Oberlandesgericht Köln:
Beschluss vom 28. Januar 2008
Aktenzeichen: 2 VA (Not) 21/07
(OLG Köln: Beschluss v. 28.01.2008, Az.: 2 VA (Not) 21/07)
Die in § 17 Abs. 2 Nr. 5 S. 2 AVNot vorgesehene Höchstgrenze für die Anrechnung von Leistungen im Bereich der Fortbildung und/oder der Beurkundungstätigkeit ist rechtmäßig.
Tenor
Der Antrag auf gerichtliche Entscheidung wird zurückgewiesen.
Der Antragsteller trägt die Kosten des Verfahrens sowie die außergerichtlichen Auslagen des Antragsgegners und des weiteren Beteiligten zu 2).
Der Gegenstandswert wird auf 50.000,00 € festgesetzt.
Gründe
I.
Der Antragsteller wurde 1987 zur Rechtsanwaltschaft zugelassen und ist seitdem als Rechtsanwalt in B, Amtsgerichtsbezirk Olpe, tätig. Am 11.06.2007 hat er sich um eine am 15.05.2007 ausgeschriebene Notarstelle im Bezirk des Amtsgerichts Olpe beworben. Bei der Bewertung seiner Leistungen gem. § 17 AVNot 2004 durch den Antragsgegner war der Antragsteller mit einem Punktwert von 185,05 Punkten der zweitbeste Bewerber, der am besten bewertete Mitbewerber, der weitere Beteiligte zu 2), erreichte 190,75 Punkte. Die Ermittlung der Punktewerte stellt sich im einzelnen wie folgt dar.
Bewerber weiterer Beteiligter zu 2) Antragsteller. Rang 1 2 2. Staatsexamen 41,5 28,85 RA-Tätigkeit 29,25 30 Fortbildungen 40,5 60 (67) Beurkundungen 79,5 (90) 60 (71) Sonderpunkte 0 6,2 Summe 190,75 185,05
Im Hinblick auf die in § 17 Abs. 2 Nr. 3 S. 2 und Nr. 4 S. 2 AVNot enthaltene Kappungsgrenze wurden bei beiden Bewerbern erbrachte Leistungen im Bereich Fortbildung bzw. Beurkundung nicht berücksichtigt; die nach den erbrachten Leistungen tatsächlich erreichten Punktwerte sind jeweils in Klammern angegeben. Außerdem wurden dem Antragsteller insgesamt 6,2 Sonderpunkte dafür angerechnet, dass er mehrfach längerfristige, insgesamt 31 Monate andauernde Notarvertretungen (zehn Monate mit insgesamt 88 Niederschriften) bzw. Notariatsverwaltungen (21 Monate mit 21 Niederschriften) aufzuweisen hatte. Pro Monat wurden ihm hierfür 0,2 Punkte angerechnet.
Der Antragsgegner teilte dem Antragsteller deshalb mit Schreiben vom 04.10.2007 mit, dass die Vergabe der Stelle an den weiteren Beteiligten zu 2) beabsichtigt sei. Am 22.10.2007 stelle der Antragsteller deswegen Antrag auf gerichtliche Entscheidung. Der Antragsgegner hat im Hinblick hierauf die ausgeschriebene Stelle bislang nicht besetzt.
Der Antragsteller ist der Auffassung, dass die Kappungsgrenze in § 17 AVNot 2004 nicht den verfassungsrechtlichen Erfordernissen genügen würde, wie sie sich insbesondere aus der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 20.04.2004 ergäben. Hierdurch erhalte das viele Jahre zurückliegende Examensergebnis letztlich ausschlaggebende Bedeutung. Deshalb sei in anderen Ländern auch auf eine solche Kappungsgrenze verzichtet worden. Außerdem sei die Vergabe von Sonderpunkten fehlerhaft erfolgt. Der Antragsgegner sei zu Unrecht davon ausgegangen, dass überhaupt nur 10 Sonderpunkte zu vergeben gewesen wären.
Der Antragsteller beantragt,
den Antragsgegner unter Aufhebung seines Bescheides vom 04.10.2007, Aktenzeichen ...... (AG Olpe), über den Antrag des Antragstellers auf Bestellung zum Notar im Amtsgerichtsbezirk Olpe zu verpflichten, über die Bewerbung des Antragstellers um die ausgeschriebene Notarstelle unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichtes neu zu entscheiden.
Der Antragsgegner und der weitere Beteiligte zu 2) beantragen,
den Antrag auf gerichtliche Entscheidung zurückzuweisen.
Sie verteidigen die angegriffene Entscheidung.
II.
Der Antrag auf gerichtliche Entscheidung ist zulässig, hat in der Sache aber keinen Erfolg. Die Entscheidung des Antragsgegners, die ausgeschriebene Notarstelle im Bezirk des Amtsgerichts Olpe mit dem weiteren Beteiligten zu 2) und nicht mit dem Antragsteller zu besetzen, ist rechtmäßig. Die hiergegen gerichteten Angriffe des Antragstellers sind nicht berechtigt.
1. Der Antragsgegner war nicht verpflichtet, bei seiner Besetzungsentscheidung die vom Antragsteller erbrachten Leistungen in den Bereichen Fortbildung und Beurkundung in vollem Umfang , d. h. mit insgesamt 138 Punkten zu berücksichtigen, sondern durfte die über die Zahl von 120 hinausgehenden Punkte unberücksichtigt lassen. Dies ergibt sich aus der in § 17 Abs. 2 Nr. 5 S. 2 AVNot (JMBl. NRW 2004, 256) vorgesehenen Kappungsgrenze, wonach die Summe der anrechenbaren Punkte aus den Bereichen Fortbildung und Beurkundung 120 nicht übersteigen darf. Gegen die Rechtmäßigkeit dieser, die Ermessensausübung des Antragsgegners bindenden Verwaltungsanweisung bestehen keine durchgreifenden Bedenken.
a) Verfassungsrechtliche Bedenken gegen Kappungsgrenzen bestehen nicht, sie ergeben sich entgegen der vom Antragsteller vertretenen Auffassung auch nicht aus der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 20.04.2004 (NJW 2004, 1935). Beanstandet wurden die Kappungsgrenzen in dieser Entscheidung, weil sie zu einer falsche Gewichtung der einzelnen in die Bewertung einzubeziehenden Leistungen führten und dadurch der Examensnote ein zu hohes Gewicht zukam:
"Das Ungleichgewicht zwischen den beiden Merkmalen der Befähigung und der fachlichen Eignung ist Folge der Punktzahlbildung sowie der gemeinsamen Gruppenbildung für Fortbildung und praktische Bewährung. Dieser Effekt wird noch dadurch verstärkt, dass der Anwaltstätigkeit für die spezifische Eignungsprognose dasselbe Gewicht zukommt wie Fortbildung und praktische Bewährung im Notariat zusammen (S. 1939)
Dieses Defizit hat die Justizverwaltung des Landes Nordrhein-Westfalen in der AVNot 2004 beseitigt, denn danach kommt der Fortbildung und praktischen Bewährung ein höheres Gewicht zu als der allgemeinen Befähigung, die sich aus Examensnote und Dauer der Anwaltstätigkeit ergibt. Zwar sind in beiden Bereichen der Bewertung (praktische Tätigkeit und Fortbildung einerseits und Examensnote und Dauer der Anwaltstätigkeit) jeweils 120 Punkte zu erreichen. Die Maximalpunktzahlung von 120 im Befähigungsbereich ist jedoch nur theoretisch erreichbar, setzt sie doch ein Staatsexamen mit 18 Punkten voraus, das praktisch nie erreicht wird. Die Zahl der mit der Note "sehr gut" abgelegten Staatsexamina liegt im Promillebereich; auch in diesen wenigen Fällen dürfte kaum jemals die Maximalpunktzahl erreicht werden. Schon von daher besteht ein Übergewicht des Eignungsteils der Bewertung. Dieser wird noch dadurch verstärkt, dass für besondere notarspezifische Qualifikationen noch Sonderpunkte vergeben werden können.
b) Das Beispiel anderer Länder, die eine derartige Kappungsgrenze nicht vorsehen, zeigt zwar, dass diese nicht geboten ist. Der Senat hält sie jedoch für ein geeignetes Instrument zur sachgerechten Bewertung von Bewerbern im Rahmen eines Punktesystems, das deswegen hinzunehmen ist.
aa) Die Kappungsgrenze gewährleistet eine angemessene und für alle Bewerber gleichmäßige Berücksichtigung aller relevanten Bewertungsfaktoren. Die allgemeinen Befähigungskriterien Examensnote und Dauer der Anwaltstätigkeit sind nach § 6 Abs. 3 S. 1 und S. 3 BNotO angemessen zu berücksichtigen. Im Hinblick darauf, dass die für diese Kriterien erreichbare Punktzahl maximal 120 beträgt, ist es sinnvoll, auch für die Punktzahl im Bereich spezifische Befähigung eine Punktobergrenze vorzusehen. Gäbe es eine solche Grenze nicht, würden die allgemeinen Befähigungskriterien im Einzelfall eine relativ geringere Bedeutung erhalten können. Damit würde aber der Grundsatz, dass alle o. a. Bewertungskriterien angemessen zu berücksichtigen sind, beeinträchtigt. Dies mag wie die Regelungen in anderen Bundesländern zeigen, vertretbar sein, verfassungsrechtlich geboten ist es jedoch nicht.
Es ist auch nicht zu beanstanden, dass dies dazu führt, dass die Examensnote im Einzelfall eine ausschlaggebende Bedeutung erlangt. Wenn die Examensnote überhaupt bei der Bewertung berücksichtigt wird - und dies ist durch § 6 Abs. 3 BNotO zwingend vorgegeben (vgl. BGH, Beschluss vom 26.03.2007 - NotZ 39/06 -, Rdnr. 11) -, muss sie auch im Einzelfall den Ausschlag geben können. Dies ist zwingend der Fall, wenn die Leistungen der Bewerber in allen übrigen Bereichen übereinstimmen. In der Mehrzahl der Fälle, in denen der Senat in der Vergangenheit zu entscheiden hatte, war es jedoch nicht so, dass die Examensnote ausschlaggebende Bedeutung hatte. Die Stellen wurden auch nicht durchweg mit dem Bewerber besetzt, der die beste Examensnote aufzuweisen hatte.
bb) Die Kappungsgrenze führt auch dazu, dass nur in bestimmtem Umfang - bis zu 30 Punkten - fehlende Leistungen in einem der beiden notarspezifischen Befähigungsbereiche (Fortbildung und Beurkundung) durch Leistungen aus dem anderen Bereich kompensiert werden könnten. Dies trägt dem Gesichtspunkt Rechnung, dass theoretische und praktische Leistungen für die Eignungsbeurteilung in gleichem Maße von Bedeutung sind (vgl. BGH, Beschluss vom 24.07.2006 - NotZ 3/06 - Rdnr. 16).
Gäbe es die Kappungsgrenzen dagegen nicht, könnten völlig fehlende Leistungen im Bereich der theoretischen Fortbildung oder der praktisch erworbenen Fähigkeiten durch Leistungen aus dem anderen Bereich kompensiert werden. Es liegt aber auf der Hand, dass z. B. ein Bewerber, der zwar an 200 Fortbildungsveranstaltungen teilgenommen und hierfür 100 Punkte erzielt, aber keinerlei praktische Erfahrung hat, nicht geeigneter ist als ein Bewerber, der nur 100 Fortbildungsveranstaltungen (= 50 Punkte) besucht, dafür aber 400 Beurkundungen (= 40 Punkte) vorgenommen hat. Ohne die Kappungsgrenze hätte der allein theoretisch ausgebildete Bewerber aber die höhere Punktzahl. Dessen Punktvorsprung müsste dann durch eine wertende Gesamtbetrachtung ausgeglichen werden (BGH, Beschluss vom 20.11.2006 - NotZ 4/06 -, Rdnr. 29). Eine solche "Gesamtbewertung" vermindert aber die Transparenz der Entscheidung, die durch das Punktesystem erreicht wird (vgl. BGH, Beschluss vom 24.07.2006 - NotZ 11/06 -, Rdnr. 7; ebenso Beschluss vom 26.03.2007 - NotZ 39/06 -, Rdnr. 9 zur AVNot NRW). Dieser Nachteil der Gesamtbetrachtung wird dadurch vermindert, dass durch die Kappungsgrenzen gesichert wird, dass alle maßgeblichen Beurteilungskriterien mit dem ihnen zukommenden spezifischen Gewicht in die Beurteilung einfließen. Sie trägt damit zur Transparenz der Entscheidung bei.
c) Für die Kappungsgrenze spricht schließlich der Umstand, dass gerade bei Beurkundungen der Lern- und Ausbildungseffekt zusätzlicher Beurkundungen abnimmt. Es kommt zwangsläufig zu Wiederholungen, bei denen keine neuen Kenntnisse mehr erworben werden und mit zunehmender Erfahrung auch vorhandene Kenntnisse nicht weiter verfestigt werden (vgl. BGH, Beschluss vom 24.07.2006 - NotZ 11/06 -, Rdnr. 13).
2. Auch die Vergabe von lediglich 6,2 Sonderpunkten für die längerfristigen Notarvertretungen bzw. Notariatsverwaltungen durch den Antragsteller begegnet keinen durchgreifenden Bedenken, die der Bewerbung des Antragstellers zum Erfolg hätten verhelfen können. Es ist nicht erkennbar, dass dem Antragsteller mehr Sonderpunkte hätte zugebilligt werden müssen.
Nach § 17 Abs. 2 Nr. 6 lit. d) AVNot können bis zu 10 Sonderpunkte für Erfahrungen als Notarvertreter oder Notariatsverwalter vergeben werden. Der Antragsgegner verfährt dabei so, dass er für längerfristige - über sechs Wochen hinausgehende - Notarvertretungen bzw. Notariatsverwaltungen 0,2 Sonderpunkte je Monat vergibt. Das ist auch im Falle des Antragstellers so geschehen.
Die undifferenzierte Vergabe von 0,2 Sonderpunkten/Monat Notarvertretung bzw. Notariatsverwaltung erscheint allerdings problematisch. Die allein an die Dauer der Tätigkeit anknüpfende Vergabe von Sonderpunkten lässt den Umfang der hierbei gewonnen Erfahrungen völlig außer Betracht (vgl. BGH, Beschluss vom 20.11.2006 - NotZ 4/06 -, Rdnr. 25). Im Fall des Antragstellers führt das dazu, dass er für die 21-monatige Notariatsverwaltung 4,2 Sonderpunkte erhält, während aus der zehnmonatige Notarvertretung lediglich 2 Sonderpunkte resultieren, obwohl er in diesen zehn Monaten insgesamt 88 Niederschriften gefertigt hat. Das sind immerhin viermal so viele wie in der 21-monatigen Notariatsverwaltung mit lediglich 21 Niederschriften. Diese Bedenken könnten allerdings lediglich zu der Wertung führen, dass der Antragsgegner dem Antragsteller für die Zeit der Notariatsverwaltung weniger Sonderpunkte hätte anrechnen dürfen. Anhaltspunkte dafür, dass ihm zu wenig Sonderpunkte für diese Tätigkeit angerechnet wurden, ergeben sich weder hieraus noch aus anderen Umständen.
III.
Der die Gerichtskosten betreffende Kostenausspruch beruht auf § 111 Abs. 4 Satz 2 BNotO in Verbindung mit § 201 Abs. 1 BRAO. Die Entscheidung über die außergerichtlichen Kosten erfolgt gemäß § 111 Abs. 4 S. 2 BNotO i.V.m. § 40 Abs. 4 BRAO nach § 13a Abs. 1 Satz FGG.
OLG Köln:
Beschluss v. 28.01.2008
Az: 2 VA (Not) 21/07
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