Bundespatentgericht:
Urteil vom 10. September 2003
Aktenzeichen: 4 Ni 41/02

(BPatG: Urteil v. 10.09.2003, Az.: 4 Ni 41/02)

Tenor

Das deutsche Patent 199 58 638 wird für nichtig erklärt.

Die Beklagte trägt die Kosten des Rechtsstreits.

Das Urteil ist gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 120 % des zu vollstreckenden Betrages vorläufig vollstreckbar.

Tatbestand

Die Beklagte ist eingetragene Inhaberin des am 4. Dezember 1999 angemeldeten deutschen Patents 199 58 638 (Streitpatent), das eine Vorrichtung und ein Verfahren zum individuellen Filtern von über ein Netzwerk übertragenen Informationen betrifft und 19 Patentansprüche umfasst. Die Patentansprüche 1 und 13 haben folgenden Wortlaut:

"1. Vorrichtung zum individuellen Filtern von über ein Netzwerk (17) übertragenen Informationen, die an ein Nutzergerät (15) gerichtet sind, mit mindestens einem Nutzerprofilspeicher (18), in dem nutzerspezifische Filterprofile (19) in Form eines Regelwerkes abgelegt sind, wobei die Regeln Zulassungsmengen und Ausschlussmengen für Anfragen und Antworten definieren, mit mindestens einem Eingabegerät (20), das die zu filternden Anfragen empfängt und in das Netzwerk (17) sendet, mit mindestens einem Ausgabegerät (21), das die gefilterten Antworten zum Nutzergerät (15) sendet, mit mindestens einer Bearbeitungseinheit (22), die eine Netzwerkadresse des Nutzergeräts (15) anhand der zumindest einmalig übertragenen Nutzeridentifikationsdaten dem nutzerspezifischen Filterprofil (19) zuordnet und die im Folgenden anhand des nutzerspezifischen Filterprofils (19) die Informationen aus dem Netzwerk (17), die unmittelbar oder mittelbar an die entsprechenden Netzwerkadressen adressiert sind oder von ihr stammen, nach dem Regelwerk des Filterprofils (19) filtert."

"13. Verfahren zum individuellen Filtern von über ein Netzwerk übertragenen Informationen in Form von Anfragen und Antworten, die an ein Nutzergerät gerichtet sind, mit individuellen Nutzerprofilen für ein Nutzergerät und/oder dessen Benutzer, wobei die Nutzerprofile durch ein computerlesbares Regelsystern bestimmt sind und die Regeln mehrere nutzerspezifische Zulassungsmengen und Ausschlussmengen für Anfragen und Antworten definieren, bei demin einem Schritt eine Netzwerkadresse des Nutzergeräts dem Nutzerprofil anhand der zumindest einmalig übertragenen Nutzeridentifikationsdaten zugeordnet wird, undin einem weiteren Schritt anhand des nutzerspezifischen Filterprofils die Informationen aus dem Netzwerk, die unmittelbar oder mittelbar an die entsprechenden Netzwerkadressen adressiert sind oder von ihr stammen, nach dem Regelwerk des Filterprofils gefiltert werden."

Wegen der unmittelbar und mittelbar auf Patentanspruch 1 zurückbezogenen Patentansprüche 2 bis 12 sowie der unmittelbar und mittelbar auf Patentanspruch 13 zurückbezogenen Verfahrensansprüche 14 bis 19 wird auf die Streitpatentschrift verwiesen.

Mit der Behauptung, die Gegenstände der Ansprüche des Streitpatents seien nicht neu bzw beruhten nicht auf einer erfinderischen Tätigkeit, verfolgt die Klägerin das Ziel, das Streitpatent in vollem Umfang für nichtig zu erklären. Zur Begründung beruft sie sich auf folgende Druckschriften und sonstigen Unterlagen:

K5 US 5 996 011 A, K6 EP 0 957 618 A1, K7 EP 0 762 707 A2, K8 WO 99/54 827 A1, K9 WO 99/48 261 A2, K10 WO 98/41 913 A2, K11 "Jugendschutz und Filtertechnologien im Internet" (Auszüge). Eine Untersuchung im Auftrag des BMWi (Seiten 1 - 5, 96, 97, 117 - 119, 137-139);

K12 Pressemitteilung der Fa. Siemens vom Oktober 1998 mit derÜberschrift "Webfilter von Siemens sperrt Sex & Crime im Internet";

K13 Studie "Gesicherte Verbindung von Computernetzen mit Hilfe einer FireWall" der Fa. Siemens AG im Auftrag des Bundesamtes für Sicherheit in der Informationstechnik aus dem Jahr 1997

(Seiten 1 - 10, 71, 171, 172);

K13a Eine Bestätigung des BSI darüber, dass die Studie gemäß K13 bereits im Februar 1998 im Internet veröffentlicht wurde;

K14 Ausdruck der 1. Seite der ins Internet gestellten Information zur

"Fourth International World Wide Web Conference", die vom 11. - 14. Dezember 1995 in Boston, Massachusetts, USA, stattfand und unter der Domain www.w3.org/conferences/www4 zu finden ist;

K15 Ausdruck eines auf der Konferenz nach K14 gehaltenen Referats von Brenda S. Baker und Erik Grosse, welches unter der Domain www.w3.org/conferences/www4/Papers/117/ zu finden ist;

K16 Abdruck der Übersicht über ein "Seminar Firewalls" am Lehrstuhl von Herrn Prof. Thomas Rauber an der Universität Halle im Wintersemester 1998/1999, das im Internet unter der Domain www.informatik.unihalle.de/~rauber/firewalls.html zu finden ist;

K17 Abdruck der allgemeinen Übersicht eines von S. Uhlig gehaltenen Vortrags "Elemente eines Firewall-Systems", der in K16 unter Nr.4 genannt ist, am 20.11.1998 gehalten wurde und im Internet unterder Domain www.informatik.unihalle.de/~rauber/firewalls_dir/uhlig/allg_ag.htm zu finden ist;

K18 Auszugsweiser Abdruck des Abschnitts 2.2.3 mit der Überschrift "HTTP-Proxy" des Vortrags nach K17;

K19 Abdruck eines "Links" mit dem Stichwort "Benutzer-Profil", das in der Intemetseite gemäß K18 aktiviert werden kann;

K20 Abdruck einer allgemeinen Übersicht eines von M. Opitz gehaltenenVortrags "Authentifikationsverfahren", der in K16 unter Nr. 6 genannt ist, am 04.12.1998 gehalten wurde und im Internet unter der Domain www.informatik.unihalle.de/~opitz/referat/ref.html zu finden ist;

K21 Eine technische Übersicht mit dem Titel "Technical Overview" aus April 1999 über das System "CheckPoint FireWall-1", Version 4.0, der Firma CheckPoint Software Technologies Ltd;

K22 Auszüge aus der Bedienungsanleitung mit dem Titel "Architecture and Administration" vom September 1998 zum System "CheckPoint FireWall-1" nach K21 (Seiten 1-2, 31 - 37, 101 - 104, 127 - 143, 223 - 227, 362);

K23 Auszüge aus dem Buch "Firewall-Systeme - Sicherheit für Intranet und Internet", 1997, ITP Verlag GmbH, Bonn (Seiten 1 - 15, 63, 105 -196, 239 - 251, 280 - 285, 317 - 319);

K24 Auszüge aus dem Buch "Netscape Navigatior'', 1996, Sybex-Verlag GmbH, Düsseldorf (Seiten 154 - 158);

K25 Lexikon der Datenkommunikation, 1995, DATACOM Buchverlag GmbH, Bergheim (Seite 382).

Die Klägerin beantragt, das deutsche Patent 199 58 638 in vollem Umfang für nichtig zu erklären.

Die Beklagte beantragt, die Klage abzuweisen, hilfsweise mit der Maßgabe, dass die in der mündlichen Verhandlung überreichten Ansprüche 1 und 13 an die Stelle der erteilten Ansprüche 1 und 13 treten.

Sie ist dem Vorbringen der Klägerin entgegengetreten und hält das Streitpatent zumindest im beschränkt verteidigten Umfang für bestandsfähig.

Die hilfsweise geltend gemachten Ansprüche 1 und 13 haben folgenden Wortlaut (Änderungen gegenüber den Ansprüchen nach Hauptantrag hervorgehoben):

"1. Vorrichtung zum individuellen Filtern von über ein Netzwerk (17) übertragenen Informationen, die an ein Nutzergerät (15) gerichtet sind, mit mindestens einem Nutzerprofilspeicher (18), in dem nutzerspezifische Filterprofile (19) in Form eines Regelwerkes abgelegt sind, wobei die Regeln Zulassungsmengen und Ausschlussmengen für Anfragen und Antworten definieren, mit Mitteln, um die Zulassungsmengen und Ausschlussmengen miteinander zu verknüpfen, um neue Zulassungsmengen und Ausschlussmengen zu bilden,

- mit mindestens einem Eingabegerät (20), das die zu filternden Anfragen empfängt und in das Netzwerk (17) sendet,

- mit mindestens einem Ausgabegerät (21), das die gefilterten Antworten zum Nutzergerät (15) sendet,

- mit mindestens einer Bearbeitungseinheit (22), die eine Netzwerkadresse des Nutzergeräts (15) anhand der zumindest einmalig übertragenen Nutzeridentifikationsdaten dem nutzerspezifischen Filterprofil (19) zuordnet und die im Folgenden anhand des nutzerspezifischen Filterprofils (19) die Informationen aus dem Netzwerk (17), die unmittelbar oder mittelbar an die entsprechenden Netzwerkadressen adressiert sind oder von ihr stammen, nach dem Regelwerk des Filterprofils (19) und unter Berücksichtigung der Verknüpfungen filtert."

"13. Verfahren zum individuellen Filtern von über ein Netzwerk übertragenen Informationen in Form von Anfragen und Antworten, die an ein Nutzergerät gerichtet sind, mit individuellen Nutzerprofilen für ein Nutzergerät und/oder dessen Benutzer, wobei die Nutzerprofile durch ein computerlesbares Regelsystern bestimmt sind und die Regeln mehrere nutzerspezifische Zulassungsmengen und Ausschlussmengen für Anfragen und Antworten definieren, die miteinander verknüpft sind, um neue Zulassungsmengen und Ausschlussmengen zu bilden, bei dem - in einem Schritt eine Netzwerkadresse des Nutzergeräts dem Nutzerprofil anhand der zumindest einmalig übertragenen Nutzeridentifikationsdaten zugeordnet wird, und - in einem weiteren Schritt anhand des nutzerspezifischen Filterprofils die Informationen aus dem Netzwerk, die unmittelbar oder mittelbar an die entsprechenden Netzwerkadressen adressiert sind oder von ihr stammen, nach dem Regelwerk des Filterprofils unter Berücksichtigung der Verknüpfungen gefiltert werden."

Gründe

Die Klage, mit der der in § 22 Abs 2 iVm § 21 Abs 1 Nr 1 PatG vorgesehene Nichtigkeitsgrund der mangelnden Patentfähigkeit geltend gemacht wird, ist zulässig und in vollem Umfang begründet.

Das Streitpatent konnte weder in der erteilten Fassung nach Hauptantrag noch in der hilfsweise verteidigten Fassung Bestand haben, weil deren Gegenstände nicht patentfähig sind.

I 1. Das Streitpatent betrifft Vorrichtungen und Verfahren zum individuellen Filtern von über ein Netzwerk übertragenen Informationen, die an ein Nutzergerät gerichtet sind. Um den unbegrenzten Zugang zu Informationen aus dem Internet für bestimmte Personengruppen, insbesondere Kinder zu verhindern, sind nach der Beschreibung der Streitpatentschrift im Stand der Technik Netzwerkfilter von Herstellern wie Cybercontrol und Netznanny bekannt, die aber nur statischer Natur seien. Mit ihnen könne keine nutzerspezifische Filterung vorgenommen werden, da in ihrer Datenbank alle Seiten gespeichert seien, auf die ein Zugriff möglich bzw nicht möglich sein solle. Damit sei der Einsatz dieser Filter nur möglich, wo die Filteranforderungen für eine große Nutzerzahl identisch seien. Eine Verwendung bei Internetprovidern mit einer Vielzahl unterschiedlicher Nutzer mit unterschiedlichen Anforderungen an die Filterung der Informationen sei dagegen nicht möglich.

2. Vor diesem Hintergrund formuliert die Streitpatentschrift die Aufgabe, einen Netzwerkfilter bereitzustellen, der unterschiedliche Filterprofile verwaltet, die einem Nutzer individuell zugeordnet und deren Regeln je nach Bedarf angepasst werden können.

3. Patentansprüche 1 und 13 beschreiben demgemäss eine Vorrichtung sowie ein entsprechendes Verfahren mit folgenden Merkmalen:

Patentanspruch 1:

A1. Vorrichtung zum individuellen Filtern von über ein Netzwerk (17) übertragenen Informationen, die an ein Nutzergerät (15) gerichtet sind, A2. mit nutzerspezifischen Filterprofilen (19) in Form eines Regelwerks, A2.1 die in mindestens einem Nutzerprofilspeicher (18) abgelegt sind, A2.2 wobei die Regeln Zulassungsmengen und Ausschlussmengen für Anfragen und Antworten definieren, A3. mit mindestens einem Eingabegerät (20), das die zu filternden Anfragen empfängt und in das Netzwerk (17) sendet, A4. mit mindestens einem Ausgabegerät (21), das die gefilterten Antworten zum Nutzergerät (15) sendet, A5. mit mindestens einer Bearbeitungseinheit (22), die A5.1 eine Netzwerkadresse des Nutzergeräts (15) anhand der zumindest einmalig übertragenen Nutzeridentifikationsdaten dem nutzerspezifischen Filterprofil (19) zuordnet und A5.2 im Folgenden anhand des nutzerspezifischen Filterprofils (19) die Informationen aus dem Netzwerk (17), die unmittelbar oder mittelbar an die entsprechenden Netzwerkadressen adressiert sind oder von ihr stammen, nach dem Regelwerk des Filterprofils (19) filtert.

Patentanspruch 13:

B1. Verfahren zum individuellen Filtern von über ein Netzwerk übertragenen Informationen in Form von Anfragen und Antworten, die an ein Nutzergerät gerichtet sind, B2. mit individuellen Nutzerprofilen für ein Nutzergerät und/oder dessen Benutzer, B2.1 wobei die Nutzerprofile durch ein computerlesbares Regelsystern bestimmt sind und B2.2 die Regeln mehrere nutzerspezifische Zulassungsmengen und Ausschlussmengen für Anfragen und Antworten definieren, B3. bei dem in einem Schritt eine Netzwerkadresse des Nutzergeräts dem Nutzerprofil anhand der zumindest einmalig übertragenen Nutzeridentifikationsdaten zugeordnet wird, und B4. in einem weiteren Schritt anhand des nutzerspezifischen Filterprofils die Informationen aus dem Netzwerk, die unmittelbar oder mittelbar an die entsprechenden Netzwerkadressen adressiert sind oder von ihr stammen, nach dem Regelwerk des Filterprofils gefiltert werden.

4. Der hier zu berücksichtigende Fachmann ist ein Informatiker oder Physiker mit Hochschulausbildung mit besonderen Kenntnissen in der Verarbeitung von über Netzwerken übertragenen Informationen.

5. Der Gegenstand des Patentanspruchs 1 nach Hauptantrag mag zwar neu und gewerblich anwendbar sein, er beruht jedoch nicht auf erfinderischer Tätigkeit. Er ergab sich nämlich für den Fachmann in naheliegender Weise aus dem Stand der Technik nach Anlage K6 in Verbindung mit seinem, insbesondere durch Druckschrift K10 belegten Fachwissen.

Aus der K6 ist eine Vorrichtung zum individuellen Filtern von über ein Netzwerk übertragenen Informationen, die an ein Nutzergerät gerichtet sind, als bekannt entnehmbar, vgl die Figuren 1 und 2, Nutzergerät 1, Netzwerk 5, 8 resp 20, 24, Filter 23, und Spalte 1 Zeile 58 bis Spalte 3 Zeile 14 - Merkmal A1. Die bekannte Vorrichtung weist nutzerspezifische Filterprofile, vgl Spalte 4 Zeile 52 bis Spalte 5 Zeile 13, in Form eines Regelwerkes auf, vgl Spalte 4 Zeilen 40 bis 43 und Zeilen 46 bis 51, Spalte 5 Zeilen 14 bis 25 - Merkmal A2. Die Filterprofile sind in einem Nutzerprofilspeicher - bei einem Internet Service Provider 7 (Fig 1, Spalte 3 Zeilen 34 bis 35 und Fig 2, Spalte 4 Zeilen 18 bis 20 und 27 bis 32) - gespeichert, Spalte 5 Zeilen 14 bis 25 iVm Spalte 4 Zeilen 18 bis 20 und 27 bis 32 - Merkmal A2.1. Die Regeln definieren (Ausschluss-) Listen (Mengen) für Anfragen und Antworten, Spalte 4 Zeilen 33 bis 51, Spalte 5 Zeilen 14 bis 25 - Teil des Merkmals A2.2. Mindestens ein Eingabegerät, Spalte 4 Zeilen 18 bis 32, empfängt die zu filternden Anfragen und sendet sie in das Netzwerk, Spalte 4 Zeilen 33 bis 43 - Merkmal A3, und mindestens ein Ausgabegerät, vgl dazu ebenfalls Spalte 4 Zeilen 18 bis 32, sendet die gefilterten Antworten zum Nutzergerät, Spalte 4 Zeilen 44 bis 51 - Merkmal A4. Schließlich weist die bekannte Vorrichtung auch eine Bearbeitungseinheit auf, vgl Spalte 4 Zeilen 18 bis 32 und Zeilen 5 bis 9 - Merkmal A5 -, die eine Netzwerkadresse des Nutzergeräts anhand der zumindest einmalig übertragenen Nutzeridentifikationsdaten dem nutzerspezifischen Filterprofil zuordnet, Spalte 3 Zeile 45 bis Spalte 4 Zeile 17 und Spalte 4 Zeile 52 bis Spalte 5 Zeile 14, Spalte 5 Zeilen 26 bis 32 - Merkmal A5.1 -, und die im Folgenden anhand des nutzerspezifischen Filterprofils die Informationen aus dem Netzwerk, die unmittelbar oder mittelbar an die entsprechenden Netzwerkadressen adressiert sind oder von ihr stammen, nach dem Regelwerk des Filterprofils filtert, Spalte 4 Zeilen 33 bis 51 - Merkmal A5.2.

Zwar wendet die Beklagte zurecht ein, dass in K6 das Regelwerk der individuellen Filterprofile nur in Form von Ausschlusslisten angesprochen sei, Spalte 4 Zeilen 33 bis 51. Dem in Rede stehenden Fachmann sind aber neben Ausschlusslisten oder -mengen auch andere Kriterien und Möglichkeiten zur Auswahl von Informationen gegenwärtig, wie zB Zulassungsmengen, und er weiß, diese Regelwerke in ihren verschiedenen Ausprägungen fachgerecht einzusetzen. Vor allem wenn es darum geht, die Leistungsfähigkeit eines Datenverarbeitungssystems zu verbessern, wird der Fachmann zielführende Kombinationen verschiedener Auswahlmöglichkeiten in Anschlag bringen. Ein solches Vorgehen ist dem Fachmann auch aus dem Stand der Technik nach K10 geläufig, vgl Seite 1 Zeilen 3 bis 8, Seite 2 Zeile 15 bis Seite 3 Zeile 7, Seite 4 Zeilen 15 bis 20, Seite 6 Zeilen 7 bis 11, Seite 6 Zeile 13 bis Seite 7 Zeile 11, Seite 10 Zeilen 9 bis 25, Seite 17 Zeilen 4 bis 25. Diesem Vorgehen steht auch eine Priorisierung einzelner Auswahlmöglichkeiten, eine solche könnte aus Figur 6 in K10 entnehmbar sein, nicht entgegen, der Fachmann weiß, Vor- und Nachteile der verschiedenen Vorgehensweisen abzuwägen und nach den gestellten Anforderungen auszuwählen. Mit der vorstehenden, dem Fachmann nahegelegten Maßnahme, neben Ausschlussmengen auch Zulassungsmengen für das Regelwerk der nutzerspezifischen Filterprofile vorzusehen, war der Fachmann denn auch schon bei der Vorrichtung gemäß Patentanspruch 1 angelangt.

Die Beklagte hat weiter argumentiert, bei der aus K10 als bekannt entnehmbaren Vorrichtung sei keine Filterung des Inhalts vorgesehen, sondern nur eine solche auf Paketebene, außerdem erfolge keine bidirektionale Filterung und es werde auch keine IP-Adresse zugeordnet. Ob die beiden letztgenannten Einwände zutreffen, mag dahinstehen, sie können den Fachmann jedenfalls nicht davon abhalten, die in K10 beschriebenen Ausprägungen von Regelwerken, wie vorstehend dargelegt, bei der aus K6 bekannten bidirektionalen Filterung unter Zuordnung einer Netzwerkadresse anzuwenden (siehe Zitatstellen zur K6). Außerdem beschreibt auch die K10, wie schon K6 (vgl K6, filtrage de contenu, Sp 4 Z 46) eine inhaltliche Filterung, vgl K10, Seite 1 Zeilen 3 bis 8, Seite 12 Zeilen 20 bis 24. Auch schließt eine Filterung von Paketinhalten eine inhaltliche Filterung nicht aus, vgl K10, Seite 13 Zeilen 6 bis 8. Im übrigen ist eine Filterung von Paket-Inhalten auch vom Wortlaut des Patentanspruchs 1 mit umfasst, nachdem dort abgestellt wird auf das Filtern von Informationen allgemein. Die Argumentation der Beklagten kann somit für die Vorrichtung gemäß Anspruch 1 keine erfinderische Tätigkeit begründen.

6. Das Verfahren gemäß dem nebengeordneten Patentanspruch 13 nach Hauptantrag ist mangels erfinderischer Tätigkeit gegenüber dem Stand der Technik nach K6 ebenfalls nicht patentfähig.

Anspruch 13 umschreibt - abgesehen von der anderen Patentkategorie - den gleichen Sachverhalt wie Anspruch 1.

Ein Verfahren zum individuellen Filtern von über ein Netzwerk übertragenen Informationen mit den Merkmalen B1 bis B2.1, Teil von B2.2 Ausschlusslisten betreffend, und B3 bis B4 ist aus der Druckschrift K6 als bekannt entnehmbar (vgl oben unter Punkt 5.). Wobei individuelle Nutzerprofile für ein Nutzergerät auch nutzerspezifisch für dessen Benutzer sind, nachdem dem Nutzerprofil eine Netzwerkadresse des Nutzergeräts anhand der Nutzeridentifikationsdaten zugeordnet wird - Merkmal B2. Auch ist das aus K6 als bekannt entnehmbare Regelsystem computerlesbar, vgl K6 Spalte 4 Zeilen 33 bis 52 - Merkmal B2.1. Die zu den Merkmalen, insbesondere zum Merkmal A2.2 der Vorrichtung nach Anspruch 1 dargelegten Überlegungen zur erfinderischen Tätigkeit gelten in gleicher Weise für die dazu korrespondierenden Merkmale des Verfahrens nach Anspruch 13, insbesondere Merkmal B2.2. Somit gilt auch der Gegenstand des Anspruchs 13 als nicht auf einer erfinderischen Tätigkeit beruhend.

7. Die Gegenstände der Anspruchsfassungen nach Hilfsantrag beruhen ebenfalls nicht auf erfinderischer Tätigkeit.

Anspruch 1 nach Hilfsantrag - und korrespondierend dazu Anspruch 13 - unterscheiden sich inhaltlich von Anspruch 1, resp Anspruch 13, nach Hauptantrag dadurch, dass die Merkmale A2.2, resp B2.2, und A5.2, resp B4, folgendermaßen lauten (Änderungen hervorgehoben):

A2.2 wobei die Regeln Zulassungsmengen und Ausschlussmengen für Anfragen und Antworten definieren, mit Mitteln, um die Zulassungsmengen und Ausschlussmengen miteinander zu verknüpfen, um neue Zulassungsmengen und Ausschlussmengen zu bilden, B2.2 die Regeln mehrere nutzerspezifische Zulassungsmengen und Ausschlussmengen für Anfragen und Antworten definieren,die miteinander verknüpft sind, um neue Zulassungsmengen und Ausschlussmengen zu bilden, A5.2 im Folgenden anhand des nutzerspezifischen Filterprofils (19) die Informationen aus dem Netzwerk (17), die unmittelbar oder mittelbar an die entsprechenden Netzwerkadressen adressiert sind oder von ihr stammen, nach dem Regelwerk des Filterprofils (19) und unter Berücksichtigung der Verknüpfungen filtert.

B4. in einem weiteren Schritt anhand des nutzerspezifischen Filterprofils die Informationen aus dem Netzwerk, die unmittelbar oder mittelbar an die entsprechenden Netzwerkadressen adressiert sind oder von ihr stammen, nach dem Regelwerk des Filterprofils unter Berücksichtigung der Verknüpfungen gefiltert werden.

Nachdem sich der Fachmann, wie oben zum Hauptantrag erörtert, veranlasst sah, neben Ausschlussmengen auch Zulassungsmengen für das Regelwerk der nutzerspezifischen Filterprofile vorzusehen, ihm aber darüber hinaus auch noch weitere Kriterien und Möglichkeiten zur Auswahl von Informationen gegenwärtig sind, insbesondere auch Kombinationen, also Verknüpfungen der verschiedenen Auswahlmöglichkeiten, wird er nicht zögern, ein solches Vorgehen ins Auge zu fassen, um damit bspw die Leistungsfähigkeit der Informations-Filterung zu verbessern. Eine solche Verknüpfung führt zu neuen Regeln für die Filterung der Informationen, also zu neuen Zulassungsmengen und Ausschlussmengen (Merkmal A2.2 resp B2.2), die dann bei der Filterung auch zum Einsatz kommen, sprich: berücksichtigt werden (Merkmal A5.2 resp B4). Überdies ist auch eine solche Verknüpfung von Zulassungsmengen und Ausschlussmengen aus dem Stand der Technik nach K10 als bekannt entnehmbar, vgl Seite 4 Zeilen 15 bis 20, Seite 6 Zeilen 7 bis 11, Seite 6 Zeile 13 bis Seite 7 Zeile 11, insbesondere Seite 17 Zeilen 13 bis 14. Mit der vorstehenden, dem Fachmann nahegelegten Maßnahme, nicht nur Zulassungsmengen und Ausschlussmengen, sondern auch deren Verknüpfungen für das Regelwerk der nutzerspezifischen Filterprofile vorzusehen, war der Fachmann zumindest schon bei dem Verfahren gemäß Patentanspruch 13 nach Hilfsantrag angelangt. Selbstverständlich sieht der Fachmann für eine dem Verfahren entsprechende Vorrichtung auch Mittel vor, um die Zulassungsmengen und Ausschlussmengen miteinander zu verknüpfen, und gelangt so zur Vorrichtung gemäß Patentanspruch 1 nach Hilfsantrag.

8. Die Bereitschaft der Beklagten, einen weiteren Hilfsantrag zu stellen, bei dem in den Ansprüchen 1 und 13 in den Merkmalen A5.2 resp B4 die Passage "...an die entsprechenden Netzwerkadressen adressiert sind oder von ihr stammen..." geändert wird in "...an die entsprechenden Netzwerkadressen adressiert sind und von ihr stammen...", hat der Senat nicht aufgegriffen. Das in Rede stehende "oder" in den vorliegenden Fassungen der Ansprüche 1 und 13 nach Haupt- und Hilfsantrag ist nach Auffassung des Senats nicht als exklusives Oder, sondern als logisches Und/Oder zu interpretieren. Letztere Interpretation hat auch Berücksichtigung gefunden bei der Beurteilung der Patentfähigkeit der Gegenstände der Patentansprüche 1 und 13 nach Haupt- und Hilfsantrag.

9. Die - nach Haupt- und Hilfsantrag gleichlautenden - Patentansprüche 2 bis 12 und 14 bis 19 sind ebenfalls nicht rechtsbeständig. Die Klägerin hat diese echten Unteransprüche substantiiert angegriffen, die Beklagte hat jedoch nicht im einzelnen dargelegt, dass in ihnen Merkmale enthalten sind, die eine erfinderische Tätigkeit begründen könnten. Auch der Senat vermag Derartiges nicht zu erkennen.

10. In Anbetracht der Sachlage kann die Frage, ob die Zitatstellen K11 bis K22 zum Stand der Technik zählen, resp als offenkundige Vorbenutzung zu betrachten sind, dahinstehen.

II Die Kostenentscheidung beruht auf § 84 Abs 2 PatG iVm § 91 Abs 1 Satz 1 ZPO, der Ausspruch zur vorläufigen Vollstreckbarkeit auf § 99 Abs 1 PatG iVm § 709 ZPO.

Dr. Schwendy Obermayer Müllner Dr. Hartung Dr. Zehendner Pr






BPatG:
Urteil v. 10.09.2003
Az: 4 Ni 41/02


Link zum Urteil:
https://www.admody.com/urteilsdatenbank/0fc28b6a9192/BPatG_Urteil_vom_10-September-2003_Az_4-Ni-41-02




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