Oberlandesgericht Düsseldorf:
Urteil vom 10. April 2002
Aktenzeichen: VI-U (Kart) 54/01

(OLG Düsseldorf: Urteil v. 10.04.2002, Az.: VI-U (Kart) 54/01)

Tenor

Auf die Berufung der Antragsgegnerin wird unter Abänderung des am 12. Juli 2001 verkündeten Urteils der 1. Kammer für Handelssachen des Landgerichts Köln die einstweilige Beschlussverfügung desselben Gerichts vom 21. Juni 2001 aufgehoben und der Antrag der Antragstellerin auf Erlass einer einstweiligen Verfügung zurückgewiesen.

Die Antragstellerin hat die Kosten des Verfahrens in beiden Rechtszügen zu tragen.

Gründe

Die zulässige Berufung der Antragsgegnerin hat Erfolg.

Auch mit dem auf Hinweis des Senats korrigierten Antrag der Antragstellerin, der Antragsgegnerin aufzugeben,

die folgenden in der Gasse 10190-0 im Netz der Antragstellerin erreichbaren Mehrwertdienste gegenüber ihren Endkunden gemäß den Regelungen in den jeweils gültigen "Allgemeinen Geschäftsbedingungen und Preise - Fakturierung und Inkasso" von bis zu DM 200,- (netto) zu fakturieren und zu inkassieren, auch wenn es sich um Dienste handelt, für die über das Verbindungsentgelt hinaus gesonderte Zahlungen anfallen oder für die ein einheitliches Verbindungsentgelt erhoben wird, das nicht in Abhängigkeit von der Dauer der Verbindung bestimmt wird:

Produkt-ID: Dienst:

01911 od. 80011 od. 32579 Spendendienst

Bestellung

01913 od. 80013 Beratung

Information

01915 od. 80015 Unterhaltung

01916 od. 80016 sonstige Dienste

01917 od. 080017 Internet

wobei für Spendendienste (Produkt-ID 01911 usw.) die Umsatzsteuer in der gesetzlichen Höhe von 0 % zu fakturieren ist, und die Inkassoleistungen nur den Einzug durch Lastschriftverfahren und/oder die Entgegennahme von anderen Zahlungen sowie die Weiterleitung der eingezogenen Beträge an die Antragstellerin umfassen sollen,

kann die Beschlussverfügung des Landgerichts vom 21.6.2001 keinen Bestand haben.

Auf ein gleiches Begehren gerichtet war (u. a.) auch das Missbrauchsverfahren, das die Regulierungsbehörde für Telekommunikation und Post (RegTP) gegen die Antragsgegnerin zu dem Aktenzeichen BK 3a-99/032 geführt hat. Die RegTP hat dort durch Beschluss vom 21.2.2000 (Anlage B 1) entschieden, dass die Antragsgegnerin nicht nach § 33 Abs. 2 Satz 2 TKG aufzufordern sei, für Anbieter von Mehrwertdiensten und Internetby-Call-Diensten, für welche über das Verbindungsentgelt hinaus gesonderte Zahlungen anfallen oder für die ein einheitliches Entgelt erhoben wird (das sich nicht in Abhängigkeit von der Dauer der Verbindung bestimmen lässt), für die Zeit ab 1.1.2001 ein Vertragsangebot gerichtet auf den Abschluss eines Inkasso- und Fakturierungsvertrages abzugeben. Die Antragsgegnerin, so die Regulierungsbehörde, nutze zwar ihre beherrschende Stellung auf dem Markt für Telekommunikationsdienstleistungen missbräuchlich aus, indem sie gegenüber den 29 Beigeladenen (darunter die Antragstellerin) die von diesen begehrten wesentlichen und von ihr, der Antragsgegnerin, intern genutzten und am Markt angebotenen Leistungen ungerechtfertigt verweigere (vgl. Seite 38 des Beschlusses). Jedoch sei sie nicht zu den (auch im vorliegenden Verfügungsverfahren in Rede stehenden) Fakturierungs- und Inkassodiensten zu verpflichten, weil dies eine unzumutbare Belastung darstellen würde. Denn die auf diese Weise von Endverbrauchern bezogenen Leistungen stünden nicht in einem solch unmittelbaren Zusammenhang mit dem zugrundeliegenden Telekommunikationsdienst, dass der Antragsgegnerin die Abwicklung aufzugeben wäre (vgl. Seite 68 des Beschlusses). Gegen diese Entscheidung hat die Antragstellerin Klage beim Verwaltungsgericht Köln eingereicht (1 K 2532/00) und mit Klageschrift vom 21.3.2000 begehrt, der Antragsgegnerin die Verpflichtung zur Durchführung der ersten Mahnung der Kunden aufzugeben und außerdem in die von der RegTP der Antragsgegnerin auferlegten Fakturierungs- und Inkassoleistungspflichten auch die hier strittigen Mehrwertdienste einzubeziehen. Das Verwaltungsgericht hat in der Hauptsache bislang nicht entschieden, jedoch mit Beschluss vom 3.8.2001 (1 L 1259/01, GA 114 ff) den von der Antragstellerin begehrten einstweiligen Rechtsschutz nach § 123 VwGO abgelehnt.

Mit dem auf kartellrechtliche und wettbewerbsrechtliche Ansprüche (§ 19 Abs. 4 Nr. 4, § 19 Abs. 1 , § 20 Abs. 2, Abs. 1 GWB, Art. 82 EG i.V.m. § 823 Abs. 2 BGB, § 1 UWG) gestützten Verfügungsverfahren begehrt die Antragstellerin nunmehr zivilrechtlichen Eilrechtsschutz, der ihr jedoch im Ergebnis schon wegen Fehlens eines hinreichenden Verfügungsgrundes nicht gewährt werden kann.

Die Antragstellerin will bis zu einer Hauptsacheentscheidung die ihr angeblich zustehenden Ansprüche durch die von der Antragsgegnerin vorzunehmende Fakturierung und Inkassierung erfüllt wissen. Da die begehrte Leistung zur (zeitweisen) Befriedigung der Antragstellerin führen würde, sind indes strenge Anforderungen an den Verfügungsgrund zu stellen. Nach der Senatsrechtsprechung (vgl. zuletzt WuW 2001, 285) ist eine auf Befriedigung gerichtete einstweilige Verfügung nur in Ausnahmefällen unter engen Voraussetzungen zulässig. Der aus der Nichterfüllung drohende Schaden muss außer Verhältnis zu dem Schaden stehen, der dem Schuldner aus der sofortigen Erfüllung droht. Erforderlich ist - über §§ 935, 940 ZPO hinaus - eine bestehende oder drohende Notlage des Gläubigers. Dieser muss so dringend auf die sofortige Erfüllung seines Leistungsanspruchs angewiesen sein oder ihm müssen so erhebliche wirtschaftliche Nachteile drohen, dass ihm ein Zuwarten oder eine Verweisung auf die spätere Geltendmachung von Schadensersatzansprüchen nach Wegfall des ursprünglichen Erfüllungsanspruchs nicht zumutbar wäre. Andererseits steht dem Interesse des Gläubigers an der Gewährung effektiven Rechtsschutzes das schutzwürdige Interesse des Schuldners gegenüber, nicht in einem mit nur eingeschränkten Erkenntnis- und Beweismöglichkeiten ausgestatteten summarischen Verfahren zu einer Erfüllung des behaupteten Anspruchs verpflichtet zu werden.

Die nach diesen Grundsätzen vorzunehmende Interessenabwägung fällt nicht zu Gunsten der Antragstellerin aus. Es kann nicht mit überwiegender Wahrscheinlichkeit angenommen werden, dass sie am weiteren Markteintritt in Bezug auf die Zuführung zeittaktunabhängiger Mehrwertdienste gehindert wäre, wenn die Fakturierung und das Inkasso (im Wertbereich bis 200,- DM) bis zur Vorlage einer Entscheidung in der Hauptsache (81 O 166/01, siehe den Vermerk GA 165) nicht durch die Antragsgegnerin erfolgte.

Die Antragstellerin argumentiert, sie sei auf die begehrten Leistungen der Antragsgegnerin angewiesen, weil sie - anders als die Antragsgegnerin - nicht über die erforderlichen Bestandsdaten der die Mehrwertdienste in Anspruch nehmenden Endkunden (Name, Anschrift, Bankverbindung) verfüge und sich diese auch nicht besorgen könne. Das vermag indes nicht zu überzeugen. Es ist weder dargetan noch ersichtlich, dass sich die Antragstellerin die für die Fakturierung benötigten Daten nicht wenigstens vorübergehend bis zu einer Entscheidung in der Hauptsache selbst beschaffen könnte, namentlich durch eine Einrichtung im eigenen Netz, die so ausgestattet ist, dass automatisch (wie bei Anrufbeantwortern) oder durch Telefonkräfte die Bestandsdaten des anrufenden Kunden abgefragt werden. Dass dies technisch möglich wäre, stellt auch die Antragstellerin nicht in Abrede. Sie behauptet jedoch, eine Abfrage würde bei den Endverbrauchern keine ausreichende Akzeptanz finden, was nachteilige Konsequenzen für die Entscheidung der Anbieter von Mehrwertdiensten hätte, die zu der Antragsgegnerin wechseln würden. All dies hat sie indessen nicht hinreichend glaubhaft gemacht. Diesbezügliche Meinungsumfragen unter Endverbrauchern oder Contentanbietern fehlen. Ebensowenig ist nach den Umständen überwiegend wahrscheinlich, dass das Ersparen der Datenangabe für die Endverbraucher ein wichtiges Entscheidungskriterium wäre, im Gegenteil: die Verbraucher sind weithin daran gewöhnt, nach den Personalien gefragt zu werden, wenn sie fernmündlich oder im Internet Bestellungen etwa bei Versandhäusern aufgeben. Entscheidend für das Auswahlverhalten der Kunden ist nach der Lebenserfahrung ohnehin die Qualität und Preisgünstigkeit des Mehrwertdienstes selbst. Eine Contentwerbung, die damit beginnt oder es als wesentlich herausstellt, dass der Kunde seine Personalien nicht angeben müsse, ist dem Senat jedenfalls nicht bekannt und seitens der Antragstellerin auch nicht vorgelegt worden. Bei der Inanspruchnahme bestimmter Mehrwertdienste (namentlich "Beratung") werden ohnehin irgendwelche Angaben des Kunden erforderlich sein, so dass die (wenigen) "Bestandsdaten" praktisch nicht mehr ins Gewicht fallen.

Im Hinblick hierauf bedarf es keiner weiteren Klärung, ob es, wie die Antragsgegnerin behauptet, bereits Drittunternehmen gibt, die die zentrale Abrechnung für die Antragstellerin übernehmen könnten. Namentlich kann offen bleiben, ob das im Senatstermin vorgelegte Vertragsangebot der N. GmbH unzureichend wäre. Allerdings hat die Antragsstellerin in der Berufungserwiderung als Konsequenz dessen, dass die Antragsgegnerin die Leistung erfolgreich verweigern sollte, selbst erwähnt, dass sie, die Antragstellerin, dann auf kommerzielle Drittanbieter zurückgreifen müsse (Seite 11 der Berufungserwiderung). Außerdem gibt es den Bereich der Mehrwertdienste über 200,- DM, der ohnehin unabhängig von der Antragsgegnerin abzuwickeln ist.

Wenn die Antragsgegnerin die von der Antragstellerin begehrte Fakturierung unterlässt, erscheint die Berechnung der Mehrwertdienste bei ihren Festnetzkunden nicht auf derselben (Telefon-) Rechnung wie die Verbindungsleistung. Da das Entgelt für die Mehrwertleistung aber nicht an den Telefonzeittakt anknüpft und auch sonst in keinem inneren Zusammenhang mit der Verbindungsleistung steht, wird dies auch für die an einer einheitlichen Rechnungsstellung prinzipiell interessierten Kunden eher hinnehmbar sein. Überdies ist es für die Endkunden keineswegs immer von Vorteil, Mehrwertdienste mit der Telefonrechnung der Antragsgegnerin zu bezahlen. Die Realisierung von Mängeleinwänden kann hierdurch zumindest subjektiv erschwert sein. Ein Teil der Contentanbieter mag es begrüßen, einen starken Eintreiber an der Seite zu haben, der bei Zahlungsrückständen den Teilnehmeranschluss auch einmal sperren oder dies dem Kunden wenigstens androhen könnte - eine mit des Bestimmungen des § 19 Abs. 1 Nr. 1, Abs. 3 TKV allerdings schwerlich in Einklang zu bringende Option, auf welche die Antragstellerin (ihr eigenes Unvermögen bedauernd) gleichwohl besonders abstellen will (Seite 13 der Berufungserwiderung). Wenn indes schon ein Teil der Kunden eine solche Praxis - unabhängig von ihrer rechtlichen Zulässigkeit - ablehnt (was abzusehen ist), verliert der vermeintliche Vorteil auch für die Contentanbieter an Attraktivität.

Die Antragstellerin kann auch nicht erfolgreich geltend machen, sie besitze aktuell keine technische Einrichtung zur Bestandsdatenabfrage in ihrem Netz. Spätestens seit dem Schreiben der Antragsgegnerin vom 9.4.2001 (Anlage ASt 4, Seite 2 des Schreibens) ist ihr bekannt, dass die Antragsgegnerin zur Fortsetzung der streitgegenständlichen Abrechnungs- und Inkassoleistungen nicht mehr bereit sein würde. Dennoch ist sie in Bezug auf eigene Lösungen untätig geblieben. Sie hat auch nicht aufgezeigt, dass ihr solche (ggfls. nur vorübergehenden) Anstrengungen nicht zumutbar gewesen wären. Dazu fügt sich ein, dass sie mit Blick auf die datenschutzrechtlichen Anforderungen erst zum Ende des vorliegenden Berufungsverfahrens die Antragsgegnerin (mit einem nicht zur Gerichtsakte gelangten Schreiben vom 27.2.2002) unter Fristsetzung bis zum 1.3.2002 aufgefordert hat, zu Zwecken der eigenen Fakturierung die Bestandsdaten von Kunden bekannt zu geben, die ihre Leistungen in Anspruch genommen haben (vgl. die in der Senatssitzung überreichte Fax-Antwort der Antragsgegnerin vom 1.3.2002). Hier hätte zum Beispiel deutlich früher erwogen werden können, ob nicht die Antragsgegnerin eine datenschutzrechtlich unbedenkliche Einwilligungsanfrage bei ihren Anschlussteilnehmern durchführen konnte. Insgesamt hat es danach eher den Anschein, als sei die Antragstellerin bei ungeklärter Rechtslage durchaus bewusst ein Risiko eingegangen, indem sie sich ohne eigene Anstrengungen auf den Erlass einer Befriedigungsverfügung verließ.

Die Gefahr von Missbräuchen (z. B. Scherzbestellungen) mag für die Contentanbieter in gewissem Umfang bestehen, ist dem sogenannten ecommerce jedoch eigentümlich und im Übrigen selbst im Falle von Anrufen aus dem Festnetz der Antragsgegnerin nicht völlig auszuschließen, weshalb nicht ohne Weiteres einleuchtet, gerade der Antragsgegnerin als Anbieterin (nur) der Telekommunikationsdienstleistungen die weitere Abwicklung des ecommerce-Geschäftes aufzugeben. Dies gilt umso mehr, als Missbräuche auch per Mobilfunktelefon begangen werden können und die Anzahl der Mobilfunkanschlüsse - gerichtsbekannt - die Anzahl der Festnetzanschlüsse bereits erreicht hat. Viele Haushalte sind sogar mit Festnetz und Mobilfunktelefon(en) ausgestattet. Das Einschalten der Antragsgegnerin in die Fakturierung kann mithin nur in beschränktem Umfang geeignet sein, Missbräuche zu verhindern. Zudem wird sich möglicherweise je nach Contentbranche ein unterschiedliches Bild ergeben. Allein die von der Antragstellerin in diesem Zusammenhang wiederholt erwähnten "rosaroten Dienste" und die angeblich dort zu verzeichnende erhöhte Missbrauchsgefahr können den Erlass der begehrten Leistungsverfügung jedenfalls nicht rechtfertigen. Letztlich ist ganz allgemein fraglich, ob einem Marktbeherrscher (wie die Antragsgegnerin im Festnetz) soviel an Fremdleistung - der Forderungseinzug liegt im Risiko des Anbieters - zugemutet werden kann. Nach der Einschätzung der RegTP und des Verwaltungsgericht Köln in den genannten Entscheidungen besteht jedenfalls die nicht von der Hand zu weisende Gefahr, dass die mit dem ecommerce verbundenen Dienstleistungen unzumutbar auf die Antragsgegnerin überbürdet würden.

Ferner fehlt es an einer zahlenmäßig nachvollziehbaren Darlegung der Antragstellerin, ihr drohe ein hoher Schaden gerade dann, wenn die Antragsgegnerin die Fakturierung und das Inkasso für Contente im Wert bis zu 200,- DM bis zur Entscheidung in der Hauptsache mit Erfolg verweigern könnte. Die - nicht aktuelle - eidesstattliche Versicherung des Herrn D. vom 14.6.2001 (ASt 2) bringt hierzu nichts Nachprüfbares, konkrete Erläuterungen zugrundeliegender Zahlen fehlen. Es fügt sich ein, dass schon das Verwaltungsgericht Köln der Antragstellerin einstweiligen Rechtschutz auch deshalb verweigert hat, weil sie weitreichende wirtschaftliche Nachteile nicht glaubhaft gemacht, sondern lediglich vorgetragen habe, ihr drohe ein Umsatzverlust von 20 Mio. DM im Jahr, ohne die Gewinnauswirkungen darzustellen (GA 123). Auch unter diesem Gesichtspunkt ist nicht dargetan, warum die Antragstellerin darauf angewiesen ist, in einem summarischen Verfahren Rechtsschutz für eine aus Sicht der Antragsgegnerin nicht mehr revidierbare Befriedigung zu erhalten; ihr ist daher anzusinnen, die Hauptsache auszutragen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 91 Abs. 1 ZPO.

Der Streitwert für das Berufungsverfahren beträgt 500.000,- DM.

J. K. W.






OLG Düsseldorf:
Urteil v. 10.04.2002
Az: VI-U (Kart) 54/01


Link zum Urteil:
https://www.admody.com/urteilsdatenbank/0d05174487fa/OLG-Duesseldorf_Urteil_vom_10-April-2002_Az_VI-U-Kart-54-01




Diese Seite teilen (soziale Medien):

LinkedIn+ Social Share Twitter Social Share Facebook Social Share