Bundespatentgericht:
Beschluss vom 18. Januar 2010
Aktenzeichen: 11 W (pat) 301/05
(BPatG: Beschluss v. 18.01.2010, Az.: 11 W (pat) 301/05)
Tenor
Auf den Einspruch wird das Patent DE 196 14 300 widerrufen.
Gründe
I.
Die Patentanmeldung 196 14 300.4 ist am 11. April 1996 beim Deutschen Patentamt (jetzt: Deutsches Patentund Markenamt) eingereicht worden. Die Erteilung des Patents 196 14 300 mit der Bezeichnung "Verfahren zur selbstregulierenden Kompensation der Auswirkung des ungleichmäßigen Rundlaufs einer Rolle" ist am 26. August 2004 veröffentlicht worden.
Gegen das Patent ist Einspruch erhoben worden.
Die Einsprechende macht geltend, dass der Gegenstand des erteilten Anspruchs 1 dem Fachmann zumindest nahe gelegt, wenn nicht vorweggenommen sei. Sie nennt hierzu u. a. die folgenden Druckschriften:
E1 DE2050402A E2 R. ISERMANN: Identifikation dynamischer Systeme 1, 2. Auflage, Springer, 1992, S. 124 -129, 165.
Die Einsprechende beantragt, das angegriffene Patent zu widerrufen.
Die zur mündlichen Verhandlung nicht erschienene Patentinhaberin hat im Laufe des Einspruchsverfahrens keinen Antrag gestellt.
Der erteilte Anspruch 1 lautet, hier wiedergegeben in der in der mündlichen Verhandlung verwendeten gegliederten Form sowie ergänzt um eine Nummerierung der verwendeten Formeln von [1] bis [5]:
a) Verfahren zur selbstregulierenden Kompensation der Auswirkung des ungleichmäßigen Rundlaufs einer Rolleb) durch Approximation eines mit der Rolle verknüpften Meßistwertes mit mindestens einer drehharmonischen Sinusfunktion, deren Argument der Rollendrehwinkel ist, wobei die Sinusapproximation gemäß
nach der orthogonalen Korrelation oder gemäß der harmonischen Analyse nach Fourier erfolgt, mit uy = Kreuzkorrelation zwischen Eingangsgröße u und Ausgangsgröße y u = sin (i 0) y = FZ(i 0) i = Laufindex 0 =Winkelschrittweite N = Anzahl der Meßwerte für eine ganzzahlige Anzahl von Umdrehungen FZ = Meßistwert, c) wobei Schätzwerte für die Amplitude und die Phase des durch den ungleichmäßigen Rundlauf bewirkten Sinussignales gemäß
gebildet werden, mit å1B = Schätzwert für die Amplitude des durch den ungleichmäßigen Rundlauf bewirkten Sinussignal erster Ordnung, 1B = Schätzwert für die Phase des durch den ungleichmäßigen Rundlauf bewirkten Sinussignals erster Ordnung, d) und wobei eine Zusatzstellgröße (MZus1) aus diesen Schätzwertenproportional zu
[5] gebildet wird, mit = Rollendrehwinkel, = 0 bei Auftreten eines Nullimpulses.
Im Merkmal b) wurde redaktionelluy in uy berichtigt.
Diesem Anspruch folgen die rückbezogenen Ansprüche 2 bis 25 gemäß Patentschrift. Wegen weiterer Einzelheiten sowie des Vorbringens der Beteiligten wird auf die Gerichtsakte verwiesen.
II.
Der zulässige Einspruch ist begründet.
Das angegriffene Patent bezieht sich auf ein Verfahren zur selbstregulierenden Kompensation der Auswirkung des ungleichmäßigen Rundlaufs einer Rolle (vgl. Abs. [0001] der Patentschrift).
Aus der Beschreibung der Patentschrift (vgl. Abs. [0002] und [0003]) ist zu entnehmen, dass es beim Aufwickeln von Stoffbahnen (bspw. aus Metall, Papier oder Kunststoff) aus verschiedenen Gründen zu ungleichmäßigem Rundlauf der Rolle (Haspel) kommen könne. Beispielsweise ergebe sich beim Aufwickeln von Metallband ein Bundschlag aufgrund des den Bundradius abschnittsweise erhöhenden Bandanfanges. Dieser Bundschlag trete in charakteristischer Form bei jeder Haspelumdrehung mindestens einmal auf. Derartige Bundunrundheiten einer Haspel führten in nachteiliger Weise zu Zugistwertschwankungen des für den Prozess wichtigen Zuges, was beispielsweise zum Zerreißen eines Papierbandes oder einer Kunststofffolie oder bei einem Metallband zu nachteiligen Beeinflussungen der Banddicke führen könne.
Als Aufgabe ist angegeben, ein Verfahren zur selbstregulierenden Kompensation der Auswirkung des ungleichmäßigen Rundlaufs einer Rolle anzugeben, das selbsttätig möglichst rasch ungleichmäßigen Rundlauf der Rolle erkennt und die Auswirkung kompensiert (vgl. Abs. [0007] der Streitpatentschrift).
Der mit der Lösung dieser Aufgabe betraute Fachmann ist ein Dipl.-Ing. Elektrotechnik mit Universitätsabschluss und vertieften Erfahrungen in der Regelungstechnik.
Als Lösung dient ein Verfahren mit den Merkmalen des erteilten Anspruchs 1.
Die erteilten Ansprüche 1 bis 25 entsprechen den ursprünglich eingereichten Ansprüchen 1 bis 25 und sind somit zulässig.
Das zweifelsfrei gewerblich anwendbare Verfahren nach dem erteilten Anspruch 1 ist zwar neu, beruht jedoch nicht auf einer erfinderischen Tätigkeit:
Die Druckschrift E1 betrifft ein Verfahren zur Bestimmung der Exzentrizität und deren Phasenlage an einer Walze eines Walzwerkes, wobei die in E1 so bezeichnete Arbeitswalze eine Rolle im Sinne des Streitpatents darstellt. Auch entspricht die Aufgabenstellung der E1 derjenigen des Streitpatents, nämlich ein Verfahren zur Bestimmung der Exzentrizität einer Arbeitsoder Unterstützungswalze anzugeben (d. h. zum Erkennen eines ungleichmäßigen Rundlaufs), so dass Signale zur Korrektur der Dickenänderung des Walzgutes erzeugt werden können, mit denen die Auswirkung des ungleichmäßigen Rundlaufs unmittelbar folgend korrigiert werden können, (vgl. S. 2, Abs. 2 i. V. m. S. 4, le. Satz).
Durch die E1 ist somit gemäß Merkmal a) des streitpatengemäßen Anspruchs 1 ein Verfahren zur selbstregulierenden Kompensation der Auswirkung des ungleichmäßigen Rundlaufs einer Rolle (Arbeitswalze) bekannt (vgl. die Bezeichnung sowie S. 2, Abs. 2 und 4).
Dieses Verfahren arbeitet gemäß Merkmal b) durch Approximation eines mit der Rolle (Arbeitswalze) verknüpften Meßistwertes Pk mit einer drehharmonischen Sinusfunktion, deren Argument der Rollen(Arbeitswalzen)drehwinkel ist, wobei die Sinusapproximation gemäß
[1a]
[2a]
(zwar nicht ausdrücklich so bezeichnet, jedoch für den Fachmann ersichtlich, vgl. hierzu die Literaturstelle der E2, S. 127) nach der orthogonalen Korrelation erfolgt (vgl. in E1, S. 5 bis S. 6, Abs. 1).
In den Formeln [1a] und [2a] bedeuten B,C = Kreuzkorrelation zwischen Eingangsgröße u und Ausgangsgröße y, u = sin (2¹/n k), wobei das Argument (2¹/n k) der Sinusfunktion als Laufvariable über den Drehwinkel dem Argument (i 0) des Merkmals b) des erteilten Anspruchs 1 entspricht,
(vgl. S.4, Mitte), [6a]
y= Pk =
k = Laufindex, 2¹/n =Winkelschrittweite, n =Anzahl der Meßwerte für eine ganzzahlige Anzahl von Umdrehungen, Pk = Meßistwert.
Dass das im Vergleich zu Formel [2a] der E1 unterschiedliche Vorzeichen der Formel [2] gemäß Merkmal b) des Streitpatents rein formaler Natur ist und beim Quadrieren in Formel [3] (Merkmal c) entfällt, erkennt der Fachmann sofort. Darüber hinaus ist es ersichtlich, dass der Faktor 2 beliebig entweder (wie in E1) in den Formeln [1a] und [2a] oder (wie in Merkmal c) des Streitpatents) erst in Formel [3] angegeben werden kann, was jeweils zum gleichen Ergebnis führt.
Weiterhin werden beim Verfahren nach E1 gemäß Merkmal c) Schätzwerte für die Amplitude und die Phase einer Unterstützungswalze des durch den ungleichmäßigen Rundlauf bewirkten Sinussignales gemäß
[3a]
[4a]
gebildet (vgl. S. 5 bis S. 6, Abs. 1).
Hierbei bedeuten A = Exzentrizität der Unterstützungswalze (vgl. S. 4, Z. 4), entspricht dem Schätzwert für die Amplitude des durch den ungleichmäßigen Rundlauf bewirkten Sinussignals erster Ordnung,
= Phasenwinkel zwischen einem bestimmten Punkt auf der Walze und einem Punkt, an dem die Exzentrizität maximal ist (vgl. S. 4, Z. 7 bis 9), entspricht dem Schätzwert für die Phase des durch den ungleichmäßigen Rundlauf bewirkten Sinussignals erster Ordnung.
Dass der konstante Ausdruck für Maschinenund Prozessparameter in Formel [3a] abhängig von den konkreten Randbedingungen des jeweiligen Anwendungsfalles jeweils angepasst werden muss oder auch weggelassen werden kann, ist für den Fachmann ohne Weiteres ersichtlich.
In anderen Worten ausgedrückt unterliegt der Prozess nach E1 (wie auch derjenige nach dem Streitpatent) einer störenden drehharmonischen Anregung. Denn im Falle der E1 geht es um die Exzentrizität der Unterstützungswalze, die eine Funktion des Drehwinkels der Walze und damit drehharmonisch ist (vgl. S. 1, Abs. 2 der E1). Im Falle des Streitpatents geht es um den bei jeder Haspelumdrehung mindestens einmal in charakteristischer Form und damit drehharmonisch auftretenden Bundschlag (vgl. Abs. [0002] der Patentschrift). In beiden Verfahren wird mit Hilfe einer drehharmonischen Sinusfunktion unter Anwendung der orthogonalen Korrelation die Antwortfunktion des Gesamtsystems approximiert und damit auch für in der Zukunft liegende Zeitpunkte berechenbar gemacht. Aus dieser approximierten Antwortfunktion lässt sich die voraussichtliche Größe (Exzentrizität A bzw. Amplitude å1B) sowie der voraussichtliche Zeitpunkt (Phasenwinkelbzw. Phase 1B) des nächsten Abbildens des Störsignals berechnen. Wenn nun diese beiden Größen bekannt sind, kann man auch gegensteuern, d. h. den Effekt des Störsignals durch geeignete Maßnahmen möglichst gut kompensieren. Im Falle des Verfahrens der E1 erfolgt dies dadurch, dass hinsichtlich des Merkmals d) gemäß S. 4, letzter Satz und S. 6, Abs. 1 die vorher berechnete Exzentrizität A der Unterstützungswalze und der vorher berechnete Phasenwinkel bzw. die Phasenlage gespeichert und in analoge Größen umgewandelt werden, die ihrerseits als Signale (d. h. als Zusatzstellgröße) zur Korrektur der Dickenänderung der gewalzten Bahn in Abhängigkeit von der Exzentrizität S der Arbeitswalze Verwendung finden. In E1 ist also offenbart, eine Zusatzstellgröße aus den Schätzwerten zu bilden.
Somit unterscheidet sich das Verfahren nach dem Streitpatent von demjenigen nach E1 lediglich dadurch, dass gemäß Merkmal d) die Zusatzstellgröße MZus1 explizit nach der Formel
[5] gebildet wird.
Jedoch liegt es dem Fachmann nahe, zur Kompensation einer drehharmonischen Funktion ebenso ein drehharmonisches Signal, jedoch mit umgekehrtem Vorzeichen aufzubringen. Genau dies sagt aber die mit negativem Vorzeichen versehene Formel [5] nach Merkmal d) aus, in die die drehharmonische Sinusfunktion unter Verwendung der vorher berechneten Phase 1B und der vorher berechneten Amplitude å1B eingeht.
Wenn der Fachmann daher sein Fachwissen auf das Verfahren nach Druckschrift E1 anwendet, gelangt er in nahe liegender Weise zu einem Verfahren mit allen Merkmalen des erteilten Anspruchs 1. Anspruch 1 hat daher mangels erfinderischer Tätigkeit keinen Bestand.
Demnach bedarf es hier keiner Beurteilung mehr, ob und inwiefern die im Anspruch 1 enthaltenen mathematischen Methoden, die an sich nicht patentfähig sind (vgl. § 1 Abs. 3 Nr. 1 PatG), überhaupt einen erheblichen Beitrag zur Erfindung zu leisten vermögen.
Mit dem erteilten Anspruch 1 fallen die auf ihn rückbezogenen Ansprüche 2 bis 25, zumal sie nur vorteilhafte Weiterbildungen des Verfahrens gemäß Anspruch 1 ohne eigenen erfinderischen Gehalt darstellen. Darauf gegründete eigenständig patentfähige Verfahren wurden nicht geltend gemacht.
Das Patent ist daher zu widerrufen.
Dr. W. Maier v. Zglinitzki Rothe Hubert Bb
BPatG:
Beschluss v. 18.01.2010
Az: 11 W (pat) 301/05
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