Bundesgerichtshof:
Beschluss vom 12. Juli 2004
Aktenzeichen: NotZ 27/03
(BGH: Beschluss v. 12.07.2004, Az.: NotZ 27/03)
Tenor
Die sofortige Beschwerde des Antragstellers gegen den Beschluß des Senats für Notarsachen bei dem Oberlandesgericht Celle vom 27. Oktober 2003 wird zurückgewiesen.
Der Antragsteller hat die Gerichtskosten des Beschwerdeverfahrens zu tragen und die der Antragsgegnerin im Beschwerderechtszug entstandenen notwendigen Auslagen zu erstatten.
Der Geschäftswert des Beschwerdeverfahrens beträgt 50.000 €.
Gründe
I.
Der 1947 geborene Antragsteller ist seit 1977 als Rechtsanwalt bei dem Landgericht H. zugelassen. 1987 wurde er zum Notar mit Amtssitz in H. bestellt.
Mit Bescheid vom 27. September 2002 enthob die Antragsgegnerin den Antragsteller vorläufig seines Amtes als Notar, weil dringende Gründe für die Annahme sprächen, daß er infolge einer Schwäche seiner geistigen Kräfte nicht nur vorübergehend unfähig sei, dieses Amt ordnungsgemäß auszuüben (§ 54 Abs. 1 Nr. 2 i.V.m. § 50 Abs. 1 Nr. 7 BNotO). Gleichzeitig ordnete die Antragsgegnerin an, daß sich der Antragsteller zur Überprüfung, ob er wegen Geistesschwäche das Amt eines Notars nicht ausüben könne, unverzüglich amtsärztlich untersuchen lasse. Der Bescheid wurde dem Antragsteller am 1. Oktober 2002 zugestellt. Einen Antrag auf gerichtliche Entscheidung stellte er hiergegen nicht. Der Aufforderung zur amtsärztlichen Untersuchung kam er indessen in der Folge nicht nach, obwohl ihm mehrfach Termine zur Vorstellung bei dem zuständigen Amtsarzt genannt wurden.
Auf Veranlassung der Antragsgegnerin wurde dem Antragsteller vom Amtsgericht H. am 28. November 2002 gemäß § 50 Abs. 4 BNotO der Rechtsanwalt und Notar T. als Betreuer bestellt mit dem Aufgabenkreis "Vertretung in dem auf die Amtsenthebung gerichteten Verfahren nach § 50 Abs. 1 Nr. 7 BNotO".
Da alle Bemühungen scheiterten, den Antragsteller zu einer amtsärztlichen Untersuchung zu bewegen, teilte die Antragsgegnerin dem Antragsteller mit Verfügung vom 28. März 2003 gemäß § 50 Abs. 3 Satz 3 BNotO mit, daß sie nunmehr beabsichtige, ihn auf der Grundlage der ihr vorliegenden anderen Erkenntnisquellen endgültig seines Amts zu entheben, da diese Quellen belegten, daß er wegen einer psychischen Erkrankung dauerhaft nicht in der Lage sei, das Amt des Notars auszuüben. Diese Verfügung ließ die Antragsgegnerin dem Betreuer des Antragstellers am 3. April 2003 zustellen. Dem Antragsteller persönlich wurde sie nicht bekannt gemacht. Der Betreuer übermittelte sie ihm erst mit Schreiben vom 5. Mai 2003, das am 7. Mai 2003 beim Antragsteller einging.
Nachdem innerhalb eines Monats nach Zustellung an den Betreuer gegen die Verfügung vom 28. März 2003 ein Antrag auf gerichtliche Entscheidung (§ 50 Abs. 3 Satz 3 Halbs. 1 BNotO) nicht gestellt wurde, teilte die Antragsgegnerin dem Antragsteller mit Schreiben vom 12. Mai 2003 mit, daß sie nunmehr beabsichtige, ihn endgültig seines Amtes zu entheben, da aufgrund des nicht angefochtenen Bescheides vom 28. März 2003 rechtskräftig feststehe, daß die Voraussetzungen für eine Amtsenthebung gemäß § 50 Abs. 1 Nr. 7 BNotO vorlägen. Gleichzeitig räumte sie dem Antragsteller eine Frist von zwei Wochen zur Stellungnahme ein. Auch dieses Schreiben wurde allein dem Betreuer des Antragstellers am 15. Mai 2003 zugestellt. Dieser leitete es noch am selben Tag per Telefax an den Antragsteller weiter. Eine Stellungnahme wurde innerhalb der gesetzten Frist weder vom Antragsteller noch von seinem Betreuer abgegeben.
Daraufhin enthob die Antragsgegnerin den Antragsteller mit Bescheid vom 4. Juni 2003 endgültig seines Amtes als Notar und bezog sich zur näheren Begründung auf ihre Verfügung vom 28. März 2003. Dieser Bescheid wurde dem Betreuer des Antragstellers am 12. Juni 2003 zugestellt. Hiergegen hat der Antragsteller mit persönlichem Schreiben vom 10. Juli 2003, per Telefax eingegangen am selben Tag, beim Oberlandesgericht Celle gerichtliche Entscheidung beantragt. In einer nachgereichten Begründung zu diesem Antrag hat er sich unter anderem auch gegen den Bescheid der Antragsgegnerin vom 28. März 2003 gewandt und beantragt, diesen Bescheid -nach Wiedereinsetzung in den vorigen Stand -ebenfalls aufzuheben.
Der Senat für Notarsachen beim Oberlandesgericht hat den Antrag auf gerichtliche Entscheidung mit Beschluß vom 27. Oktober 2003 zurückgewiesen.
Dieser Beschluß ist dem Antragsteller persönlich am 26. November 2003 und seinem Betreuer am 28. November 2003 zugestellt worden. Am 9. Dezember 2003 hat der Antragsteller mit Telefax-Schreiben zum Oberlandesgericht sofortige Beschwerde gegen den Beschluß eingelegt.
II.
1.
Die sofortige Beschwerde ist statthaft (§ 111 Abs. 4 Satz 1 BNotO) und formund fristgerecht eingelegt worden (§ 111 Abs. 4 Satz 2 BNotO, § 42 Abs. 4 BRAO). Ihrer Zulässigkeit steht auch nicht entgegen, daß der Antragsteller nach den vorliegenden Erkenntnissen aufgrund einer geistigen Erkrankung möglicherweise nicht geschäftsfähig (§ 104 Nr. 2 BGB) ist mit der Folge, daß ihm grundsätzlich die Fähigkeit ermangelt, in Verfahren der freiwilligen Gerichtsbarkeit (vgl. § 111 Abs. 4 Satz 2 BNotO, § 40 Abs. 4 BRAO) selbständig als Beteiligter aufzutreten und Verfahrenshandlungen wirksam vorzunehmen (Verfahrensfähigkeit; vgl. Zimmermann in Keidel/Kuntze/Winkler, FGG, 15. Aufl., § 13 Rn. 32 und 44). Denn die Achtung der Menschenwürde (Art. 1 Abs. 1 GG) sowie der Anspruch des Betroffenen auf rechtliches Gehör (Art. 103 Abs. 1 GG) gebieten es, daß derjenige, der an einer geistigen Erkrankung leidet, für die Verfahren, in denen darüber entschieden wird, ob und gegebenenfalls welche rechtlichen Konsequenzen aus einer derartigen Erkrankung zu ziehen sind, als verfahrensfähig gilt (vgl. BVerfGE 10, 302, 306; BGHZ 35, 1, 8 ff.; 70, 252, 255 f.). Dies ist auch für das anwaltsgerichtliche Verfahren über die Rücknahme der Zulassung zur Rechtsanwaltschaft nach § 14 Abs. 1 Nr. 3 BRAO allgemein anerkannt (s. BGH, Beschluß vom 17. Februar 1992 -AnwZ (B) 60/91 -BRAK-Mitt. 1992, 171; BGHZ 52, 1). Für das Verfahren über die Amtsenthebung eines Notars gemäß § 50 Abs. 1 Nr. 7 BNotO kann nichts anderes gelten (Lerch, in: Arndt/Lerch/Sandkühler, BNotO, 5. Aufl., § 50 Rn. 41).
2.
Das Rechtsmittel hat aber in der Sache keinen Erfolg.
Zu Recht hat das Oberlandesgericht angenommen, daß im vorliegenden Verfahren nicht mehr zu prüfen ist, ob der Antragsteller aus gesundheitlichen Gründen nicht nur vorübergehend unfähig ist, sein Amt ordnungsgemäß auszuüben.
a) Durch die Verfügung der Antragsgegnerin vom 28. März 2003 ist das Amtsenthebungsverfahren (Vorschaltverfahren) eingeleitet worden. Wird gegen eine derartige Verfügung nicht von dem nach § 50 Abs. 3 Satz 3 BNotO eingeräumten Antragsrecht Gebrauch gemacht, so hat das zur Folge, daß es dem Betroffenen verwehrt ist, die nach Eröffnung der Amtsenthebungsgründe folgende Amtsenthebung mit der Begründung anzufechten, die Amtsenthebungsgründe lägen nicht vor. Die dem Notar eröffnete Möglichkeit, die Feststellung, ob in den Fällen des § 50 Abs. 1 Nr. 5 bis 9 BNotO die Voraussetzung der Amtsenthebung vorliegen, in einem gesonderten Verfahren vorweg überprüfen zu lassen, führt nicht zu einer Verdoppelung des Rechtsschutzes. Die dort festgestellten Amtsenthebungsgründe sind im anschließenden Streit um die Rechtmäßigkeit der Amtsenthebung grundsätzlich bindend (Senat BGHZ 44, 65, 72; 78, 229, 230 f.; 78, 232, 233; 149, 230, 232). Entsprechendes gilt für den Fall, daß eine gerichtliche Prüfung des Amtsenthebungsgrundes infolge des Umstands, daß von dem nach § 50 Abs. 3 Satz 3 BNotO eingeräumten Antragsrecht kein oder nicht fristgerecht Gebrauch gemacht worden ist, unterblieben ist. Das Unterlassen oder Versäumen des rechtzeitigen Antrags steht rechtskräftigen gerichtlichen Feststellung des Amtsenthebungsgrundes gleich (Senat BGHZ 78, 232, 233 f.; 149, 230, 232).
Nach der Rechtsprechung des Senats sind allerdings Umstände, die seit Abschluß des Feststellungsverfahrens bis zum Ausspruch der Amtsenthebung nach § 50 Abs. 3 Satz 1 BNotO eintreten, in die Prüfung, ob ein Amtsenthebungsgrund vorliegt, mit einzubeziehen (Senat BGHZ 149, 230, 233 ff.). Derartige Umstände sind jedoch vorliegend nicht ersichtlich und werden vom Antragsteller auch nicht geltend gemacht.
b) Die Verfügung vom 28. März 2003 ist bestandskräftig geworden, weil weder der Antragsteller noch der für ihn bestellte Betreuer rechtzeitig Antrag auf gerichtliche Entscheidung gestellt haben. Dabei steht dem Eintritt der Bestandskraft der Verfügung insbesondere nicht entgegen, daß diese nur dem Betreuer und nicht (auch) dem Antragsteller gegenüber bekanntgemacht bzw. zugestellt worden ist.
aa) Gemäß § 1902 BGB vertritt der Betreuer den Betreuten gerichtlich und außergerichtlich. Daraus folgt, daß der Betreuer, auch wenn seine Bestellung für sich betrachtet die Geschäftsund Verfahrensfähigkeit des Betreuten unberührt läßt, grundsätzlich mit Wirkung für und gegen den Betreuten Willenserklärungen oder Verfahrenshandlungen abgeben oder vornehmen sowie empfangen oder entgegennehmen kann.
bb) Soweit für besondere Verfahrensarten der freiwilligen Gerichtsbarkeit (Betreuungssachen, Unterbringungssachen) vorgeschrieben ist, daß Entscheidungen dem Betroffenen selbst bekanntzumachen sind (§ 69a Abs. 1 Satz 1 und § 70g Abs. 1 Satz 1 FGG), sind diese Bestimmungen vorliegend nicht einschlägig. Auch eine analoge Anwendung kommt nicht in Betracht:
Gemäß § 50 Abs. 4 BNotO sind in den auf die Amtsenthebung nach § 50 Abs. 1 Nr. 7 BNotO gerichteten Verfahren für die Bestellung eines Pflegers für den Notar, der zur Wahrnehmung seiner Rechte in dem Verfahren nicht in der Lage ist, für die Pflicht des Notars, sich ärztlich untersuchen zu lassen, und für die Folgen einer Verweigerung seiner Mitwirkung die Vorschriften entsprechend anzuwenden, die für Landesjustizbeamte gelten. § 56 des Niedersächsischen Beamtengesetzes sieht wiederum vor, daß bei einer Versetzung in den Ruhestand wegen Dienstunfähigkeit gegen den Willen des Beamten die Absicht, den Beamten in den Ruhestand zu versetzen, dem Beamten oder seinem Vertreter bekanntzugeben ist (s. dazu auch Kümmel, Niedersächsisches Beamtengesetz, § 56 Rn. 10).
Diese Bestimmungen, die das Verfahren der Einleitung eines Amtsenthebungsverfahrens erleichtern sollen (vgl. Lerch aaO § 50 Rn. 42; siehe auch BT-Drucks. 11/3253 zu § 16 BRAO), sprechen, auch wenn sie nicht unmittelbar einschlägig sind, dafür, daß dann, wenn -wie hier -dem Notar auf Betreiben der Aufsichtsbehörde zur Wahrnehmung seiner Rechte im Amtsenthebungsverfahren ein Betreuer bestellt worden ist, die Bekanntgabe der in dem Verfahren getroffenen Verfügungen (nur) an den Betreuer ausreicht.
cc) Nach Auffassung des Oberlandesgerichts ist dann, wenn -wie hier für den Notar ein Betreuer bestellt ist, der in der Lage ist, die "Verfahrensrechte" des Notars -insbesondere durch rechtzeitige Stellung eines Antrags auf gerichtliche Entscheidung -wahrzunehmen, eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand aus in der Person des Betreuten liegenden Gründen nicht möglich. Ob dem so uneingeschränkt gefolgt werden kann, erscheint fraglich.
Nach Bekanntgabe der Verfügung vom 28. März 2003 an den Betreuer oblag es diesem, soweit dem keine triftigen Gründe entgegenstanden, den Antragsteller hierüber unverzüglich zu unterrichten und die weitere Vorgehensweise mit ihm zu besprechen (vgl. § 1901 Abs. 3 BGB). Vorliegend hat indes der Betreuer erst nach Ablauf der Rechtsmittelfrist dem Antragsteller diese Information erteilt. Auf der Grundlage der Rechtsauffassung des Oberlandesgerichts war somit dem Antragsteller die -auch nach Meinung des Oberlandesgerichts grundsätzlich eröffnete -Möglichkeit, die Rechtmäßigkeit der Amtsenthebung ungeachtet seiner etwaigen Geschäftsund Verfahrensunfähigkeit und ohne Mitwirkung seines Betreuers überprüfen zu lassen, von vornherein genommen.
Die Frage braucht indes nicht vertieft zu werden. Eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand kommt hier schon deshalb nicht in Betracht, weil jedenfalls die Antragsfrist versäumt worden ist. Der Antragsteller hat nach eigenem Bekunden am 7. Mai 2003 erfahren, daß die Verfügung vom 28. März 2003 gegen ihn ergangen ist (Schreiben des Antragstellers vom 13. Mai 2003 an die Präsidentin des Oberlandesgerichts). Aufgrund dessen hätte der Antragsteller spätestens zwei Wochen danach Antrag auf gerichtliche Entscheidung, verbunden mit einem Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand, stellen müssen (§ 114 Abs. 4 Satz 2 BNotO, § 40 Abs. 4 BRAO, § 22 Abs. 2 Satz 1 FGG entsprechend). Dies ist nicht geschehen.
Schlick Tropf Becker Lintz Eule
BGH:
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