Oberlandesgericht Köln:
Beschluss vom 17. März 2000
Aktenzeichen: 2 Ws 146/00

(OLG Köln: Beschluss v. 17.03.2000, Az.: 2 Ws 146/00)

Tenor

1. Der angefochtene Beschluss wird unter Verwerfung der weitergehenden Beschwerde wie folgt abgeändert: Die nach dem rechtskräftigen Urteil des Landgerichts Aachen vom 28. September 1999 dem Verurteilten gemäß § 467 StPO aus der Staatskasse zu erstattenden notwendigen Auslagen werden auf 2.424,25 DM festgesetzt. 2. Die Kosten des Beschwerdeverfahrens und die dem früheren Angeklagten hierin entstandenen notwendigen Auslagen haben zur Hälfte die Staatskasse und zur Hälfte der frühere Angeklagte zu tragen. 3. Der Wert des Beschwerdeverfahrens wird auf 582,90 DM festgesetzt.

Gründe

I.

Der frühere Angeklagte ist nach vorangegangener Untersuchungshaft durch Urteil des Landgerichts Aachen vom 28. September 1999 wegen Sachbeschädigung, Bedrohung, Körperverletzung und Diebstahls zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von 11 Monaten verurteilt worden. Im übrigen ist er freigesprochen worden. Nach der Kostenentscheidung des Landgerichts hat der Angeklagte die Kosten des Verfahrens und seine Auslagen zu 1/4 zu tragen, die übrigen Kosten des Verfahrens und die übrigen notwendigen Auslagen des Angeklagten sind der Staatskasse auferlegt worden.

Mit Schriftsatz seines (Pflicht-) Verteidigers vom 8. Oktober 1999 hat der frühere Angeklagte beantragt, die Kosten des Wahlverteidigers - unter Ansatz der jeweiligen Höchstsätze der BRAGO - wie folgt festzusetzen:

Vorverfahrensgebühr gemäß § 84 Abs. 1 BRAGO 760,00 DM

Hauptverhandlungsgebühr gemäß § 83 Abs. 1 BRAGO 1.520,00 DM

Gebühr für die Fortsetzungsverhandlung § 83 Abs. 2

BRAGO 760,00 DM

Postgebühr gemäß § 26 BRAGO - pauschal - 30,00 DM

Schreibauslagen gemäß § 25 BRAGO 51.50 DM

3.121,50 DM

16% Mehrwertsteuer, § 25 BRAGO 499,44 DM

3.620,94 DM

3/4 der Summe zu erstatten 2.715,70 DM

Mit Beschluss vom 11. Februar 2000 hat der Rechtspfleger die dem früheren Angeklagten gemäß § 467 StPO aus der Staatskasse zu erstattenden notwendigen Auslagen auf 2.132,80 DM festgesetzt. Abweichend vom Kostenfestsetzungsantrag sind dabei (lediglich mit der Mittelgebühr) festgesetzt worden:

Vorverfahrensgebühr gemäß § 84 Abs. 1 BRAGO 410,00 DM

Gebühr für Fortsetzungsverhandlung

gemäß § 83 Abs. 2 BRAGO 440,00 DM

Die mit 1.520,--DM beantragte Hauptverhandlungsgebühr ist dagegen unbeanstandet geblieben.

Unter Berücksichtigung der auf die geänderten Beträge entfallende Mehrwertsteuer ergibt sich daraus ein zu Lasten des Angeklagten abgesetzter Betrag von 582,90 DM.

Gegen diesen, am 14. Februar 2000 zugestellten Beschluss richtet sich die am 28. Februar 2000 bei Gericht eingegangene "Erinnerung", der das Landgericht nicht abgeholfen hat. Darin wird gerügt, dass allein aufgrund der Untersuchungshaft eine Erhöhung der Mittelgebühr um 25% angemessen sei. Zudem habe der Anwalt an einer Haftprüfung teilgenommen. Wegen der zu erwartenden Freiheitsstrafe sei ein hohes Maß an psychologischer Betreuung des früheren Angeklagten erforderlich gewesen. Ferner habe im Zusammenhang mit der Methadonsubstitution des Beschwerdeführers Schriftverkehr mit Ärzten geführt werden müssen; es hätten schließlich auch Gespräche mit den Eltern des früheren Angeklagten stattgefunden.

II.

Das als Erinnerung bezeichnete Rechtsmittel stellt in der Sache eine sofortige Beschwerde gegen die Entscheidung des Rechtspflegers dar und ist als solche zu behandeln (§ 300 StPO). Die Beschwerde ist statthaft (§§ 464 b Satz 3 StPO, 104 Abs. 3 Satz 1 ZPO, 21 Nr. 1, 11 Abs. 1 RPflG) und auch form- und fristgerecht eingelegt worden. Der Senat teilt die in Rechtsprechung und Literatur vertretene Auffassung (vgl. Karlsruher Kommentar - Franke, StPO, 4. Aufl., § 464 b Rn. 4 m. w. N.; a.A. Kleinknecht/Meyer-Goßner, StPO, 44. Aufl., § 464 b Rn. 7 m.w.N.), wonach für die Einlegung der Beschwerde die Zweiwochenfrist des § 577 Abs. 2 Satz 1 ZPO und nicht die einwöchige Frist des § 311 Abs. 2 Satz 1 StPO gilt. Mit der in § 464 b S. 3 StPO vorgenommenen Verweisung hat der Gesetzgeber auch das Beschwerdeverfahren in den strafprozessualen Kostenfestsetzungssachen den Regeln der Zivilprozeßordnung unterwerfen wollen. Denn auf diese Weise wird die einheitliche Behandlung ein und derselben (kostenrechtlichen) Materie auch im Rechtsmittelzug gewährleistet (vgl. Löwe/Rosenberg-Hilger, StPO, 24. Aufl., § 464 b Rn. 10). Die Neuordnung der Rechtsbehelfe gegen Entscheidungen des Rechtspflegers durch das Dritte Gesetz zur Änderung des Rechtspflegergesetzes und anderer Gesetze vom 6. August 1998 (BGBl. I S. 2030) hat an dieser Sachlage nichts geändert. Der Gesetzgeber hat mit der Neufassung des § 11 RPflG die bis dahin existierende Durchgriffserinnerung gegen Entscheidungen des Rechtspflegers allein aus Gründen der Verfahrensökonomie und Arbeitsentlastung abgeschafft, weil die Entscheidung über die Erinnerung den in derselben Instanz zuständigen Richter erheblich belastete (vgl. BT-Drucksache 13/10244, S. 7; Hansens in: Arnold/Meyer-Stolte/Hermann/Hansens, RPflG, 5. Auflage, § 11 Rn. 3). Eine Regelung hinsichtlich der im Beschwerdeverfahren nach § 464 b StPO einzuhaltenden Fristen hat er damit ersichtlich nicht getroffen und nicht treffen wollen. Der Senat vermag auch keine Notwendigkeit für die Geltung der einwöchigen Frist des § 311 Abs. 2 StPO zu erkennen, denn die hier in Rede stehende Materie des Kostenrechts erfordert gerade keine möglichst rasche Entscheidung, wie sie im Bereich des Strafverfahrensrecht in den mit § 311 StPO erfassten Fällen der sofortigen Beschwerde aus Gründen der Rechtssicherheit geboten ist (vgl. Karlsruher Kommentar-Engelhardt aaO. § 311 Rn 1).

In der Sache hat das Rechtsmittel teilweise Erfolg. Dem Beschwerdeführer ist beizustimmen, dass die zu erstattenden Gebühren für die anwaltliche Tätigkeit im Vorverfahren und für die Wahrnehmung des Fortsetzungstermins in der Hauptverhandlung mit den in dem angefochtenen Beschluss angesetzten Beträgen in Höhe von 410,00 DM bzw. 440,00 DM (zuzüglich Kostenpauschale und MwSt) zu knapp bemessen worden sind. Andererseits sind aber die mit Schriftsatz vom 8. Oktober 1999 beanspruchten Höchstsätze nicht gerechtfertigt.

Der Rechtsanwalt erhält gemäß § 83 Abs. 1 Nr. 2 BRAGO im Verfahren vor der großen Strafkammer in der Regel 120,00 DM bis 1.520,00 DM. Für die Tätigkeit außerhalb der Hauptverhandlung, insbesondere im vorbereitenden Verfahren, erhält der Anwalt gemäß § 84 Abs. 1 BRAGO die Hälfte der Gebühren des § 83 Abs. 1 BRAGO. Damit besteht insoweit ein Gebührenrahmen von 60,00 DM bis 760,00 DM. Für die Teilnahme an einer Fortsetzungsverhandlung sind dem Anwalt in den Fällen des § 83 Abs. 1 Nr. 2 BRAGO Gebühren in der Regel zwischen 120,--DM und 760,--DM zu vergüten (§ 83 Abs. 2 S. 1 BRAGO).

Nach § 12 Abs. 1 BRAGO bestimmt bei Rahmengebühren der Rechtsanwalt die Gebühr im Einzelfall unter Berücksichtigung aller Umstände, insbesondere der Bedeutung der Angelegenheit, des Umfangs und der Schwierigkeit der anwaltlichen Tätigkeit sowie der Vermögens- und Einkommensverhältnisse des Auftraggebers nach billigem Ermessen. Ist die Gebühr von einem Dritten zu ersetzen, ist die getroffene Bestimmung jedoch nicht verbindlich, wenn sie unbillig ist (§ 12 Abs. 1 S. 2 BRAGO). Dritter ist auch die Staatskasse, die gemäß § 467 Abs. 2 StPO dem Angeklagten bei Freispruch die Verteidigergebühr zu erstatten hat (Madert in Gerold/Schmidt/v. Eicken/Madert, BRAGO, 14. Auflage, § 12 Rn. 5). Im allgemeinen werden Abweichungen bis zu 20% im Verhältnis zu den angemessenen Gebühren noch als verbindlich angesehen (vgl. Hartmann, Kostengesetze, 29. Aufl., § 83 BRAGO Rn. 29 m.w.N.). Diese sog. "Toleranzgrenze" ist mit den vom Anwalt beanspruchten Höchstsätzen vorliegend überschritten.

Die angemessenen und daher dem Beschwerdeführer von der Staatskasse zu erstattenden Gebühren berechnen sich bei sachgerechter Gewichtung und Abwägung der nach § 12 Abs. 1 BRAGO maßgeblichen Gesichtspunkte wie folgt:

Angesichts seiner zahlreichen strafrechtlichen Vorbelastungen und der Erheblichkeit der Tatvorwürfe (angeklagt war u.a. eine versuchte schwere räuberische Erpressung, die gemäß §§ 253, 255, 250 Abs. 2 Nr. StGB im Falle der Vollendung regelmäßig mit Freiheitsstrafe nicht unter 5 Jahren zu ahnden ist) kam der Angelegenheit für den früheren Angeklagten, der zudem die Unterbringung in einer Entziehungsanstalt nach § 64 StGB fürchten mußte, eine hohe - auch bereits vom Bezirksrevisor des Landgerichts Aachen in seiner Stellungnahme vom 9. Februar 2000 zutreffend als überdurchschnittlich bewertete - Bedeutung zu.

Auch die Schwierigkeit der anwaltlichen Tätigkeit ist - insoweit abweichend vom Landgericht - als überdurchschnittlich zu bewerten. Zum einen stand nach dem vorbereitend eingeholten psychiatrischen Sachverständigengutachten die von der Verteidigung zu prüfende Frage der Maßregelanordnung nach § 64 StGB im Raum. Zum anderen bot der Sachverhalt angesichts des durchgängigen Bestreitens der angeklagten Raubtat im Hinblick auf die Sachaufklärung erhöhte tatsächliche Schwierigkeiten.

Über dem Durchschnitt lag ferner der Umfang der vom Verteidiger - insbesondere im Stadium der Ermittlungen - entfalteten Tätigkeit. Die in der Beschwerdeschrift im einzelnen dargetanen Betreuungs- und Beratungsleistungen lagen gemessen an den innerhalb des regelmäßigen Gebührenrahmens geltenden Maßstäben bereits oberhalb der im Regelfall zu erbringenden anwaltlichen Mühewaltung. Sie sind schon im landgerichtlichen Festsetzungsverfahren vom Bezirksrevisor zutreffend mit "gut durchschnittlich" bewertet worden.

Dagegen fallen die - unterstellt - unterdurchschnittlichen Einkommens- und Vermögensverhältnisse des Verurteilten gegenüber den die Erhöhung der Mittelgebühren rechtfertigenden Gesichtspunkten nicht sehr erheblich ins Gewicht.

Bei der gebotenen Gesamtabwägung hält der Senat im Ergebnis Gebühren für angemessen und ausreichend, welche bei 3/4 der Gebührenrahmen liegen. Die Beträge errechnen sich aus der jeweiligen Differenz zwischen Höchst- und Mindestgebühr (davon 75 %) zuzüglich der Mindestgebühr. Demnach sind eine Vorverfahrensgebühr nach §§ 84 Abs. 1, 83 Abs. 1 Nr. 2 BRAGO i. H. v. 585,00 DM und eine Gebühr nach § 83 Abs. 2 von 600,00 DM zu erstatten.

Die Festsetzung von darüber hinaus gehenden Gebühren ist - auch bei Berücksichtigung der in der Beschwerde vorgetragenen Argumente - nicht gerechtfertigt. Die Betreuung des suchtkranken Mandanten in der Untersuchungshaft - auch über einen Zeitraum von sechs Monaten hinweg - und das Führen eines Schriftverkehrs im Zusammenhang mit der Methadonsubstitution bedeuten - wie oben dargelegt - zwar einen überdurchschnittlichen Aufwand, dieser bewegt sich aber insgesamt noch im Rahmen der üblichen Anforderungen an die anwaltliche Tätigkeit. Auch stellen eine gewisse psychologische Hilfestellung im Vorfeld der Hauptverhandlung, ohne dass Einzelheiten zu Ausmaß und Intensität der Tätigkeit bekannt sind, die Teilnahme an einer Haftprüfung und vom Verteidiger geführte Gespräche mit Angehörigen noch keinen so außergewöhnlichen Aufwand dar, dass dieser in der Gesamtabwägung zur Bewilligung der Höchstgebühren führen müsste.

Soweit man schließlich den Vortrag in der Beschwerdeschrift in dem Sinne auslegt, dass der Beschwerdeführer eine Erweiterung der Gebührenrahmen auf der Grundlage des § 83 Abs. 3 BRAGO für erforderlich hält, ist eine - weitere - Anhebung der Gebühren auch auf diesem Wege nicht gerechtfertigt. Nach der Vorschrift kann eine Überschreitung der Regelsätze - auch bezüglich der Gebühr für die Tätigkeit außerhalb der Hauptverhandlung - um bis zu 25% gerechtfertigt sein, wenn der Beschuldigte sich nicht auf freiem Fuße befindet und der Gebührenrahmen des Abs. 1 deshalb nicht ausreicht, um die gesamte Tätigkeit des Rechtsanwalts angemessen zu entgelten. Eine Erhöhung kommt nach dieser Regelung aber nur in Ausnahmefällen, nämlich dann in Betracht, wenn sämtliche im Rahmen der Abwägung nach § 12 Abs. 1 BRAGO zu beachtenden Gesichtspunkte immer noch zu einer unangemessen niedrigen Vergütung führen würden (Hartmann aaO. § 83 BRAGO Rn. 29). Maßgebliche Kriterien sind in diesem Zusammenhang besonders erschwerende Haft- und Unterbringungsbedingungen, Schwierigkeiten der Verständigung mit dem Mandanten oder außergewöhnlich schwierige anwaltliche Maßnahmen wie Anträge oder Prüfungen, schließlich auch die Dauer der Untersuchungshaft. An diesen Maßstäben gemessen kann - wie oben dargelegt - ein so außergewöhnlicher Aufwand nicht festgestellt werden, dass im normalen Gebührenrahmen des § 83 Abs. 1 BRAGO eine angemessene Vergütung nicht mehr gefunden werden könnte.

In Verbindung mit den weiteren vom Landgericht festgesetzten Gebühren, gegen die sich die Beschwerde nicht wendet und die wegen des im Rahmen des § 464 b StPO zu beachtenden Verschlechterungsverbots (vgl. SenatsE vom 24. Oktober 1983 - 2 Ws 466/83 - in: OLGSt § 86 BRAGO Nr. 2; Karlsruher Kommentar-Schimansky, StPO, 4. Auflage, § 464 b Rdnr. 4 m.w.N.) daher nicht zu Lasten des Beschwerdeführers abzuändern sind, errechnet sich der festzusetzende Betrag insgesamt wie folgt:

Vorverfahrensgebühr gemäß §§ 84 Abs. 1

Satz 1, 83 Abs. 1 Nr. 2 BRAGO 585,00 DM

Hauptverhandlungsgebühr gemäß § 83 Abs. 1

Nr. 2 BRAGO 1.520,00 DM

Gebühr für Fortsetzungstermin (§ 83 Abs. 2 BRAGO) 600,00 DM

Posttelefon (pauschal) 30,00 DM

Schreibauslagen 51,50 DM

2.786,50 DM

zuzüglich 16% MwSt 445,84 DM

3.232,34 DM

davon nach dem Urteilstenor 3/4 zu erstatten 2.424,25 DM

Die Kostenentscheidung folgt aus § 467 Abs. 1 StPO analog, denn es handelt sich um ein teilweise erfolgreiches Rechtsmittel des Verurteilten.

Der Beschwerdewert ist festzusetzen, weil die Gebühren für das Beschwerdeverfahren nach der Tabelle der Anlage 1 zu § 11 Abs. 1 GKG berechnet werden (Nr. 6702 KV GKG). Er errechnet sich aus der Differenz zwischen dem erstinstanzlich festgesetzten und den mit der Erinnerung noch geltend gemachten Betrag.






OLG Köln:
Beschluss v. 17.03.2000
Az: 2 Ws 146/00


Link zum Urteil:
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