Amtsgericht Göttingen:
Beschluss vom 17. Februar 2003
Aktenzeichen: 74 IK 153/01
(AG Göttingen: Beschluss v. 17.02.2003, Az.: 74 IK 153/01)
Tenor
Der Antrag des Schuldnervertreters vom 28.01.20003 auf Ergänzung des Beiordnungsbeschlusses vom 29.12.2001 wird zurückgewiesen.
Gründe
Der Schuldner hat mit Antrag vom 06.09.2001 Antrag auf Eröffnung des Verbraucherinsolvenzverfahrens über sein Vermögen gestellt und u.a. beantragt, ihm Prozesskostenhilfe unter Beiordnung seines Verfahrensbevollmächtigten zu bewilligen. Für das gerichtliche Schuldenbereinigungsplanverfahren ist diesem Antrag mit Beschluss vom 29.12.2001 gem. §§ 309 Abs. 2 Satz 4, 4 a Abs. 2 InsO entsprochen worden. Mit Beschluss vom 14.08.2002 ist das Insolvenzverfahren eröffnet und dem Schuldner Stundung bewilligt worden. Mit Schreiben vom Oktober 2002 hat einer der Gläubiger (Landesarbeitsamt) beim Treuhänder geltend gemacht, dass die Forderung aus vorsätzlich begangener unerlaubter Handlung herrühre. Der Anmeldung war beigefügt ein Schreiben an die Staatsanwaltschaft Göttingen, wonach der Schuldner trotz Arbeitsaufnahme weiter Arbeitslosengeld für den Zeitraum vom 01.01.1995 bis 11.03.1995 in Höhe von (umgerechnet) 714,79 € bezog. Die Rechtspflegerin belehrte den Schuldner in dem schriftlich durchgeführten Verfahren gem. § 175 Abs. 2 InsO durch Übersendung eines Merkblattes, dem die Anmeldung der Gläubigerin in Fotokopie beigefügt war. U.a. heißt es in dem Merkblatt:
"Es wird empfohlen, sich hinsichtlich der o. a. Forderung(en) mit dem Insolvenzverwalter und ggf. Ihrem Anwalt in Verbindung zu setzen und die Sache zu besprechen.
Nur durch das Einlegen eines Widerspruchs können Sie verhindern, dass Sie für die Forderung auch nach Abschluss der Wohlverhaltensperiode weiter haften."
Mit Schreiben seines Verfahrensbevollmächtigten vom 28.10.2002 erklärte der Schuldner seinen Widerspruch, der in einem Schriftsatz vom 01.11.2002 nochmals wiederholt wurde. Mit Kostenantrag vom 25.11.2002 macht der Verfahrensbevollmächtigte des Schuldners u.a. eine 5/10 Gebühr gem. § 73 BRAGO für Vertretung im Insolvenzverfahren geltend. Auf Hinweis der Rechtspflegerin, dass eine Beiordnung gemäß Beschluss vom 29.12.2001 nur für das Schuldenbereinigungsplanverfahren erfolgt sei, beruft sich der Verfahrensbevollmächtigte des Schuldners im Schriftsatz vom 28.01.2003 darauf, ggf. müsse der Beiordnungsbeschluss vom 29.12.2001 ergänzt werden. Im Hinblick darauf hat die Rechtspflegerin die Akten dem Insolvenzrichter vorgelegt.
Der Antrag auf Ergänzung ist zurückzuweisen.
§ 4 a Abs. 2 Satz 1 InsO bestimmt, dass im Falle der Stundung der Verfahrenskosten dem Schuldner auf Antrag ein Rechtsanwalt beigeordnet wird, wenn die Vertretung durch einen Rechtsanwalt trotz der dem Gericht obliegenden Fürsorge erforderlich erscheint.
Im Eröffnungsbeschluss vom 14.08.2002 ist dem Schuldner zwar Stundung bewilligt worden. Für den Widerspruch gem. § 175 Abs. 2 InsO gegen die Geltendmachung der Forderung aus vorsätzlich begangener unerlaubter Handlung ist die Beiordnung eines Rechtsanwaltes jedoch nicht erforderlich. Die Beiordnung eines Rechtsanwaltes kommt in Betracht, wenn sich Schuldner und Gläubiger wie Parteien in einem streitigen Zivilverfahren gegenüberstehen, z.B. bei einem Antrag auf Zustimmungsersetzung gem. § 309 InsO oder einem Antrag auf Versagung der Restschuldbefreiung gem. §§ 290, 296 ff. InsO (BK-Goetsch InsO § 4a Rz. 31; Kübler/Prütting InsO § 4a Rz. 48; MünchKomm-InsO/Ganter § 4a Rz. 10; Uhlenbruck InsO § 4a Rz. 11). Der bloße Widerspruch gegen die Anmeldung einer Forderung aus vorsätzlich begangener unerlaubter Handlung begründet keine Beiordnung eines Rechtsanwaltes (a.A. FK-InsO/Kothe § 4a Rz. 39).
Gem. § 174 Abs. 2 InsO hat ein Gläubiger bei der Anmeldung u.a. die Tatsachen anzugeben, aus denen sich nach seiner Einschätzung ergibt, dass ihr eine vorsätzlich begangene unerlaubte Handlung des Schuldners zugrunde liegt. In der Praxis bezeichnen die Gläubiger (fast ausnahmslos Sozialversicherungsträger) die Höhe der Forderung und den Zeitraum, in dem sie entstanden ist. Weiter wird kurz erwähnt, woraus die vorsätzliche unerlaubte Handlung folgen soll (z.B. Nichtabführen der Arbeitnehmerbeiträge an Sozialversicherungsträger). Im vorliegenden Fall bezieht sich die Gläubigerin darauf, der Schuldner habe ihr eine Arbeitsaufnahme nicht mitgeteilt. Nähere Angaben, die beispielsweise die weiteren Voraussetzungen des § 266 a StGB (z.B. Leistungsfähigkeit) betreffen, werden in der Praxis nicht gemacht. Sie sind auch nicht erforderlich, da eine inhaltliche Prüfungspflicht des Insolvenzgerichtes nicht besteht (Kehe/Meyer/Schmerbach ZInsO 2002, 615, 616 und 660, 664). Der Schuldner wird lediglich darüber informiert, dass der Gläubiger sich eines Anspruches aus vorsätzlich begangener unerlaubter Handlung berühmt. Zugleich wird er gem. § 175 Abs. 2 InsO durch das Insolvenzgericht ausführlich auf die Rechtsfolgen des § 302 InsO hingewiesen und die Möglichkeit des Widerspruches belehrt. Dies ist auch im vorliegenden Fall geschehen. Dem Schuldner soll durch die frühzeitige Information durch den Gläubiger u.a. eine Entscheidung darüber ermöglicht werden, ob er das Restschuldbefreiungsverfahren tatsächlich durchführen will. Eine endgültige Klärung, ob die Forderung aus vorsätzlich begangener unerlaubter Handlung stammt, wird jedoch nicht im Insolvenzverfahren getroffen. Vielmehr muss der Gläubiger bei Widerspruch des Schuldners eine Feststellungsklage erheben.
Allein aufgrund der Anmeldung des Gläubigers ist eine umfassende Prüfung für den Schuldner weder möglich noch erforderlich. Er kann sich darauf beschränken, Widerspruch zu erheben und abzuwarten, ob der Gläubiger auf Feststellung klagt. In einem Klageverfahren kommt für den Schuldner die Bewilligung von Prozesskostenhilfe durchaus in Betracht. Der Schuldner ist bei dieser Vorgehensweise auch nicht einem unzumutbaren Kostenrisiko ausgesetzt. Fordert der Gläubiger vor Erhebung der Feststellungsklage vor dem zuständigen Prozessgericht den Schuldner nicht unter schlüssiger Darlegung der Voraussetzungen einer vorsätzlich begangenen unerlaubten Handlung zu einem Anerkenntnis bzw. zu einer Zurücknahme des Widerspruches gem. § 175 Abs. 2 InsO auf, kann der Schuldner den Feststellungsantrag anerkennen mit der Folge, dass der Gläubiger gem. § 93 ZPO die Kosten des Rechtsstreites zu tragen hat (vgl. Kehe/Meyer/Schmerbach ZInsO 2002, 660, 666).
Daran ändert nicht die in dem Merkblatt ausgesprochene Empfehlung an den Schuldner, sich mit dem Insolvenzverwalter und ggf. mit seinem Anwalt in Verbindung zu setzen und die Sache zu besprechen. In dem Merkblatt kommt eindeutig zum Ausdruck, dass und bis zu welchem Zeitpunkt ein Widerspruch eingelegt sein muss und welche Wirkungen er hat. Aus einer bloßen Empfehlung des Insolvenzgerichtes an den Schuldner, sich ggf. mit seinen Anwalt in Verbindung zu setzen, folgt nicht, dass die Beiordnung eines Anwaltes gem. § 4 a Abs. 2 Satz 1 InsO erforderlich ist (vgl. auch LG Bochum ZInsO 2003, 89, 91). Es ist jedoch zu überlegen, ob für zukünftige Fälle in dem Merkblatt der Belehrung nach § 175 Abs. 2 InsO ein klarstellender Zusatz angebracht wird.
AG Göttingen:
Beschluss v. 17.02.2003
Az: 74 IK 153/01
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