Hessisches Landesarbeitsgericht:
Beschluss vom 29. Juli 2010
Aktenzeichen: 9 TaBVGa 116/10

(Hessisches LAG: Beschluss v. 29.07.2010, Az.: 9 TaBVGa 116/10)

Tenor

Auf die Beschwerde des Beteiligten zu 1) wird der Beschluss desArbeitsgerichts Frankfurt am Main vom 23. Juni 2010 - 17 BVGa357/10 - abgeändert.

Der Beteiligten zu 2) wird aufgegeben, dem Beteiligten zu 1) dieFirmen und Anschriften der Unternehmen sowie die Zahlen der indiesen Unternehmen und Betrieben in der Regel beschäftigtenArbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer schriftlich mitzuteilen, andenen die Beteiligte zu 2) mehrheitlich beteiligt ist.

Gründe

I.

Der Beteiligte zu 1) begehrt von der Beteiligten zu 2) Auskünfte für die Wahl der Arbeitnehmervertreter in den Aufsichtsrat.

Der Beteiligte zu 1) ist der aufgrund Beschlusses des Konzernbetriebsrats des X-Konzerns vom 12. April 2010 bestellte Hauptwahlvorstand für die Durchführung der Wahl der Arbeitnehmervertreter in einen Aufsichtsrat nach dem Mitbestimmungsgesetz (MitbestG). Dieser konstituierte sich mit Datum vom 28. Mai 2010. Die Beteiligte zu 2) ist eine am 7. Juni 2004 gegründete Tochtergesellschaft der X Kliniken GmbH. Die Beteiligte zu 2) beschäftigt selbst weniger als 100 Arbeitnehmer. Für die 2005 durchgeführten Aufsichtsratswahlen wurden ihr etwa 20.000 Mitarbeiter des X-Konzerns über § 5 des Mitbestimmungsgesetzes (MitbestG) zugerechnet. Dies führte zu einem zuletzt 20-köpfigen Aufsichtsrat mit 10 Arbeitnehmervertretern.

Am 21. April 2008 entschied das OLG Frankfurt am Main (- 20 W 8/07 - BI. 79 - 89 d. A.), die Muttergesellschaft der Beteiligten zu 2), die X Kliniken GmbH, sei die Konzernobergesellschaft der X-Gruppe, die die Beteiligte zu 2) beherrsche und der gemäß § 5 MitbestG die Mitarbeiter der X-Gruppe zuzurechnen seien.

Am 31. März 2010 fand die Bilanzsitzung des bis dato bestehenden Aufsichtsrats der Beteiligten zu 2) und die Gesellschafterversammlung der Beteiligten zu 2) statt, in der die Entlastung für das Jahr 2009 beschlossen wurde. Am gleichen Tag teilte die Beteiligte zu 2) dem Aufsichtsrat mit, seine Amtszeit sei beendet. In den vergangenen Jahren fand die Bilanzsitzung des Aufsichtsrats stets im Juni oder Juli des jeweiligen Jahres statt.

Am 19. April 2010 beschloss die Gesellschafterversammlung der Beteiligten zu 2), diese solle zukünftig nicht mehr über einen Aufsichtsrat verfügen. Am 14. Mai 2010 erfolgte die entsprechende Eintragung in das Handelsregister. Die Beteiligte zu 2) führte weder ein Verfahren nach § 97 AktG durch noch leitete sie ein Statusverfahren gemäß § 98 AktG ein.

Mit Schreiben vom 28. April 2010 (Bl. 70 ff. d. A.) und durch Schreiben seiner Bevollmächtigten vom 4. Mai 2010 (Bl. 73 ff. d. A.) bat der Konzernbetriebsrat des X-Konzerns um Stellungnahme der Beteiligten zu 2), warum bislang keine Einleitung der Aufsichtsratswahl erfolgt sei, und um Zustimmung zu einer gerichtlichen Notbestellung der bis 2010 im Aufsichtsrat tätigen Arbeitnehmervertreter. Mit Schreiben vom 1. Juni 2010 (Bl.105 d. A.) forderte der Hauptwahlvorstand von der Beteiligten zu 2) die Erteilung von Informationen. Am 8. Juni 2010 beschloss der Hauptwahlvorstand die Einleitung des vorliegenden Verfahrens.

Den Antrag des Konzernbetriebsrats vom 18. Mai 2010 auf Notbestellung der Arbeitnehmervertreter gemäß § 104 AktG wies das Amtsgericht Königstein durch Beschluss vom 7. Juli 2010 zurück.

Die Antragsschrift ist beim Arbeitsgericht Frankfurt am Main am 10. Juni 2010 eingegangen. Der Hauptwahlvorstand ist der Ansicht gewesen, ungeachtet der Entscheidung des OLG Frankfurt am Main und des Gesellschafterbeschlusses, wonach ein Aufsichtsrat nicht mehr bestehe, seien Neuwahlen der Arbeitnehmervertreter für einen Aufsichtsrat der Beteiligten zu 2) durchzuführen. Hierbei seien der Beteiligten zu 2) die Konzernarbeitnehmer unverändert nach dem Kontinuitätsprinzip des § 96 AktG über § 5 MitbestG, § 17 Abs. 2 AktG zuzuordnen, da die Beteiligte zu 2) bislang weder ein Verfahren nach § 97 AktG noch ein Statusverfahren nach § 98 AktG eingeleitet habe. Ein Verfügungsgrund sei trotz der u.U. bestehenden Möglichkeit einer gerichtlichen Notbestellung gegeben, da die durch Ersatzbestellung bestellten Arbeitnehmervertreter im Aufsichtsrat nicht den Wählerwillen der wahlberechtigten Arbeitnehmer repräsentierten.

Der Hauptwahlvorstand hat beantragt,

der Beteiligten zu 2) aufzugeben, ihm die Firmen und Anschriften der Unternehmen sowie die Zahlen der in diesen Unternehmen und Betrieben in der Regel beschäftigten Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer schriftlich mitzuteilen, an denen die Beteiligte zu 2) mehrheitlich beteiligt ist.

Die Beteiligte zu 2) hat beantragt,

den Antrag zurückzuweisen.

Die Beteiligte zu 2) ist der Ansicht gewesen, entsprechend dem ergangenen Gesellschafterbeschluss sei ein Aufsichtsrat nicht mehr zu bilden. Aufgrund der Entscheidung des OLG Frankfurt am Main vom 21. April 2008 seien die Konzernmitarbeiter ausschließlich der Muttergesellschaft der Beteiligten zu 2) zuzurechnen. § 96 AktG fände zudem nur auf einen bereits bestehenden, nicht jedoch auf einen neu zu wählenden Aufsichtsrat Anwendung. Darüber hinaus mangele es dem Antrag des Hauptwahlvorstandes an einem Verfügungsgrund.

Wegen der weiteren Einzelheiten des erstinstanzlichen Vorbringens, des vom Arbeitsgericht festgestellten Sachverhalts und des arbeitsgerichtlichen Verfahrens wird auf die Sachdarstellung des angefochtenen Beschlusses verwiesen.

Das Arbeitsgericht Frankfurt am Main hat den Antrag durch Beschluss vom 23. Juni 2010 € 17 BVGa 357/10 - zurückgewiesen. Zur Begründung hat es ausgeführt, es fehle ein Verfügungsgrund. Der Hauptwahlvorstand habe die Dringlichkeit selbst herbeigeführt. Es habe von Vornherein festgestanden, dass die Amtszeit der bis März 2010 amtierenden Aufsichtsratsmitglieder gemäß § 102 AktG mit Beendigung der für das Jahr 2009 entlastenden Gesellschafterversammlung vom 31. März 2010 enden würde. Am gleichen Tag habe die Beteiligte zu 2) dem Aufsichtsrat mitgeteilt, dass dessen Amtszeit aus ihrer Sicht beendet sei. Der Hauptwahlvorstand habe erstmals mit Schreiben vom 1. Juni 2010 die Informationen von der Beteiligte zu 2) verlangt, obwohl dem Vorsitzenden des Hauptwahlvorstandes aufgrund seines zuvor bestehenden Aufsichtsratsmandats und seiner Mitgliedschaft im Konzernbetriebsrat spätestens am 31. März 2010 bekannt gewesen sei, dass die Amtszeit des bis dato bestehenden Aufsichtsrats beendet gewesen sei, und somit aus seiner Sicht Neuwahlen angestanden hätten. Bis zur Einleitung des vorliegenden Verfahrens seien ab diesem Zeitpunkt beinahe 2,5 Monate vergangen. Hinzu komme, dass in der Vergangenheit die Bilanzsitzung des Aufsichtsrats stets im Juni oder Juli des Jahres stattgefunden hätte, und im Regelfall damit zu rechnen sei, dass in relativ kurzem zeitlichen Zusammenhang nach der Bilanzsitzung die entlastende Gesellschafterversammlung stattfinde. Dementsprechend hätte die Beteiligte zu 2) nach § 2 Abs. 1, 3. WOMitbestG für eine rechtzeitige Aufsichtsratswahl im Juni oder Juli 2010 bereits Anfang des Jahres 2010 eine Mitteilung nach § 2 WOMitbestG vornehmen müssen. Gleichwohl sei es bis zur Bestellung des Wahlvorstandes am 12. April 2010, der sich am 28. Mai 2010 konstituiert hätte, zu keinerlei Reaktion durch den Konzernbetriebsrat gekommen. Wegen der weiteren Einzelheiten der Begründung wird auf die arbeitsgerichtlichen Beschlussgründe verwiesen.

Gegen den ihm am 30. Juni 2010 zugestellten Beschluss hat der Beteiligte zu 1) am 25. Juni 2010 per Telefax Beschwerde eingelegt und diese gleichzeitig und am 5. Juli 2010 ergänzend begründet.

Der Beteiligte zu 1) rügt, die Entscheidung des OLG Frankfurt am Main enthalte keinen Hinweis darauf, dass mit der Errichtung eines Aufsichtsrates bei der X Kliniken GmbH die Berechtigung der Aufsichtsräte in der X Klinik Verwaltungsgesellschaft mbH sowie der X Beteiligungsgesellschaft mbH entfallen würde. Im Hinblick auf die Wahrung der Amtskontinuität sei für die Fälle, in denen ein Unternehmen der Auffassung ist, dass künftig ein anderer oder gar kein Aufsichtsrat zu bilden sei, ein Verfahren nach den §§ 96 ff. AktG zu betreiben.

Es sei erst mit der Einladung vom 17. März 2010 zur Aufsichtsratssitzung vom 31. März 2010 angekündigt worden, dass dies die letzte Sitzung des Aufsichtsrates sei, in der der Jahresabschluss behandelt werden sollte. Bis dahin hätte für den Konzernbetriebsrat kein Anlass bestanden, ein Wahlverfahren einzuleiten. Bis zu diesem Zeitpunkt sei auch nicht klar gewesen, wann die Amtszeit des Aufsichtsrates enden würde, zumal der Zeitpunkt der Hauptversammlung, die die Entlastung der Geschäftsführung beschließen würde, ebenfalls nicht bekannt gewesen sei. Tatsächlich beschlossen und umgesetzt worden sei die Entscheidung jedoch erst mit der Versammlung vom 19. April 2010 und mit der Handelsregistereintragung vom 14. Mai 2010. Da der Konzernbetriebsrat sich bereits mit Schreiben vom 28. April 2010 an die Beteiligte zu 2) gewandt und darum gebeten hätte, die Mitteilung nach § 2 der 3. WOMitbestG unverzüglich zu übersenden und zwischenzeitlich eine Notbestellung vorzunehmen und außerdem mit Datum vom 12. April 2010 den Hauptwahlvorstand bestellt hätte, dieser ferner mit Schreiben vom 1. Juni 2010 um die begehrten Informationen gebeten und bereits neun Tage später das einstweilige Verfügungsverfahren eingeleitet hätte, könne dem Beteiligten zu 1) nicht vorgehalten werden, nicht zeitnah genug gehandelt zu haben. Es könne nicht dem Hauptwahlvorstand angelastet werden, dass das Unternehmen seiner Verpflichtung aus § 2 der 3. WO MitbestG nicht nachgekommen sei und der Konzernbetriebsrat versucht habe, außergerichtlich die Einleitung des Verfahrens zu erwirken. Dem Hauptwahlvorstand könne auch nicht vorgehalten werden, nach seiner Bestellung vom 12. April 2010 erst am 28. Mai 2010 die konstituierende Sitzung durchgeführt zu haben. Dies sei dem Umstand geschuldet gewesen, dass eine ordnungsgemäße Besetzung mit Beschlussfähigkeit der bundesweit verstreuten Hauptwahlvorstandsmitglieder erst zum 28. Mai 2010 hätte erfolgen können. Selbst wenn man zu dem Schluss käme, der Konzernbetriebsrat hätte zu lange Zeit abgewartet, hätte dies keinerlei Auswirkungen für das vorliegende Verfahren. Der Hauptwahlvorstand sei nicht der Konzernbetriebsrat und sei auch nicht verantwortlich für Handlungen des Konzernbetriebsrates.

Soweit die Beteiligte zu 2) vortrage, dass die Regelungen des § 97 AktG nicht anwendbar seien, sei dies fehlerhaft. § 97 AktG finde auch in den Fällen Anwendung, in denen die Amtszeit eines Aufsichtsrats ende. Die Änderung/ Abschaffung eines Aufsichtsrats erfordere zwingend zunächst die Durchführung eines Verfahrens nach den §§ 96 ff AktG, da es ansonsten im Belieben eines Unternehmens stünde, nach Ablauf einer Amtsperiode jeweils erst einmal eine mehrjährige aufsichtsratslose Zeit dadurch zu produzieren, dass die Abschaffung eines Aufsichtsrats erklärt werde und somit ein Statusverfahren durchzuführen wäre. Eine Änderung der Sitzverteilung im Aufsichtsrat aufgrund der Geltung neuer oder geänderter Rechtsgrundlagen sei nach § 6 Abs. 2 Satz 1 MitbestG i.V.m. § 96 Abs. 2 AktG in mitbestimmten Unternehmen nur unter Beachtung des Überleitungs- oder Statusverfahrens nach §§ 97 bis 99 AktG möglich. Das beruhe auf dem in § 96 Abs. 2 AktG geregelten, der Rechtssicherheit dienenden Kontinuitäts- oder StatusQuo-Prinzip. Solange das Statusverfahren nicht durchgeführt sei, bleibe es trotz abweichender Rechtsgrundlage bei der bisherigen Zusammensetzung des Aufsichtsrates. Die Abschaffung eines Aufsichtsrates stelle die maximale Änderung der Sitzverteilung im Aufsichtsrat dar.

Der Beteiligte zu 1) beantragt,

den Beschluss des Arbeitsgerichts Frankfurt am Main vom 23. Juni 2010 - 17 BVGa 357/10 € abzuändern und der Beteiligten zu 2) aufzugeben, ihm die Firmen und Anschriften der Unternehmen sowie die Zahlen der in diesen Unternehmen und Betrieben in der Regel beschäftigten Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer schriftlich mitzuteilen, an denen die Beteiligte zu 2) mehrheitlich beteiligt ist.

Die Beteiligte zu 2) beantragt,

die Beschwerde zurückzuweisen.

Die Beteiligte zu 2) rügt die €sachliche Zuständigkeit der Arbeitsgerichtsbarkeit€. Es sei zunächst ein Statusverfahren nach § 98 AktG durchzuführen. Hierfür sei die Zivilgerichtsbarkeit zuständig. Ein Verfügungsgrund bestehe bereits deshalb nicht, weil das Verfahren gemäß § 104 AktG einstweiligen Rechtsschutz gewährleiste. Die vom Wahlvorstand angeführte Dringlichkeit sei von ihm selbst herbeigeführt worden. Den Aufsichtsratsmitgliedern sei seit Dezember 2008 bekannt gewesen, dass ihre Amtszeit spätestens Anfang 2010 ihr Ende finden würde (§ 8 Abs. 3 der bisherigen Satzung, der inhaltlich § 102 AktG entspreche). Überraschend für den Konzernbetriebsrat habe allenfalls sein können, dass die Beteiligte zu 2) entgegen § 2 Abs. 1 der 3. WOMitbestG nicht spätestens 25 Wochen vor dem voraussichtlichen Beginn der Amtszeit der zu wählenden Aufsichtsratsmitglieder der Arbeitnehmer den Unternehmen Mitteilung gemacht habe. Im Übrigen sei den Aufsichtsratsmitgliedern bereits durch die Einladung vom 16. März 2010 zur Aufsichtsratssitzung am 31. März 2010 bekannt gewesen, dass mit der Beendigung des Geschäftsjahres die Amtszeit des Aufsichtsrates sein Ende finden würde. Dies sei in der Aufsichtsratssitzung thematisiert worden (Protokoll vom 31. März 2010, Bl. 213 ff. d. A.).

Abgesehen davon lägen die Voraussetzungen des § 5 MitbestG nicht vor. Die Bildung eines Aufsichtsrates bei der Antragsgegnerin als abhängiges Unternehmen nach dem MitbestG sei nur dann zulässig, wenn die Beteiligte zu 2) als Konzernzwischenunternehmen ihrerseits als herrschendes Unternehmen i.S.v. § 5 MitbestG anzusehen sei. Das sei aber nicht der Fall. Es handele sich bei der Beteiligten zu 2) nicht um einen Konzern im Konzern. Dies ergebe sich aus dem Beschluss des OLG Frankfurt am Main vom 21. April 2008, an den das erkennende Gericht gebunden sei. Zwar sei im mitbestimmungsrechtlichen Sinne die Bildung des Konzerns innerhalb des Konzerns möglich. Sinn und Zweck der Mitbestimmung der Arbeitnehmer im Konzern sei es aber, den Arbeitnehmern der Konzernunternehmen nicht nur eine Vertretung im Aufsichtsrat ihrer eigenen Gesellschaft und damit eine Einflussnahme auf deren Leitung einzuräumen, sondern auch im Aufsichtsrat des herrschenden Unternehmens des Konzerns, das durch die Zusammenfassung der Konzernunternehmen unter einer einheitlichen Leitung ihre eigenen Unternehmen in grundsätzlichen Fragen der Unternehmenspolitik koordiniere. Es müsse sich jedoch um eine mehrfach abgestufte Abhängigkeit handeln. Wenn die Mitwirkung bei der Leitung in grundsätzlichen Fragen der Unternehmenspolitik Ziel der Mitbestimmung im Konzern sei, so sei für die Bejahung eines Unterkonzerns bzw. eines Konzerns im Konzern entscheidend, dass tatsächlich eine unterscheidbare eigene - sich freilich innerhalb der Generalleitung der Konzernmutter haltende - Leitung durch die Tochtergesellschaft erfolge, da die Mitwirkung bei der Leitung in grundsätzlichen Fragen der Unternehmenspolitik Ziel der Mitbestimmung im Konzern sei. So sei für die Bejahung des Konzerns innerhalb des Konzerns entscheidend, ob tatsächlich eine unterscheidbare eigene Leitung durch die Tochtergesellschaft erfolge. Ein eigener Entscheidungsspielraum stehe der Beteiligten zu 2) aber praktisch nicht zu, wie sich schon aus der Satzung ergebe. Sämtliche unternehmensrelevanten Entscheidungen der Beteiligten zu 2) treffe die X Kliniken GmbH und gemäß dem Beschluss des OLG Frankfurt am Main Dr. Y. Dort werde die Unternehmenspolitik gestaltet, dort finde die Mitbestimmung durch den bei der X Kliniken GmbH gebildeten Aufsichtsrat statt.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Beschwerdevorbringens wird auf die Beschwerdeschriftsätze und den Inhalt der Sitzungsniederschrift vom 29. Juli 2010 verwiesen.

II.

Die Beschwerde ist statthaft und zulässig und hat auch in der Sache Erfolg. Der Antrag des Beteiligten zu 1) auf Erlass der begehrten einstweiligen Verfügung ist zulässig und begründet. Es entspricht zwar allgemeiner Auffassung, dass das Untätigbleiben über eine gewisse Zeitspanne zur sog. Selbstwiderlegung der Dringlichkeit und damit zur Verneinung der Eilbedürftigkeit eines Antrages auf Erlass einer einstweiligen Verfügung führen kann (vgl. Hess. LAG Beschluss vom 7. Jan. 2010 € 9 TaBV 104/09 € nicht veröffentl.; OLG Frankfurt Urteil vom 14. Aug. 2008 - 1 U 27/08 € Juris). Hier hat der Beteiligte zu 1) jedoch nicht zu erkennen gegeben, dass er die Sache nicht als eilig betrachtet hat. Die Verpflichtung, auf die Mitteilung nach § 2 Abs. 1 der 3. WOMitbestG hin gemäß § 4 Abs. 4 der 3. WOMitbestG die Mitglieder des Hauptwahlvorstandes zu bestellen, trifft den Konzernbetriebsrat. Aufgabe des Hauptwahlvorstandes ist gemäß § 3 Abs. 1 der 3. WOMitbestG die Einleitung und Durchführung der Wahl. Abgesehen davon, dass der Konzernbetriebsrat nicht gehalten ist, auf die bloße Vermutung, das Unternehmen könnte die rechtzeitige Bekanntmachung nach § 2 der 3. WOMitbestG unterlassen, ein einstweiliges Verfügungsverfahren einzuleiten, ist der Hauptwahlvorstand für etwaige Versäumnisse des Konzernbetriebsrats nicht verantwortlich. Zunächst war ja nicht klar, wann die Amtszeit des Aufsichtsrates enden würde, da der Zeitpunkt der Hauptversammlung, die die Entlastung der Geschäftsführung beschließen würde, nicht vor der Einladung vom 17. März 2010 zur Aufsichtsratssitzung vom 31. März 2010 angekündigt worden ist. Der Sachverhalt ist glaubhaft gemacht durch Vorlage der zitierten Urkunden und eidesstattliche Versicherung des Vorsitzenden des Hauptwahlvorstandes Z. Vorher war auch nicht bekannt, dass dies die letzte Sitzung des Aufsichtsrates sei, in der der Jahresabschluss behandelt werden sollte. Die Entscheidung, dass die Gesellschaft keinen Aufsichtsrat mehr haben sollte, ist tatsächlich mit der Versammlung vom 19. April 2010 beschlossen und umgesetzt worden, die Handelsregistereintragung erfolgte unter dem 14. Mai 2010. Der Konzernbetriebsrat hatte sich indessen bereits mit Schreiben vom 28. April 2010 (Bl. 70 ff. d. A.) an die Beteiligte zu 2) gewandt und diese unter Fristsetzung bis zum 12. Mai 2010 aufgefordert, die Mitteilung nach § 2 der 3. WOMitbestG unverzüglich zu übersenden und zwischenzeitlich eine Notbestellung vorzunehmen. Mit Schreiben vom 4. Mai 2010 forderte der Konzernbetriebsrat das Unternehmen auf, bis zum 12. Mai 2010 die Zustimmung zur Notbestellung gemäß § 104 AktG zu erklären. Außerdem hatte er mit Datum vom 12. April 2010 den Hauptwahlvorstand bestellt, dieser ferner mit Schreiben vom 1. Juni 2010 um die begehrten Informationen gebeten und bereits neun Tage später das einstweilige Verfügungsverfahren eingeleitet. Dass der Hauptwahlvorstand nach seiner Bestellung vom 12. April 2010 erst am 28. Mai 2010 die konstituierende Sitzung durchgeführt hat, was dieser mit dem Umstand begründet, dass eine ordnungsgemäße Besetzung mit Beschlussfähigkeit durch die bundesweit verstreuten Hauptwahlvorstandsmitglieder erst zum 28. Mai 2010 hätte erfolgen können, berührt keinen Zeitraum, bei dem von einer Selbstwiderlegung der Dringlichkeit die Rede sein könnte. Etwas anderes ergibt sich auch nicht aus der Möglichkeit der Bestellung von Arbeitnehmervertretern in den Aufsichtsrat gemäß § 104 AktG. Dies ist von der gesetzlichen Konzeption her nur eine Not- und Behelfslösung. Das insoweit vorgesehene Verfahren ist grundsätzlich die Nachwahl (vgl. Hess. LAG Beschluss vom 21. Aug. 2008 € 9 TaBV 37/08 € NZA-RR 2009, 305 = Juris; LAG Köln Beschluss vom 30. Juni 2000 € 12 (4) TaBV 11/00 € NZA-RR 2001, 317 = Juris). Die gerichtliche Ersatzbestellung ist nur ein zeitweiliger Notbehelf zur Aufrechterhaltung der Funktionsfähigkeit des Aufsichtsrats (ebenso LAG Köln a.a.O.). Abgesehen davon hat das Amtsgericht Königstein den entsprechenden Antrag zurückgewiesen.

Der Anspruch ergibt sich aus § 7 Abs. 5 der 3. WOMitbestG. Nach dieser Vorschrift haben die Unternehmen, deren Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer an der Wahl teilnehmen, die Wahlvorstände zu unterstützen. Ohne die begehrten Auskünfte kann der Hauptwahlvorstand die Wahl nicht einleiten und durchführen. Bei der Beteiligten zu 2) ist ein Aufsichtsrat zu bilden und sind in diesen Arbeitnehmervertreter nach dem MitbestG und der 3. WOMitbestG zu wählen. Wenn die Beteiligte zu 2) ihre Auffassung durchsetzen will, es sei bei ihr kein Aufsichtsrat mehr zu bilden, ist sie gehalten, ein Statusverfahren gemäß §§ 6 Abs. 2 MitbestG, 98, 99 AktG durchzuführen. Ist streitig, nach welchen gesetzlichen Vorschriften der Aufsichtsrat zusammenzusetzen ist, ist dies vorab beim Landgericht in einem Statusverfahren nach §§ 98, 99 AktG zu klären. Ebenso wenig wie es zulässig ist, bei erstmaliger Bildung eines Aufsichtsrats ohne vorheriges Statusverfahren ein Aufsichtsratsmitglied der Arbeitnehmer zu wählen, wenn streitig ist, nach welchen Vorschriften die Wahl durchzuführen ist (vgl. BAG Beschluss vom 16. April 2008 € 7 ABR 6/07 € EzA § 1 DrittelbG Nr 1; BAG Beschluss vom 3. Okt. 1989 1 ABR 12/88 € EzA § 76 BetrVG 1972 Nr. 13), darf das Mitbestimmungsmodell ohne vorheriges Statusverfahren abgeschafft werden, wenn über die Mitbestimmungsfähigkeit der Gesellschaft Streit besteht. § 98 Abs. 1 AktG findet nämlich auch dann Anwendung, wenn streitig ist, ob bei der Gesellschaft überhaupt ein Aufsichtsrat zu bilden ist (BAG a.a.O.). Nach anderen als den zuletzt angewandten Vorschriften kann der Aufsichtsrat nur zusammengesetzt werden, wenn die in der gerichtlichen Entscheidung angegebenen Vorschriften anzuwenden sind. § 96 Abs. 2 AktG perpetuiert die gesetzlichen Grundlagen der Zusammensetzung des Aufsichtsrats bis zum Abschluss des in §§ 97 ff. AktG geregelten Verfahrens (vgl. Hüffer, AktG § 96 Rz. 13). Der Gesamtbetriebsrat war nicht gehalten, ein Gerichtsverfahren nach § 98 AktG einzuleiten, weil die Beteiligte zu 2) das Verfahren gemäß § 97 Abs. 1 AktG nicht eingehalten hat. Danach hat die Gesellschaft, wenn sie der Ansicht ist, dass der Aufsichtsrat nicht nach den maßgebenden gesetzlichen Vorschriften zusammengesetzt ist, dies unverzüglich in den Gesellschaftsblättern und gleichzeitig durch Aushang in sämtlichen Betrieben der Gesellschaft und ihrer Konzernunternehmen durch Aushang bekannt zu machen (BAG Beschluss vom 3. Okt. 1989 € 1 ABR 12/88 € EzA § 76 BetrVG 1972 Nr. 13). In der Bekanntmachung ist auf die nach Ansicht der Geschäftsleitung maßgeblichen Vorschriften hinzuweisen und darauf, dass der Aufsichtsrat nach diesen Vorschriften zusammengesetzt wird (bzw. wie hier nicht mehr bestellt wird), wenn nicht Antragsberechtigte nach § 98 Abs. 2 AktG innerhalb eines Monats nach der Bekanntmachung im elektronischen Bundesanzeiger das nach § 98 Abs. 1 zuständige (Land)Gericht anrufen. Der Beschluss des Oberlandesgerichts Frankfurt am Main vom 21. April 2008 (- 20 W 8/07 - BI. 79 - 89 d. A.) ersetzt das Statusverfahren nicht, denn er lässt sich zur Mitbestimmungsfähigkeit der Beteiligten zu 2) nicht aus, wenn dort ausgeführt ist:

€Dass sowohl bei der Verwaltungs-GmbH als auch bei der Beteiligungs-GmbH ein mitbestimmter Aufsichtsrat gebildet ist, besagt nichts Gegenteiliges. Diese beiden Unternehmen sind keine gleich- oder höherrangigen Unternehmen, sondern es handelt sich jeweils um der Antragstellerin kapitalmäßig untergeordnete, beherrschte Gesellschaften€Es ist nicht Aufgabe der Gerichte im Statusverfahren zu überprüfen, ob die bisher in Teilkonzernbereichen praktizierte Mitbestimmung für die Arbeitnehmer mehr Effektivität verspricht, als ein nach den Bestimmungen des Mitbestimmungsgesetzes installierter mitbestimmter Aufsichtsrat an der Konzernspitze€ (OLG Frankfurt, a.a.O., Seite 10, Bl. 88 d. A.).

Ein Eilgrund gemäß § 940 Abs. 1 ZPO ist darin zu sehen, dass ohne Erlass der einstweiligen Verfügung bei Durchführung eines Hauptsacheverfahrens eine längere aufsichtsratslose Zeit hinzunehmen ist. Durch die Vollziehung der einstweiligen Verfügung wird zwar die Hauptsache gleichsam vorweggenommen. Die Abwägung der beiderseitigen Interessen muss jedoch zu Lasten der Beteiligten zu 2) ausfallen, weil sie, indem sie es unterlassen hat die nach § 2 Abs. 1 der 3. WOMitbestG vorgeschriebene Mitteilung zu machen und das Verfahren nach § 97 Abs. 1 AktG einzuhalten, letztendlich für die eingetretene Situation verantwortlich ist.

Diese Entscheidung ergeht gerichtsgebührenfrei, § 2 Abs. 2 GKG. Ein Rechtsmittel gegen diese Entscheidung ist nicht gegeben, § 92 Abs. 1 Satz 3 in Verbindung mit § 85 Abs. 2 ArbGG.






Hessisches LAG:
Beschluss v. 29.07.2010
Az: 9 TaBVGa 116/10


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