Verwaltungsgericht Münster:
Urteil vom 27. Juni 2014
Aktenzeichen: 1 K 2729/13

(VG Münster: Urteil v. 27.06.2014, Az.: 1 K 2729/13)

Tenor

Der Bescheid des Finanzamts T. vom 28. 8. 2013 wird aufgehoben.

Der Beklagte wird verpflichtet, dem Kläger Auskunft über die durch die Insolvenzschuldnerin Firma T1. Dienstleistungen GmbH an den Beklagten im Zeitraum vom 1. 1. 2009 bis 31. 5. 2011 auf steuerliche Rückstände geleisteten Zahlungen und die von dem Beklagten gegenüber der Insolvenzschuldnerin durchgeführten Vollstreckungsmaßnahmen in diesem Zeitraum zu erteilen durch Herausgabe eines steuerlichen Kontoauszuges über diesen Zeitraum mit Angabe der jeweils fälligen steuerlichen Rückstände und der eingebuchten Mahn- und Vollstreckungskosten sowie einer Aufstellung der erledigten Kontopfändungen.

Der Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens.

Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar. Der Beklagte darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe des vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn nicht der Kläger vor der Vollstreckung in Höhe des jeweils zu vollstreckenden Betrags Sicherheit leistet.

Tatbestand

Der Kläger ist Insolvenzverwalter über das Vermögen der Firma T1. Dienstleistungen GmbH (Schuldnerin), über deren Vermögen durch Beschluss des Amtsgerichts - Insolvenzgericht - N. vom 11. 10. 2011 das Insolvenzverfahren eröffnet wurde. Nach dem Tod des ursprünglich als Insolvenzverwalter bestellten Rechtsanwalts wurde der Kläger mit Beschluss des Insolvenzgerichts vom 10. 9. 2012 zum neuen Insolvenzverwalter bestimmt. Die Schuldnerin ar bis zur Eröffnung des Insolvenzverfahrens bei dem Finanzamt T. geführt. Mit Schreiben vom 3. 7. 2013 machte der Kläger gegenüber dem Finanzamt T. Auskunftsansprüche geltend. Er begehrte dabei die Aufstellung von Zahlungen an den Beklagten im Zeitraum vom 1. 1. 2009 bis 31. 5. 2011 und bat um einen detaillierten steuerlichen Kontoauszug mit Angabe der jeweils fälligen steuerlichen Rückstände sowie der eingebuchten Mahn- und Vollstreckungskosten, ferner eine Aufstellung der erledigten Kontopfändungen. Auf ein Schreiben des Finanzamts T. vom 16. 7. 2013, man lehne die Auskunftserteilung ab, da der Kläger sich die gewünschten Informationen von der Schuldnerin oder der kontoführenden Bank mitteilen lassen könne, ergänzte der Kläger seinen Antrag mit Schreiben vom 22. 7. 2013 und führte aus, vom Geschäftsführer der Schuldnerin seien fruchtbare Informationen nicht zu erhalten, da bei Insolvenzeröffnung ein buchhalterisches Chaos vorgefunden worden sei. Die kontoführende Bank sei keine allgemein zugängliche Quelle.

Mit Bescheid vom 28. 8. 2013 lehnte das Finanzamt T. den Antrag des Klägers ab. Zur Begründung führte es aus, das Steuergeheimnis nach § 30 AO stehe der Auskunftserteilung entgegen. Der Kläger sei als Insolvenzverwalter Dritter im Sinne von § 30 AO, da er die Auskunft zur Ermittlung einer möglichen Anfechtung begehre. Auskünfte könnten ihm nicht erteilt werden, da er nicht die notwendige Befugnis zur Offenbarung steuerlicher Geheimnisse aufweise. Eine solche ergebe sich nicht aus seiner Stellung als Insolvenzverwalter. Die Übertragung der Verwaltungs- und Verfügungsbefugnisse ersetze nicht die Zustimmung zur Offenbarung als höchstpersönliches Recht der Schuldnerin und eine Zustimmung der Schuldnerin habe er nicht vorgelegt. Der Kläger als Insolvenzverwalter sei für die Vollständigkeit seiner Informationen allein verantwortlich. Er habe konkret nachzuweisen, welche Informationen ihm fehlten und könne nicht nur unter Hinweis auf das buchhalterische Chaos der Schuldnerin die gewünschten Auskünfte verlangen. Er müsse sich zudem die erwünschten Informationen zuerst aus allgemein zugänglichen Quellen beschaffen; zu diesen zähle auch die einzig kontoführende Bank der Schuldnerin.

Der Kläger hat am 5. 9. 2013 Klage erhoben. Er führt aus, ein Akteneinsichtsrecht ergebe sich aus § 4 IFG NRW. Die Anwendung des Informationsfreiheitsgesetzes Nordrhein-Westfalen sei nicht durch die Subsidiaritätsklausel des § 4 Abs. 2 IFG NRW ausgeschlossen. Weder die Insolvenzordnung noch die Abgabenordnung, insbesondere das Steuergeheimnis in § 30 AO, gingen dem Informationsanspruch nach dem Informationsfreiheitsgesetz Nordrhein-Westfalen vor. Sie wiesen keinen mit dem Informationsanspruch identischen Regelungsinhalt auf. Auch ständen die Ausschlussgründe der §§ 5 bis 9 IFG NRW unter Berücksichtigung des § 30 AO nicht entgegen. Das Steuergeheimnis aus § 30 AO gehe dem geltend gemachten Informationsanspruch nicht vor, denn die in der Steuerakte enthaltenen Informationen unterlägen ihm als Insolvenzverwalter gegenüber keiner Geheimhaltungspflicht. Mit Eröffnung des Insolvenzverfahrens gehe die Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis über das Vermögen der Schuldnerin auf den Verwalter über und die Schuldnerin werde ihm gegenüber nach der Insolvenzordnung in jedem Fall auskunftspflichtig, so dass das Steuergeheimnis gar nicht berührt werde. § 5 Abs. 4 IFG NRW sei nicht berührt. Ihm lägen bislang nur lückenhafte Informationen vor, weitere Informationen aus allgemein zugänglichen Quellen seien nicht zu erhalten. Die kontoführende Bank sei keine allgemein zugängliche Quelle. Außerdem bestehe ein Wahlrecht seinerseits bezüglich seiner Informationsquellen. Auch behindere die Erteilung der Auskünfte nicht den Verfahrensablauf eines anhängigen Verwaltungsverfahrens, insbesondere nicht den des Insolvenzverfahrens. Des weiteren könne der Beklagte den Antrag auch nicht wegen des Schutzes personenbezogener Daten ablehnen, da die begehrten Informationen keine personenbezogenen Daten seien, sondern Angaben über steuerliche Kontostände und Zahlungen einer juristischen Person.

Der Kläger beantragt,

den Bescheid des Finanzamts T. vom 28.08.2013 aufzuheben und die Beklagte zu verpflichten, ihm Auskunft über die durch die Insolvenzschuldnerin Firma T1. Dienstleistungen GmbH an den Beklagten im Zeitraum vom 1. 1. 2009 bis 31. 5. 2011 auf steuerliche Rückstände geleisteten Zahlungen und die von dem Beklagten gegenüber der Insolvenzschuldnerin durchgeführten Vollstreckungsmaßnahmen in diesem Zeitraum zu erteilen durch Herausgabe eines steuerlichen Kontoauszuges über diesen Zeitraum mit Angabe der jeweils fälligen steuerlichen Rückstände und der eingebuchten Mahn- und Vollstreckungskosten sowie einer Aufstellung der erledigten Kontopfändungen.

Der Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Er vertieft sein Vorbringen aus dem Ablehnungsbescheid vom 28. 8. 2013 und führt aus, neben den Ausnahmetatbeständen des IFG NRW stehe das Steuergeheimnis aus § 30 AO dem Begehren entgegen. § 30 AO sei ein eigenständiger Ausschlussgrund, der nicht im Rahmen des § 9 IFG NRW zu prüfen sei. Das Steuergeheimnis gehe vielmehr als bundesrechtliche Regelung im Sinne des Art. 31 GG den Regelungen der §§ 6 ff. IFG NRW vor. Das Steuergeheimnis verbiete in diesem Fall die Preisgabe der Informationen, da keine entsprechende Befugnis des Klägers zur Offenbarung vorliege. Die Offenbarungsgründe seien in § 30 Abs. 4 bis 6 AO abschließend geregelt. Eine Abwägung, ob die dem Steuergeheimnis unterliegenden Informationen auch dem Kläger gegenüber geheimhaltungsbedürftig seien, reiche für eine Offenbarungsbefugnis nicht aus. Das Finanzamt sei zur Offenbarung nach § 30 Abs. 4 Nr. 1 AO nur befugt, wenn der Kläger als steuerlicher Vertreter handle, was bei einer Auskunft zur Vorbereitung einer möglichen Insolvenzanfechtung nicht der Fall sei. Für die Anwendung von § 30 Abs. 4 Nr. 2 AO fehle es an einer ausdrücklich in einem Gesetz geregelten Zulassung der Offenbarung an den Insolvenzverwalter. Eine Zustimmung der Schuldnerin als Betroffene nach § 30 Abs. 4 Nr. 3 AO liege auch nicht vor. Der Kläger als Insolvenzverwalter sei nicht befugt, die Zustimmung anstelle der Schuldnerin abzugeben, da die Auskunftspflicht des Schuldners gegenüber dem Verwalter nach der Insolvenzordnung die ausdrückliche Zustimmung im Rahmen der Offenbarung nicht ersetzen könne. Diese Auskunftspflicht betreffe nur das Innenverhältnis des Schuldners zum Insolvenzverwalter. Der Finanzverwaltung könne nicht die Aufgabe - und damit im Hinblick auf § 355 StGB das Risiko - auferlegt werden zu beurteilen, ob bzw. inwieweit die gewünschten Auskünfte ggf. insolvenzfreies Vermögen beträfen. Dementsprechend bestehe auch nach Ziffer 4.5 des Anwendungserlasses des Bundesministeriums der Finanzen vom 31. 1. 2014 zu § 251 AO ein Auskunftsanspruch des Insolvenzverwalters nach den Informationsfreiheitsgesetzen nur, wenn der Schuldner zustimme. Soweit über die Verhältnisse der Insolvenzschuldnerin hinaus durch das Begehren Auskünfte über Verhältnisse von dritten natürlichen oder juristischen Personen verlangt würden, stehe ebenfalls der Schutzbereich des § 30 AO und auch § 9 IFG NRW entgegen.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstands wird auf den Inhalt der Gerichtsakte sowie der beigezogenen Verwaltungsvorgänge des Beklagten Bezug genommen.

Gründe

Die Klage hat Erfolg.

Sie ist zulässig, insbesondere ist für den auf § 4 IFG NRW gestützten und außerhalb des Steuerrechtsverhältnisses geltend gemachten Auskunftsanspruch mangels abdrängender Sonderzuweisung zu den Finanzgerichten (§ 33 Abs. 1 Nr. 1 FGO) der Verwaltungsrechtsweg nach § 40 Abs. 1 Satz 1 VwGO eröffnet. Die Zuordnung ist nach der Natur der Vorschriften zu bestimmen, aus denen sich die behördliche Auskunftspflicht ergeben kann, nicht nach dem Gegenstand der Auskunft.

Vgl. BVerwG, Beschluss vom 15. 10. 2012 - 7 B 2.12 -, juris, Rdn. 13 ff.; BFH, Beschluss vom 8. 1. 2013 - VII ER-S 1/12 -, juris, Rdn. 1.

Die Klage ist auch begründet. Der ablehnende Bescheid des Finanzamts T. vom 28. 8. 2013 ist rechtswidrig und verletzt den Kläger in seinen Rechten, denn dem Kläger steht der geltend gemachte Anspruch auf Erteilung der begehrten steuerlichen Auskünfte zu (vgl. § 113 Abs. 5 Satz 1 VwGO).

Der Anspruch des Klägers folgt aus § 4 Abs. 1 IFG NRW. Danach hat jede natürliche Person gegenüber den in § 2 IFG NRW genannten Stellen einen Anspruch auf Zugang zu den bei der Stelle vorhandenen amtlichen Informationen nach Maßgabe des Informationsfreiheitsgesetzes Nordrhein-Westfalen.

Die tatbestandlichen Voraussetzungen des § 4 Abs. 1 IFG NRW sind erfüllt. Der Kläger ist anspruchsberechtigt. Er wird in seiner Eigenschaft als Insolvenzverwalter als natürliche Person tätig und nimmt seine Aufgaben als Partei kraft Amtes wahr.

Vgl. OVG NRW, Beschluss vom 28. 7. 2008 - 8 A 1548/07 -, juris.

Das Finanzamt T. ist passivlegitimiert. Es ist untere Landesbehörde im Sinne des § 9 Abs. 2 des Landesorganisationsgesetzes Nordrhein-Westfalen (LOG NRW) und daher öffentliche Stelle bzw. Behörde im Sinne des § 2 Abs. 1 IFG NRW.

Die begehrten Informationen (Zahlungen an den Beklagten durch die Insolvenzschuldnerin, detaillierte Kontoauszüge mit Angaben über steuerliche Rückstände, Mahn- und Vollstreckungskosten) sind bei dem Finanzamt vorhanden und wurden im dienstlichen Zusammenhang erlangt (vgl. § 3 IFG NRW). Die Vertreter des Beklagten haben in der mündlichen Verhandlung erklärt, dass auch die Daten für die begehrte Aufstellung der erledigten Kontopfändungen beim Finanzamt vorhanden sind und es allenfalls einer rein technischen Aufbereitung oder Wiederherstellung bedarf, eine Neuherstellung mithin nicht erforderlich ist.

Der Antrag des Klägers ist zudem hinreichend bestimmt im Sinne von § 5 Abs. 1 Satz 3 IFG NRW. Er lässt erkennen, welche Informationen genau der Kläger von dem Beklagten begehrt, nämlich Auskunft über die Zahlungen an den Beklagten im Zeitraum vom 1. 1. 2009 bis 31. 5. 2011 sowie über getätigte Vollstreckungsmaßnahmen.

Die Anwendung des § 4 Abs. 1 IFG NRW ist nicht durch die Subsidiaritätsklausel des § 4 Abs. 2 Satz 1 IFG NRW ausgeschlossen. Danach gehen besondere Rechtsvorschriften über den Zugang zu amtlichen Informationen, die Auskunftserteilung oder die Gewährung von Akteneinsicht, soweit sie bestehen, den Vorschriften des Informationsfreiheitsgesetzes Nordrhein-Westfalen vor. Darunter sind bereichsspezifische Gesetze des Bundes oder des Landes zu verstehen, die einen Informationsanspruch abschließend - identisch oder abweichend - regeln. Konkurrenzfragen sind in jedem konkreten Einzelfall durch eine systematische, an Sinn und Zweck des Gesetzes orientierte Auslegung der jeweiligen Informationszugangsrechte zu klären. Eine Vorrangigkeit im Sinne einer Ausschließlichkeit ist nur dort anzunehmen, wo die jeweiligen Rechte die gleichen Anliegen verfolgen und/oder identische Zielgruppen erfassen, also einen sachlich bzw. persönlich identischen Regelungsgehalt aufweisen.

OVG NRW, Beschluss vom 31. 1. 2005 - 21 E 1487/04 -, juris, Rdn. 16, und Urteil vom 15. 6. 2011 - 8 A 1150/10 -, juris, Rdn. 29.

Die auf das Insolvenzverfahren bezogenen Vorschriften über Auskunftsansprüche nach §§ 97, 101 InsO bzw. § 242 BGB weisen keinen mit dem Informationsfreiheitsgesetz Nordrhein-Westfalen identischen sachlichen Regelungsgehalt auf. Sie regeln nicht den Zugang zu amtlichen Informationen gegenüber den Behörden des Landes, sondern betreffen die privatrechtlichen Rechtsverhältnisse im Insolvenzverfahren und Informationsansprüche der Beteiligten untereinander. Diesen Vorschriften kommt auch dann kein mit dem Informationsfreiheitsgesetz Nordrhein-Westfalen identischer Regelungsgehalt zu, wenn im Einzelfall eine juristische Person des öffentlichen Rechts Insolvenzgläubiger und folglich auskunftspflichtiger Verfahrensbeteiligter eines Insolvenzverfahrens ist.

Vgl. BVerwG, Beschluss vom 9. 11. 2010 - 7 B 43.10 -, juris, Rdn. 8; OVG NRW, Urteil vom 15. 6. 2011 - 8 A 1150/10 -, juris, Rdn. 34.

Die Abgabenordnung beinhaltet ebenfalls keine bereichsspezifische Ausschlussregelung. Weder der dortigen Nichtregelung eines Akteneinsichtsrechts noch der Normierung des Steuergeheimnisses kommt die Wirkung einer bereichsspezifischen Ausschlussregelung i. S. d. § 4 Abs. 2 Satz 1 IFG NRW zu. Eine (etwaige) "absichtsvolle Nichtregelung" des Akteneinsichtsrechts erfasst nur das Verhältnis zwischen dem Steuerschuldner und der Finanzbehörde, betrifft aber nicht den Informationsanspruch des nicht am steuerlichen Verwaltungsverfahren beteiligten Dritten.

Vgl. BVerwG, Beschluss vom 14. 5. 2012 - 7 B 53.11 -, juris, Rdn. 7 ff.; OVG NRW, Urteil vom 15. 6. 2011 - 8 A 1150/10 -, juris, Rdn. 36 ff.; a. A. für das Besteuerungsverfahren FG N. , Urteil vom 28. 3. 2012 - 6 K 4441/10 AO -, juris, Rdn. 43.

Der Kläger ist als Insolvenzverwalter vorliegend nicht am steuerlichen Verwaltungsverfahren unmittelbar beteiligt, sondern insoweit Dritter.

Vgl. OVG NRW, Urteil vom 15. 6. 2011 - 8 A 1150/10 -, juris, Rdn. 63.

Auch das Steuergeheimnis aus § 30 AO geht einem Informationsanspruch des Klägers nicht gemäß § 4 Abs. 2 Satz 1 IFG NRW vor. Dies folgt bereits daraus, dass § 30 AO keine Regelungen über den Zugang zu amtlichen Informationen enthält. Diese Geheimhaltungsvorschrift geht zwar als bereichsspezifische Regelung den Informationsfreiheitsgesetzen des Bundes und der Länder vor, soweit sie regelt, welche Daten dem Steuergeheimnis unterliegen und unter welchen Voraussetzungen diese Daten offenbart, verwertet oder im automatisierten Verfahren abgerufen werden dürfen. § 30 AO erfasst aber ausschließlich Fragen des Steuergeheimnisses. Die Regelung betrifft nur die Geheimhaltungspflicht des Amtsträgers sowie die Offenbarung von Steuerdaten gegenüber Dritten. Über einen Anspruch des Steuerpflichtigen, seines Vertreters oder eines Dritten gegenüber einer Finanzbehörde auf Mitteilung der über ihn gespeicherten Daten sagt die Vorschrift dagegen nichts aus. § 30 AO regelt nicht den Zugang zu amtlichen Informationen, sondern dessen Begrenzung. Die Bestimmungen in § 30 AO mögen daher im Einzelfall dem Anspruch auf Informationszugang entgegenstehen und im Rahmen der Ausschlussgründe zu prüfen sein, sie sind aber keine "besonderen Rechtsvorschriften" über den Zugang selbst.

OVG NRW, Urteil vom 15. 6. 2011 - 8 A 1550/10 -, juris, Rdn. 70 ff.; VG N. , Urteil vom 13. 9. 2013 - 1 K 3312/12 -, juris, Rdn. 19; Schoch, IFG, Kommentar, 2009, § 1 IFG, Rdn. 200.

Der Informationszugangsanspruch des Klägers ist auch nicht gemäß §§ 5 ff. IFG NRW ausgeschlossen.

§ 5 Abs. 4 IFG NRW steht dem Auskunftsanspruch des Klägers nicht entgegen. Danach kann der Antrag abgelehnt werden, wenn die Information dem Antragsteller bereits zur Verfügung gestellt worden ist oder wenn sich der Antragsteller die Information in zumutbarer Weise aus allgemein zugänglichen Quellen beschaffen kann. Davon, dass dem Kläger im Sinne der ersten Alternative der Vorschrift die begehrten Informationen tatsächlich bereits zur Verfügung stehen, kann nicht ausgegangen werden. Der Kläger hat plausibel dargelegt, dass ihm die begehrten Informationen nicht - jedenfalls nicht vollständig - zur Verfügung stehen, da die Insolvenzschuldnerin nur über unvollständige Kontoführungsunterlagen eines ehemaligen Geschäftskontos und ein lückenhaftes Belegwesen verfügt und die Auskünfte des Geschäftsführers der Schuldnerin unergiebig waren. Außerdem obliegt es dem Beklagten, konkret darzulegen und durch Beibringen von Tatsachen zu belegen, dass der Kläger bereits Kenntnis von der begehrten Information besitzt, wenn er den grundsätzlich freien und voraussetzungslosen Informationszugang beschränken will.

Vgl. OVG Rh.-Pf., Urteil vom 23. 4. 2010 - 10 A 10091/10 -, juris, Rdn. 34.

Eine Informationsgewinnung aus allgemein zugänglichen Quellen war ebenfalls nicht möglich. Die kontoführende Bank ist keine allgemein zugängliche Quelle.

Vgl. VG Gelsenkirchen, Urteil vom 16. 9. 2010 - 17 K 1616/09 -, juris, Rdn. 36 ff.; vgl. wohl auch OVG NRW, Urteil vom 15. 6. 2011 - 8 A 1150/10 -, juris, Rdn. 84 ff.

Mit dieser Begrifflichkeit knüpft § 5 Abs. 4 IFG NRW an die Formulierung in Art. 5 Abs. 1 Satz 1 2. Fall GG an. Die dortige Begriffsbestimmung kann daher bei der Auslegung des § 5 Abs. 4 IFG NRW Berücksichtigung finden.

Vgl. Schoch, IFG, Kommentar, 2009, § 9 IFG, Rdn. 43 zur gleichlautenden Vorschrift im IFG.

Danach ist eine Quelle allgemein zugänglich, wenn sie technisch geeignet und bestimmt ist, der Allgemeinheit, also einem individuell nicht bestimmbaren Personenkreis, Informationen zu verschaffen.

BVerfG, Beschluss vom 3. 10. 1969 - 1 BvR 46/65 -, BVerfGE 27, 71 (83).

Es muss sich also um eine für jeden zugängliche Quelle wie für jeden zugängliche Bibliotheken, Tagespresse, amtliche Mitteilungs- oder Verordnungsblätter oder das Internet handeln.

Vgl. Franßen/Seidel, Das Informationsfreiheitsgesetz Nordrhein-Westfalen, 2007, Rdn. 653.

Davon kann bei einer Bank keine Rede sein. Aufgrund des - gewohnheitsrechtlich anerkannten - Bankgeheimnisses sind Banken nicht befugt und insbesondere nicht dazu bestimmt, der Allgemeinheit Informationen über Kontobewegungen zu erteilen. Das Bankgeheimnis besteht in der Pflicht des Kreditinstituts zur Verschwiegenheit über kundenbezogene Tatsachen und Wertungen, die ihm aufgrund, aus Anlass oder im Rahmen der Geschäftsverbindung zum Kunden bekannt geworden sind und die der Kunde geheim zu halten wünscht. Die Verpflichtung zur Wahrung des Bankgeheimnisses ist eine besondere Ausprägung der allgemeinen Pflicht der Bank, die Vermögensinteressen des Vertragspartners zu schützen und nicht zu beeinträchtigen.

Vgl. BGH, Urteile vom 27. 2. 2007 - XI ZR 195/05 -, juris, Rdn. 17, und vom 24. 1. 2006 - XI ZR 384/03 -, juris, Rdn. 38 m. w. N.; VG Düsseldorf, Urteil vom 6. 7. 2012 - 26 K 4363/11 -, juris, Rdn. 14 ff.

Ist nun die Bank keine allgemein zugängliche Quelle, so bleibt es mithin dem Kläger überlassen, auf welche Weise er sich Zugang zu den benötigten Informationen verschaffen will, da nach § 5 Abs. 4 IFG NRW ausdrücklich nur die Verfügbarkeit der Information aus allgemein zugänglichen Quellen einem Informationsanspruch entgegensteht, nicht aber aus anderen nicht öffentlichen Quellen.

Vgl. VG Gelsenkirchen, Urteil vom 16. 9. 2010 -17 K 1616/09 -, juris, Rdn. 40.

Die Frage, ob das Steuergeheimnis in § 30 AO ein eigenständiger Ausschlussgrund ist, der als bundesrechtliche Regelung nach Art. 31 GG den Regelungen der §§ 6 ff. IFG NRW vorgeht, wie der Beklagte meint, oder ob das Steuergeheimnis nur im Rahmen von § 9 IFG NRW Berücksichtigung findet, bedarf hier keiner Entscheidung. Jedenfalls schließt das Steuergeheimnis nicht den Informationsanspruch des Klägers aus § 4 Abs. 1 IFG NRW aus. Das erkennende Gericht schließt sich der Auffassung des Oberverwaltungsgerichts für das Land Nordrhein-Westfalen an, dass das Steuergeheimnis gegenüber einem im Interesse der Gläubigergesamtheit tätigen Insolvenzverwalter keine Anwendung findet.

Mit der Weitergabe von Steuerdaten des Insolvenzschuldners ohne dessen Zustimmung (§ 30 Abs. 4 Nr. 3 AO) an den Insolvenzverwalter offenbart der für die Finanzverwaltung handelnde Amtsträger nicht im Sinne des § 30 Abs. 2 AO unbefugt Steuerdaten. Der Schutzzweck des § 30 AO ist gar nicht berührt, wenn dem Insolvenzverwalter des Steuerpflichtigen Zugang zu dessen Steuerdaten gewährt wird. Die in der Steuerakte des Schuldners enthaltenen Informationen unterliegen gegenüber dem Kläger als Insolvenzverwalter von vornherein keiner Geheimhaltungspflicht, so dass das Steuergeheimnis insoweit nicht verletzt wird. Denn mit der Eröffnung des Insolvenzverfahrens erlangt der Insolvenzverwalter die Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis über das zur Insolvenzmasse gehörende Vermögen (§ 80 Abs. 1 InsO) und hat gegenüber dem Insolvenzschuldner einen Anspruch auf Auskunft über alle das Verfahren betreffenden Verhältnisse (§ 97 Abs. 1 Satz 1 InsO). Dies umfasst alle Umstände, die für die Beurteilung von Gläubigerforderungen bedeutsam sein können. Der Schuldner ist damit dem Kläger gegenüber materiellrechtlich uneingeschränkt über alle Verhältnisse auskunftspflichtig, die das Insolvenzverfahren betreffen. Diese bundesrechtlichen Regelungen sollen verhindern, dass der über alle das Insolvenzverfahren betreffenden Verhältnisse in der Regel am besten informierte Insolvenzschuldner bzw. seine Organe und Angestellten durch Schweigen die Arbeit des Insolvenzverwalters unnötig erschweren und Gläubigeransprüche noch weiter gefährdet werden. Der Insolvenzverwalter soll sich über die wirtschaftlichen und rechtlichen Verhältnisse des Schuldners umfassend informieren können, um das Insolvenzverfahren im Hinblick auf die Gläubigerbefriedigung sachgerecht und effektiv durchführen zu können. Diesem Schutzzweck liefe es zuwider, wenn sich der Insolvenzschuldner bzw. im Fall seiner fehlenden Zustimmung zur Offenbarung seiner Steuerdaten das Finanzamt zum Nachteil der (anderen) Insolvenzgläubiger auf das Steuergeheimnis berufen könnte.

Vgl. OVG NRW, Urteil vom 15. 6. 2011 - 8 A 1150/10 -, juris, Rdn. 99; VG Köln, Urteil vom 27. 3. 2014 - 13 K 4636/13 -, S. 15 des Urteilsabdrucks; ebenso zum Sozialgeheimnis OVG Rh.-Pf., Urteile vom 12. 2. 2010 - 10 A 11156/09 -, juris, Rdn. 31, und 23. 4. 2010 - 10 A 10091/10 -, juris, Rdn. 30; VG Hamburg, Urteil vom 27. 8. 2010 - 7 K 619/09 -, juris, Rdn. 53 f.

Damit kommt es darauf, ob eine Zustimmung des Insolvenzschuldners eingeholt werden könnte oder durch die Zustimmung des Klägers ersetzt werden kann, nicht an.

Folglich steht dem Auskunftsanspruch auch nicht entgegen, dass die Offenbarung der Steuerdaten nicht durch § 80 Abs. 1, § 97 Abs. 1 Satz 1 InsO ausdrücklich zugelassen ist im Sinne des § 30 Abs. 4 Nr. 2 AO.

Der von dem Beklagten in der mündlichen Verhandlung erwähnte Anwendungserlass des Bundesministeriums der Finanzen vom 31. 1. 2014 zu § 251 AO (Gz. IV A 3 - S 0062/14/10002, BStBl. I 2014, 290), nach dessen Ziffer 4.5 ein Auskunftsanspruch des Insolvenzverwalters nach den Informationsfreiheitsgesetzen bestehe, wenn der Schuldners zustimme (§ 30 Abs. 4 Nr. 3 AO), führt zu keinem anderen Ergebnis. Diese Verwaltungsvorschrift bindet nur die Finanzbehörden im Innenverhältnis, nicht aber die Gerichte und die Bürger. Dies gilt insbesondere, wenn sie über ihren unmittelbar steuerverwaltungsrechtlichen Regelungsgehalt auch auf Verfahren nach dem Informationsfreiheitsgesetz Nordrhein-Westfalen angewendet werden sollte und ihr ein der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts widersprechender Aussagegehalt zugemessen würde, dass die Zustimmung des Schuldners insoweit unumgänglich sei. Darüber hinaus betrifft dieser Erlass das Verfahren nach § 251 AO. Gemäß § 251 Abs. 2 Satz 1 AO bleiben die Vorschriften der Insolvenzordnung aber unberührt.

Dass durch die begehrte Akteneinsicht weitergehende, dem Steuergeheimnis unterliegende Steuerdaten Dritter notwendigerweise offenbart würden, hat der Beklagte nicht nachvollziehbar vorgetragen. Der nicht näher substantiierte Hinweis, es seien auch Daten Dritter betroffen, nähere Ausführungen könnten aber aufgrund des Steuergeheimnisses nicht erfolgen, reicht für einen Ausschluss des Informationsanspruchs aufgrund der Geheimhaltungsvorschrift des § 30 AO nicht aus. Der Beklagte hätte wenigstens ausführen müssen, welche potentiellen Dritten betroffen sein könnten, damit der Kläger die Möglichkeit hat, die ggf. erforderlichen Zustimmungen der Betroffenen nach § 30 Abs. 4 Nr. 3 AO einzuholen. Würde schon der pauschale Hinweis der Drittbetroffenheit ausreichen, könnten Auskunftsansprüche grundsätzlich ohne nähere diesbezügliche Substantiierung abgelehnt werden. Dies widerspräche dem Willen des Gesetzgebers bei Einführung der Informationsfreiheitsgesetze, eine transparentere Verwaltung zu schaffen. Die Drittbetroffenheit ist auch nicht offensichtlich, da das Auskunftsbegehren nur Zahlungen der Schuldnerin an den Beklagten bzw. Vollstreckungsmaßnahmen in Form von Kontopfändungen gegenüber der Schuldnerin im fraglichen Zeitraum betrifft. In dem begehrten Kontoauszug soll nur eine Übersicht der Zahlungen an den Beklagten mit Angaben der steuerlichen Rückstände und eingebuchten Mahn- und Vollstreckungskosten aufgeführt werden, ferner begehrt der Kläger eine Auflistung der erledigten Kontopfändungen. Dies sind Informationen, welche die Schuldnerin betreffen und keine andere natürliche oder juristische Person. Insbesondere ist nicht erkennbar, inwiefern zusammenveranlagte Ehegatten bei Auskünften über die Schuldnerin als juristische Person betroffen sein sollten. Es ist auch nicht Aufgabe des Gerichts, nach potentiell betroffenen Dritten zu suchen, zumal ihm die Steuerakten der Schuldnerin nicht bekannt sind.

Der Anspruch ist auch nicht gemäß § 6 Satz 1 lit. b) IFG NRW ausgeschlossen. Danach ist der Antrag auf Informationszugang abzulehnen, soweit und solange durch die Bekanntgabe der Information der Verfahrensablauf eines anhängigen Verwaltungsverfahrens, eines Ordnungswidrigkeitenverfahrens, eines Disziplinarverfahrens oder der Erfolg einer bevorstehenden behördlichen Maßnahme erheblich beeinträchtigt würde. Eine drohende Beeinträchtigung eines anhängigen Verwaltungsverfahrens ist ebenso wenig geltend gemacht wie die eines anhängigen Gerichtsverfahrens. Eine Beeinträchtigung des Insolvenzverfahrens - - ist vorliegend nicht erkennbar. Ein Anfechtungsprozess ist noch nicht anhängig, sondern soll nach Angaben des Klägers durch die begehrten Auskünfte erst vorbereitet werden.

Der Beklagte kann den Zugang des Klägers zu den begehrten Informationen schließlich nicht nach § 9 Abs. 1 IFG NRW mit der Begründung ablehnen, durch die Bekanntgabe der begehrten Auskünfte würden personenbezogene Daten offenbart. Personenbezogene Daten sind in Anlehnung an die Definition in § 3 Abs. 1 DSG NRW und § 3 BDSG Einzelangaben über persönliche oder sachliche Verhältnisse einer bestimmten oder bestimmbaren natürlichen Person.

Vgl. Franßen/Seidel, Das Informationsfreiheitsgesetz Nordrhein-Westfalen, 2007, Rdn. 954 f.

Gegenstand des Auskunftsverlangens des Klägers sind keine personenbezogenen Daten, sondern Angaben über Kontostände bzw. Zahlungen einer - nicht unter die Definition fallenden - juristischen Person (der Schuldnerin) an den Beklagten, ohne dass damit eine Zuordnung zu bestimmten natürlichen Personen (Geschäftsführern oder Arbeitnehmern der Schuldnerin) verbunden ist.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO, die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit aus § 167 VwGO i. V. m. §§ 708 Nr. 11, 711 ZPO.

Die Voraussetzungen für eine Zulassung der Berufung nach §§ 124 a Abs. 1 Satz 1, 124 Abs. 2 Nr. 3 oder 4 VwGO liegen nicht vor. Insbesondere hat die Rechtssache keine grundsätzliche Bedeutung. Durch das Urteil des Oberverwaltungsgerichts für das Land Nordrhein-Westfalen vom 15. 6. 2011 - 8 A 1150/10 - und den Beschluss des Bundesverwaltungsgerichts vom 14. 5. 2012 - 7 B 53.11 - ist geklärt, dass § 30 AO einem außerhalb eines Besteuerungsverfahrens geltend gemachten Informationsrecht des Insolvenzverwalters nach § 4 Abs. 1 IFG NRW nicht entgegensteht.






VG Münster:
Urteil v. 27.06.2014
Az: 1 K 2729/13


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