Bundespatentgericht:
Beschluss vom 14. Februar 2007
Aktenzeichen: 20 W (pat) 336/03

(BPatG: Beschluss v. 14.02.2007, Az.: 20 W (pat) 336/03)

Tenor

Das Patent wird widerrufen.

Gründe

I Im Einspruch ist fehlende Patentfähigkeit geltend gemacht worden.

Die Einsprechende hat hierzu auf einen offenkundig vorbenutzten Füllstandsmesser BM 70 A verwiesen und dazu vorgelegt:

OV) Krohne, Level-Radar, Berührungslose Füllstandmessung mit elektromagnetischen Wellen, Montage- und Betriebsanleitung, BM 70 A, Druckvermerk 1/97.

Ferner hat die Einsprechende ausgeführt, dass deutlich vor dem Anmeldetag des Streitpatents Geräte des Typs BM 70 A vertrieben worden seien. Den ausgelieferten Geräten sei die Montage- und Betriebsanleitung OV) beigefügt worden. Hierfür und für die Tatsache der Auslieferung der Geräte hat die Einsprechende Zeugenbeweis angeboten.

Die Einsprechende beantragt, das Patent zu widerrufen.

Die Patentinhaberin beantragt, das Patent wie erteilt aufrechtzuerhalten, hilfsweise mit den Patentansprüchen 1 bis 14 gemäß Hilfsantrag 1 überreicht in der mündlichen Verhandlung.

Der Patentanspruch 1 gemäß Hauptantrag lautet (Gliederungszeichen a) bis i) hinzugefügt):

"1. a) Baugruppe zur druckdichten Trennung eines ersten Hohlleiters (12) von einem zweiten Hohlleiter (16), b) mit einem druckfesten Leiterkörper (22), sowiec) einem ersten Adapter (26), der zwischen dem ersten Hohlleiter (12) und dem diesem zugewandten Ende des Leiterkörpers (22) angeordnet ist, undd) einem zweiten Adapter (30), der zwischen dem zweiten Hohlleiter (16) und dem diesem zugewandten Ende des Leiterkörpers (22) angeordnet ist, wobeie) die Dielektrizitätskonstanten des ersten und des zweiten Adapters (26, 30) zwischen denjenigen des Leiterkörpers (22) und der Hohlleiter (12, 16) liegen, dadurch gekennzeichnet, dassf) die Adapter (26, 30) unverlierbar in Adapterhaltern (24, 28) aufgenommen sind, wobeig) die Adapter (26, 30) als gestufte Zylinder mit einem ersten und einem zweiten Abschnitt ausgeführt sind und wobeih) der erste Abschnitt jeweils einen größeren Durchmesser aufweist als der zweite Abschnitt undi) der erste Abschnitt jeweils dem Leiterkörper (22) zugewandt ist."

Der Patentanspruch 1 gemäß Hilfsantrag 1 beinhaltet die Merkmale a) bis i) des Patentanspruchs 1 gemäß Hauptantrag, wobei Merkmal a) geändert ist und folgendermaßen lautet:

"1. a) Baugruppe zur gasdichten und druckfesten Trennung eines ersten Hohlleiters (12) von einem zweiten Hohlleiter (16),"

Die Patentinhaberin macht pauschal geltend, dass die Druckschrift OV) nicht zum Stand der Technik zähle.

Dem widerspricht die Einsprechende. Die Montage- und Betriebsanleitung OV) sei den vor dem Anmeldetag des Streitpatents gelieferten Geräten BM 70 A beigefügt und damit der Öffentlichkeit zugänglich gemacht worden. Ein pauschales Bestreiten genüge nicht, den geltend gemachten Anscheinsbeweis zu entkräften.

Zur Patentfähigkeit vertritt die Patentinhaberin die Auffassung, selbst wenn man die Druckschrift OV) in den Stand der Technik einbeziehe, sei der Gegenstand des Patents neu und beruhe auch auf einer erfinderischen Tätigkeit. Der Gegenstand des Patentanspruchs 1 sei anhand der Beschreibung des Streitpatents, insbesondere der dem Patent zugrundeliegenden Aufgabe auszulegen. Demnach weise die erfindungsgemäße Anordnung eine Druckbelastbarkeit von 60 bis 100 bar auf und sei gemäß Versuchen sogar mit Drücken weit über 300 bar belastbar. In der Montage- und Betriebsanleitung OV) seien dagegen nur Drücke bis 64 bar angesprochen. Auch seien die gemäß der Druckschrift OV) zur Abdichtung vorgesehenen O-Ringe für derartige Drücke ungeeignet. Diesen aufgezeigten Unterschieden trage insbesondere die mit dem Hilfsantrag 1 vorgelegte Fassung des Merkmals a) des Anspruchs 1, betreffend eine Baugruppe zur gasdichten und druckfesten Trennung eines ersten Hohlleiters von einem zweiten Hohlleiter Rechnung.

Nach Auffassung der Einsprechenden sind die Gegenstände nach den Patentansprüchen 1 gemäß Hauptantrag und Hilfsantrag 1 nicht patentfähig.

II Der zulässige Einspruch führt zum Widerruf des Patents.

1. Nach Überzeugung des Senats ist der Nachweis erbracht worden, dass die von der Einsprechenden vorgelegte Entgegenhaltung OV) am Anmeldetag des Streitpatents dem Stand der Technik angehörte.

Die Einsprechende hat im Einzelnen dargelegt, dass und wann die vorbekannten Füllstandsmesser BM 70 A gemäß der genannten Entgegenhaltung der Öffentlichkeit vor dem Anmeldetag zugänglich gemacht worden waren. Der Senat hat insbesondere keine Zweifel, dass bei Auslieferung der Geräte, die durch die überreichten Lieferscheine belegt ist, jeweils - wie es dem üblichen Geschehensablauf entspricht - unter anderem eine Montage- und Betriebsanleitung OV) beigefügt war, letzteres wird auch durch den Inhalt der Druckschrift OV) selbst belegt, vgl. Seite 3, unter Abschnitt "Mitgelieferte Dokumentation", vorletzter Spiegelpunkt. Die Feststellung, dass die Entgegenhaltung OV) am Anmeldetag des Streitpatents dem Stand der Technik angehörte, ist insbesondere unter Heranziehung der in Rechtssprechung und Literatur entwickelten Grundsätze des Anscheinsbeweises (prima facie) gerechtfertigt, die Patentinhaberin hat keine konkreten Tatsachen vorgetragen, die geeignet gewesen wären, den Anscheinsbeweis zu entkräften (vgl. BPatG GRUR 1991, 821-823 - Hochspannungstransformator, m. w. N.).

2. Das Patent ist zu widerrufen, weil die Gegenstände der Patentansprüche 1 nach Hauptantrag und nach Hilfsantrag 1 nicht patentfähig sind.

Zum Hauptantrag Der Gegenstand des Patentanspruchs 1 gemäß Hauptantrag umfasst den Gegenstand des enger gefassten Patentanspruchs 1 gemäß Hilfsantrag 1. Nachdem letzterer - wie die nachfolgenden Ausführungen zum Hilfsantrag 1 zeigen - nicht als neu gilt, ist auch der Gegenstand des Patentanspruchs 1 nach Hauptantrag nicht patentfähig.

Zum Hilfsantrag 1 Der Gegenstand des Anspruchs 1 nach Hilfsantrag 1 gilt nicht als neu gegenüber einem Stand der Technik, wie er durch die Montage- und Betriebsanleitung OV) druckschriftlich belegt ist.

Fachmann ist hier ein Diplomingenieur der Fachrichtung Hochfrequenztechnik, der mit der Radar-Messtechnik vertraut ist und besondere Erfahrung hat mit der Entwicklung von Füllstandsmessgeräten.

Aus der Montage- und Betriebsanleitung OV) ist eine Baugruppe zur gasdichten und druckfesten Trennung eines ersten Hohlleiters von einem zweiten Hohlleiter als bekannt entnehmbar, vgl. Seite 5, linke Abbildung unter Abschnitt 2.3, Flansch mit Mikrowellenfenster. Das medien- und drucktrennende Mikrowellenfenster, welches das Flanschsystem enthält, liest der Fachmann als gasdicht und druckfest und bspw. aus Quarzglas bestehend, Seite 5, zweiter Absatz unter Abschnitt 2.3 - Merkmal a). Das Flanschsystem weist somit einen druckfesten Leiterkörper (drucktrennendes Mikrowellenfenster, Hohlleiterfenster, vgl. Seite 28 Abbildungen unten rechts i. V. m. Seite 21 oben, linke und rechte Abbildung) auf - Merkmal b). Zwischen dem ersten Hohlleiter (oberhalb des Leiterkörpers) und dem diesem zugewandten Ende des Leiterkörpers ist ein erster Adapter (Teflonstopfen) angeordnet, zwischen dem zweiten Hohlleiter (unterhalb des Leiterkörpers) und dem diesem zugewandten Ende des Leiterkörpers ist ein zweiter Adapter (Teflonstopfen) angeordnet (vgl. die vorgenannten Abbildungen auf den Seiten 28 und 21 - Merkmale c) und d)). Die Dielektrizitätskonstanten des ersten und des zweiten Adapters liegen dabei zwischen denjenigen des Leiterkörpers und der Hohlleiter, weil die Dielektrizitätskonstante von Teflon zwischen der Dielektrizitätskonstanten des Leiterkörpers (z. B. Quarzglas) und der Dielektrizitätskonstanten der Hohlleiter liegt - Merkmal e). Die Adapter (Teflonstopfen) sind unverlierbar in Adapterhaltern aufgenommen (Merkmal f)), nachdem letztere jeweils als gestufte Zylinder mit einem ersten und einem zweiten Abschnitt ausgeführt sind, wie insbesondere aus den Abbildungen auf Seite 21 i. V. m. der Abbildung auf Seite 28 ersichtlich ist (Merkmal g)). Der erste Abschnitt, der dem Leiterkörper (Mikrowellen- oder Hohlleiterfenster) zugewandt ist, weist offensichtlich einen größeren Durchmesser auf, als der zweite - dem jeweiligen Hohlleiter zugewandte - Abschnitt auf (vgl. die vorgenannten Abbildungen auf den Seiten 28 und 21 - Merkmale h) und i)).

Die Argumentation der Patentinhaberin, dass die aus der Montage- und Betriebsanleitung OV) als bekannt entnehmbare Baugruppe nicht "gasdicht und druckfest" i. S. d. Streitpatents sei, findet so keinen Rückhalt in der Formulierung des Anspruchs 1. Anspruch 1 fordert eine gasdichte und druckfeste Trennung allgemein, insbesondere ohne Angabe von Zahlenwerten, eine solche gasdichte und druckfeste Trennung entnimmt aber der Fachmann aus der OV), wie vorstehend dargelegt. Der weiters vorgebrachte Einwand der Patentinhaberin, der Gegenstand des Patentanspruchs 1 sei anhand der Beschreibung des Streitpatents und entsprechend der dem Patent zugrundeliegenden Aufgabe auszulegen, demnach weise die gasdichte und druckfeste Trennung gemäß Streitpatent eine Druckbelastbarkeit von 60 bis mindestens 100 bar auf und sei sogar weit über 300 bar belastbar, geht ins Leere. Für eine einschränkende Auslegung des vorliegenden, die Erfindung allgemein kennzeichnenden Patentanspruchs 1 anhand der Beschreibung, insbesondere anhand der Aufgabenstellung, ist kein Raum, vgl. dazu BGH GRUR 2004, 1023 - Bodenseitige Vereinzelungseinrichtung, und weiter BGH GRUR 2004, 47 - blasenfreie Gummibahn I. Auch die Argumentation der Patentinhaberin, dass die gemäß der Druckschrift OV) zur Abdichtung vorgesehenen O-Ringe für die in der Beschreibung des Streitpatents genannten Drücke ungeeignet seien, führt nicht weiter, weil dem Patentanspruch 1 zu Dichtmitteln, insbesondere auch O-Ringen, keine Angaben zu entnehmen sind.

3. Bei dieser Sachlage kann die Frage der Zulässigkeit der mit dem Hilfsantrag 1 vorgelegten Änderung dahingestellt bleiben.






BPatG:
Beschluss v. 14.02.2007
Az: 20 W (pat) 336/03


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