Bundespatentgericht:
Beschluss vom 24. Juni 2008
Aktenzeichen: 21 W (pat) 335/05

(BPatG: Beschluss v. 24.06.2008, Az.: 21 W (pat) 335/05)

Tenor

Das Patent DE 199 63 085 wird widerrufen.

Gründe

I.

Die Erteilung des am 24. Dezember 1999 beim Deutschen Patent- und Markenamt angemeldeten Patents 199 63 085 mit der Bezeichnung "Titanschraube für Körperimplantate" ist am 14. Juli 2005 veröffentlicht worden.

Die erteilten Patentansprüche lauten:

Anspruch 1:

Titanschraube für Körperimplantate, dadurch gekennzeichnet, dass sie eine Oberflächenbeschichtung auf Stickstoff- oder Kohlenstoff-Basis aufweistin Form einer im PVD- oder CVD-Verfahren aufgebrachten TiN-Beschichtung oder einer DLC-Beschichtung.

Anspruch 2:

Titanschraube für Körperimplantate, dadurch gekennzeichnet, dass an der Oberfläche eine Titan-Nitrid-Schicht ausgebildet ist, die im Plasma-Ionen-Immersions-Implantations-Verfahren aufgebracht ist.

Anspruch 3:

Titanschraube nach Anspruch 2, dadurch gekennzeichnet, dass die Konzentration der auf Zwischengitter-Plätzen abgelagerten Stickstoff-Atome von der Oberfläche nach innen hin kontinuierlich abnimmt.

Gegen das Patent ist am 27. September 2005 Einspruch erhoben worden, u. a. mit der Begründung, sein Gegenstand sei gegenüber dem Stand der Technik weder neu noch beruhe er auf einer erfinderischen Tätigkeit. Hierzu verweist die Einsprechende u. a. auf folgende Druckschriften:

D1: U. Fink: "Sicherheitsaspekte bei der Beschichtung von Titangleitkomponenten", Orthopädie (1997) 26, S. 160-165 D4: Brown S. A. et al.: "Effects of material combination, surface treatment, and environment on fretting corrosion of Ti 6Al 4V" in Medical Applications of Titanium and its Alloys: The Material and Biological Issues, ASTM STP 1272, 1997, S. 231-239.

Die Einsprechende beantragt, das Patent DE 199 63 085 in vollem Umfang zu widerrufen.

Der Patentinhaber beantragt, das Patent DE 199 63 085 beschränkt aufrechtzuerhalten mit den Patentansprüchen 1 bis 3, überreicht in der mündlichen Verhandlung vom 24. Juni 2008, hilfsweise mit den jeweils einzigen Patentansprüchen gemäß den ebenfalls in der mündlichen Verhandlung überreichten Hilfsanträgen 1 bis 4, im Übrigen jeweils mit einer anzupassenden Beschreibung.

Die Patentansprüche 1 bis 3 (Merkmalsgliederung hinzugefügt) gemäß Hauptantrag lauten:

Anspruch 1:

M1 Titanschraube für Körperimplantate, M1a die in ein korrespondierendes Gewinde zur Fixierung eines Implantats gedreht wird, dadurch gekennzeichnet, M2 dass sie eine Oberflächenbeschichtung auf Stickstoff oder Kohlenstoff-Basis aufweist M3 in Form einer im PVD-Verfahren aufgebrachten TiN-Beschichtung oder einer DLC-Beschichtung.

Anspruch 2:

Titanschraube für Körperimplantate, M1a die in ein korrespondierendes Gewinde zur Fixierung eines Implantats gedreht wird, dadurch gekennzeichnet, M4 dass an der Oberfläche eine Titan-Nitrid-Schicht ausgebildet ist, die im Plasma-Immersions-Implantations-Verfahren aufgebracht ist.

Anspruch 3:

Titanschraube nach Anspruch 2, dadurch gekennzeichnet, M5 dass die Konzentration der auf Zwischengitter-Plätzen abgelagerten Stickstoff-Atome von der Oberfläche nach innen hin kontinuierlich abnimmt.

Der Patentanspruch 1 (Merkmalsgliederung hinzugefügt) gemäß Hilfsantrag 1 lautet:

M1 Titanschraube für Körperimplantate, dadurch gekennzeichnet, M6 dass sie eine Oberflächenbeschichtung in Form einer DLC-Beschichtung aufweist.

Der Patentanspruch 1 (Merkmalsgliederung hinzugefügt) gemäß Hilfsantrag 2 lautet:

M1 Titanschraube für Körperimplantate, M1a die in ein korrespondierendes Gewinde zur Fixierung eines Implantats gedreht wird, dadurch gekennzeichnet, M6 dass sie eine Oberflächenbeschichtung in Form einer DLC-Beschichtung aufweist.

Der Patentanspruch 1 (Merkmalsgliederung hinzugefügt) gemäß Hilfsantrag 3 lautet:

M7 Verfahren zur Herstellung einer Titanschraube M8 zur Verwendung für Körperimplantatedadurch gekennzeichnet, M9 dass eine Oberflächenbeschichtung in Form einer DLC-Beschichtung in einem PVD- oder CVD-Verfahren aufgebracht wird.

Der Patentanspruch 1 (Merkmalsgliederung hinzugefügt) gemäß Hilfsantrag 4 lautet:

M7 Verfahren zur Herstellung einer Titanschraube M8 zur Verwendung für Körperimplantate M8a die in ein korrespondierendes Gewinde zur Fixierung eines Implantats eingedreht werden, dadurch gekennzeichnet, M10 dass eine Oberflächenbeschichtung in Form einer DLC-Beschichtung aufgebracht wird unter Verwendung eines CVD-Prozesses ohne Metall-Kathode.

Der Patentinhaber hält die Gegenstände der Ansprüche 1 für neu und erfinderisch. Er führt im Wesentlichen aus, dass aus dem Stand der Technik keine beschichteten Titanschrauben bekannt seien, die in ein korrespondierendes Gewinde zur Fixierung eines Implantats eingedreht würden. Entsprechend würden die Wettbewerber auch lediglich unbeschichtete Titanschrauben oder Edelstahlschrauben für diesen Zweck vertreiben.

Nach Auffassung der Einsprechenden enthalten auch der neue Hauptantrag und die Hilfsanträge nichts Patentfähiges.

Wegen weiterer Einzelheiten wird auf den Akteninhalt Bezug genommen.

II.

Da die Einspruchsfrist im vorliegenden Verfahren nach dem 1. Januar 2002 zu laufen begonnen hat und der Einspruch vor dem 1. Juli 2006 eingelegt worden ist, ist das Bundespatentgericht für die Entscheidung gemäß § 147 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 PatG in der bis einschließlich 30. Juni 2006 gültigen Fassung weiterhin zuständig (vgl. BGH GRUR 2007, 862 ff. - Informationsübermittlungsverfahren II; BPatG GRUR 2007, 449 f. - Rundsteckverbinder).

Der zulässige Einspruch hat Erfolg, denn die Gegenstände der Patentansprüche nach dem Hauptantrag und den Hilfsanträgen sind nicht patentfähig (§§ 1, 3, 4 PatG). Die Gegenstände dieser Ansprüche ergeben sich für den zuständigen Fachmann, hier aufgrund der behandelten Werkstoffkunde ein Dipl.-Ing. der Fachrichtung Maschinenbau mit Erfahrungen in der Medizintechnik, in nahe liegender Weise aus dem Stand der Technik. Das Patent ist daher zu widerrufen (§ 61 Abs. 1, § 21 Abs. 1 Nr. 1 PatG).

Insofern kann offen bleiben, ob die nunmehr noch beanspruchten Gestaltungen zulässig sind, was insbesondere bei den Hilfsanträgen 3 und 4 aufgrund des vorgenommenen Kategoriewechsels zweifelhaft ist (vgl. Busse, PatG, 6. Aufl., § 22 Rn. 32).

Das Streitpatent betrifft eine Titanschraube sowie ein Verfahren zur Herstellung einer Titanschraube.

Beim Einschrauben in korrespondierende Gewinde tritt gemäß der Patentschrift das Problem auf, dass Titan zum Kaltverschweißen neigt, woraus beim Einschrauben ein Knarren resultiert. Dies hat zur Folge, dass der die Schraube drehende Operateur kein Gefühl dafür aufbringen kann, ob die Schraube schon den gewünschten festen Sitz erzielt hat. Es besteht also die Gefahr, dass der Operateur subjektiv meint, die Schraube sitze schon fest, obwohl der vollständige Verschraubungszustand noch nicht erreicht ist (siehe Absatz [0004]).

Der Erfindung liegt daher die Aufgabe zugrunde, eine Titanschraube der in Betracht stehenden Art so auszubilden, dass dieses Problem vermieden wird (siehe Absatz [0005]) sowie ein Verfahren zur Herstellung einer Titanschraube.

1. Patentfähigkeit des Gegenstands nach Anspruch 1 gemäß Hauptantrag:

Durch die oder-Verknüpfung in Merkmalsgruppe M3 werden mit dem Anspruch 1 zwei nebengeordnete Anspruchsfassungen mit einer TiN-Beschichtung und einer DLC-Beschichtung generiert.

Der Gegenstand des Anspruchs 1 gemäß Hauptantrag beruht in jeder dieser zwei Ausgestaltungen nicht auf einer erfinderischen Tätigkeit.

Der Anspruch 1 beansprucht eine Titanschraube und ist daher eindeutig der Patentkategorie für Gegenstände, d. h. einem Erzeugnispatent für Erzeugnisse, Sachen, Vorrichtungen, Stoffe oder Mittel zuzurechnen.

Bei einem Erzeugnispatent wird der Schutzbereich durch die Aufnahme von Zweck-, Wirkungs-, Funktionsangaben oder Verwendungshinweisen im Patentanspruch im Regelfall nicht eingeschränkt. Diese Angaben sind dem besseren Verständnis der Erfindung dienende Erläuterungen, die lediglich die Bedeutung einer mittelbaren Umschreibung der räumlichkörperlichen Ausgestaltung der betreffenden Vorrichtungsteile haben können (siehe BGH GRUR 1979, 149, LS - "Schießbolzen" und BGH GRUR 1991, 436 ff., 441 IV.2.c. und LS 3 - "Befestigungsvorrichtung II"). In Fortführung dieser Rechtsprechung werden in der BGH-Entscheidung "Luftabscheider für Milchsammelanlage" (siehe BGH GRUR 2006, 923-926 und LS) Funktionsangaben zur Abgrenzung des Anspruchsgegenstandes anerkannt, wenn sie das Vorrichtungselement, auf das sie sich beziehen in seiner Ausbildung zur Erfüllung der Funktion definieren. Merkmalsgruppe M1a beschränkt daher die beanspruchten Titanschrauben lediglich auf körperverträgliche Schrauben mit genormtem Gewinde, welche ein fertiges Gegengewinde erfordern, im Unterschied zu Schrauben mit selbstschneidendem Gewinde.

Aus der Druckschrift D4 sind Titanschrauben für Körperimplantate bekannt (Merkmalsgruppe M1, siehe Abstract und Seite 232, Absatz "Methods"), die eine Oberflächenbeschichtung auf Stickstoff-Basis aufweisen in Form einer im PVD- Verfahren aufgebrachten TiN-Beschichtung (M2 und M3, siehe Seite 234, Tabelle 4). Die Form der Schrauben gemäß Merkmalsgruppe M1a ist aus der Druckschrift D4 explizit nicht entnehmbar. Da die Druckschrift D4 jedoch die Anwendung der Schrauben bei Implantaten offenbart (siehe Seite 231, Absatz Abstract) und die Vorteile der Beschichtung gegen Anhaften/Festfressen ("adhesive galling", siehe Seite 237 Absatz "Discussion") und damit Kaltverschweißen erwähnt, ist es für den Fachmann nahe liegend, zur Lösung der Aufgabe des Streitpatents auch Titanschrauben mit genormten Gewinden entsprechend der Lehre der Druckschrift D4 zu beschichten. Insbesondere da die Probleme des Kaltverschweißens nur an Metall-Metall Grenzflächen auftreten können, wie sie insbesondere bei Schrauben mit genormten Gewinden und den entsprechenden Gegengewinden (z. B. Schraubenmuttern) gegeben sind.

Aus der Druckschrift D1 ist es bekannt, bei Implantaten aus Titan diese mit PVD-Beschichtungen aus TiN oder CVD-Beschichtungen aus DLC zu versehen (siehe Seite 163, 164). Für den Fachmann ist es daher nahe liegend, die auf dem einschlägigen Fachgebiet bekannten alternativen Maßnahmen bei Gelenkimplantaten auch bei Titanschrauben anzuwenden. Er gelangt somit ohne erfinderisch tätig zu werden auch zu der alternativen Ausführungsform mit einer Oberflächenbeschichtung auf Kohlenstoff-Basis in Form einer DLC-Beschichtung gemäß den Merkmalsgruppen M2 und M3.

2. Patentfähigkeit der Gegenstände der Ansprüche 2 und 3 gemäß Hauptantrag:

Im Unterschied zum Anspruch 1 gemäß Hauptantrag wird die Titan-Nitrid-Schicht gemäß Merkmalsgruppe M4 im Plasma-Immersions-Implantations-Verfahren aufgebracht. Da dieses Verfahren für den Fachmann ebenfalls aus der Druckschrift D4 entnehmbar ist (siehe Seite 234, Absatz "Surface Treating of Titanium 6Al 4V"), ist der Anspruch 2 ebenfalls mangels erfinderischer Tätigkeit nicht gewährbar. Entsprechendes gilt für den Anspruch 3, bei dem nach Merkmalsgruppe M5 die Konzentration der auf Zwischengitter-Plätzen abgelagerten Stickstoff-Atome von der Oberfläche nach innen hin kontinuierlich abnimmt, da diese Konzentrationsabnahme bei einer Beschichtung mit dem Implantations-Verfahren zwangsläufig auftritt.

3. Patentfähigkeit des Gegenstands nach Anspruch 1 gemäß Hilfsanträgen 1 und 2:

Im Unterschied zum Anspruch 1 gemäß Hauptantrag beschränken sich die Ansprüche 1 gemäß Hilfsantrag 1 und 2 im Wesentlichen auf die Oberflächenbeschichtungen in Form einer DLC-Beschichtung. Entsprechend der Argumentation zur der Kohlenstoff-Alternative im Anspruch 1 gemäß Hauptantrag beruhen die Gegenstände der Patentansprüche 1 gemäß Hilfsantrag 1 und 2 nicht auf einer erfinderischen Tätigkeit.

4. Patentfähigkeit des Gegenstands des Anspruchs 1 gemäß Hilfsantrag 3:

Dieser Anspruch beansprucht im Unterschied zum Hauptantrag ein Verfahren zur Herstellung einer Titanschraube, jedoch mit den korrespondierenden Merkmalen wie im Anspruch 1 nach Hauptantrag, lediglich beschränkt auf eine DLC-Beschichtung durch ein PVC- oder CVD-Verfahren. Da aus den Druckschriften D4 und D1 die Herstellung von Titanschrauben mit den beanspruchten Beschichtungen bekannt sind, beruht das Verfahren gemäß Anspruch 1 nach Hilfsantrag 3 analog zu der Argumentation zu Anspruch 1 nach Hauptantrag ebenfalls nicht auf einer erfinderischen Tätigkeit.

5. Patentfähigkeit des Gegenstands des Anspruchs 1 gemäß Hilfsantrag 4:

Der Anspruch 1 gemäß Hilfsantrag 4 weist im Unterschied zum Anspruch 1 gemäß Hilfsantrag 3 die Beschränkung der Titanschrauben auf die genormten Gewinde gemäß Merkmalsgruppe M8a und die Beschränkung der Beschichtung auf DLC-Beschichtungen unter Verwendung eines CVD-Prozesses ohne Metall-Kathode gemäß Merkmalsgruppe M10 auf. Diese Unterschiede beruhen jedoch ebenfalls nicht auf einer erfinderischen Tätigkeit. Zur Merkmalsgruppe M8a wird auf die Argumentation zur entsprechenden Merkmalsgruppe M1a im Anspruch 1 gemäß Hauptantrag verwiesen. Eine DLC-Beschichtung unter Verwendung eines CVD-Prozesses ist ebenfalls aus der Druckschrift D1 bekannt (siehe Seite 164, rechte Spalte, Absatz 2 ff.). Da dem Fachmann allgemein bekannt ist, dass sich der CVD-Prozess im Unterschied zum PVD-Prozess durch eine chemische Reaktion an der Oberfläche des zu beschichtenden Werkstücks auszeichnet, ist es für den Fachmann selbstverständlich, dass insbesondere die CVD-Prozesse zur Beschichtung von Werkstücken ohne Metall-Kathode verwendet werden können.

Dr. Winterfeldt Baumgärtner Dr. Morawek Bernhart Fa






BPatG:
Beschluss v. 24.06.2008
Az: 21 W (pat) 335/05


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