Bundespatentgericht:
Beschluss vom 20. März 2013
Aktenzeichen: 29 W (pat) 579/12
(BPatG: Beschluss v. 20.03.2013, Az.: 29 W (pat) 579/12)
Tenor
Der Beschluss des Deutschen Patent- und Markenamts vom 14. September 2012 wird aufgehoben.
Gründe
I.
Die Beschwerdeführerin ist Inhaberin der international registrierten Wortmarke 1 051 8 ESSBARER TIERGARTEN
(Ursprungsland Österreich mit Priorität vom 13. Oktober 2009). Sie hat um Schutz für das Gebiet der Bundesrepublik Deutschland nachgesucht für Waren und Dienstleistungen der Klasse 16: Printed matters; books, magazines; newspapers; postcards; photographs; writing pads and notepads; pencils; rulers; placards; posters; Klasse 21: Drinking vessels and storage vessels for household and kitchen made from plastic; Klasse 29: Meat; fish; poultry and game; eggs; milk and dairy products; Klasse 31: Agricultural, horticultural and forestry products; live animals; fresh fruit and vegetable; Klasse 35: Advertising; distribution of samples for advertising purposes; distribution of samples; publication and writing of advertising texts; Klasse 41: Operation of a zoological garden; presentation of animals; entertainment; cultural activities; publication of texts (except advertising texts); Klasse 43: Boarding of guests in restaurants, cafeterias and bars; Klasse 44: Animal breeding.
Mit Beschluss vom 14. September 2012 hat die Markenstelle für Klasse 35 der IR-Marke den Schutz für die Bundesrepublik Deutschland gemäß §§ 119, 124, 113, 37, 8 Abs. 2 Nr. 1 MarkenG i. V. m. Art. 5 PMMA, Art. 6 quinquies B PVÜ wegen fehlender Unterscheidungskraft verweigert. Zur Begründung hat sie ausgeführt, die Angabe "ESSBARER TIERGARTEN" werde von den angesprochenen Verkehrskreisen in Bezug auf die beanspruchten Waren und Dienstleistungen lediglich als allgemeiner Hinweis auf einen Tiergarten aufgefasst, in dem Tiere gehalten und Agrarprodukte angebaut würden, die für den menschlichen Verzehr geeignet seien, und dass die Dienstleistungen damit in Zusammenhang stünden. Die Internetrecherche habe ergeben habe, dass sich der lexikalisch nicht nachweisbare Gesamtbegriff in vergleichbar gebildete Wortfolgen einreihe, wie "Essbarer Schulgarten", "Essbarer Waldgarten" (Anlage zum Beanstandungsbescheid vom 21. Juni 2011, Bl. 10 VA), "Essbarer Garten", "Essbarer Sommer", "essbare Stadt" (Anlagen zum angefochtenen Beschluss, Bl. 24 - 26 VA). Durchschnittsverbraucher und Fachkreise nähmen an, dass die in Klasse 29 beanspruchten Lebensmittel aus einem zoologischen Garten stammten, in dem essbare Tiere gehalten und gezüchtet würden und in dem Gäste mit solchen Lebensmitteln verpflegt würden. Ferner werde die Wortfolge dahingehend verstanden, dass land-, garten- und forstwirtschaftliche Erzeugnisse dort kultiviert würden. Druckereierzeugnisse, Bücher, Magazine, Zeitungen, Plakate, Poster, Postkarten und Photographien könnten sich inhaltlich, thematisch und bildlich auf einen essbaren Tiergarten beziehen. Für und in ihm könne Werbung erbracht werden, z. B. mittels Verteilung von Warenproben. Über ihn könnten auch Texte und Werbetexte veröffentlicht werden. Bei Notiz- und Papierblöcken, Stiften, Linealen sowie Trinkgefäßen und Behältern für Haushalt und Küche werde der Schriftzug "ESSBARER TIERGARTEN" eher als Werbe-, aber nicht als Herkunftshinweis gewertet, zumal Notizblöcke und Stifte klasssiche Merchandising-Artikel darstellten. Hinsichtlich der Dienstleistungen "Unterhaltung, kulturelle Aktivitäten" sei ein enger beschreibender Bezug gegeben, weil Tiergärten und Zoos sich auch als Veranstaltungsort für Privat- und Geschäftskunden anböten. Üblicherweise befänden sich in Zoos auch Restaurants oder Cafeterien, so dass auch hinsichtlich der Klasse 43 ein hinreichend enger beschreibener Bezug zu bejahen sei.
Hiergegen richtet sich die Beschwerde der Anmelderin, mit der sie sinngemäß beantragt, den Beschluss des Deutschen Patent- und Markenamtes vom 14. September 2012 aufzuheben.
Sie hat sich im Beschwerdeverfahren nicht geäußert. Im Amtsverfahren hat sie die Ansicht vertreten, der Wortfolge "ESSBARER TIERGARTEN" werde von den beteiligten Verkehrskreisen keine Bedeutung beigemessen. Unter einem "Tiergarten" werde ein Zoo, ein Park oder ein Landschaftsteil verstanden, in dem in der früheren Neuzeit vom Adel Jagdwild gehalten worden sei. Dieser Ort bzw. dieses Gelände sei nicht essbar. Es handele sich daher um eine Wortneuschöpfung. Für die Dienstleistungen der Klasse 35 sei kein direkter Bezug zu einem Tiergarten gegeben. Die Dienstleistungen der Klassen 41 und 44 beschäftigten sich nicht mit essbaren Gegenständen, sondern mit dem Präsentieren oder der Zucht von Tieren. Selbst wenn es sich dabei um "essbare" Tiere handele, sei kein hinreichend enger Bezug zur IR-Marke ersichtlich. Obwohl die Dienstleistungen der Klasse 43 einen gewissen Bezug zu etwas Essbarem aufwiesen, sei den beteiligten Verkehrskreisen klar, dass die angebotenen Speisen nicht aus einem Tiergarten oder Zoo stammten, da sie wüssten, dass in einem solchen keine (essbaren) Nutztiere, sondern nur Tiere zur Ausstellung oder Präsentation gehalten würden. Dies sei ebenfalls der Fall für essbare Waren der Klassen 29 und 31. Hinzu komme, dass die meisten der in einem Tiergarten oder Zoo präsentierten Tiere unter den Artenschutz fielen, so dass es verboten sei, diese zu schlachten und zu essen. Da es bei einem Tiergarten vorrangig um Tiere und nicht um Pflanzen gehe, werde keine gedankliche Verbindung zu pflanzlichen Waren hergestellt. Bei den Waren in Klasse 16 und 21 handele es sich nicht um essbare Waren. Es fehle zudem ein konkreter Bezug zwischen dem Sinngehalt des Zeichens und den Informationsträgern in Klasse 16, weil ein "essbarer Tiergarten" der Auffassung eines Tiergartens oder Zoos entgegenstehe. Ferner seien auch die beiden vergleichbaren Marken mit dem gleichlautenden Markenwort "Essbare Landschaften" (399 45 904 und 305 59 345) eingetragen worden.
II.
Die nach § 66 Abs. 1 i. V. m. § 64 Abs. 6 MarkenG statthafte Beschwerde ist zulässig und hat in der Sache Erfolg.
Der verfahrensgegenständlichen IR-Marke kann der Schutz nicht nach §§ 119, 124, 113, 37 Abs. 1, 8 Abs. 2 Nr. 1 und 2 MarkenG i. V. m. Art. 5 PMMA, Art. 6 quinquies B Nr. 2 PVÜ versagt werden.
Entgegen der Auffassung der Markenstelle kann der Wortfolge "ESSBARER TIERGARTEN" weder jegliche Unterscheidungskraft abgesprochen werden, noch steht ein Freihaltebedürfnis der Schutzerstreckung entgegen.
1. a)
Unterscheidungskraft im Sinne des § 8 Abs. 2 Nr. 1 MarkenG ist die einer Marke innewohnende (konkrete) Eignung, vom Verkehr als Unterscheidungsmittel aufgefasst zu werden, das die in Rede stehenden Waren und Dienstleistungen als von einem bestimmten Unternehmen stammend kennzeichnet und diese Waren oder Dienstleistungen somit von denjenigen anderer Unternehmen unterscheidet (Eu-GH GRUR 2010, 228, 229 Rdnr. 33 - Vorsprung durch Technik; BGH GRUR 2010, 935 Rdnr. 8 - Die Vision). Denn die Hauptfunktion der Marke besteht darin, die Ursprungsidentität der gekennzeichneten Waren und Dienstleistungen zu gewährleisten (EuGH GRUR 2006, 233, 235 Rdnr. 45 - Standbeutel; BGH GRUR 2012, 1044, 1045 Rdnr. 9 - Neuschwanstein). Da allein das Fehlen jeglicher Unterscheidungskraft ein Eintragungshindernis begründet, ist ein großzügiger Maßstab anzulegen, so dass jede auch noch so geringe Unterscheidungskraft genügt, um das Schutzhindernis zu überwinden (BGH GRUR 2012, 270 Rdnr. 8 - Link economy; a. a. O. - Neuschwanstein).
Maßgeblich für die Beurteilung der Unterscheidungskraft sind einerseits die beanspruchten Waren oder Dienstleistungen und andererseits die Auffassung der beteiligten inländischen Verkehrskreise, wobei auf die Wahrnehmung des Handels und/oder des normal informierten, angemessen aufmerksamen und verständigen Durchschnittsverbrauchers der fraglichen Waren oder Dienstleistungen abzustellen ist (EuGH GRUR 2006, 411, 412 Rdnr. 24 - Matratzen Concord/Hukla; BGH a. a. O. - Link economy). Ebenso ist zu berücksichtigen, dass der Verkehr ein als Marke verwendetes Zeichen in seiner Gesamtheit mit allen seinen Bestandteilen so aufnimmt, wie es ihm entgegentritt, ohne es einer analysierenden Betrachtungsweise zu unterziehen (EuGH GRUR 2004, 428, 431 Rdnr. 53 - Henkel; BGH GRUR 2001, 1151, 1152 - marktfrisch).
Ausgehend hiervon haben Wortmarken dann keine Unterscheidungskraft, wenn ihnen die maßgeblichen Verkehrskreise lediglich einen im Vordergrund stehenden beschreibenden Begriffsinhalt zuordnen (EuGH GRUR 2004, 674, 678 Rdnr. 86 -
Postkantoor; BGH GRUR 2009, 952, 953 Rdnr. 10 - DeutschlandCard) oder wenn diese aus gebräuchlichen Wörtern oder Wendungen der deutschen Sprache oder einer geläufigen Fremdsprache bestehen, die - etwa wegen einer entsprechenden Verwendung in der Werbung oder in den Medien - stets nur als solche und nicht als Unterscheidungsmittel verstanden werden (vgl. u. a. BGH GRUR 2006, 850, 854 Rdnr. 18 - FUSSBALL WM 2006).
Darüber hinaus besitzen keine Unterscheidungskraft vor allem auch Zeichen, die sich auf Umstände beziehen, welche die beanspruchten Waren und Dienstleistungen zwar nicht unmittelbar betreffen, durch die aber ein enger beschreibender Bezug zu diesen hergestellt wird und die sich damit in einer beschreibenden Angabe erschöpfen (BGH GRUR 2010, 1100, 1102 Rdnr. 23 - TOOOR!; a. a. O. 855 Rdnr. 28 f. - FUSSBALL WM 2006). Dabei gilt, dass je bekannter der beschreibende Begriffsgehalt für die Waren oder Dienstleistung ist, desto eher wird er auch nur als solcher erfasst, wenn er im Zusammenhang mit der Kennzeichnung der Ware oder Dienstleistung in Erscheinung tritt (BPatG GRUR 2007, 58, 60 - BuchPartner). Hierfür reicht es aus, dass ein Wortzeichen, selbst wenn es bislang für die beanspruchten Waren und Dienstleistungen nicht beschreibend verwendet wurde oder es sich gar um eine sprachliche Neuschöpfung handelt, in einer seiner möglichen Bedeutungen ein Merkmal dieser Waren und Dienstleistungen bezeichnen kann (EuGH GRUR 2004, 146, 147 f. Rdnr. 32 - DOUBLE-MINT; 674, 678 Rdnr. 97 - Postkantoor; 680, 681 Rdnr. 38 - BIOMILD); dies gilt auch für ein zusammengesetztes Zeichen, das aus mehreren Begriffen besteht, die nach diesen Vorgaben für sich genommen schutzunfähig sind, sofern das Gesamtzeichen nicht infolge einer ungewöhnlichen Veränderung - etwa syntaktischer oder semantischer Art - hinreichend weit von der bloßen Zusammenfügung ihrer schutzunfähigen Bestandteile abweicht (EuGH MarkenR 2007, 204, 209 Rdnr. 77 f. - CELLTECH; GRUR 2006, 229, 230 Rdnr. 29 - BioID).
Diesen Anforderungen an die Unterscheidungskraft im Sinne des § 8 Abs. 2 Nr. 1 MarkenG genügt die Wortfolge "ESSBARER TIERGARTEN". Denn sie weist hinsichtlich der beanspruchten Waren und Dienstleistungen weder einen im Vordergrund stehenden beschreibenden Begriffsinhalt auf, noch handelt es sich um eine Angabe, durch die ein enger beschreibender Bezug zu ihnen hergestellt werden kann.
b)
Die beanspruchten Druckereierzeugnisse, Papier- und Schreibwaren, Haushaltsgefäße, Lebensmittel, land-, garten- und forstwirtschaftliche Erzeugnisse, lebende Tiere, sowie die Werbe-, Veröffentlichungs-, Unterhaltungs-, Verpflegungs- und Tierzuchtdienstleistungen richten sich sowohl an den durchschnittlichen Endverbraucher als auch an Fachverkehrskreise.
c)
Die Wortfolge setzt sich aus den Wörtern "ESSBARER" und "TIERGARTEN" zusammen.
aa)
Das Adjektiv "ESSBARER" bezeichnet etwas, das als Nahrung für Menschen oder zum Verzehr geeignet ist (www.duden.de).
bb)
Das zusammengesetzte Substantiv "TIERGARTEN" bedeutet "[meist kleinerer] Zoo" und ist ein Synonym für "Zoo", "Tierpark", "zoologischer Garten" oder "Freigehege" (www.duden.de; wortschatz.unileipzig.de).
d)
In ihrer Gesamtbedeutung werden die angesprochenen Verkehrskreise die Wortfolge dahingehend verstehen, dass sich ein zoologischer Garten zum Verzehr eignet. Diese Aussage macht auch in Bezug auf die beanspruchten Druckereierzeugnisse, Papier- und Schreibwaren, Haushaltsgefäße, Lebensmittel, land-, garten- und forstwirtschaftliche Erzeugnisse, lebende Tiere, sowie Werbe-, Veröffentlichungs-, Unterhaltungs-, Verpflegungs- und Tierzuchtdienstleistungen keinen Sinn. Denn einen Zoo, den man essen kann, gibt es nicht. Tiere in einem Zoo können gewöhnlich nur betrachtet werden. Sie werden in der Regel nicht geschlachtet und den Besuchern auch nicht als Mahlzeit angeboten. Durch diese auf den ersten Blick fehlende Sinnhaftig- und Widersprüchlichkeit wirkt die Wortfolge eigentümlich und regt zum Nachdenken an. Sie ist zudem kurz und prägnant und weist eine gewisse Originalität auf. Um zu der Erkenntnis zu gelangen, dass mit dieser Bezeichnung zum Ausdruck gebracht werden soll, dass Speisen aus geschlachteten Tieren angeboten werden, die zuvor in einem zoologischen Garten betrachtet werden konnten, muss das angesprochene Publikum erst einige ungewöhnliche gedankliche Schritte vollziehen. Dabei kommt hinzu, dass viele der in einem Tiergarten oder Zoo präsentierten Tiere unter den Artenschutz fallen, so dass es verboten ist, diese zu schlachten und zu essen. Daher liegt die vorgenannte beschreibende Bedeutung besonders fern. Die Wortfolge "ESSBARER TIERGARTEN" wird vom Verbraucher eher dahingehend verstanden, dass Nahrungsmittel, wie z. B. Schokolade, Marzipan oder Fruchtgummi, in Form verschiedener Zootiere angeboten werden, die ein Tiergartensortiment bilden. Solche Lebensmittel sind aber gerade nicht Gegenstand des vorliegenden Waren-/Dienstleistungsverzeichnisses. Der beschreibende Sinngehalt der verfahrensgegenständlichen Wortfolge ist daher derart fernliegend, dass er nur in mehreren Gedankenschritten ermittelt werden kann. Eine derartige analysierende Betrachtungsweise ist jedoch im Rahmen der Beurteilung der Unterscheidungskraft eines Zeichens unzulässig, weil sich daraus keine in den Vordergrund drängende, für den Durchschnittsverbraucher ohne weiteres ersichtliche Beschreibung des Inhalts von Waren oder Dienstleistungen ergibt (BGH GRUR 2012, 1143, 1144 Rdnr. 10 - Starsat).
Entgegen der Ansicht der Markenstelle reiht sich das lexikalisch nicht nachweisbare Markenwort "ESSBARER TIERGARTEN" auch nicht in die Wortfolgen "Essbarer Schulgarten", "Essbarer Waldgarten", "Essbarer Garten", "Essbarer Sommer" und "essbare Stadt" ein. Abgesehen davon, dass diese Wortkombinationen noch nicht in den deutschen Sprachgebrauch eingegangen sind, können sie auch nicht als vergleichbar angesehen werden. Denn bei diesen Bezeichnungen liegt im Gegensatz zum vorliegenden Markenbegriff zumindest ein enger Sachbezug zu verzehrbaren Pflanzen aus dem Garten, aus einer bestimmten Saison oder aus dem öffentlichen Raum vor.
Da die Wortfolge mehrdeutig und interpretationsbedürftig ist, ohne dass ein beschreibender Sinngehalt eindeutig im Vordergrund steht, kommt ihr die erforderliche Unterscheidungskraft zu (BGH GRUR 2012, 270, 271 f. Rdnr. 18 - Link economy).
2.
Wegen der fehlenden Eignung zur unmittelbaren Beschreibung der in Rede stehenden Waren und Dienstleistungen kann bei der verfahrensgegenständlichen Wortkombination auch ein Freihaltebedürfnis nach § 8 Abs. 2 Nr. 2 MarkenG nicht bejaht werden.
Grabrucker Kortge Uhlmann Hu
BPatG:
Beschluss v. 20.03.2013
Az: 29 W (pat) 579/12
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