Bundespatentgericht:
Urteil vom 11. Dezember 2003
Aktenzeichen: 2 Ni 11/02
(BPatG: Urteil v. 11.12.2003, Az.: 2 Ni 11/02)
Tenor
I. Die Klage wird abgewiesen.
II. Die Klägerin trägt die Kosten des Rechtsstreits.
III. Das Urteil ist im Kostenpunkt gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 120% des zu vollstreckenden Betrages vorläufig vollstreckbar.
Tatbestand
Die Beklagte ist eingetragene Inhaberin des am 17. November 1988 unter Inanspruchnahme der Priorität der deutschen Patentanmeldung 3739154 vom 19. November 1987 angemeldeten, auch mit Wirkung für die Bundesrepublik Deutschland erteilten europäischen Patents 0 316 921 (Streitpatent), das ein bleihaltiges Zusatzmittel für Stahlschmelzen betrifft und vom Deutschen Patent- und Markenamt unter der Nummer DE 38 80 972 geführt wird.
Das Patent umfasst 13 Patentansprüche, von denen der alleine angegriffene Patentanspruch 1 in der Verfahrenssprache Deutsch den folgenden Wortlaut hat:
"1. Bleihaltiges Zusatzmittel für Stahlschmelzen in Form eines gefüllten Drahtes, bestehend aus einem metallischen Mantel und feinteiligem Füllmaterial, dadurch gekennzeichnet, daß das feinteilige Füllmaterial ausa) metallischem Blei und/oder Bleilegierungen sowieb) einem bei der Temperatur der Stahlschmelze CO2- abspaltenden kalkhaltigen Material besteht."
Mit ihrer Nichtigkeitsklage macht die Klägerin geltend, der Gegenstand des Patentanspruchs 1 sei nicht patentfähig, da er sich für den Fachmann in naheliegender Weise aus dem Stand der Technik ergebe.
Sie beruft sich hierzu auf folgende vorveröffentlichte Druckschriften:
D1a JP - A - 59 157 215 D1b Übersetzung von D1a D1c Abstrakt von D1a D2 Broschüre Vallourec TSMD, affival cored wire, Oakmount, USA 10/1982 D3 Broschüre Affival S.A. Solesmes, Frankreich, 8/1987 Die Klägerin beantragt, das europäische Patent 0 316 921 mit Wirkung für die Bundesrepublik Deutschland im Umfang des Patentanspruchs 1 für nichtig zu erklären.
Die Beklagte beantragt, die Klage abzuweisen.
Sie tritt den Ausführungen der Klägerin in allen Punkten entgegen und hält den Gegenstand des Streitpatents für patentfähig.
Gründe
Die Teilnichtigkeitsklage, mit der der in Artikel II § 6 Absatz 1 Nr. 1 IntPatÜG, Artikel 138 Absatz 1 lit a EPÜ iVm Artikel 56 EPÜ vorgesehene Nichtigkeitsgrund der mangelnden Patentfähigkeit hinsichtlich des Patentanspruchs 1 geltend gemacht wird, ist zulässig, in der Sache jedoch nicht begründet.
I Das Streitpatent betrifft ein bleihaltiges Zusatzmittel für Stahlschmelzen.
Bekanntermaßen wird bei der Stahlbehandlung Blei in geringen Mengen als Zusatzmittel zur Verbesserung der Zerspanbarkeit eingesetzt, wobei nach dem Streitpatent Probleme hinsichtlich der Bleiverteilung in der Stahlschmelze durch die geringe Bleilöslichkeit im Eisen auftreten. Praktizierte Zugabetechniken haben außerdem die Nachteile der Umweltbelastung durch Bleidämpfe und geringe Ausbeute durch Abbrandverluste.
Aufgabe der Erfindung ist daher sinngemäß, ein bleihaltiges Zusatzmittel für Stahlschmelzen zu entwickeln, welches diese Nachteile vermeidet und eine gleichmäßige Verteilung sowie gute Ausbringung des Bleis im Stahl ermöglicht bei sicherer Handhabung unter Vermeidung umweltschädlicher Emissionen.
Die Aufgabe wird durch die Merkmale des Anspruchs 1 gelöst.
Fachmann ist ein diplomierter Stahlmetallurge oder Hersteller für Zusatzstoffe zur Stahlmetallurgie, jeweils mit Fachhochschul-Ingenieurabschluss und mehrjähriger Erfahrung in der Anwendung von Stahlzusatzstoffen und Zugabetechniken.
Aus der Entgegenhaltung (D3) ist bekannt, Zusätze als Hohldraht-Füllung in Stahlschmelzen einzubringen, auch feinkörnige Zusätze, darunter auch Blei.
Damit ist aus (D3) in Übereinstimmung mit dem Anspruch 1 ein bleihaltiges Zusatzmittel für Stahlschmelzen in Form eines gefüllten Drahtes bekannt, der aus einem metallischen Mantel sowie feinteiligem Füllmaterial aus metallischem Blei und/oder Bleilegierungen besteht. Entsprechendes gilt auch für die Firmenschrift (D2).
Aus (D2) bzw. (D3) geht nicht hervor, im Hohldraht außerdem noch ein bei Stahlschmelzentemperatur CO2- abspaltendes kalkhaltiges Material vorzusehen.
Zwar nennen die beiden Firmenschriften als Füllmaterialien beispielsweise auch Mischungen und Verbindungen von Zugabe-Elementen wie Si und Cr bzw. CaSi, jedoch stets nur als Stahlzusätze und nicht als Füllmaterialien, die anderen Zwecken wie zum Beispiel der Kühlung, der Schmierung und/oder einer Gasbildung dienen.
Bekanntermaßen sind durch die Hohldrahtzugabetechnik nach (D2) bzw. (D3) die Probleme guter Ausbringung von Blei im Stahl, sichere Handhabung und Vermeidung umweltschädlicher Emissionen weitgehend gelöst, wie sich beispielsweise aus der Beschreibungseinleitung des Streitpatents hinsichtlich der Fülldrahttechnik ebenso entnehmen lässt, wie aus den in (D2) genannten Vorteilen der Fülldrahttechnik im Vergleich gegenüber der ebenfalls bekannten Blaslanzentechnologie.
Objektiv verbleibt somit gegenüber der aus (D2) bzw. (D3) bekannten Fülldrahttechnologie als Aufgabe primär nur noch, das bleihaltige Zusatzmittel möglichst gleichmäßig in der Stahlschmelze zu verteilen.
Hierzu liefert beispielsweise die Schrift (D2) allenfalls noch den Hinweis, neben der Fülldrahtzugabe außerdem vom Boden des Tiegels eventuell noch Inertgas wie Argon zur Steuerung der Schmelzbadbewegung aufsprudeln zu lassen, vergleiche ua Seite 4, rechte Spalte, Ende von Absatz 1 und Seite 5, linke Spalte, vorletzter Absatz, weil bekanntermaßen heftigere Badbewegungen die Durchmischung und damit eine gleichmäßigere Verteilung der Badkomponenten fördern.
Dies entspricht aber nicht der beanspruchten Lösung, sondern führt von ihr weg.
Aus einer Entgegenhaltung zur Blaslanzentechnologie, der Schrift (D1a), Übersetzung (D1b) und Abstrakt (D1c) - im Folgenden insgesamt kurz als (D1) bezeichnet - ist eine Verbesserung gegenüber der Freifall-Bleieinbringung in Stahlschmelzen hinsichtlich homogenerer Bleiverteilung und Bleiausbeute beabsichtigt durch das Einblasen von Blei mittels Inertgas wie Ar oder N2 durch eine in die Stahlschmelze eingetauchte Blaslanze. Durch das eingeblasene Inertgas werde das Blei unter Rührung homogen gemischt, um gleichmäßig in der Schmelze verteilt zu werden; vergleiche (D1b), erste Beschreibungsseite Mitte und unten.
Bezüglich (D1) ist bereits fraglich, ob der Fachmann für seine Hohldraht- Anwendung überhaupt eine Schrift aus der Blaslanzentechnologie berücksichtigt.
Sollte er sie aber kennen, stößt er darin auf die Beigabe von Calziumcarbonat CaCO3 beim Inertgas- Einblasen von Blei. Dazu erfährt der fachkundige Leser in der zweiten Hälfte der zweiten Beschreibungsseite, dass das Calziumcarbonat den Vorteil der Bleizugabe mit Inertgas verstärke, weil das Blei ohne die Wärmezersetzung der CaCO3 -Zugabe durch Ablagerung an den Rohrinnenwänden die Tauchlanze verstopfe. Die thermische Zersetzung von Calziumcarbonat fördere ein homogenes Verteilen von eingeblasenem Blei.
Ohne Kenntnis des Streitpatents versteht der unbefangene Leser diese Angaben, wie auch die Ergebnisse der Beispiele von (D1) dahingehend, dass durch die Calziumcarbonat- Zugabe ein Zusammenbacken von Bleikörnern und ein Zuwachsen der Blaslanze durch Bleiablagerungen verhindert wird, so dass die Stahlschmelzendurchmischung infolge Inertgaseinblasung voll wirksam bleibt und mit ihr die homogene Bleiverteilung in der Stahlschmelze gemäß erster Beschreibungsseite. Damit ist die CaCO3 -Anwendung nach (D1) an die Verwendung einer Blaslanze gebunden und nicht für die Anwendung bei der Hohldraht- Bleizugabe nahegelegt.
Demgegenüber sieht die Klägerin in (D1) eine zweifache Wirkung des Calziumcarbonats dahingehend angegeben, dass einerseits neben der Verhinderung des Zusammenbackens und der Wandablagerung von Blei in der Blaslanze, andererseits das CaCO3 in der Stahlschmelze durch seine CO2 -Gas abgebende thermische Zersetzung selbst auch noch für eine weitere gleichmäßigere Bleiverteilung wirksam werde, was der Fachmann naheliegend aufgreife und dem Füllmaterial für die Hohldraht- Bleizugabe beimische zur Verbesserung einer homogenen Bleiverteilung in der Stahlschmelze.
Zum einen ist eine solche Lesart und Lehre aus der Beschreibung von (D1) mit Sicherheit herzuleiten, auch weil die Calziumcarbonat- Aufspaltung mit ihrer CO2 -Bildung vernachlässigbar erscheint gegenüber der Durchmischungswirkung des dort eingeblasenen Inertgases. Auch ist in der (D1) kein anderer Effekt angegeben, durch den das CaCO3 neben der genannten Kühl- und Schmierwirkung in der Blaslanze zum Verhindern des Zusammenbackens und der Rohrwandanlagerung des Bleis sowie der CO2 -Abspaltung außerdem noch eine bessere Bleiverteilung in der Stahlschmelze bewirken könnte.
Zum anderen wäre auch eine Übertragung der Calziumcarbonat- Beimischung zum Blei für die Hohldrahteinbringung nicht nahegelegt, weil solche anderen Beimengungen neben den bekannten Stahlzusätzen im Hohldraht bisher nicht verwendet wurden. Außerdem kann sich der Fachmann davon auch nur geringe Wirkung gegenüber der bekannten Möglichkeit versprechen, zeitgleich zur Fülldrahtzugabe vom Tiegelboden aus auch noch Inertgas zur Steuerung der Schmelzbadbewegung aufsprudeln zu lassen für eine heftigere Badbewegung zur Durchmischung und Förderung einer gleichmäßigeren Verteilung der Badkomponenten.
Somit konnte das Vorbringen der Klägerin nicht davon überzeugen, dass der Stand der Technik nahe lege, dem bleihaltigen Füllmaterial im Hohldraht auch noch ein bei der Temperatur der Stahlschmelze CO2- abspaltendes kalkhaltiges Material wie beispielsweise Calziumcarbonat beizufügen.
Der angegriffene Anspruch 1 des Streitpatents hat deshalb Bestand.
III Die Kostenentscheidung beruht auf § 84 Abs 2 PatG iVm § 91 Abs 1 Satz 1 ZPO, der Ausspruch zur vorläufigen Vollstreckbarkeit auf § 99 Abs 1 PatG iVm § 709 ZPO.
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BPatG:
Urteil v. 11.12.2003
Az: 2 Ni 11/02
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