Verwaltungsgericht Sigmaringen:
Beschluss vom 22. Januar 2002
Aktenzeichen: 2 K 1874/01

(VG Sigmaringen: Beschluss v. 22.01.2002, Az.: 2 K 1874/01)

Voraussetzung für die vorläufige Einstellung der Zwangsvollstreckung nach § 167 Abs 1 VwGO iVm § 769 ZPO ist vor allem die Erfolgsaussicht der Vollstreckungsgegenklage (hier verneint, weil die Erfüllung der titulierten Forderung nicht ausreichend glaubhaft gemacht wurde).

Tenor

Der Antrag wird abgelehnt.

Der Antragsteller trägt die Kosten des Verfahrens.

Der Streitwert wird auf 199,94 Euro festgesetzt.

Gründe

I. Der Antragsteller begehrt die vorläufige Einstellung der Zwangsvollstreckung aus einem Kostenfestsetzungsbeschluss des Bundesverfassungsgerichts.

Der Antragsgegner betreibt gegen den Antragsteller die Zwangsvollstreckung aus dem Kostenfestsetzungsbeschluss des Bundesverfassungsgerichts vom 06.10.1998 (Az.), in dem die dem Antragsgegner zu ersetzenden Gebühren und Auslagen nach einer Verfassungsbeschwerde gemäß § 19 BRAGO auf 782,08 DM festgesetzt wurden. Der Verfassungsbeschwerde war ein verwaltungsgerichtliches Verfahren beim Verwaltungsgericht Sigmaringen (Az.) und beim Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg in Mannheim (Az.) vorangegangen. Der Antragsteller hat beim Amtsgericht Ü. Vollstreckungsgegenklage (§ 767 ZPO) erhoben und die vorläufige Einstellung der Zwangsvollstreckung beantragt. Mit Beschluss vom 27.07.2001 hat sich das Amtsgericht Ü. für unzuständig erklärt und den Rechtsstreit an das Verwaltungsgericht Sigmaringen als Gericht des ersten Rechtszuges verwiesen. Die vom Antragsgegner gegen den Verweisungsbeschluss eingelegte sofortige Beschwerde wurde vom Landgericht K. mit Beschluss vom 22.10.2001 (Az.) zurückgewiesen.

Der Antragsteller macht geltend, dass er die dem Kostenfestsetzungsbeschluss zugrundeliegende Forderung bereits am 30.11.1998 beglichen habe. Damals habe dem Antragsgegner einschließlich dieser Forderung ein Honoraranspruch in Höhe von insgesamt 1.500,00 DM zugestanden. Diese 1.500,00 DM habe er anlässlich eines Termins in K. persönlich bezahlt. Der Antragsteller hat hierzu die Kopie einer handschriftlichen Quittung mit dem Vermerk "DM 1.500,- von Hr. Sch. am 30.11.98 zur Verrechnung auf offene Honorarforderung erhalten" vorgelegt. Er trägt weiter vor, dass es zwischen den Beteiligten noch einen Rechtsstreit vor dem Amtsgericht E. (Az.) wegen danach entstandener Honorare gegeben habe, in dem am 24.02.2000 ein Vergleich geschlossen worden sei. Er macht geltend, dass die dem Kostenfestsetzungsbeschluss zugrundeliegende Forderung in den Vergleich einbezogen worden wäre, wenn sie damals noch bestanden hätte. Da ihm durch die Abgabe der eidesstattlichen Versicherung ein unersetzbarer wirtschaftlicher Schaden entstehen würde, berufe er sich auch auf § 765 a ZPO.

Der Antragsteller beantragt,

die Zwangsvollstreckung aus dem Kostenfestsetzungsbeschluss des Bundesverfassungsgerichts vom 06.10.1998 (Az.) vorläufig einzustellen.

Der Antragsgegner beantragt,

den Antrag abzulehnen.

Der Antragsgegner trägt vor, dass die Barzahlung in Höhe von 1.500,00 DM am 30.11.1998 nicht auf die streitgegenständliche Forderung, sondern als Honorar für die anwaltliche Tätigkeit in einem strafrechtlichen Berufungsverfahren wegen Verstoßes gegen das Waffengesetz anlässlich des Termins zur mündlichen Verhandlung vor dem Landgericht K. (Az.) gezahlt worden sei. Zur Glaubhaftmachung hat der Antragsgegner die Tagesordnung der x. Strafkammer beim Landgericht K. vom 30.11.1998 sowie das Aktenkonto der Anwaltskanzlei für dieses strafrechtliche Berufungsverfahren vorgelegt, aus dem hervorgeht, dass dem Antragsteller am 22.09.1998 eine Vorschussrechnung in Höhe von 1.500,00 DM gestellt wurde; am 01.12.1998 wurde auf dem Aktenkonto zugunsten des Antragstellers ein Betrag von 1.500,00 DM als Zahlungseingang verbucht. Das vorgelegte Aktenkonto war damit ausgeglichen. Der Antragsgegner trägt weiter vor, dass der vom Antragsteller angeführte Vergleich vor dem Amtsgericht E. vom 24.02.2000 ausschließlich andere Honorarforderungen betroffen habe; er sei bereits von seinem Wortlaut her auf die dort erwähnten Verfahren begrenzt und enthalte keine allgemeine Abgeltungs- oder Erledigungsklausel.

II.

Der Antrag auf vorläufige Einstellung der Zwangsvollstreckung ist zulässig, aber unbegründet.

1. Gemäß § 167 Abs. 1 VwGO i.V.m. § 769 ZPO kann das Prozessgericht auf Antrag anordnen, dass bis zum Erlass des Urteils über die in den §§ 767, 768 ZPO bezeichneten Einwendungen die Zwangsvollstreckung gegen oder ohne Sicherheitsleistung eingestellt oder nur gegen Sicherheitsleistung fortgesetzt werde und dass Vollstreckungsmaßregeln gegen Sicherheitsleistung aufzuheben seien. Der Verweisungsbeschluss des Amtsgerichts Ü. ist für das Gericht gemäß § 17 a Abs. 2 Satz 3 GVG hinsichtlich des Rechtsweges bindend.

Das Gericht entscheidet aufgrund Glaubhaftmachung der den Antrag begründenden Umstände (§ 167 Abs. 1 VwGO i.V.m. §§ 769 Abs. 1 Satz 3, 294 ZPO). An die Darlegung und Glaubhaftmachung der Einwendungen sind strenge Anforderungen zu stellen, da sonst die Vollstreckungsfähigkeit eines Titels entwertet würde (Herget in: Zöller, Zivilprozessordnung, 22.Auflage 2001, § 769 Rn. 5 m.w.N.). Die Entscheidung ist in das Ermessen des Gerichts gestellt, bei dessen Ausübung vor allem die Erfolgsaussichten der Vollstreckungsabwehrklage zu berücksichtigen sind (HessVGH, Urteil v. 28.01.1994, NJW 1995, 1107). Hinreichende Erfolgsaussichten der Vollstreckungsabwehrklage sind gegeben, wenn die Klage zumindest zulässig und möglicherweise begründet ist (Putzo in: Thomas/Putzo, Kommentar zur ZPO, 22. Auflage1999, § 769 Rn. 8). Daneben sind auch die den Beteiligten jeweils drohenden Nachteile zu berücksichtigen (Pietzner in: Schoch/Schmidt-Aßmann/Pietzner, Kommentar zur Verwaltungsgerichtsordnung, § 167 Rn. 41 m.w.N.). Diese Voraussetzungen hat der Antragsteller vorliegend nicht glaubhaft gemacht.

Die Vollstreckungsgegenklage ist aller Voraussicht nach zulässig, aber nicht begründet.

Mit der Vollstreckungsabwehrklage gemäß § 767 ZPO können materiellrechtliche Einwendungen geltend gemacht werden, die den im Vollstreckungstitel festgestellten materiellen Anspruch selbst betreffen und die die Wirkung haben, dass der Anspruch nicht oder nur eingeschränkt durchgesetzt werden kann. Die vom Antragsteller geltend gemachte Erfüllung ist eine rechtsvernichtende Einwendung, die zum Erlöschen des Anspruchs führt. Die Vollstreckungsgegenklage ist somit entsprechend § 767 ZPO zulässig.

Die Einwendung der Erfüllung ist auch nicht nach § 167 Abs. 1 VwGO i.V.m. § 767 Abs. 2 ZPO präkludiert. Nach dieser Vorschrift können Einwendungen der titulierten Forderung im Wege der Vollstreckungsgegenklage nur insoweit entgegengehalten werden, als die Gründe, auf denen sie beruhen, erst nach dem Schluss der mündlichen Verhandlung, in der Einwendungen spätestens hätten geltend gemacht werden müssen, entstanden sind und durch Einspruch nicht mehr geltend gemacht werden können. Entsprechendes gilt auch für Einwendungen, die gegen einen auf § 19 BRAGO beruhenden Kostenfestsetzungsbeschluss geltend gemacht werden (BGH, Urteil v. 10.05.1976 - III ZR 120/74 -; OLG Köln, Urteil v. 27.10.1982 - 14 O 10/82 -, jeweils zitiert nach juris; Riedel/Sußbauer, Bundesgebührenordnung für Rechtsanwälte, Kommentar, 8. Auflage 2000, § 19 Rn. 51 m.w.N.). Mit seinem Einwand, er habe die titulierte Forderung am 30.11.1998 beglichen, beruft sich der Antragsteller auf einen Umstand, der erst nach Beendigung des Kostenfestsetzungsverfahrens entstanden ist. Die Einwendung ist damit nicht nach § 767 Abs. 2 ZPO ausgeschlossen.

Der Antragsteller hat jedoch die Erfüllung der dem Kostenfestsetzungsbeschluss zugrundeliegenden Forderung nicht glaubhaft gemacht.

Gemäß § 362 Abs. 1 BGB erlischt ein Schuldverhältnis, wenn die geschuldete Leistung an den Gläubiger bewirkt wird. Ist der Schuldner dem Gläubiger aus mehreren Schuldverhältnissen zu gleichartigen Leistungen verpflichtet und reicht das von ihm Geleistete nicht zur Tilgung sämtlicher Schulden aus, so wird diejenige Schuld getilgt, welche er bei der Leistung bestimmt (§ 366 Abs. 1 BGB). Eine solche Tilgungsbestimmung kann auch stillschweigend getroffen werden, wie z.B. durch Bezahlung gerade des Betrages einer der Schuldsummen (Heinrichs in: Palandt, Bürgerliches Gesetzbuch, 60. Aufl. 2001, § 366 Rn. 4 m.w.N.).

Eine ausdrückliche Tilgungsbestimmung ergibt sich aus der vom Antragsteller vorgelegten Quittung nicht. Der Antragsteller hat insoweit zwar vorgetragen, dass dem Antragsgegner am 30.11.1998 einschließlich der Titelforderung über 782,08 DM noch eine Honorarforderung in Höhe von insgesamt 1.500,00 DM zugestanden habe. Glaubhaft gemacht hat er dies jedoch nicht. Vielmehr hat der Antragsgegner glaubhaft gemacht, dass die Zahlung der 1.500,00 DM am 30.11.1998 nicht auf den Kostenfestsetzungsbeschluss des Bundesverfassungsgerichts, sondern auf eine Honorarforderung wegen des Berufungsverfahrens vor dem Landgericht K. in der Strafsache des Antragstellers wegen Verstoßes gegen das Waffengesetz (Az.) gezahlt wurde, für das an diesem Tag die mündliche Verhandlung anberaumt war: Der Antragsgegner hat hierzu das für dieses Berufungsverfahren angelegte Aktenkonto vorgelegt, aus dem sich ergibt, dass dem Antragsteller bereits am 22.09.1998 eine Vorschussrechnung über 1.500,00 DM gestellt wurde. Der Umstand, dass der Antragsteller genau diese Summe - zudem am Tag der mündlichen Verhandlung in diesem Berufungsverfahren - bezahlt hat, spricht nach den oben dargelegten Grundsätzen dafür, dass er damit die Honorarforderung aus dem strafrechtlichen Berufungsverfahren begleichen wollte. Genau dieser Betrag wurde auch einen Tag später, nämlich am 01.12.1998 auf diesem Aktenkonto zugunsten des Antragstellers verbucht.

Demgegenüber hat der Antragsteller seine Behauptung, die Zahlung von 1.500,00 DM sei zur Begleichung sämtlicher Honorarforderungen - einschließlich der Vergütung für das Verfahren der Verfassungsbeschwerde - nicht glaubhaft gemacht. Zur Glaubhaftmachung dieser Behauptung genügt insbesondere nicht die Vorlage des am 24.02.2000 vor dem Amtsgericht E. geschlossenen Vergleichs in einem Rechtsstreit, der - wie der Antragsteller selbst vorträgt - lediglich danach entstandene Honorare betraf. Denn zum einen enthält dieser Vergleich keine generelle Abgeltungsklausel, nach der sämtliche zwischen den Beteiligten bestehenden Ansprüche erledigt wären. Zum anderen ist auch die Folgerung des Antragstellers, dass die streitgegenständliche Forderung in diesen Vergleich mit einbezogen worden wäre, wenn sie zu diesem Zeitpunkt noch bestanden hätte, nicht nachvollziehbar. Denn für die hier maßgebliche Forderung verfügte der Antragsgegner zum Zeitpunkt des Abschlusses des Vergleichs bereits über einen Vollstreckungstitel, so dass keine Notwendigkeit der Einbeziehung dieser Forderung bestand.

Der Antragsteller hat auch weder dargelegt noch glaubhaft gemacht, welche wirtschaftlichen Nachteile ihm drohen würden, die das Interesse des Antragsgegners an der Fortsetzung der Zwangsvollstreckung ausnahmsweise überwiegen würden. Aus diesem Grund sieht das Gericht auch unter diesem Gesichtspunkt keinen Anlass für die Anordnung der vorläufigen Einstellung der Zwangsvollstreckung.

2. Auch der Antrag auf Vollstreckungsschutz nach § 765a ZPO hat keinen Erfolg. Nach dieser Vorschrift kann das Vollstreckungsgericht auf Antrag des Schuldners eine Maßnahme der Zwangsvollstreckung ganz oder teilweise aufheben, untersagen oder einstweilen einstellen, wenn die Maßnahme unter voller Würdigung des Schutzbedürfnisses des Gläubigers wegen ganz besonderer Umstände eine Härte bedeutet, die mit den guten Sitten nicht vereinbar ist. Vollstreckungsgericht ist gemäß § 167 Abs. 1 Satz 2 VwGO, der § 764 Abs. 1 ZPO vorgeht (vgl. Eyermann, Verwaltungsgerichtsordnung, Kommentar, 11. Aufl. 2000, § 167 Rn. 10), das Gericht des ersten Rechtszuges. § 765a ZPO ist als Ausnahmetatbestand eng auszulegen. Mit Härten, die jede Zwangsvollstreckung mit sich bringt, muss sich der Schuldner abfinden. Der Antragsteller hat vorliegend bereits nicht dargelegt, weshalb ihm durch die eidesstattliche Versicherung ein unersetzbarer wirtschaftlicher Schaden entstehen sollte, der über die mit einer Zwangsvollstreckungsmaßnahme gewöhnlich einhergehenden Härten hinausgeht. Allein deshalb, weil die Zwangsvollstreckung dem Gläubiger voraussichtlich keine Befriedigung seiner Forderung bringen wird, kann Schuldnerschutz nicht gewährt werden. Sittenwidrig kann die Zwangsvollstreckung dann betrieben werden, wenn der Gläubiger eine Zwangsvollstreckungsmaßnahme, die ihm keinen Nutzen bringt, nur zu dem Zweck betreibt, dem Schuldner Kosten zu verursachen, wie z.B. durch Abgabe einer eidesstattlichen Versicherung wegen einer geringen Forderung gegen einen bekannt vermögenslosen Schuldner (Stöber in: Zöller, Zivilprozessordnung, Kommentar, 22. Aufl. 2001, § 765a Rn. 9). Anhaltspunkte hierfür hat der Antragsteller jedoch nicht vorgetragen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO. Anders als im Zivilprozess bleibt die Kostenentscheidung nicht der Entscheidung in der Hauptsache vorbehalten. Vielmehr finden auch auf das Vollstreckungsverfahren die allgemeinen Grundsätze des Beschlussverfahrens (z. B. hinsichtlich der Kostenentscheidung und der Festsetzung des Streitwertes) Anwendung (HessVGH, Beschluss v. 28.01.1994, a.a.O.; Kopp/Schenke, Kommentar zur Verwaltungsgerichtsordnung, 12. Aufl. 2000, vor § 154 Rn. 1, § 167 Rn. 3; OVG Saarlouis, Beschluss vom 08.01.1982 - 2 W 1.879/81 - NVwZ 1982, 254; a.A. Pietzner in: Schoch/Schmidt-Aßmann/Pietzner, Kommentar zur Verwaltungsgerichtsordnung, § 167 Rn. 43, wonach Kostenentscheidung und Streitwertfestsetzung in der Regel unterbleiben können).

Die Festsetzung des Streitwertes beruht auf den §§ 13 Abs. 1 Satz 1, 14 Abs. 1 analog und 25 Abs. 1 GKG. Der Streitwert der Vollstreckungsabwehrklage (§ 767 ZPO) richtet sich nach dem Umfang, in dem der Schuldtitel des Vorprozesses der Zwangsvollstreckung fähig ist und die Zwangsvollstreckung ausgeschlossen werden soll. In der Regel ist also der Betrag maßgebend, über den der mit der Klage angegriffene Schuldtitel lautet, wobei gemäß § 22 Abs. 1 GKG die Zinsen dem Streitwert nicht hinzuzurechnen sind. Der Streitwert der Hauptsache beträgt demnach im vorliegenden Fall entsprechend dem Kostenfestsetzungsbeschluss vom 06.10.1998 782,08 DM. Von diesem Betrag ist im vorliegenden Verfahren einer einstweiligen Anordnung gemäß § 769 ZPO die Hälfte zugrunde zu legen (vgl. HessVGH, Beschluss v. 28.02.1994, a.a.O.), mithin 391,04 DM bzw. umgerechnet 199,94 Euro.






VG Sigmaringen:
Beschluss v. 22.01.2002
Az: 2 K 1874/01


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