im Belieben eines Vertragsteils stehen könnte, nach Vertragserfüllung durch den anderen Partner den Vertragszweck zunichte zu machen, kann nicht ausgegangen werden, zumal es auch gegen den deutschen ordre public verstoßen würde, wenn der Einwand des Rechtsmißbrauchs nicht möglich wäre (Palandt BGB 59. Aufl. 2000, Rn 16 zu § 6 EGBGB). Die oben dargestellten Umstände ergeben sich -wie im amerikanischen Recht üblich und wichtig (vgl. Döser Angloamerikanische Vertragsstrukturen ..., NJW 2000, 1451 ff) -unmittelbar aus der Vertragsurkunde selbst, ein Angriff auf die übertragenen Vertragsgegenstände mit dem Ziel ihrer nachträglichen Beseitigung widerspräche, wie aufgezeigt, dem Grundsatz von Treu und Glauben und dürfte daher nicht vor einem deutschen Gericht durchgesetzt werden.

Auch die Erwägungen der Klägerinnen zum Kartellrecht sind nicht geeignet, hier etwas an der Annahme einer Nichtangriffsverpflichtungen ändern. Hierbei ist die Frage unerheblich, ob eine vertragliche Nichtangriffsabrede nach altem deutschem Kartellrecht am Schriftformerfordernis scheitern würde, da es eine solche Abrede im Vertrag nicht gibt. Der Ansatz, wonach deshalb, weil eine vertraglich vereinbarte Nichtangriffsabrede im Übertragungsvertrag kartellrechtlich unwirksam wäre, weshalb auch eine Nichtangriffsverpflichtung scheitern müsse, erscheint nicht zwingend. Von den mittlerweile anerkannten Ausnahmen der Freilizenz bzw. der technisch überholten Technologie, von der kein Gebrauch gemacht wurde, abgesehen, wird zwar in der Rechtsprechung allgemein davon ausgegangen, daß eine Nichtangriffsabrede geeignet ist, objektiv den Wettbewerb zu beeinträchtigen. Da es nicht zum Gegenstand des Patents gehört, Schutz gegen Angriffe auf seinen eigenen Bestand zu gewähren, wird auch stets dem Interesse der Allgemeinheit an einem ungehinderten Wettbewerb und damit dem ebenfalls öffentlichen Interesse an der Beseitigung zu Unrecht erteilter Patente ein höherer Rang eingeräumt gegenüber dem möglichen Umstand, daß gerade der Lizenznehmer vom Lizenzgeber Kenntnisse erlangt, die ihn erst in die Lage versetzen, das Patent anzugreifen (vgl. die bei Busse, 5. Aufl. § 81 Rn 91 und 92 zitierten Entscheidungen), mit der Folge, daß eine vertragliche Nichtangriffsabrede stets unwirksam ist. Die bisherige Rechtsprechung zu diesem Thema hat sich aber nur mit Sachverhalten befaßt, die Lizenzverhältnisse zum Gegenstand hatten, in denen sich Patentinhaber als Inhaber des Schutzrechtes und Lizenznehmer im Wettbewerb gegenüberstehen und sich der Lizenznehmer bei gleichzeitig wettbewerbsbeschränkender Belastung durch Lizenzgebühren aufgrund der Nichtangriffsabrede gehindert sieht, gegen diesen Nachteil zur Wehr zu setzen, also in seiner wirtschaftlichen Betätigungsfreiheit unter Umständen zu Unrecht behindert wird. Abgesehen davon, daß das Kartellrecht den Schutz nur des lauteren Wettbewerbs schützen möchte, der im Fall eines rechtsmißbräuchlichen Verhaltens verlassen wird, liegen im Fall der Übertragung eines Schutzrechts oder der Anwartschaft auf ein solches die Dinge aber anders als bei Lizenzverhältnissen. Der hier zu beurteilende Sachverhalt befindet sich diesen gegenüber auf einer anderen Ebene. Denn durch die Übertragung verzichtet die übertragende Seite bewußt auf die bisher bei ihr vorhandene oder im Entstehen begriffene Monopolstellung. Sie zieht sich insoweit, also in dem vom Patent abgedeckten Bereich, freiwillig sowie gegen eine entsprechende Vergütung aus dem Wettbewerb zurück. Die Übertragung eines Monopolrechts kann wegen seines Ausschließungscharakters nur in dem Bewußtsein erfolgen, danach selbst auf dem geschützten Sektor nicht mehr tätig werden zu dürfen. Gegenüber einem derartigen freiwilligen Rückzug aus dem Wettbewerb kann, insbesondere vor dem Hintergrund des venire contra factum proprium, das Interesse der Allgemeinheit an einem ungehinderten Wettbewerb und dem Interesse an der Beseitigung zu Unrecht erteilter Patente keine Rolle spielen, da in diesem vom Inhalt der Übertragung festgelegten Sektor, in dem die aus Treu und Glauben abgeleitete Nichtangriffsverpflichtung wirksam wird, ein Wettbewerb nach dem Parteiwillen gar nicht mehr stattfinden soll. Dementsprechend liegt insoweit ein kartellrechtlich relevantes Wettbewerbsverhältnis nicht vor. Der möglicherweise im übrigen "scharfe" Wettbewerb der Parteien zueinander ist im vom Vertrag betroffenen Bereich unbeachtlich.

Bezüglich des aufrechtzuerhaltenden Vertragszwecks kann es im übrigen entgegen der Auffassung der Klägerinnen auch keine Rolle spielen, ob eine Übertragung auf Grund einer vorhergehenden vertraglichen Verpflichtung erfolgt ist oder ob die Verpflichtung zur Übertragung ohne eine solche Verpflichtung eingegangen wurde, da hierdurch keine Verschärfung bzw. Abmilderung der vertraglichen Nebenpflichten eintritt.

2. Die in der Person der amerikanischen M... bestehende Nichtangriffsverpflichtung erstreckt sich auch auf die Klägerinnen. Sie sind nicht Dritte, denen die Nichtigkeitsklage als Popularklage gegen das Streitpatent zur Verfügung steht, sondern prozessual wie ein Strohmann zu betrachten und befinden sich wegen des vertraglich und damit freiwillig geschaffenen Wettbewerbsverzichts der amerikanischen Konzernmutter in den im Streitpatent benannten Vertragsstaaten, also unter anderem in Deutschland, in einer einem Erfüllungsgehilfen bei deren Unterlassungsverpflichtungen vergleichbaren Position. Da sich die an die Beklagte vertraglich übertragenen Anmeldungen überwiegend auf das außeramerikanische Ausland beziehen und demnach die erwarteten Schutzrechte ihre Wirkung vorhersehbar nur dort entfalten konnten, war für beide Parteien bei Vertragsschluß klar, daß die Verkäuferin im Umfang der durch diese Anmeldungen betroffenen Technologien (-ausschnitte) in den entsprechenden Ländern auf ihre Monopolstellung verzichtete. Die Absicht, diese vertraglich gewollte Folge durch einen Angriff auf das jeweilige Schutzrecht rückgängig machen zu wollen, stellt, wie dargelegt, ein rechtsmißbräuchliches Verhalten dar. Die amerikanische Verkäuferin kann dem nicht dadurch entgehen, daß der Angriff durch 100%-ige Konzerntöchter erfolgt. Gegen die Unzulässigkeit der Klagen können die Klägerinnen insbesondere weder ihre gesellschaftsrechtliche noch ihre steuerrechtliche Unabhängigkeit ins Feld führen, da hiervon das Verhältnis zur Beklagten nicht berührt wird. Entscheidend ist der durch den Abschluß des Übertragungsvertrages vom 28. Februar 1992 erfolgte Rückzug aus den betroffenen Technologiebereichen im Umfang der jeweiligen Schutzrechte in den jeweiligen Staaten. Mit diesem hat sich die amerikanische Firma M... Corp. (B... in O...) insoweit gegenüber der Beklagten gebunden. Im internationalen Handelsverkehr ist es üblich, aus diversen Gründen, beispielsweise steuerlichen, haftungsrechtlichen oder wegen einer besseren Präsenz derartige vollkommen beherrschte Tochtergesellschaften in anderen Staaten zu gründen bzw. aus erworbenen ausländischen Gesellschaften zu bilden. Sie nehmen die wirtschaftlichen Interessen der Mutter wahr, sind somit verlängerter nationaler Arm der jeweiligen Mutter. Ihr Handeln entspricht dem der Mutter, ist dieser zuzurechnen. Da es sich bei den Klägerinnen jeweils um 100%-beherrschte Unternehmen handelt, besteht dementsprechend kein Zweifel, daß die amerikanische Konzernmutter die Einhaltung des "Wettbewerbsverbots" zu Gunsten der Beklagten durchzusetzen verpflichtet und in der Lage war. Insofern besteht auch grundsätzliche Übereinstimmung mit den Klägerinnen, die aber die Weisungsbefugnis daran scheitern lassen wollen, daß eine entsprechende Weisung fehlerhaft wäre, weil gegen zwingende gesetzliche Vorschriften verstoßen würde. Entgegen dieser Auffassung handelt es sich beim Unterlassen der Nichtigkeitsklage nicht um das Unterlassen einer vorteilhaften Maßnahme, sondern um die Einhaltung einer Verpflichtung aus dem Übertragungsvertrag. Dieser trifft den Mentor Graphics Konzern aus den obigen Gründen in allen seinen Gliedern und auch mit der "Nebenfolge", daß -nachdem die wirtschaftliche Betätigung im Patentbereich aus vertraglichen Gründen nicht möglich ist -sich die deutsche Klägerin nicht wegen des gegen sie laufenden Verletzungsprozesses auf berechtigte Verteidigungsinteressen berufen kann. Unter den vorliegenden Umständen könnte sich der Geschäftsführer der Klägerin zu 1) daher auch nicht erfolgreich mit einer Nichtigkeitsklage gegen den Straftatbestand der Patentverletzung verteidigen. Dessen weisungsgemäßes Verhalten könnte dementsprechend auch keine Untreuehandlung darstellen, da es rechtmäßig wäre. Die Klägerin zu 2), die unstreitig erst nach Vertragsabschluß dem Konzern eingegliedert wurde, kann eigene, auf Vorentwicklung beruhende Interessen ebenfalls nicht ins Feld führen. Unabhängig davon, daß die Nähe der vor der Eingliederung getätigten technischen Entwicklungen zum Streitpatent nur äußerst vage vorgetragen wurde, bestand der konzernweit wirkende Wettbewerbsverzicht bereits. Dementsprechend müssen sich die Klägerinnen in jedem Fall die gegen ihre amerikanische Konzernmutter bestehenden Einwendungen entgegenhalten lassen, ohne sich auf eigene Wettbewerbsinteressen stützen zu können.

3. Da der Wettbewerbsverzicht im Rahmen der ursprünglichen Anmeldung besteht und daher umfassend ist, sind die Klägerinnen auch an einem nur teilweisen Angriff auf das Streitpatent gehindert mit der Folge, daß ihre Klagen insgesamt wegen Unzulässigkeit abgewiesen werden müssen.

II.

Als Unterlegene tragen die Klägerinnen die Kosten des Rechtsstreits gemäß §§ 84 Abs 2 PatG iVm § 91 Abs 1 Satz 1, 100 Abs 1 ZPO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf §§ 99 Abs 1 PatG, 709 ZPO.

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BPatG:
Urteil v. 29.06.2000
Az: 2 Ni 13/99


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