Landesarbeitsgericht Hamm:
Beschluss vom 24. April 2006
Aktenzeichen: 13 Ta 178/06

(LAG Hamm: Beschluss v. 24.04.2006, Az.: 13 Ta 178/06)

Tenor

Auf die Beschwerde der Verfahrensbevollmächtigten des Betriebsrats wird der Beschluss des Arbeitsgerichts Gelsenkirchen vom 02.03.2006 - 1 (5) BV 20/05 - teilweise abgeändert.

Der Wert des Gegenstandes der anwaltlichen Tätigkeit wird auf 8.000,00 € festgesetzt.

Gründe

I.

Im Ausgangsverfahren hat der Betriebsrat letztlich von der Arbeitgeberin verlangt, es zu unterlassen, bis zum Abschluss von Verhandlungen über einen Interessenausgleich die Arbeitsplätze von 20 Arbeitnehmern mit Fahrerlaubnisklasse 3 abzubauen. Das Beschussverfahren wurde für erledigt erklärt.

Auf Antrag der Verfahrensbevollmächtigten des Betriebsrats hat das Arbeitsgericht durch Beschluss vom 02.03.2006 den Gegenstandswert auf 4.000,00 € festgesetzt.

Gegen diesen ihnen am 08.03.2006 zugestellten Beschluss haben die Verfahrensbevollmächtigten des Betriebsrats am 14.03.2006 Beschwerde eingelegt und an ihrem mit Schriftsatz vom 10.02.2006 gestellten Begehren festgehalten, den Gegenstandswert auf 8.000,00 € festzusetzen.

Das Arbeitsgericht hat der Beschwerde nicht abgeholfen.

II.

Die Beschwerde der Verfahrensbevollmächtigten des Betriebsrats ist zulässig und begründet (§ 33 RVG).

Bei der Bemessung des Gegenstandswertes ist von § 23 Abs. 3 Satz 2 2. Halbsatz RVG auszugehen. Danach ist der Gegenstandswert auf 4.000,00 €, je nach Lage des Falles aber auch niedriger oder höher bis zu 500.000,00 € anzunehmen, sofern es sich um nichtvermögensrechtliche Gegenstände handelt. Hiervon ist im arbeitsgerichtlichen Beschlussverfahren immer dann auszugehen, wenn um das Bestehen und die Beachtung betriebsverfassungsrechtlicher Beteiligungsrechte gestritten wird, weil die Begehren weder auf Geld noch auf eine geldwerte Leistung gerichtet sind und auch ihre Grundlage nicht in einem Verhältnis haben, dem ein Vermögenswert zukommt (BAG NZA 2005, 70; LAG Hamm LAGE Nr. 50 zu § 8 BRAGO; GK-ArbGG/Wenzel, § 12 Rn. 213).

I.

Vorliegend haben die Beteiligten darum gestritten, ob im Rahmen des § 111 BetrVG die Beteiligungsrechte des Betriebsrats gewahrt worden sind; folglich handelt es sich um eine nichtvermögensrechtliche Streitigkeit.

II.

Die danach einschlägige Auffangvorschrift des § 23 Abs. 3 Satz 2 2. Halbsatz RVG mit ihrem außerordentlich weiten Bewertungsrahmen und dem Hilfswert in Höhe von derzeit 4.000,00 € stellt die Rechtsprechung vor die Aufgabe, die im Beschlussverfahren in Frage kommenden Streitgegenstände in ein Bewertungssystem einzubinden, das falladäquate Abstufungen zulässt und zugleich tragenden Grundsätzen des Arbeitsgerichtsprozesses ausreichend Rechnung trägt; erforderlich ist die Herausarbeitung typisierender Bewertungsgrundsätze, um zu einer gleichförmigen und damit den Gleichbehandlungsgrundsatz wahrenden Rechtsanwendung zu gelangen (LAG Hamm EzA Nr. 70 zu § 12 ArbGG 1979 Streitwert; Schneider, Anm. zu BAG EzA Nr. 36 zu § 12 ArbGG 1979 Streitwert; GK-ArbGG/Wenzel, § 12 Rn. 443). Maßgeblich ist allerdings immer die "Lage des Falles"; es bedarf also einer auf die konkreten Umstände des einzelnen Verfahrens abgestellten Wertfestsetzung.

Was die maßgeblichen Einzelfallumstände angeht, kann auf die vergleichbare Regelung zur Bewertung nichtvermögensrechtlicher Streitigkeiten in § 37 Abs. 2 Satz 2 RVG i.V.m. § 14 Abs. 1 Satz 1 RVG zurückgegriffen werden, wonach es vor allem auf die Bedeutung der Angelegenheit und daneben auf den Umfang sowie die Schwierigkeit der anwaltlichen Tätigkeit ankommt (vgl. BVerfG NJW 1989, 2047; siehe auch § 48 Abs. 2 Satz 1 GKG).

Mit der Bedeutung der Angelegenheit als Ausgangspunkt der Bewertung ist die Tragweite der gerichtlichen Entscheidung für die materielle und ideelle Stellung der Betroffenen angesprochen, was ihnen selbst die Sache "wert" ist. Maßgeblich sind also nicht nur die unmittelbar mit dem Verfahren verfolgten Ziele, sondern auch die weiteren Auswirkungen auf die wirtschaftlichen Verhältnisse sowie die Stellung und das Ansehen der Beteiligten (BVerfG, a.a.O.).

Auch Umfang und Schwierigkeit der anwaltlichen Tätigkeit können bei der Wertfestsetzung zu berücksichtigen sein.

Allerdings müssen beide Gesichtspunkte in Relation zur Bedeutung der Sache gesehen werden. Entspricht also der anwaltliche Arbeitsaufwand von seinem Umfang und seiner Schwierigkeit her typischerweise der Bedeutung der Sache, bleibt es bei deren Bewertung; die Bedeutung ist also letztlich das ausschlaggebende Moment für die vorzunehmende Wertfestsetzung (BVerfG, a.a.O.; LAG Hamm LAGE Nr. 50 zu § 8 BRAGO).

Andererseits ist der im Beschlussverfahren zum Ausdruck kommenden Grundtendenz Rechnung zu tragen, wonach die dem Arbeitgeber gemäß § 40 Abs. 1 BetrVG obliegende Verpflichtung, die außergerichtlichen Kosten zu tragen, bei ihm nicht zu einer unangemessenen Belastung führen darf (LAG Hamm EzA Nr. 70 zu § 12 ArbGG 1979 Streitwert; GK-ArbGG/Wenzel, § 12 Rn. 444; vgl. auch § 37 Abs. 2 Satz 2 RVG i.V.m. § 14 Abs. 1 Satz 1 RVG und § 48 Abs. 2 Satz 1 GKG).

Damit steht wiederum die Sonderbestimmung des § 2 Abs. 2 GKG in Einklang, wonach in Beschlussverfahren keine Gerichtskosten erhoben werden.

Nach alldem ist also ein Wert zu finden, der für den Rechtsanwalt angemessene und für den Arbeitgeber tragbare Gebühren ergibt (LAG Hamm LAGE Nr. 50 zu § 8 BRAGO).

Unter Anwendung dieser Grundsätze kommt es also zunächst auf das (wirtschaftliche) Interesse an, das mit dem konkret gestellten Verfahrensantrag durchgesetzt werden soll. Insoweit hat die erkennende Kammer in dem grundlegenden Beschluss vom 28.08.2003 (LAG Hamm AP Nr. 165 zu § 112 BetrVG 1972) betont, dass es bei Verfahren, gerichtet auf die vorläufige Unterlassung von Betriebsänderungen, um das Interesse des Betriebsrats geht, seine in § 111 Satz 1 BetrVG verankerten Ansprüche auf Unterrichtung und Beratung zu wahren; es soll ihm die Möglichkeit gesichert werden, durch Argumente auf die Willensbildung des Unternehmers Einfluss zu nehmen. Dementsprechend ist dieses Sicherungsbegehren bei der Bestimmung des angemessenen Gegenstandswertes maßgeblich zu berücksichtigen und nicht so sehr die wirtschaftlichen Folgen einer beabsichtigten Betriebsänderung, die erst im Rahmen der sich anschließenden Verhandlungen über den Abschluss eines Interessenausgleichs und Sozialplans von entscheidender Relevanz sind.

Vor diesem Hintergrund hält es die Kammer jedenfalls in Fällen wie hier, wo es um eine Betriebsänderung in Form eines Personalabbaus ging, für sachgerecht, sich auch bei der Festsetzung des Gegenstandswerts an den Zahlenwerken des § 17 Abs. 1 KSchG zu orientieren, wie sie das Bundesarbeitsgericht im Rahmen des § 111 BetrVG zugrunde legt (erstmals: BAG AP Nr. 12 zu § 111 BetrVG 1972)

Demzufolge ist der Grundfall einer Entlassung von mindestens sechs Arbeitnehmern (§ 17 Abs. 1 Nr. 1 KSchG) mit dem Auffangwert des § 23 Abs. 3 Satz 2 2. Halbsatz RVG in Höhe von 4.000,00 € zu bewerten (vgl. LAG Mecklenburg-Vorpommern LAGE Nr. 47 zu § 8 BRAGO). Daran anknüpfend, ist zur Gewährleistung der erforderlichen Berechenbarkeit eine Bewertungsstaffel zugrunde zu legen, in deren Rahmen pro betroffenem Arbeitnehmer regelmäßig ein Teilwert von 666,67 € (4.000,00 € : 6) in Ansatz zu bringen ist.

Hieraus errechnet sich im vorliegenden Fall bei 20 betroffenen Arbeitnehmers ein Gegenstandswert in Höhe von über 8.000,00 €.

Im Rahmen des Beschwerdeverfahrens war die Kammer aber an den mit Schriftsatz vom 10.02.2006 gestellten Antrag der Verfahrensbevollmächtigten des Betriebsrats, den Gegenstandswert auf 8.000,00 € festzusetzen, gebunden. Denn in Fällen des § 33 RVG ist der erforderliche Antrag eines dazu Berechtigten (vgl. § 33 Abs. 2 S. 2 RVG) nicht nur als Begehren zur Verfahrenseinleitung zu verstehen; vielmehr enthält er zugleich auch die maßgebliche Sachbitte, die das Ziel der Höhe nach begrenzt (LAG Hamm, Beschluss vom 02.08.2005 - 13 TaBV 17/05; Hamburgisches OVG NVwZ-RR 1997, 503 und NVwZ-RR 1998, 525; Fraunholz in: Riedel/Sußbauer, RVG, 9. Aufl., § 33 Rdnr. 8). Entsprechendes gilt für die gemäß § 33 Abs. 3 RVG eingelegte Beschwerde. Auf diese Art und Weise bleibt es dem jeweiligen Antragsteller - wie auch im Kostenfestsetzungsverfahren nach den §§ 103 ff. ZPO - überlassen, zu bestimmen, ob und inwieweit eine gerichtliche Entscheidung ergehen soll (vgl. § 308 Abs. 1 S. 1 ZPO).

Abschließend bleibt darauf hinzuweisen, dass die Tatsache eines parallel geführten einstweiligen Verfügungsverfahrens (ArbG Gelsenkirchen - 1 BVGa 6/05) für die hier begehrte Festsetzung des Gegenstandswertes keine Bedeutung hat, sondern allenfalls im Rahmen des

§ 40 Abs. 1 BetrVG relevant sein kann.

Dr. Müller






LAG Hamm:
Beschluss v. 24.04.2006
Az: 13 Ta 178/06


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