Bundesgerichtshof:
Beschluss vom 12. Juli 2010
Aktenzeichen: AnwZ (B) 76/09

(BGH: Beschluss v. 12.07.2010, Az.: AnwZ (B) 76/09)

Tenor

Die sofortige Beschwerde des Antragstellers gegen den Beschluss des 2. Senats des Niedersächsischen Anwaltsgerichtshofs vom 11. Juni 2009 wird zurückgewiesen.

Der Antragsteller hat die Kosten des Beschwerdeverfahrens zu tragen und der Antragsgegnerin die ihr im Beschwerdeverfahren entstandenen notwendigen außergerichtlichen Auslagen zu erstatten.

Der Geschäftswert für das Beschwerdeverfahren wird auf 50.000 € festgesetzt.

Gründe

I.

Der Antragsteller ist seit 1996 im Bezirk der Antragsgegnerin als Rechtsanwalt zugelassen. Im März 2005 leitete die Staatsanwaltschaft gegen den Antragsteller ein Ermittlungsverfahren wegen Verdachts der Untreue auf Grund von Unregelmäßigkeiten bei einer Testamentsvollstreckung ein, die der Antragsteller übernommen hatte. Die Ermittlungen führten zu einem Strafverfahren vor dem Amtsgericht - Schöffengericht - G. , das noch nicht abgeschlossen ist. Am 15. März 2007 gab der Antragsteller die eidesstattliche Versicherung ab, weil er vier gegen ihn betriebene Forderungen mit Beträgen von 280 € bis 1.317,04 € mangels ausreichender Einkünfte nicht bezahlen konnte. Mit Bescheid vom 5. Juni 2007 widerrief die Antragsgegnerin die Zulassung des Antragstellers zur Rechtsanwaltschaft. Den Antrag des Antragstellers auf gerichtliche Entscheidung hat der Anwaltsgerichtshof zurückgewiesen. Dagegen wendet sich der Antragsteller mit der sofortigen Beschwerde, deren Zurückweisung die Antragsgegnerin beantragt.

II.

Das nach § 215 Abs. 3 BRAO i.V.m. § 42 Abs. 1 Nr. 2, Abs. 4 BRAO a.F. zulässige Rechtsmittel bleibt ohne Erfolg.

1. Nach § 14 Abs. 2 Nr. 7 BRAO ist die Zulassung zur Rechtsanwaltschaft zu widerrufen, wenn der Rechtsanwalt in Vermögensverfall geraten ist, es sei denn, dass dadurch die Interessen der Rechtsuchenden nicht gefährdet sind. Ein Vermögensverfall ist gegeben, wenn der Rechtsanwalt in ungeordnete, schlechte finanzielle Verhältnisse geraten ist, die er in absehbarer Zeit nicht ordnen kann, und außer Stande ist, seinen Verpflichtungen nachzukommen. Beweisanzeichen hierfür sind insbesondere die Erwirkung von Schuldtiteln und Vollstreckungsmaßnahmen gegen ihn (st. Rspr.; vgl. Senat, Beschl. v. 25. März 1991, AnwZ (B) 73/90, BRAK-Mitt. 1991, 102; Beschl. v. 21. November 1994, AnwZ (B) 40/94, BRAK-Mitt. 1995, 126; Beschl. v. 26. November 2002, AnwZ (B) 18/01, NJW 2003, 577). Wird der Rechtsanwalt in das von dem Vollstreckungsgericht nach § 915 ZPO geführten Schuldnerverzeichnis eingetragen, wird der Vermögensverfall gesetzlich vermutet.

2. Diese Voraussetzungen lagen bei Erlass des Widerrufsbescheids vor.

a) Zu diesem Zeitpunkt hatte der Antragsteller wegen vier verhältnismäßig geringfügiger Verbindlichkeiten die eidesstattliche Versicherung abgegeben. Vermögensverfall wurde deshalb bei ihm gesetzlich vermutet. Diese Vermutung hatte der Antragsteller nicht widerlegt. Aus der eidesstattlichen Versicherung ergab sich im Gegenteil, dass der Vermögensverfall vorlag. Danach variierten die Einkünfte des Antragstellers von Monat zu Monat. Sie betrugen nicht mehr als geschätzte 500 € netto im Monat und erlaubten dem Antragsteller nicht, seine Schulden zu bezahlen. Sein Girokonto befand sich seinerzeit mit 9.581 € im Soll. An Vermögen hatte er nur einen 1/8 Anteil an dem von ihm und seiner Mutter bewohnten Hausgrundstück und angebliche Außenstände von 5.200 €. Zu der Werthaltigkeit dieser Vermögenswerte hatte der Antragsteller keine Angaben gemacht. Anhaltspunkte dafür, dass sie zur Schuldentilgung in Betracht kamen, bestanden nicht.

b) Wie der Bestimmung des § 14 Abs. 2 Nr. 7 BRAO zu entnehmen ist, geht der Gesetzgeber davon aus, dass die Interessen der Rechtsuchenden gefährdet sind, wenn sich der Rechtsanwalt in Vermögensverfall befindet (Senat, Beschl. v. 31. März 2008, AnwZ (B) 33/07, juris). Das ist in der Regel auch der Fall, insbesondere im Hinblick auf den Umgang des Rechtsanwalts mit Fremdgeldern und den darauf möglichen Zugriff von Gläubigern (Senat, Beschl. v. 18. Oktober 2004, AnwZ (B) 43/03, NJW 2005, 511). Anhaltspunkte dafür, dass das hier bei Erlass des Widerrufsbescheids ausnahmsweise nicht der Fall war, sind nicht ersichtlich. Die Unregelmäßigkeiten bei der Testamentsvollstreckung, die zu einer Anklage wegen Untreue gegen den Antragsteller führten, belegen im Gegenteil, dass sich die Gefährdung bereits realisiert hatte.

3. Die Voraussetzungen für den Widerruf der Zulassung des Antragstellers sind, was zu berücksichtigen wäre (Senat, BGHZ 75, 356, 357; 84, 149, 150), auch nicht im Verlaufe des gerichtlichen Verfahrens entfallen.

a) Der Antragsteller befindet sich nach wie vor in Vermögensverfall. Er hat zwar die ursprünglichen und zehn weitere, im Verlaufe des gerichtlichen Verfahrens vor dem Anwaltsgerichtshof bekannt gewordene Verbindlichkeiten mit Beträgen von 102,20 € bis 25.000 € zu einem Großteil erfüllen oder regeln können. Das belegt aber ebenso wie seine zwischenzeitlich erzielten Umsätze nicht, dass sich die Vermögensverhältnisse des Antragstellers inzwischen konsolidiert hätten. Sie haben sich im Gegenteil nachhaltig verschlechtert. Am 7. Oktober 2009 hat der Antragsteller erneut die eidesstattliche Versicherung abgegeben. Außerdem ist am 9. Dezember 2009 über sein Vermögen das Insolvenzverfahren eröffnet worden. Vermögensverfall wird bei dem Antragsteller deshalb weiterhin gesetzlich vermutet. Diese Vermutung hat der Antragsteller nicht widerlegt. Er hat nicht, wie geboten (dazu: Senat, Beschl. v. 25. März 1991, AnwZ (B) 80/90, NJW 1991, 2083; Beschl. v. 26. November 2009, AnwZ (B) 27/09, juris Rdn. 10), seine Vermögensverhältnisse umfassend dargelegt. Dass das Insolvenzverfahren in absehbarer Zeit beendet werden und damit geordnete Vermögensverhältnisse wiederhergestellt werden könnten, ist weder dargelegt noch sonst ersichtlich.

b) Die Interessen der Rechtsuchenden sind weiterhin gefährdet. Ihre Gefährdung entfällt nach der Rechtsprechung des Senats nicht schon durch die Insolvenzeröffnung und die damit verbundene Verfügungsbeschränkung des Insolvenzschuldners (Senat, Beschl. v. 25. Juni 2007, AnwZ (B) 101/05, NJW 2007, 2924, 2925, Rdn. 12; Beschl. v. 31. März 2008, AnwZ (B) 33/07, juris Rdn. 8). Vielmehr kann in aller Regel erst dann, wenn das Insolvenzverfahren zu einem Abschluss führt, bei dem mit einer Konsolidierung der Vermögensverhältnisse des Antragstellers gerechnet werden kann, davon ausgegangen werden, dass nicht nur der Vermögensverfall, sondern auch eine Gefährdung der Interessen der Rechtsuchenden nach dem Abschluss des Insolvenzverfahrens nicht mehr fortbesteht (Senat, Beschl. v. 25. Februar 2010, AnwZ (B) 81/07, juris, Rdn. 16). Daran fehlt es hier.

4. Der Senat konnte in Abwesenheit des Antragstellers verhandeln und entscheiden, da dieser seine behauptete Reise- und Verhandlungsunfähigkeit nicht hinreichend glaubhaft gemacht hat. Die vorgelegte Bescheinigung der Klinik und Poliklinik für Zahn-, Mund- und Kieferheilkunde G. vom 12. Juli 2010 genügt hierfür nicht. Die darin bezeichneten Befunde und Beschwerden wiegen, wie auch eine telefonische Erörterung mit dem untersuchenden Assistenzarzt ergeben hat, nicht so schwer, dass dem Antragsteller eine Anreise zum Termin unmöglich oder unzumutbar gewesen wäre. Dabei ist auch zu berücksichtigen, dass der Antragsteller schon mehrfach durch kurzfristig eingereichte ärztliche Atteste eine Terminsverlegung erwirkt hat, zuletzt vor dem Senat am 31. Mai 2010 wegen einer Gastroenteritis. Zudem hat er sein Rechtsmittel bis zuletzt allenfalls ansatzweise begründet und jedenfalls keine umfassende Übersicht über seine Einkommens- und Vermögensverhältnisse vorgelegt. Unter diesen Umständen ist nicht auszuschließen, dass der erneute Verlegungsan-

trag lediglich der Verfahrensverzögerung dient. Jedenfalls ist die geltend gemachte Reise- und Verhandlungsunfähigkeit nicht glaubhaft gemacht.

Tolksdorf Schmidt-Räntsch Fetzer Wüllrich Braeuer Vorinstanz:

AGH Celle, Entscheidung vom 11.06.2009 - AGH 15/07 -






BGH:
Beschluss v. 12.07.2010
Az: AnwZ (B) 76/09


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