Oberlandesgericht München:
Urteil vom 12. Januar 2012
Aktenzeichen: 6 U 813/11

(OLG München: Urteil v. 12.01.2012, Az.: 6 U 813/11)

Tenor

I. Auf die Berufung des Klägers wird das Endurteil des Landgerichts München I vom 08. Februar 2011, Az. 1 HK O 18466/10, abgeändert und wie folgt gefasst:

1. Die Beklagte wird verurteilt, es zu unterlassen, bei den von ihr nicht vertretenen Kommanditisten der Grundrendite Liegenschaften GmbH & Co. Immobilien Fonds KG in einem persönlich an diese Kommanditisten gerichteten Schreiben um die Erteilung eines Mandats zur Abwehr der vom Insolvenzverwalter gegen die Kommanditisten geführten Klage auf Rückzahlung von Ausschüttungen wie im nachfolgend wiedergegebenen Schreiben zu werben:

2. Der Beklagten wird für jeden Fall der Zuwiderhandlung ein Ordnungsgeld in Höhe von bis zu € 250.000.-, ersatzweise Ordnungshaft bis zu sechs Monaten angedroht, wobei die Ordnungshaft am jeweiligen gesetzlichen Vertreter der Beklagten zu vollziehen ist und insgesamt zwei Jahre nicht übersteigen darf.

3. Die Beklagte wird verurteilt, dem Kläger Auskunft darüber zu erteilen, in welchem Umfang sie vorstehend unter Ziffer 1 bezeichnete Handlungen begangen hat und zwar unter Angabe der Art, des Zeitpunkts und der Anzahl der Werbemaßnahmen.

4. Es wird festgestellt, dass die Beklagte verpflichtet ist, dem Kläger allen Schaden zu ersetzen, der diesem durch die vorstehend in Ziffer 1 bezeichneten Handlungen entstanden ist und/oder künftig noch entstehen wird.

II. Die Beklagte hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.

III. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Der Beklagten wird nachgelassen, die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von € 100.000.- abzuwenden, sofern nicht der Kläger vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

Gründe

I.

Der Kläger nimmt die Beklagte wegen eines als unlauter erachteten Anschreibens an potentielle Mandanten auf Unterlassung, Auskunft und Feststellung der Schadenersatzpflicht in Anspruch.

Die Parteien sind als Rechtsanwälte u.a. mit der Vertretung von Anlegern im Zusammenhang mit fehlgeschlagenen Fondsgesellschaften befasst. Zu ihren Mandanten gehören jeweils auch Anleger der in Insolvenz befindlichen Grundrendite Liegenschaften GmbH & Co. Immobilien Fonds KG. Die Kommanditisten der KG werden vom Insolvenzverwalter derzeit - teils schon im Klagewege - auf Rückzahlung von Ausschüttungen in Anspruch genommen.

Im September 2010 versandte die Beklagte den im Tenor wiedergegebenen Rundbrief, der, jeweils persönlich an die Empfänger adressiert, an zahlreiche Kommanditisten der Fondsgesellschaft, die nicht von ihr anwaltlich vertreten wurden - darunter auch an mindestens drei Mandanten des Klägers (vgl. Anlagenkonvolut K 1) - gerichtet war. Eine vom Kläger darob unter dem 20. September 2010 ausgesprochene Abmahnung (Anlage K 2) hat die Beklagte mit Schreiben vom 24. September 2010 (Anlage B 1) zurückgewiesen.

Nach Auffassung des Klägers stellt dieses Schreiben eine nach § 43b BRAO verbotene, da auf die Erteilung eines Mandats im Einzelfall gerichtete, Werbung dar, welche der Beklagten nach § 4 Nr. 11 UWG zu untersagen ist: Der Beklagten sei die teils bereits erfolgte, teils drohende Inanspruchnahme der Kommanditisten durch den Insolvenzverwalter bekannt gewesen, sie habe daher um deren akuten Beratungsbedarf in einer konkreten Rechtsangelegenheit gewusst. Durch die angeblich erfolgversprechendere gemeinsame Interessenvertretung - eine Behauptung, die nicht zutreffe und daher irreführend sei, jedenfalls aber die Adressaten verunsichere, könnten diese doch nicht zuverlässig einschätzen, ob ein konzertiertes Vorgehen gegen den Insolvenzverwalter nicht doch vorteilhafter sei - habe sie überdies versucht, einen zusätzlichen Beratungsbedarf zu wecken und sich dabei den Empfängern des Rundschreibens regelrecht aufgedrängt. Zahlreiche Mandanten des Klägers hätten das Schreiben denn auch als aufdringlich und belästigend empfunden und ihrem Ärger darüber gegenüber dem Kläger Luft gemacht. Die für die Unzulässigkeit einer Anwaltswerbung im Einzelfall teilweise geforderte Gemeinschädlichkeit, die schon in der Gefahr zu sehen sei, dass der Rechtssuchende ungewollt belästigt oder bedrängt werde und sich möglicherweise nicht mehr frei für einen Anwalt entscheiden könne, habe sich im Streitfall mithin sogar realisiert. Soweit das Schreiben an Kommanditisten gerichtet worden sei, deren Beratungsbedarf - wie die Beklagte ausweislich der Formulierung €... Anwaltskollegen, die Sie eventuell in dieser Angelegenheit bereits vertreten" wusste - schon gedeckt war, habe es nicht nur auf die Gewinnung neuer Mandate im Einzelfall abgezielt, sondern zusätzlich darauf, in fremde Mandantenbeziehungen einzugreifen und der Konkurrenz Mandate abzuwerben, was als gezielte Behinderung nach § 4 Nr. 10 UWG zu qualifizieren sei.

Der Kläger hat erstinstanzlich zuletzt folgende Anträge gestellt:

1. Die Beklagte wird verurteilt, es zu unterlassen, bei den von ihr nicht vertretenen Kommanditisten der Grundrendite Liegenschaften GmbH & Co. Immobilien Fonds KG in einem persönlich an diese Kommanditisten gerichteten Schreiben um die Erteilung eines Mandats zur Abwehr der vom Insolvenzverwalter gegen die Kommanditisten geführten Klage auf Rückzahlung der Ausschüttungen wie folgt zu werben <es folgt das im Tenor wiedergegebene Schreiben gemäß Anlagenkonvolut K 1>;

2. Der Beklagten wird für jeden Fall der Zuwiderhandlung ein vom Gericht festzusetzendes Ordnungsgeld bis zu € 250.000.-, ersatzweise Ordnungshaft bis zu sechs Monaten angedroht, wobei die Ordnungshaft an dem jeweiligen gesetzlichen Vertreter der Beklagten zu vollziehen ist und insgesamt zwei Jahre nicht übersteigen darf.

3. Die Beklagte wird verurteilt, dem Kläger Auskunft darüber zu erteilen, in welchem Umfang sie die vorstehend unter Ziffer 1 bezeichneten Handlungen begangen hat, und zwar unter Angabe der Art, des Zeitpunkts und der Anzahl der Werbemaßnahmen.

4. Es wird festgestellt, dass die Beklagte verpflichtet ist, dem Kläger allen Schaden zu ersetzen, der diesem durch die vorstehend in Ziffer 1 bezeichneten Handlungen entstanden ist und/oder zukünftig noch entstehen wird.

Die Beklagte hat Klagabweisung beantragt und zur Begründung im Wesentlichen ausgeführt, ihr sei nicht bekannt gewesen, ob und ggfls. von wem die Adressaten ihres Rundschreibens anwaltlich vertreten gewesen seien, so dass eine gezielte Behinderung von Mitbewerbern bereits deshalb ausscheide; im Übrigen sei es ihr nicht um ein Eindringen in fremde Mandantenbeziehungen gegangen, sondern, wie in dem Schreiben ausgeführt, um einen Erfahrungsaustausch mit den Kollegen, was die Adressaten ausweislich Anlage B 0 teils erfreut aufgegriffen hätten. Zu bestreiten sei auch, dass Mandanten des Klägers ob des Schreibens verärgert gewesen und ihrem Ärger Luft gemacht hätten, werde derlei doch beispielsweise aus der handschriftlichen Anmerkung in Anlage K 1 nicht ansatzweise deutlich. In rechtlicher Hinsicht sei festzustellen, dass anwaltliche Rundschreiben auch an Nicht-Mandanten nach aktuellem Stand der höchstrichterlichen Rechtsprechung (BGH NJW 2001, 2886, 2887 - Anwaltsrundschreiben an Nichtmandanten) grundsätzlich unbedenklich seien. Der Umstand, dass Teile der Adressaten bereits anwaltlich beraten seien, könne hieran nichts ändern, gehe doch der Gesetzgeber in § 15 BRAO selbst davon aus, dass sich auch ein Rechtsanwalt um neue, auch fremde, Mandanten bemühen dürfe. Damit sei das streitgegenständliche Schreiben nicht als unlauter i.S.d. § 4 Nr. 10 UWG anzusehen. Auch ein Verstoß gegen § 4 Nr. 11 UWG i.V.m. § 43b BRAO - eine Norm, die im Lichte der Grundrechte nach Art. 5 GG und Art. 12 GG auszulegen sei - liege nicht vor: Die grundgesetzlich geschützte Berufsausübungsfreiheit umfasse nach ständiger Rechtsprechung auch die Außendarstellung der Rechtsanwälte einschließlich der Werbung für die Inanspruchnahme ihrer Dienste. Folglich bedürfe nicht die Gestattung, sondern die Einschränkung der Anwaltswerbung der Rechtfertigung (BGH NJW 2001, 2886, 2887 - Anwaltsrundschreiben an Nichtmandanten). Eine Beschränkung der Werbefreiheit sei nur dann mit Art. 12 GG vereinbar, wenn sie im Einzelfall durch ausgleichende Gründe des Gemeinwohls gerechtfertigt und im Übrigen verhältnismäßig sei. Ausgehend hiervon sei § 43b BRAO (nicht als abstraktes, sondern) als konkretes Gefährdungsdelikt zu verstehen. Dementsprechend sei eine Werbung um einen Auftrag im Einzelfall nur dann unzulässig, wenn ein zusätzliches Unlauterkeitsmoment dergestalt hinzutrete, dass der Umworbene in einem konkreten Kontext der Beratung und Vertretung bedürfe, der Werbende dies zum Anlass für seine Werbung nehme und in einer als aufdringlich empfundenen Weise den Bedarf des Werbeadressaten auszunutzen versuche, so dass dieser sich nicht frei für einen Anwalt entscheiden könne (OLG München, NJW 2002, 760, 761 - Interessentenschreiben). Diese Konstellation erfasse Fälle wie den vorliegenden, in welchen dem Empfänger sein konkreter Beratungsbedarf teils erst durch das Anschreiben bewusst gemacht werde, nicht (OLG Düsseldorf, DStRE 2003, 508; OLG Naumburg, NJW 2003, 3566 ff.; OLG Naumburg, NJW-RR 2008, 445, 446; KG, Beschluss vom 31. August 2010, Az. 5 W 198/10 = Anlage B 3). Aber auch im Übrigen sei das sachlich gehaltene Rundschreiben inhaltlich nicht zu beanstanden, enthalte es sich doch jeglicher anbiedernder Belästigung oder Aufdringlichkeit. Der Adressat werde weder in eine Notsituation gebracht noch sonst unsachlich beeinflusst.

Das Landgericht hat die Klage mit Endurteil vom 08. Februar 2011, auf dessen tatsächliche Feststellungen gemäß § 540 Abs. 1 Nr. 1 ZPO ergänzend Bezug genommen wird, abgewiesen. Zur Begründung hat es ausgeführt, das angegriffene Rundschreiben richte sich nicht auf eine Mandatserteilung im Einzelfall, auch wenn die Empfänger, wie der Beklagten bekannt gewesen sei, nicht nur abstrakten, sondern angesichts der teils bereits stattgehabten Inanspruchnahme durch den Insolvenzverwalter konkreten Beratungs- und Vertretungsbedarf gehabt hätten. Denn die Beklagte habe unterschiedslos alle (nicht von ihr vertretenen) Kommanditisten angeschrieben, gleich, ob sie schon einer Klage ausgesetzt gewesen seien oder nicht, bzw. ob sie anderweitig anwaltlich vertreten waren oder nicht; auch inhaltlich stelle das immergleiche Schreiben, das sich darauf beschränke, zutreffend und in sachlich gehaltenem Ton darüber zu informieren, dass die Beklagte bereits in die Problematik der notleidenden Grundrendite Liegenschaften GmbH & Co. Immobilien Fonds KG eingearbeitet sei, nicht auf die konkrete Situation des jeweils einzeln adressierten Empfängers ab. Angesprochen würden mithin nicht nur die Kommanditisten, die bereits mit einer Klage überzogen noch ohne anwaltliche Hilfe seien und deshalb möglicherweise unter Zeitdruck stünden, sondern alle. Dieser Personenkreis befinde sich indes nicht akut in einer schwierigen Lage, welche die Beklagte auszunutzen suche. Vielmehr handele es sich um die Gesellschafter eines schon seit längerem notleidenden Immobilienfonds. Diese seien grundsätzlich in der Lage, sich auch dann frei für einen Anwalt zu entscheiden, wenn sie ein allgemein gehaltenes Werbeschreiben eines Anlegeranwalts erhielten. Eine Irreführung liege ebenfalls nicht vor, sei doch die Aussage, dass eine gemeinsame Interessenvertretung eine stärkere Verhandlungsposition aufbauen könne, ebenso richtig wie nichtssagend.

Gegen diese Entscheidung, dem Klägervertreter zugestellt am 13. Februar 2011, richtet sich dessen unter dem 21. Februar 2011 (Bl. 79 f. d.A.) eingelegte und mit Schriftsatz vom 08. April 2011 (Bl. 92 ff. d.A.) begründete Berufung, mit der er sein Ausgangsbegehren in vollem Umfang weiterverfolgt. Er meint, das Landgericht habe sowohl Inhalt und Zweck des beanstandeten Werbeschreibens als auch Reichweite und Bedeutung der Norm des § 43b BRAO verkannt: Die angeschriebenen Kommanditisten der insolventen KG seien - was der Beklagten bekannt gewesen sei - kurz vorher vom Insolvenzverwalter auf Rückzahlung von Ausschüttungen in Anspruch genommen und teils bereits verklagt worden. In dieser Situation habe bei ihnen konkreter und akuter Beratungsbedarf bestanden. Das Schreiben sei nicht nur formell an die jeweiligen Empfänger persönlich gerichtet gewesen, sondern auch inhaltlich, wenn dort - nach einleitender Darlegung einiger rechtlichen Aspekte der Klage des Insolvenzverwalters und eines Hinweises auf die Vertretung mehrerer Kommanditisten vor dem LG Duisburg - eine ausführliche telefonische Erörterung der Problematik, etwa der Frage einer gebündelten Interessenvertretung, mit dem jeweiligen Adressaten persönlich offeriert werde. Wenn der angeschriebene Kommanditist auf diese Weise zu einer Kontaktaufnahme mit der Beklagten motiviert werde, ziele das Schreiben unmissverständlich auf eine Beauftragung durch den jeweiligen Adressaten, d.h. auf eine Mandatierung im Einzelfall ab. Bei seiner gegenteiligen Ansicht verkenne das Landgericht, dass sich die Frage des Einzelfalles nicht nach der Anzahl der Adressaten bemesse, sondern danach, ob der jeweilige Empfänger einer Beratung in einem konkreten Einzelfall bedurft habe. In eben dieser Situation hätten sich die Kommanditisten der insolventen Fondsgesellschaft befunden, seien sie doch schon auf Rückzahlung in Anspruch genommen und teilweise sogar schon verklagt worden. Die Drucksituation, die aus diesem dringenden und akuten Beratungs- und Vertretungsbedarf der Adressaten in puncto Abwehr der Ansprüche des Insolvenzverwalters resultiert, habe sich die Beklagte gezielt zu Nutze gemacht. Dass das Schreiben in sachlichem Ton gehalten und möglicherweise sogar für einzelne Anleger von Interesse gewesen sein mag, hindere den Verstoß gegen § 43b BRAO und damit eine Unlauterkeit nach § 4 Nr. 11 UWG - auch im Lichte der jüngsten Rechtsprechung des EuGH (Urteil vom 05. April 2011, Rs. C-119/09, Anwaltsbl. 6/2011, S. 492 ff = Anlage 1) - nicht. Ergänzend sei anzumerken, dass auch die Tatbestandsmerkmale der Irreführung wie der gezielten Behinderung erfüllt seien.

Der Kläger beantragt,

das Urteil des Landgerichts München I vom 08. Februar 2011, Az. 1 HK O 18466/10, abzuändern und die Beklagte zu verurteilen wie im Tenor geschehen.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie verteidigt die angefochtene Entscheidung als im Einklang mit der bisher ergangenen höchstrichterlichen und obergerichtlichen Rechtsprechung und betont erneut, dass sich die Adressaten, wie das Landgericht zutreffend erkannt habe, nicht in einer akut schwierigen Lage befunden hätten, die sie, die Beklagte, hätte ausnutzen können. Im Übrigen ergebe sich aus dem Schreiben selbst, dass ihr die konkrete Situation des jeweiligen Adressaten (etwa die Frage einer unmittelbaren Beteiligung oder einer mittelbaren als Treugeber der Fa. M. Treuhand- und Steuerberatungsgesellschaft mbH, bereits erfolgte Inanspruchnahme oder Klage seitens des Insolvenzverwalter, anderweitige anwaltliche Vertretung des Empfängers) nicht bekannt gewesen sei, sie deshalb auch keine auf die jeweils spezifische Lage zugeschnittenen Einzelbriefe habe versenden können. Entgegen der Ansicht des Klägers sei ein Werbeschreiben an anwaltlich bereits vertretene Personen nicht eo ipso unzulässig, ein gezielter Eingriff in bestehende Anwaltsbeziehungen der Kommanditisten sei nicht ansatzweise erkennbar: Die Adressaten würden nicht etwa zum Anwaltswechsel aufgefordert, sondern im Gegenteil darauf hingewiesen, dass seitens der Beklagten ein Erfahrungs- und Gedankenaustausch mit den Kollegen durchaus erwünscht sei.

Wegen des Parteivorbringens im Übrigen wird auf die im Berufungsverfahren eingereichten Schriftsätze nebst Anlagen, des Weiteren auf das Protokoll der mündlichen Verhandlung vom 06. Oktober 2011 Bezug genommen.

Nach Schluss der mündlichen Verhandlung hat der Kläger nicht nachgelassene Schriftsätze vom 10. Oktober 2011 und vom 13. Dezember 2011, die Beklagte vom 12. Oktober 2011 zu den Akten gereicht.

II.

Die nach § 511 Abs. 1, Abs. 2 Nr. 1 ZPO statthafte und auch im Übrigen zulässige, insbesondere form- und fristgerecht eingelegte (§§ 519 Abs. 1, Abs. 2; 517 ZPO) und begründete (§ 520 Abs. 3, Abs. 2 Satz 1 ZPO) Berufung des Klägers hat auch in der Sache Erfolg. Das beanstandete Werberundschreiben der Beklagten vom September 2010 stellt sich unter dem Gesichtspunkt des § 4 Nr. 11 UWG wegen Verstoßes gegen das Verbot einer auf Auftragserteilung im Einzelfall gerichteten Werbung gemäß § 43b BRAGO als wettbewerbswidrig dar. Nach § 8 Abs. 1 UWG kann der (gemäß § 8 Abs. 3 Nr. 1 UWG als Mitbewerber aktivlegitimierte) Kläger daher Unterlassung derartiger Rundschreiben verlangen. Nach § 9 UWG steht ihm des Weiteren ein Anspruch auf Ersatz des ihm aus dem unlauteren Verhalten der Beklagten entstandenen Schadens sowie, gemäß § 242 BGB, akzessorisch die zur Durchsetzung des Ersatzanspruchs erforderliche Auskunft zu. Im Einzelnen:

1. Mit dem Landgericht versteht der Senat zunächst das Klagebegehren dahingehend, dass der Kläger primär einen Verstoß der Beklagten gegen das Werbeverbot des § 43b BRAO und eine daraus resultierende Unlauterkeit i.S.d. § 4 Nr. 11 UWG beanstandet. Soweit er einzelne Aussagen des Rundbriefs als irreführend moniert, erfolgt dies ausschließlich im Rahmen der Begründung seiner Rüge wettbewerbswidriger Werbung gemäß § 43b BRAO, nicht hingegen als eigenständiger Streitgegenstand (vgl. BGH GRUR 2011, 521 - TÜV). Ob der - nach dem Verständnis des Senats hilfsweise erhobene - weitere Vorwurf einer gezielten Behinderung durch Eindringen in fremde Mandantenbeziehungen, § 4 Nr. 10 UWG, durchgreift, ist, insofern der Kläger bereits mit seiner Hauptbegründung durchdringt, nicht mehr entscheidungserheblich.

2. Abweichend von der Ansicht des Erstgerichts qualifiziert der Senat die Versendung des streitgegenständlichen Rundschreibens an Kommanditisten der insolventen Fondsgesellschaft, insofern entgegen der - nach allgemeiner Ansicht (vgl. Nachweise bei Köhler in: Köhler/Bornkamm, UWG, 29. Aufl., §. 4 Rdnr. 11.85) das Marktverhalten der Rechtsanwälte regelnden - Norm des § 43b BRAO auf die Erteilung eines Mandats im Einzelfall gerichtet, als unlauter i.S.d. § 4 Nr. 11 UWG.

23a. Wie das Landgericht zu Recht angenommen hat und auch die Beklagte nicht in Abrede stellt, handelt es sich bei dem (als geschäftliche Handlung i.S.d. § 2 Abs. 1 Nr. 1 UWG zu qualifizierenden) Rundschreiben um Werbung i.S.d. § 43b BRAO, da es planvoll darauf gerichtet ist, die Adressaten für eine Inanspruchnahme der von der Beklagten offerierten Dienstleistungen zu gewinnen (vgl. OLG Hamburg, NJW 2004, 1668; OLG Hamburg, NJW 2005, 2783, 2785).

24b. Nach § 43b BRAO unterliegt die Werbefreiheit der Anwaltschaft Einschränkungen dahingehend, dass sie zum einen in Form und Inhalt sachlich zu unterrichten hat und zum anderen nicht auf die Erteilung eines Auftrags im Einzelfall gerichtet sein darf.

25aa. Die für sich genommen verfassungsrechtlich unbedenkliche Norm des § 43b BRAO (vgl. BVerfG GRUR 2008, 618, 619, Tz. 11 - Anwaltsdienste bei ebay) ist nach allgemeiner Ansicht (vgl. Köhler in: Köhler/Bornkamm, a.a.O., § 4 Rdnr. 11.96) im Lichte der grundgesetzlich geschützten Berufsfreiheit, Art. 12 Abs. 1 GG, dahingehend auszulegen, dass die dort formulierte Beschränkung der Berufsausübung einschließlich deren Außendarstellung in Form von Werbung nur zulässig ist, soweit Belange des Gemeinwohls dies rechtfertigen. Das Verbot einer auf die Mandatierung im Einzelfall gerichteten anwaltlichen Werbung findet seine Rechtfertigung in dem Umstand, dass im Falle eines dem Rechtsanwalt bekannten aktuellen und konkreten Beratungs- oder Vertretungsbedarfs des Umworbenen dessen Lage, in der er auf rechtlichen Beistand angewiesen ist, durch die Werbung um das Mandat in einer mitunter auch als aufdringlich empfundenen Weise für die eigene Erwerbstätigkeit des Anwalts ausgenutzt wird, zumal die Gefahr besteht, dass der potentielle Mandant sich in der aktuellen Drucksituation möglicherweise nicht mehr frei und unvoreingenommen für einen anwaltlichen Berater oder Vertreter entscheiden kann (vgl. BGH NJW 2001, 2087, 2089 - Anwaltswerbung II m.w.N.). Diese Rechtfertigung für eine Einschränkung der Werbefreiheit des Rechtsanwalts greift, wie der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 19. Februar 2008 (GRUR 2008, 618, 619 f., Tz. 17) zu entnehmen ist, stets dann ein, wenn der Rechtsanwalt einen potentiellen Mandanten umwirbt, bei welchem konkreter, dem Werbenden bekannter Beratungsbedarf besteht, ohne dass es auf eine entsprechende Beeinträchtigung des Adressaten im Einzelfall ankäme. Dagegen schließt es die Regelung des § 43b BRAO (entgegen der Ansicht des Klägers) nicht aus, sich um eine bestimmte Person - auch wenn zu ihr noch kein Mandantschaftsverhältnis besteht - als potentiellen Mandanten zu bemühen, wenn bei dieser noch kein dem Rechtsanwalt bekannter Beratungsbedarf besteht (BVerfG GRUR 2008, 618, 620 Tz. 17). Im Einklang hiermit haben denn auch verschiedene Obergerichte (vgl. OLG Hamburg, NJW 2003, 1668, 1669; OLG München, NJW 2002, 760) es als lauterkeitsrechtlich unbedenklich erachtet, wenn ein Rechtsanwalt auf seiner Homepage an geschädigte Kapitalanleger herantritt und für seine Tätigkeit wirbt, über Klageverfahren berichtet und andere Beteiligte des betroffenen Anlagemodells auffordert, mit dem Anwalt in Kontakt zu treten, oder wenn ein Rechtsanwalt ein (nicht persönlich an die Mieter eines bestimmten Immobilieneigentümers adressiertes) Rundschreiben verteilt, in welchem er auf ein von ihm erstrittenes Urteil zu einer Mietvertragsklausel hinweist und seine Bereitschaft bekundet, gegen Bezahlung den jeweiligen Mietvertrag rechtlich zu prüfen oder bei aktuellen Differenzen mit dem Vermieter sofort tätig zu werden (OLG Düsseldorf, NJW 2003, 362, 362). Dagegen hat das OLG Hamburg in seiner Entscheidung NJW 2005, 2783, 2785 f. die anwaltliche Kontaktaufnahme zu Anlegern einer Fondsgesellschaft, bei welcher den Adressaten ein dringender Beratungsbedarf dargelegt und die eigenen Dienste zur Deckung dieses Bedarfs angeboten werden, als unzulässige Werbung um Mandate im Einzelfall qualifiziert.

bb. Ausgehend von den dargelegten Grundsätzen und der hierzu in jüngerer Zeit ergangenen Rechtsprechung genügt das Rundschreiben vom September 2010 den Vorgaben des § 43b BRAO nicht: Dabei kann dahinstehen, ob es sich ungeachtet des sachlichen Tons, in dem es gehalten ist, gleichwohl insofern als irreführend darstellt, als dort die Erfolgsaussichten eines konzertierten Vorgehens der Kommanditisten gegen den Insolvenzverwalter als aussichtsreicher denn das jeweils separate Vorgehen dargestellt werden (in diesem Sinn wird nämlich der unbefangene Leser - entgegen der Ansicht des Landgerichts - den vorletzten Absatz des Schreibens trotz der Verwendung des Modalverbs €kann" verstehen). Denn wie der Kläger zutreffend ausführt, handelt es sich bei dem Rundbrief nicht lediglich um eine lauterkeitsrechtlich unbedenkliche Werbung der Beklagten um Mandanten aus dem Bereich von Kapitalanlegern, sondern um ein unerlaubtes Herantreten an die - jeweils mit ihren persönlichen Daten wie Name und Anschrift adressierten - Empfänger zum Behufe der Akquise von Mandaten konkret im Zusammenhang mit der Abwehr von Ansprüchen des Insolvenzverwalters der Fondsgesellschaft, denen die Adressaten ausgesetzt sind: Wie der Beklagten aus ihrer Tätigkeit für andere Anleger des Fonds bekannt war, war der Insolvenzverwalter an die von ihr, der Beklagten, kontaktierten Kommanditisten in der Vergangenheit bereits herangetreten und hatte sie zur Rückzahlung von Ausschüttungen aufgefordert, teils waren diese Ansprüche sogar schon rechtshängig gemacht worden. In dieser Situation bestand für die angeschriebenen Anleger nicht nur ein potentieller, sondern ein aktueller Bedarf an anwaltlicher Beratung konkret hinsichtlich der Möglichkeiten und Erfolgsaussichten einer Verteidigung gegen die Forderungen des Insolvenzverwalters. Eben diesen spezifisch aus der akuten Lage der Adressaten resultierenden - bereits vorhandenen und nicht erst durch den Rundbrief bei ihnen geweckten oder ihnen bewußt gemachten - Bedarf zu decken hat sich die Beklagte in dem Rundschreiben erboten. Ein derartiges Vorgehen beschränkt sich nicht auf die zulässige Werbung um einzelne Mandanten ohne Bezug zu einem konkreten Mandat, sondern stellt den Versuch dar, spezifisch den Auftrag €Abwehr der Ansprüche des Insolvenzverwalters" von den einzelnen Mitgliedern des angeschriebenen Personenkreises zu akquirieren. Eine solche Werbung ist nach § 43b BRAO als unzulässige Werbung um eine Auftragserteilung im Einzelfall zu qualifizieren, ohne dass es weiterer Umstände wie etwa einer unsachlichen Belästigung der Adressaten, einer tatsächlichen Einschränkung ihrer Entschließungsfreiheit oder sonstiger (systematisch dem in § 43b BRAO erstgenannten Tatbestandsmerkmal der nach Form und Inhalt sachlichen Unterrichtung über die berufliche Tätigkeit des Rechtsanwalts zuzuordnender) Momente bedürfte: Für das von der Beklagten favorisierte Verständnis der Norm als konkretes Gefährdungsdelikt gibt weder ihr Wortlaut - der die Zulässigkeit anwaltlicher Werbung kumulativ an die sachliche Unterrichtung einerseits und die fehlende Ausrichtung auf eine Auftragserteilung im Einzelfall andererseits knüpft - noch die zitierte Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts einen Anhalt. Die abstrakte Gefahr entsprechender Beeinträchtigungen des Gemeinwohls, die bei der Werbung um Einzelmandate stets gegeben ist, hat vielmehr auch der Bundesgerichtshof als Rechtfertigung für die in der Vorschrift konkretisierte Einschränkung der anwaltlichen Werbefreiheit als ausreichend erachtet (vgl. BGH NJW 2001, 2886, 2887, dort Ziff. 2.a. a.E. - Anwaltsrundschreiben an Nichtmandanten; BGH GRUR 2001, 2087, 2089 - Anwaltswerbung II). Die Entscheidung des KG vom 31. August 2010, Az. 5 W 198/10 (NJW 2011, 865, 866), in welcher das Gericht die Unlauterkeit eines gezielt an die Gesellschafter einer bestimmten Fondsgesellschaft gerichteten Rundschreibens u.a. mit der Erwägung verneint hat, eine verfassungskonforme Auslegung des § 43b BRAO verlange eine im Einzelfall zu konstatierende konkrete Gefährdung des Gemeinwohls, ist auf den Streitfall bereits deshalb nicht übertragbar, weil die Gesellschaft in der dort judizierten Konstellation nicht notleidend war, so dass sich schon ein akuter Beratungsbedarf der Umworbenen nicht feststellen ließ. In ähnlicher Weise vermochte auch das OLG Naumburg in seinem beklagtenseits zitierten Beschluss nach § 91a ZPO vom 10. Juli 2007 (NJW-RR 2008, 445, dort Ziffer II.) nicht €uneingeschränkt" festzustellen, dass ein anwaltliches Schreiben das Ziel verfolgt hätte, in einer konkreten Angelegenheit mandatiert zu werden. Soweit schließlich auch in der Literatur (Dahns, NJW-Spezial 2010, 702 f.) eine im Einzelfall positiv festzustellende Gemeinwohlschädlichkeit der jeweiligen Werbung als Tatbestandsvoraussetzung für das Verbot des § 43b BRAO verlangt wird, räumt der Autor mit seinem Appell an den Gesetzgeber, sich €von dem absoluten Verbot des § 43b BRAO <zu> verabschieden" (Unterstreichung hinzugefügt), selbst ein, dass es einer solche Beeinträchtigung im Einzelfall de lege lata nicht bedarf.

27c. Steht mithin ein Verstoß der Beklagten gegen § 43b BRAO in Form des im Tenor wiedergegebenen Rundbriefs fest, ist dieses Verhalten auch als unlauter i.S.d. § 4 Nr. 11 UWG zu qualifizieren, so dass der Kläger nach § 8 Abs. 1 UWG Unterlassung derartiger Werbemaßnahmen verlangen kann. Die durch den vorangegangenen Verstoß begründete Wiederholungsgefahr hat die Beklagte nicht durch Abgabe einer strafbewehrten Unterlassungserklärung ausgeräumt. Nach § 9 UWG steht dem Kläger auch ein Anspruch auf Ersatz des ihm durch die wettbewerbswidrige Versendung des Rund-Schreibens entstandenen Schadens zu. Zur Vorbereitung und Durchsetzung dieses Ersatzanspruchs kann er schließlich nach allgemeiner Ansicht (vgl. Köhler in: Köhler/Bornkamm, a.a.O., § 9 Rdnr. 4.4, 4.5) gemäß § 242 BGB auch die geforderten Informationen, über die er schuldlos nicht verfügt, die indes der Beklagten unschwer zugänglich sind, verlangen.

3. Als unterlegene Partei hat die Beklagte nach § 91 Abs. 1 Satz 1 ZPO die Kosten des Rechtsstreits zu tragen. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit entspricht §§ 708 Nr. 10, 711 ZPO.

Eine Zulassung der Revision war auch mit Rücksicht auf den Beschluss des KG Berlin NJW 2011, 865 nicht veranlasst, da der Senat von einem die dortige Entscheidung tragenden Rechtsgrundsatz - schon im Hinblick auf die nicht vergleichbare Fallkonstellation - nicht abweicht.






OLG München:
Urteil v. 12.01.2012
Az: 6 U 813/11


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