Oberlandesgericht Köln:
Beschluss vom 22. Mai 1996
Aktenzeichen: 11 W 26/96
(OLG Köln: Beschluss v. 22.05.1996, Az.: 11 W 26/96)
Im Rahmen der im Prozeßkostenhilfeverfahren gebotenen summarischen Prüfung muß für eine Schmerzensgeldklage bereits eine nicht geringe Wahrscheinlichkeit genügen, daß im Hauptsacheverfahren ein Schmerzensgeld zugesprochen wird, das in die sachliche Zuständigkeit des Landgerichts gem. § 23 Nr. 1, 71 Abs. 1 GVG fällt. Die Genugtuungsfunktion des Schmerzensgeldes gewinnt insbesondere beim Ausgleich der durch vorsätzlichen Straftaten bewirkten Verletzungen Gewicht. Dies gilt auch dann, wenn der Täter strafrechtlich verurteilt wird. Die strafrechtliche Verurteilung ist Ausfluß des staatlichen Strafanspruchs. Die im Rahmen des § 847 BGB zu berücksichtigende Genugtuungsfunktion soll demgegenüber insbesondere der Beziehung des Geschädigten zum Schädiger Rechnung tragen.
Tenor
Auf die Beschwerde der Antragstellerin wird der Beschluß des Landgerichts Aachen vom 05.03.1996 - 9 O 15/96 - aufgehoben und der Antragstellerin Prozeßkostenhilfe unter Beiordnung von Rechtsanwältin Pathe für eine Klage in Höhe von 15.000,00 DM vor dem Landgericht Aachen bewilligt. Das Beschwerdeverfahren ist gebührenfrei. Kosten werden nicht erstattet (§ 127 Abs. 4 ZPO).
Gründe
Auf die gemäß § 127 Abs. 2 Satz 2 ZPO statthafte Beschwerde war
unter Aufhebung des angegriffenen Beschlusses Prozeßkostenhilfe für
eine Klage in Höhe von 15.000,00 DM zu bewilligen.
Insofern liegen die persönlichen und sachlichen
Bewilligungsvoraussetzungen gemäß § 114 Abs. 1 ZPO vor.
Entgegen der Auffassung des Landgerichts kann Prozeßkostenhilfe
nicht mit der Begründung versagt werden, seine sachliche
Zuständigkeit sei nicht gegeben. Zwar gehört die sachliche
Zuständigkeit des angerufenen Gerichts zu den allgemeinen
Prozeßvoraussetzungen, die bei der Bewilligung von
Prozeßkostenhilfe zu berücksichtigen sind. Andererseits genügt für
die Bewilligung eine summarische Prüfung der Sach- und Rechtslage.
Insbesondere für die hier erhobene Schmerzensgeldklage muß bereits
eine nicht geringe Wahrscheinlichkeit dafür genügen, daß der
Antragstellerin ein Schmerzensgeld im Hauptsacheverfahren
zugesprochen wird, das in die sachliche Zuständigkeit des
Landgerichts gemäß § 23 Nr. 1, 71 Abs. 1 GVG fällt.
Angesichts der von der Klägerin in ihrer Antragsschrift
geschilderten und von der 6. großen Strafkammer des Landgerichts
Aachen im Urteil vom 04.07.1995 - 66 KLS 99 Js 456/94 - 8/95 -
festgestellten Verletzungen im Rahmen eines mehrtägigen
vorsätzlichen Verletzungsgeschehens besteht eine nicht geringe
Wahrscheinlichkeit dafür, daß der Antragstellerin ein
Schmerzensgeld in dem vom Senat der Bewilligung zugrundegelegten
Umfang zugesprochen wird.
Neben dem Ausgleich der Schäden dient das Schmerzensgeld auch
der Genugtuung (BGH MDR 1995, 482; MDR 1993, 123; MDR 1992, 349).
Die Genugtuungsfunktion des Schmerzensgeldes gewinnt insbesondere
beim Ausgleich der durch vorsätzliche Straftaten bewirkten
Verletzungen Gewicht (BGH MDR 1995, 482; OLG Köln VersR 1992, 197).
Dies gilt nach der zutreffenden Rechtsprechung des
Bundesgerichtshofs (BGH a.a.O.) auch dann, wenn der Täter
strafrechtlich verurteilt wird. Die strafrechtliche Verurteilung
ist Ausfluß des staatlichen Strafanspruchs. Die im Rahmen des § 847
BGB zu berücksichtigende Genugtuungsfunktion soll demgegenüber
insbesondere der Beziehung des Geschädigten zum Schädiger Rechnung
tragen.
Bei der Bewertung der insofern zu berücksichtigenden Umstände
ist neben den körperlichen und seelischen Folgen der Tat des
Antragsgegners auf die in ihr zum Ausdruck kommende besonders rohe
Gesinnung, die für die Antragstellerin entwürdigende Tatumstände
und die Grundlosigkeit des sich über mehr als einen Tag
hinziehenden Gewaltausbruchs des Antragsgegners abzustellen. Die im
Strafurteil geschilderten Umstände prägen neben den psychischen und
physischen Folgen der Tat den zu beurteilenden Fall. Dies hat das
Landgericht in dem angegriffenen Beschluß verkannt. Die von ihm aus
der Schmerzensgeldtabelle von Hacks/Ring/Böhm herangezogenen Fälle
treffen andere, mit dem vorliegenden Fall nicht vergleichbare
Sachverhalte. Es ist nicht angängig ohne Würdigung der besonderen
Umstände einer vorsätzlichen Straftat eine Schmerzensgeldbemessung
ausschließlich nach den körperlichen Folgen vorzunehmen.
Neben den körperlichen Tatfolgen müssen im vorliegenden Fall
insbesondere die psychischen Auswirkungen angemessen berücksichtigt
werden. Noch mehr als ein Jahr nach der Tat litt die
Antragstellerin nach den Feststellungen des Strafurteils unter
schweren Angstzuständen und Panikattacken, die sie beim
Schulunterricht behinderten. Seit dem 29.09.1994 bis zum
strafrechtlichen Verurteilung des Antragsgegners am 04.07.1995
befand sich die Antragstellerin in psychiatrischer bzw.
psychotherapeutischer Behandlung. Diese Umstände hat das
Landgericht nicht hinreichend gewichtet, indem es vor allem darauf
abgestellt hat, daß die Antragstellerin durch die stundenlange
Prügel des Antragsgegners keine Schädelprellung oder Frakturen
davongetragen hat.
Schließlich waren auch die körperlichen Folgen der Tat des
Antraggegners erheblich, wie sich aus dem Strafurteil und den zu
den Akten gereichten Lichtbildern anschaulich ergibt.
Bei der gegebenen Sachlage ist es nicht fernliegend, daß das
festzusetzende Schmerzensgeld deutlich über 10.000,00 DM liegt, so
daß die Zuständigkeit des Landgerichts nicht verneint werden
durfte. Unter Berücksichtigung der in vergleichbaren Fällen zum
Ausgleich des Genugtuungsinteresses und der physischen und
psychischen Tatfolgen von der Rechtsprechung zuerkannten Beträge
(vgl. BGH MDR 95 a.a.O.) hält der Senat ein Schmerzensgeld von
15.000,00 DM bei der gebotenen summarischen Prüfung der
Erfolgsaussicht der Klage für nicht fernliegend.
Wert des Beschwerdegegenstandes
gemäß § 51 Abs. 2 BRAGO: 15.000,00 DM.
OLG Köln:
Beschluss v. 22.05.1996
Az: 11 W 26/96
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