Landgericht Köln:
Urteil vom 12. Januar 2012
Aktenzeichen: 91 O 77/11
(LG Köln: Urteil v. 12.01.2012, Az.: 91 O 77/11)
Tenor
Die Klage wird abgewiesen.
Der Kläger hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.
Das Urteil ist gegen Sicherheitsleistung von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages vorläufig vollstreckbar.
Tatbestand
Der Kläger ist Aktionär der Beklagten. Er ficht die Hauptversammlungsbeschlüsse der Beklagten vom 24.5.2011 über die Entlastung der im Geschäftsjahr 2010 amtierenden Mitglieder des Vorstands und des Aufsichtsrats an. Auch die Nebenintervenienten sind Aktionäre der Beklagten.
Die Beklagte hat ihren Sitz in Bonn. Ihre Aktien sind unter anderem im TecDAX gelistet. Das Grundkapital der Beklagten beträgt 111.720.000 € und ist in 111.720.000 auf den Inhaber lautenden Stückaktien mit einem Betrag von jeweils einem Euro eingeteilt. Größter Einzelaktionär der Beklagten ist ihr Vorstandsvorsitzender, Herr Dr. B2, der 27,8 % der Aktien hält.
Der Aufsichtsrat der Beklagten besteht aus drei Personen, die sämtlich von Beruf Rechtsanwalt sind. Vorsitzender des Aufsichtsrats ist Rechtsanwalt Dr. S, der Partner der Rechtsanwaltssozietät B in Bonn ist. Der stellvertretende Vorsitzende des Aufsichtsrates ist Rechtsanwalt Dr. H, der hauptberuflich bei der Q AG tätig ist. Weiteres Aufsichtsratsmitglied ist Rechtsanwalt Dr. C, der in der Rechtsanwaltskanzlei Z seinen Hauptberuf ausübt. Sämtliche Aufsichtsratsmitglieder befinden sich in der dritten Wahlperiode und sind seit zwölf Jahren Aufsichtsräte der Beklagten. Sämtliche Aufsichtsratsmitglieder sind auch Mitglieder des Aufsichtsrats der T AG.
Den Aktionären dieser Gesellschaft, die über die T3 GmbH ebenfalls von Herrn Dr. B2 kontrolliert wird, unterbreitete die Beklagte am 15.11.2010 ein freiwilliges öffentliches Übernahmeangebot dergestalt, dass die Aktionäre der T Ihre Aktien gegen solche der Beklagten im Verhältnis eins zu eins tauschen konnten, dies obwohl der relevante Drei-Monats-Durchschnittskurs der T-Aktien 6,99 € betrug und die Aktien der Beklagten um 35 % höher notierten (9,46 €). Eine so genannte Fairness-Opinion, mit der ein neutraler Dritter die Angemessenheit des Umtauschverhältnisses bestätigt hätte, wurde nicht eingeholt. Von dem Übernahmeangebot machte unter anderem die T3 GmbH komplett Gebrauch, wodurch sich die Beteiligung des Vorstandsvorsitzenden B2 an dem Grundkapital der Beklagten von ca. 25 % auf den oben genannten Prozentsatz von 27,8 erhöhte.
Der Vorsitzende des Aufsichtsrats der Beklagten sowie sein Stellvertreter waren ferner gemeinsam mit Herrn Dr. B2 Mitglieder der Aufsichtsräte der T6 AG und der T5 AG. Die beiden letztgenannten Gesellschaften sind Anfang des Jahres 2011 in GmbHs umgewandelt worden.
Zwischen der Beklagten und der Rechtsanwaltskanzlei B in Bonn besteht seit vielen Jahren ein schriftlich nicht fixierter Beratungsvertrag, mit dem die Beklagte der Sache nach Ihre Rechtsabteilung auf die Anwaltskanzlei outgesourcet hat. Auf der Grundlage dieses Beratungsvertrages beriet und vertrat die genannte Kanzlei die Beklagte und deren Tochtergesellschaften auch im Geschäftsjahr 2010 umfassend rechtlich und erhielt hierfür auf Konzernbasis Honorarerlöse in Höhe von ca. 724.000 €. Wie auch in den Vorjahren üblich befasste sich der Aufsichtsrat der Beklagten in seiner Sitzung vom 15.3.2010 zur Erfüllung der Anforderungen des §§ 114 AktG mit der Abrechnung der Kanzlei B im Geschäftsjahr 2009 und willigte zugleich in die Fortführung der anwaltlichen Tätigkeit dieser Kanzlei ein. In der Sitzung am 23. Februar 2011 wurden dem Aufsichtsrat sodann alle Kostennoten und detaillierten Stundennachweise aus dem abgelaufenen Geschäftsjahr 2010 vorgelegt und von dem Aufsichtsrat genehmigt.
Unter dem 9.8.2010 gaben sowohl die Mitglieder des Vorstands der Beklagten wie auch die Mitglieder des Aufsichtsrats die Entsprechenserklärung nach § 161 AktG ab. Die Erklärung hat folgenden Wortlaut:
"Dem vom Bundesministerium der Justiz im amtlichen Teil des elektronischen Bundesanzeigers bekannt gemachten Empfehlungen der Regierungskommission „Deutscher Corporate Governance Kodex“ wurde und wird vom Vorstand entsprochen, soweit sich diese an ihn richten."
In seinem Bericht an die Hauptversammlung vom 14. März 2011 führte der Aufsichtsrat aus, er habe sich bei seiner gesamten Tätigkeit von den Empfehlungen des DCGK leiten lassen, welchen er und der Vorstand auch im Jahr 2010 insgesamt entsprochen hätten.
Zur Hauptversammlung 2010 kündigte der Kläger Gegenanträge gegen die Entlastungen des Vorstands und des Aufsichtsrates an, wegen deren Inhalt auf Bl. 24 des Anlagenhefters Bezug genommen wird. Seinen Antrag, Vorstand und Aufsichtsrat nicht zu entlasten, begründete er damit, dass die Entsprechenserklärung unrichtig sei, entgegen § 100 Abs. 5 AktG kein unabhängiger Finanzexperte Mitglied des Aufsichtsrates sei und die Aufsichtsratsmitglieder im übrigen nicht unabhängig seien im Sinne von Nr. 5.4.2 S. 2 des DCGK.
In der Hauptversammlung am 24.05.2011 waren 44.334.283 Aktien anwesend (39,68 % des stimmberechtigten Grundkapitals), davon 31.056.823 Aktien, die den Vorstandsmitgliedern Dr. B2 und F gehören oder zuzurechnen sind. Zu Punkt 3 der Tagesordnung wurden die Mitglieder des Vorstandes für das Geschäftsjahr 2010 mit 70,434 % der abgegebenen Stimmen entlastet. Die vorgenannten Vorstandsaktien stimmten dabei nicht mit. Zu Punkt 4 wurde der Aufsichtsrat mit 89,39 % der abgegebenen Stimmen entlastet. An dieser Abstimmung nahmen auch die Vorstandsaktien teil.
Mit seiner am 24.6.2011 bei dem Landgericht Bonn eingereichten Klage, die dem Vorstand und den Mitgliedern des Aufsichtsrates am 30.6.2011 zugestellt worden ist, ficht der Kläger die zu TOP 3 (Vorstand) und TOP 4 (Aufsichtsrat) gefassten Entlastungsbeschlüsse der Hauptversammlung der Beklagten vom 24.05.2011 an.
Der Kläger ist der Auffassung, die Entlastungsbeschlüsse seien rechtswidrig, weil sie gegen das Gesetz verstießen. Der Vorstand hätte von der Hauptversammlung nicht entlastet werden dürfen, weil die Hauptversammlung die Tätigkeit des Vorstands billigte, obwohl dem Vorstand ein schwerer und eindeutiger Gesetzesverstoß zur Last zu legen sei. Der Vorstand habe nämlich gegen die Bestimmungen der §§ 113, 114 AktG verstoßen, indem er im erheblichen Umfang Zahlungen an die Rechtsanwaltskanzlei B geleistet habe, obwohl der zu Grunde liegende Beratungsvertrag nach § 134 BGB in Verbindung mit den genannten aktienrechtlichen Bestimmungen nichtig sei. Die Nichtigkeit folge daraus, dass der Rahmenvertrag die pauschale Übertragung der Rechtsberatung der Beklagten auf die genannte Anwaltskanzlei vorsah und der Aufsichtsrat nicht jeder einzelnen von der Rechtsanwaltskanzlei zu erbringenden und erbrachten Tätigkeit für die Beklagte vorab zugestimmt habe. Das von der Beklagten bzw. ihrem Aufsichtsrat praktizierte System der vorherigen allgemeinen Billigung und erst nachträglichen Prüfung und Genehmigung genüge den Anforderungen der §§ 113, 114 AktG nicht.
Zudem liege auch ein Verstoß gegen § 161 AktG vor. Denn die Entsprechenserklärung sei fehlerhaft. Die Erklärung lasse aus der Sicht eines objektiv urteilenden Aktionärs nicht zweifelsfrei den Rückschluss zu, in welchem Umfang der Vorstand den Empfehlungen des DCGK gefolgt sei. Dies ergebe sich aus der Einschränkung in der Entsprechenserklärung: „… , soweit sich diese an ihn richten". Der durch den Vorstand begangene Verstoß verfüge auch über die notwendige Relevanz, denn der Umstand, ob der Vorstand seine Entsprechenserklärung zutreffend abgegeben habe oder nicht, sei von wesentlicher Bedeutung für die Ausübung der Informationsrechte der Aktionäre.
Auch der Entlastungsbeschluss bezüglich des Aufsichtsrats sei fehlerhaft, denn auch hier liege ein Verstoß gegen §§ 113, 114 AktG vor. Der Pflichtenverstoß des Aufsichtsrats liege darin, dass er dem Beratungsvertrag zwischen der Beklagten und der Anwaltskanzlei pauschal zugestimmt habe, obwohl die inhaltlichen Anforderungen, die an einen solchen Beratungsvertrag zu stellen seien, nicht beachtet worden seien. Erforderlich wäre es gewesen, vor jeder Einzelbeauftragung der Rechtsanwaltskanzlei in deren Tätigkeit einzuwilligen. Die erst nachträglich erfolgte Gesamtgenehmigung sei nicht ausreichend.
Der Beschluss sei überdies deshalb anfechtbar, weil die Vorstände, insbesondere der Vorstandsvorsitzende Dr. B2 bei der Entlastung des Aufsichtsrats mitbestimmt habe. Da ihm als Vorstand ein gleich gelagerter Gesetzesverstoß zur Last zu legen sei, hätte er nicht mitstimmen dürfen.
Zudem liege ein Verstoß gegen § 45 BRAO vor. Der Aufsichtsratsvorsitzende dürfe nicht in derselben Angelegenheit anwaltlich tätig werden, mit der er auch im Rahmen seiner Aufsichtsratstätigkeit befasst gewesen sei.
Ferner habe der Aufsichtsrat gegen seine Pflicht zur ordnungsgemäßen Organisation seiner Tätigkeit verstoßen. Der Aufsichtsrat sei nämlich nicht ordnungsgemäß besetzt. Seinen Mitgliedern fehle sowohl die erforderliche technische Expertise wie auch die Finanz-Expertise. Zwar sei § 105 Abs. 5 AktG für diesen Aufsichtsrat noch nicht anwendbar. Inhaltlich müssten dessen Grundsätze aber auch schon für den aktuellen Aufsichtsrat gelten. Dies ergebe sich aus einer EU-Kommissionsempfehlung aus dem Jahr 2005. Indessen verfüge keines der Mitglieder des Aufsichtsrats über einschlägige Vorbefassung in den Bereichen Rechnungslegung und Abschlussprüfung. Konkret müsse der Aufsichtsrat gegebenenfalls gemäß § 124 Abs. 3 AktG Vorschläge zur Besetzung des Aufsichtsrats machen oder - wenn andernfalls eine ordnungsgemäße Besetzung des Aufsichtsrats nicht sichergestellt sei - zurücktreten.
Schließlich habe auch der Aufsichtsrat gegen § 161 AktG verstoßen. Auch seine Entsprechenserklärung sei unklar. Sie sei ferner unrichtig, weil sie nicht ausgeführt habe, dass weder für den Vorstand noch für den Aufsichtsrat eine Altersgrenze festgelegt worden sei, obwohl der Kodex solches verlange. Die Entsprechenserklärung sei schließlich deshalb falsch, weil in ihr zu Unrecht behauptet werde, dass dem Aufsichtsrat eine ausreichende Anzahl unabhängiger Mitglieder angehöre. Nicht nur der Aufsichtsratsvorsitzende sei wegen seiner engen geschäftlichen Beziehungen zu der Gesellschaft als Partner der Rechtsanwaltskanzlei B nicht unabhängig. Auch die übrigen Aufsichtsräte seien insbesondere wegen ihrer mehr als zwölfjährigen Amtszeit nicht mehr als unabhängig anzusehen. Die fehlende Unabhängigkeit der Aufsichtsratsmitglieder erweise sich insbesondere auch daran, dass der Aufsichtsrat in einer Reihe von Geschäften der Gesellschaft mit dem Vorstandsvorsitzenden wie auch im Rahmen des Umtauschangebotes an die Aktionäre der T AG nicht die erforderliche Distanz gewahrt und insbesondere nicht die in solchen Fällen übliche Fairness Opinion eingeholt habe.
Der Kläger beantragt,
1. den Beschluss der Hauptversammlung der Beklagten vom 24.5.2011 über die Entlastung der im Geschäftsjahr 2010 amtierenden Mitglieder des Vorstands für deren Tätigkeit im Geschäftsjahr 2010, auf top drei der Tagesordnung) für nichtig zu erklären,
2. den Beschluss der Hauptversammlung der Beklagten vom 24.5.2011 über die Entlastung der im Geschäftsjahr 2010 amtierenden Mitglieder des Aufsichtsrats für deren Tätigkeit im Geschäftsjahr 2010 (top vier der Tagesordnung) für nichtig zu erklären.
Die Nebenintervenienten schließen sich den Klägeranträgen an.
Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Sie bestreitet die Anfechtungsbefugnis des Klägers, weil er seine Aktionärsstellung zum Zeitpunkt der Klagerhebung nicht nachgewiesen habe. Ferner hält sie die Klage für unbegründet, weil die Anfechtungsfrist des § 246 Abs. 1 AktG nicht gewahrt sei. Die Einlegung bei einem unzuständigen Gericht wahre diese Frist nicht, jedenfalls dann nicht, wenn den Anfechtungskläger wie hier der Vorwurf des Rechtsmissbrauchs treffe.
Schließlich verkenne der Kläger, dass die Rechtsprechung die Anfechtung von Entlastungsbeschlüssen nur bei eindeutigen und schwer wiegenden Pflichtverletzungen zulasse. Diese Grenze der Eindeutigkeit und Schwere überschritten die vom Kläger behaupteten Rechtsverstöße nicht.
Abgesehen hiervon lägen diese Rechtsverstöße in Wahrheit auch nicht vor.
Der Aufsichtsratsvorsitzende erhalte über den Beratungsvertrag keinerlei Tätigkeit vergütet, die er der Gesellschaft bereits als Aufsichtsrat schulde. Das vom Aufsichtsrat praktizierte Verfahren, die Tätigkeit der Rechtsanwaltskanzlei B zu Anfang des Jahres allgemein zu billigen und erst im Nachhinein im einzelnen zu genehmigen, genüge den Anforderungen des Gesetzes. Jedenfalls liege kein eindeutiger, also offen zu Tage liegender Gesetzesverstoß vor.
Auch in Bezug auf die Entsprechenserklärung liege kein Gesetzesverstoß vor. Die Auslegung der Erklärung durch den Kläger sei an den Haaren herbei gezogen.
Eine Anfechtbarkeit des Entlastungsbeschlusses betreffend den Aufsichtsrat wegen des Umstandes, dass der Vorstandsvorsitzende mitgestimmt habe, scheitere schon daran, dass dies für das Beschlussergebnis nicht ursächlich gewesen sei.
Auch liege kein Verstoß gegen § 45 BRAO vor.
Die angeblich fehlende Qualifikation der Aufsichtsratsmitglieder sei per se kein Grund für die Anfechtung des Entlastungsbeschlusses. Über die Qualifikation der Aufsichtsratsmitglieder entscheide die Hauptversammlung. Einzelnen Aktionären stehe es nicht zu, auf dem Wege der Anfechtungsklage gegen den Entlastungsbeschluss nachträglich in die Wahlfreiheit der Hauptversammlung einzugreifen. Der Kläger lege im Übrigen kein konkretes Verhalten der Aufsichtsratsmitglieder dar, welches einen Gesetzesverstoß darstelle. Abgesehen hiervon seien die Aufsichtsratsmitglieder auch hinreichend für das Amt qualifiziert.
Auch die Entsprechenserklärung des Aufsichtsrats sei nicht zu beanstanden. Sie sei eindeutig und auch inhaltlich richtig. Entgegen der Rechtsauffassung des Klägers gebe es keine Verstöße gegen den Deutschen Corporate Governance Kodex. Das Verhalten des Aufsichtsrates stimme insbesondere überein mit Nr. 5.4.2 DCGK. Danach soll dem Aufsichtsrat eine nach seiner Einschätzung ausreichende Anzahl unabhängiger Mitglieder angehören, um eine unabhängige Beratung und Überwachung des Vorstands durch den Aufsichtsrat zu ermöglichen. Mit dieser Frage habe sich der Aufsichtsrat in seiner Sitzung vom 25.9.2005 befasst und sei zu dem Ergebnis gekommen, dass eine nach seiner Einschätzung ausreichende Zahl unabhängiger Mitglieder vorliege. Auch in den Folgejahren habe der Aufsichtsrat diese Frage geprüft. Dementsprechend habe der Aufsichtsrat in seinem Bericht zum Geschäftsjahr 2010 erklärt, dass er sich als unabhängig im Sinne von 5.4.2 DCGK betrachte. Abgesehen davon, dass die Aufsichtsratsmitglieder damit der Empfehlung zur Ausübung des Ermessens gefolgt seien, seien auch sämtliche Aufsichtsratsmitglieder unabhängig. Auf die Empfehlungen der EU-Kommission aus dem Jahre 2005 könne der Kläger sich nicht berufen. Diese seien kein geltendes Recht. Der deutsche Gesetzgeber habe die Empfehlungen der Kommission gerade nicht umgesetzt. Im Übrigen lege der Kläger die entsprechende Empfehlung fehlerhaft aus.
Der Kläger hat die Klage am 14.6.2011 beim Landgericht Bonn eingelegt. Das Landgericht Bonn ist aufgrund § 1 Nr. 9 der nordrheinwestfälischen Konzentrationsverordnung zum Gesellschaftsrecht vom 8.6.2010 (GVBl NW 2010,350) Nicht (mehr) zuständig. Durch die vorgenannte Konzentrationsverordnung ist dem Landgericht Köln für die Bezirke der Landgerichte Aachen, Bonn und Köln die Zuständigkeit für sämtliche aktienrechtlichen Beschlussanfechtungsklagen übertragen worden. Nach entsprechendem Hinweis des Vorsitzenden der Kammer für Handelssachen des Landgerichts Bonn mit Verfügung vom 27.6.2011 und Verweisungsantrag des Klägers ist der Rechtsstreit mit Beschluss des Landgerichts Bonn vom 21.7.2011 an das Landgericht Köln verwiesen worden, wo die Sache am 27.7.2011 eingegangen ist.
Am 11.7.2011 ist die Klagerhebung im elektronischen Bundesanzeiger bekannt gemacht worden.
Wegen aller Einzelheiten des Sach- und Streitstandes nimmt die Kammer Bezug auf die Gerichtsakte.
Gründe
Die Klage ist zulässig. Auch die Nebeninterventionen sind zulässig, insbesondere innerhalb der Frist des § 246 Abs.4 Satz 2 AktG eingereicht worden.
Die Klage ist aber nicht begründet.
Zwar liegen die formellen Voraussetzungen der Anfechtungsklage vor. Denn der Kläger ist anfechtungsbefugt, § 245 AktG. Seine Aktionärseigenschaft bis zum heutigen Tage hat er durch Vorlage einer Bankbestätigung (Bl. 115 des Anlagenhefters) nachgewiesen. Ausweislich des Hauptversammlungsprotokolls (dort S. 22) hat er auch Widerspruch gegen die in der Hauptversammlung zu fassenden Beschlüsse angekündigt. Auch die Anfechtungsfrist des § 246 Abs. 1 AktG ist gewahrt. Nach ganz herrschender Rechtsprechung, der die Kammer sich anschließt, genügt für die Fristwahrung grundsätzlich auch die Klage vor einem unzuständigen Gericht (statt aller Schmidt/Lutter-Schwab, AktG, 2. Aufl., § 246 Rn 8 m.w.N.). Hiervon ist nur dort eine Ausnahme zu machen wo der Kläger um die Unzuständigkeit weiß und das unzuständige Gericht nur als Postweiterleitungsstelle missbraucht (so Kammer, Urteil vom 22.4.2009, AG 2009,593 f.). Ein solcher Rechtsmissbrauch ist hier schon im Ansatz nicht erkennbar. Der von der Kammer im Jahre 2009 entschiedene Fall war dadurch gekennzeichnet, dass die Empfangstelefaxgeräte des Landgerichts Köln offenbar überlastet waren und der Kläger deshalb seine Klage bei dem unzuständigen Landgericht Berlin eingereicht hatte mit dem Vermerk, die Klage an das Landgericht Köln zu verweisen, weil dort die Einreichung wegen offensichtlich gestörter Faxannahme nicht möglich gewesen sei. Mit diesem Sachverhalt ist der vorliegende auch nicht ansatzweise vergleichbar. Vielmehr ist davon auszugehen, dass der Kläger die Anfechtungsklage in Unkenntnis der Konzentrationsverordnung vom 8.6.2010 bei dem Landgericht Bonn als dem für den Sitz der Beklagten zuständigen Gericht eingereicht hat und damit irrtümlich bei dem unzuständigen Gericht.
Allerdings liegen Anfechtungsgründe nicht vor.
Gemäß § 243 Abs. 1 AktG kann ein Beschluss der Hauptversammlung wegen Verletzung des Gesetzes oder der Satzung durch Klage angefochten werden. Dies gilt auch für Entlastungsbeschlüsse. Dabei ist eine Anfechtbarkeit wegen Inhaltsfehlern nur in engen Grenzen denkbar, weil die Hauptversammlung im Rahmen eines freien Ermessens über die Entlastung entscheidet. Es entspricht deshalb ständiger Rechtsprechung, dass zwar auch Entlastungsbeschlüsse anfechtbar sind, aber nur ein eindeutiger und schwerwiegender Gesetzes- oder Satzungsverstoß wegen eines Inhaltsmangels zur Anfechtbarkeit des Entlastungsbeschlusses führt (eingehend BGHZ 153, 47 ff.; zuletzt BGH vom 9.11.2009 - II ZR 154/08, AG 2010, 79). Ein eindeutiger und schwerwiegender Verstoß gegen Gesetz oder Satzung liegt nur dann vor, wenn die Verletzung von Gesetz oder Satzung den Teilnehmern der Hauptversammlung bekannt oder aufgrund der ihnen zugänglichen Informationen zumindest erkennbar war (OLG Köln AG 2010,219 - juris Rn. 22; ebenso OLG Stuttgart AG 2011,93 ff. - juris Rn. 370 ff.). Denn Gegenstand der gerichtlichen Überprüfung bei der Anfechtung eines Entlastungsbeschlusses ist nicht das Verhalten der Organe, sondern der Beschluss der Hauptversammlung, wobei sich die Anfechtbarkeit von Entlastungsbeschlüssen aus der Treuwidrigkeit der Entlastungserteilung durch die Hauptversammlungsmehrheit ableitet. Ließe man davon unabhängig die Kenntnis bzw. Kenntnismöglichkeit der Hauptversammlung unbeachtet und stellte allein auf die objektiven Rechts- oder Satzungswidrigkeit des Organhandelns ab, würde das Verfahren der Anfechtung des Entlastungsbeschlusses zu einer Kontrolle der Rechtsund Satzungsmäßigkeit des Organverhaltens umfunktioniert (OLG Köln und OLG Stuttgart, jeweils a.a.O.). An einem eindeutigen Gesetzesverstoß fehlt es ferner dann, wenn der Aufsichtsrat oder der Vorstand sich nicht über eine zweifelsfreie Gesetzeslage hinweggesetzt hat (BGH AG 2010, 79). Solange die Rechtslage ober- oder höchstrichterlich nicht geklärt ist, kommt deshalb eine Anfechtung des Entlastungsbeschlusses wegen eines Gesetzesoder Satzungsverstoßes der Organmitglieder nicht in Betracht (OLG München AG 2008,593 ff. - juris Rn. 53 [Vorinstanz zu BGH AG 2010,79]).
Zu verlangen ist ferner, dass der Anfechtungskläger die konkreten Handlungen oder Unterlassungen des zu Entlastenden benennt, aus denen er die Rechtsverstöße ableitet (OLG Stuttgart a.a.O. Rn. 407 f.).
Unter Beachtung dieser allgemeinen Parameter der Anfechtung von Entlastungsbeschlüssen ergibt sich für die einzelnen vom Kläger angeführten Anfechtungsgründe folgendes:
I. Beschluss über die Entlastung des Vorstandes
1. Verstoß gegen §§ 113, 114 AktG
Der Kläger ist der Auffassung, dass der Vorstand durch die Vorabzahlungen in Höhe von mehr als 700.000 € an die Rechtsanwaltskanzlei B gegen die §§ 113, 114 AktG verstießen. Der Beratungsvertrag sei nämlich unwirksam, weil er die geschuldeten Tätigkeiten nicht hinreichend konkret bezeichne. Ferner ergebe sich die Unzulässigkeit der Honorarzahlungen daraus, dass der AR nicht in jedem einzelnen Fall der Mandatierung im Voraus seine Einwilligung erteilt habe.
Dem Kläger ist zuzustimmen, dass der seit Jahren zwischen der Beklagten und der Rechtsanwaltssozietät B bestehende Vertrag über die Beratung und Vertretung in allen rechtlichen Angelegenheiten nicht den Anforderungen der §§ 113, 114 AktG entspricht. Allerdings hat der Aufsichtsrat die im Geschäftsjahr 2010 von der genannten Sozietät erbrachten anwaltlichen Tätigkeit im Nachhinein genehmigt.
Nach § 113 AktG muss die Vergütung der Aufsichtsratsmitglieder in der Satzung festgesetzt oder von der Hauptversammlung beschlossen werden. § 114 AktG erlaubt, dass sich ein Aufsichtsratsmitglied außerhalb seiner Tätigkeit im Aufsichtsrat durch einen Dienstvertrag zur Erbringung einer Tätigkeit höherer Art für die Aktiengesellschaft verpflichtet. Die Wirksamkeit eines solchen Vertrages hängt allerdings von der Zustimmung des Aufsichtsrats ab. Die Aufsichtsratstätigkeit als solche kann danach nicht zulässigerweise Gegenstand eines solchen Vertrages sein. Daraus folgt, dass Beratungsverträge, die die Aktiengesellschaft mit einem Aufsichtsratsmitglied schließt, wegen Umgehung des § 113 AktG gemäß § 134 BGB nichtig sind, wenn die übernommene Beratungstätigkeit von der im Rahmen der Überwachungsaufgabe des Aufsichtsrats bestehenden Beratungspflicht umfasst wird (BGHZ 114,127 ff. - juris Rn. 10; BGHZ 168, 188 ff. - juris Rn.16; BGHZ 170, 60 ff. - juris Rn. 13 f.). Um Umgehungen des § 113 AktG zu verhindern und den Aufsichtsrat in die Lage zu versetzen, eine verantwortliche Prüfung und eine entsprechende Abgrenzung vorzunehmen, muss ein Beratungsvertrag im Sinne von § 114 AktG eindeutige Feststellungen darüber ermöglichen, ob die zu erbringende Leistung außer- oder innerhalb der organschaftlichen Pflichten des Aufsichtsratsmitglieds liegt und der Vertrag keine verdeckten Sonderzuwendungen enthält. Dazu gehört, dass die speziellen Beratungsgegenstände und das dafür zu entrichtende Entgelt so konkret bezeichnet werden, dass sich der Aufsichtsrat ein eigenständiges Urteil über Art und Umfang der Leistungen sowie über die Höhe und Angemessenheit der Vergütung bilden kann. Verträge, die diese Anforderungen nicht erfüllen, weil sie Beratungsgegenstände umfassen, die auch zur Organtätigkeit gehören oder gehören können, sind von vorne herein nicht von § 114 Abs. 1 AktG gedeckt (BGHZ 126,340 - juris Rn. 8 f.; BGHZ 168,188 - juris Rn. 16). Diese Grundsätze gelten auch dann, wenn die Aktiengesellschaft einen Beratungsvertrag mit einem Unternehmen schließt, an dem das Aufsichtsratsmitglied beteiligt ist und ihm deshalb mittelbar nicht nur ganz geringfügige Zuwendungen für die Beratungstätigkeit zufließen (BGHZ 170,60 - juris Rn. 10; BGH ZIP 2007, 1056 - juris Rn. 11), weil aus der Sicht der Gesellschaft die Gefahrenlage dieselbe ist. Auf die Fragen, in welcher Höhe das Aufsichtsratsmitglied an der Vertragspartnerin der Aktiengesellschaft beteiligt ist oder ob es die geschuldeten Vertragsleistungen selbst zu erbringen hat, um es in diesem Zusammenhang nicht an, weil es allein um die Sicherstellung der im Interesse der Gesellschaft unerlässliche Wahrnehmung der von auch mittelbaren Einflussnahme des Vorstandes unabhängigen Überwachungsaufgabe des Aufsichtsrats geht (BGHZ 170, 60 , juris Rn. 10).
Dies zugrundegelegt gilt für den vorliegend zu beurteilenden Sachverhalt folgendes:
Nach den Angaben des Aufsichtsratsvorsitzenden in der Hauptversammlung handelt es sich bei der Rechtsanwaltskanzlei B, an der der Aufsichtsratsvorsitzende Rechtsanwalt Dr. S als Partner beteiligt ist, um die outgesourcete Rechtsabteilung der Beklagten. Die Kanzlei berate die Beklagte so gut wie in allen Angelegenheiten. Lediglich besondere Materien wie z.B. die Ausgestaltung von Unternehmensanleihen würden von hierfür spezialisierten Sozietäten bearbeitet. Er, der Aufsichtsratsvorsitzende, berate die Gesellschaft lediglich im Zusammenhang mit der Vorbereitung der Hauptversammlung.
Auf der Grundlage dieser Angaben entspricht der Beratungsvertrag nicht den oben dargestellten Anforderungen. Bei dem Beratungsvertrag handelt es sich um einen Rahmenvertrag. Ein solcher Rahmenvertrag ist nicht nach §§ 114 Abs.1 AktG genehmigungsfähig, wenn die Aufgaben des Beraters nicht abschließend bezeichnet, sondern nur beispielhaft aufgezählt werden (BGHZ 170,60 - juris Rn. 14). Dies muss umso mehr gelten, wenn wie hier überhaupt keine Umschreibung der Aufgaben, die durch den Berater wahrgenommen werden sollen, vertraglich festgelegt ist. Denn dann ist die dem Aufsichtsrat obliegende Prüfung, ob über den Beratervertrag solche Aufgaben vergütet werden, die dem Aufsichtsrat bereits organschaftlich obliegen, nicht möglich. Im Gegenteil spricht vieles dafür, dass bei der ganz allgemeinen und nicht weiter konkretisierten Übertragung von Beratungsleistungen auch Gegenstände im Rahmen des Beratervertrages wahrgenommen und honoriert werden, die die das Aufsichtsratsmitglied organschaftlich schuldet, wie z.B. die Beratung der Gesellschaft bei dem Abschluss von Unternehmensund Beteiligungskaufverträgen und bei der Eingehung strategischer Allianzen, bei der Beratung zu Finanzierungsmodellen zur Ausstattung mit liquiden Mitteln (Kapitalerhöhungen…), für die Beratung bei sonstigen Kapitalmaßnahmen sowie für die Beratung bei internen Strukturierungen (vergleiche zu diesen Gegenständen BGHZ 170, 60 - juris Rn. 14). Ebenfalls für nicht genehmigungsfähig hat der Bundesgerichtshof einen Beratungs-Rahmenvertrag gehalten, in dem die "anwaltliche Beratung in sämtlichen Angelegenheiten der Gesellschaft" übertragen worden war (BGH ZIP 2007, 1056 - juris Rn. 16). In Abgrenzung dazu ist es vor dem Hintergrund der §§ 113, 114 AktG unproblematisch, wenn sich die anwaltliche Tätigkeit des Aufsichtsratsmitglieds oder seiner Sozietät nicht auf die grundsätzlichen und wichtigen Fragen des Unternehmens, sondern auf die Einzelheiten des Tagesgeschäfts oder die konkrete Umsetzung von Vorstandsbeschlüssen im Detail bezieht (so OLG Frankfurt ZOP 2005, 2322 f.), also wenn die anwaltliche Tätigkeit nicht die grundlegenden Fragen der Unternehmenspolitik, sondern das operative Geschäft der Gesellschaft betrifft (so Müller, NZG 2002, 797, 798).
Streitig ist allerdings, ob der den Rechtsanwälten B auch für das Geschäftsjahr 2010 erteilte Beratungsauftrag danach endgültig wegen Verstoßes gegen §§ 113, 114 AktG gemäß § 134 BGB nichtig ist oder ob der Vertrag und die einzelnen von den Rechtsanwälten der Kanzlei Tätigkeiten nachträglich genehmigt werden konnten. Die ganz überwiegende Meinung in der Literatur (vgl. die Nachweise bei Hüffer, § 114 Rn. 6) bejaht eine Genehmigungsmöglichkeit. Der Bundesgerichtshof hat die Frage, ob eine nachträgliche Genehmigung generell zur Einhaltung der sich aus §§ 113, 114 AktG ergebenden Anforderungen ausreicht, in BGHZ 170, 60 ff. offen gelassen (juris Rn. 15). Das Oberlandesgericht Frankfurt hat sie in seiner Entscheidung vom 15.2.2011 (Fresenius, ZIP 2011,425) verneint. Danach sind Zahlungen des Vorstandes an ein Aufsichtsratsmitglied für Dienstverpflichtungen außerhalb seiner Tätigkeit als Aufsichtsrat nur dann erlaubt, wenn der Gesamtaufsichtsrat vorher zustimmt. Die nachträgliche Genehmigung des Aufsichtsrates ändere an der Pflichtwidrigkeit der Zahlungen nichts. Diese Entscheidung ist in der Literatur auf heftige Kritik gestoßen (siehe die Literaturnachweise in juris).
Die Problematik kann letztlich allerdings dahin stehen, denn in Anbetracht des geführten Meinungsstreits und des Fehlens einer höchstrichterlichen Klärung der Frage liegt in der Billigung der Praxis der Beklagten kein eindeutiger und schwerwiegender Gesetzesverstoß. Ein solcher kann nur angenommen werden, wenn sich der Aufsichtsrat - für den Vorstand gilt dasselbe - über eine zweifelsfreie Gesetzeslage hinwegsetzt. Nur dann nämlich kann die Entlastungsentscheidung der Hauptversammlung treuwidrig sein. (BGH AG 2010,79 = ZIP 2009, 2436). Eine zweifelsfreie Gesetzeslage wird man hier aber in Anbetracht des heftigen Streits, der um die Frage der nachträglichen Zustimmung in Fällen wie dem vorliegenden geführt wird, nicht annehmen können.
Auch auf die weitere Frage, ob denn so wie von der Beklagten behauptet tatsächlich nur Sondertätigkeiten übertragen wurden und ob die nachträglich vorgenommene Überprüfung durch den Aufsichtsrat richtig war, kommt es letztlich nicht an. Auch die Frage, ob das Vorbringen der Beklagten hierzu weiterer Substantiierung bedarf, kann deshalb offen bleiben.
Denn es lässt sich nicht feststellen, dass die Problematik eines Verstoßes des Vorstands (und des Aufsichtsrates) gegen die §§ 113,114 AktG Gegenstand der Hauptversammlung gewesen wäre. Nach der oben dargestellten Rechtsprechung u. a. des Oberlandesgerichts Köln (AG 2010,219) liegt ein eindeutiger und schwerwiegender Verstoß des Organmitgliedes gegen Gesetz oder Satzung nur dann vor, wenn dieser Verstoß den Teilnehmern der Hauptversammlung bekannt oder aufgrund der ihnen zugänglichen Informationen zumindest erkennbar war. Denn Gegenstand der gerichtlichen Überprüfung bei der Anfechtung eines Entlastungsbeschlusses ist nicht das Verhalten der Organe, sondern der Beschluss der Hauptversammlung, der nur dann fehlerhaft ist, wenn die Hauptversammlung aufgrund der ihr bekannten Informationen erkannt hat oder zumindest hätte erkennen können, dass das Verhalten der Organe, denen Entlastung erteilt werden soll, rechts- oder satzungswidrig war. Nur in diesem Fall stellt sich die Entlastung durch die Hauptversammlung gegebenenfalls als treuwidrig dar und ist anfechtbar.
Dass die Problematik der Zuständigkeitsverteilung Gegenstand der Hauptversammlung gewesen wäre, ist nicht erkennbar. In der Ankündigung seines Gegenantrages zur Hauptversammlung, den Vorstand und den Aufsichtsrat für das Geschäftsjahr 2010 nicht zu entlasten, hat der Kläger lediglich ausgeführt, für den Aufsichtsratsvorsitzenden ergebe sich die fehlende Unabhängigkeit daraus, dass er bzw. seine Sozietät regelmäßig in erheblichem Umfang für die Beklagte und ihre Tochtergesellschaften tätig sei. Aus dem Hauptversammlungsprotokoll ergibt sich, dass zu den Tagesordnungspunkten drei und vier im wesentlichen die Entsprechenserklärung nach § 161 AktG zum Deutschen Corporate Governance Kodex diskutiert wurde. Die Problematik der Verbindung des Aufsichtsratsvorsitzenden mit der Kanzlei B ist lediglich unter den Tagesordnungspunkten 2 und 4 (Bl. 13 Rück und 18 Rück des Anlagenhefters) kurz angesprochen worden. Dabei ging es dem Kläger - anderes ergibt sich aus den vorgelegten Unterlagen und dem Klägervortrag nicht - um die fehlende Unabhängigkeit der Aufsichtsratsmitglieder und den daraus seiner Auffassung nach resultierenden Verstoß gegen § 161 AktG. Die Problematik eines eventuellen Gesetzesverstoßes gegen §§ 113, 114 AktG ist nicht angesprochen worden, jedenfalls nicht Gegenstand weiter gehender Erörterungen in der Hauptversammlung gewesen und sind Informationen hierzu jedenfalls nicht in vertiefter Form unterbreitet worden. Damit hatte die Hauptversammlung aber gar keine Gelegenheit, die oben aufgezeigten Fragen zu bewerten. Damit fehlt es an einem eindeutigen und schwerwiegenden Gesetzesverstoß, der allein die Anfechtung des Entlastungsbeschlusses ermöglicht.
2. Verstoß gegen § 161 AktG
Auch ein Verstoß des Vorstands gegen § 161 AktG liegt nicht vor.
Der Kläger meint, der Vorstand habe deswegen gegen § 161 AktG verstoßen, weil seine Entsprechenserklärung aus der Sicht eines objektiv urteilenden Aktionärs nicht zweifelsfrei den Schluss zulasse, in welchem Umfang der Vorstand den Empfehlungen des Deutschen Corporate Governance Kodex gefolgt sei. Er schließt dies für den Vorstand - allein - aus dem Zusatz, "soweit sich dieser an ihn richten". Hieraus folge, der Vorstand habe zunächst selbst feststellen wollen, welche der Empfehlungen des DCGK aus seiner Sicht für ihn einschlägig seien.
Dem folgt die Kammer nicht. Der Deutsche Corporate Governance Kodex enthält neben einer Präambel Empfehlungen, die sich an den Vorstand (Nr. 4) und solche, die sich an den Aufsichtsrat (Nr. 5) richten. Ersichtlich wollten Vorstand und Aufsichtsrat in ihrer gleich lautenden Entsprechenserklärung mit dem streitgegenständlichen Zusatz verdeutlichen, dass sie den an sie gerichteten Empfehlungen zu folgen gedenken, was eigentlich eine Selbstverständlichkeit ist und keiner besonderen Hervorhebung bedarf. Eine Auslegung indessen, wie sie der Kläger vornehmen will, also dass sich Vorstand und Aufsichtsrat gleichsam eine Hintertür freihalten wollten, sprengt den Rahmen einer zulässigen Auslegung.
II. Beschluss über die Entlastung des Aufsichtsrates
1. Verstoß gegen §§ 113, 114 AktG
Hierzu gilt das oben zu §§ 113, 114 AktG Ausgeführte entsprechend. 2. Verstoß gegen § 136 AktG analog
Auch hier ist ein Gesetzes- oder Satzungsverstoß nicht auszumachen.
Der Kläger meint, Herr B2 habe bei der Entlastung der Aufsichtsratsmitglieder nicht mitstimmen dürfen, weil ihm ein gleich gelagerter Gesetzesverstoß zur Last zu legen sei. Ob dies richtig ist, kann dahinstehen, denn der behauptete Verstoß hätte sich nicht ausgewirkt, denn es fehlt an einer falschen Feststellung infolge der angeblich verbotswidrig mitgezählt Stimmen. Selbst wenn man nämlich die aus den Vorstandsaktien folgenden Stimmen abzieht, wäre eine ausreichende Mehrheit für die Entlastung des Aufsichtsrats zustande gekommen: Auch wenn man die 31.056.823 Vorstandsaktien abzieht, verbleiben 13.272.460 Aktien, die für die Entlastung gestimmt haben und lediglich 4.681.159 Gegenstimmen bei 229.561 Enthaltungen. Dem behaupteten Verstoß fällt damit jedenfalls die Relevanz.
3. Verstoß gegen §§ 134 BGB iVm § 45 BRAO
Der Kläger ist der Auffassung, der Aufsichtsrat habe gegen gesetzliche Pflichten verstoßen, weil er der Tätigkeit der Rechtsanwälte B trotz der Nichtigkeit des zu Grunde liegenden Beratungsvertrages, die aus dem Verstoß gegen § 45 BRAO folge, zugestimmt habe. Es liegt indessen weder ein Verstoß gegen § 45 Abs.1 Nr. 4 BRAO noch ein solcher gegen Ab.2 Nr 2 der Vorschrift vor.
Rechtsanwälten ist es grundsätzlich unbenommen, einen Zweitberuf auszuüben. Ein Verbot, das den Anforderungen des Art. 12 Abs. 1 GG standhalten soll, muss erforderlich sein, den besonderen Gefährdungen des Anwaltsberufs zu begegnen. Deshalb sind bei verfassungskonformer Auslegung der Begriffe der beruflichen Tätigkeit i.S.v § 45 Abs. 1 Nr. 4 BRAO bzw. des ständigen Dienst- oder ähnlichem Beschäftigungsverhältnisses i.S.v. § 46 BRAO nur solche Vertragsbeziehungen relevant, bei der die Gefahr einer Interessenkollision bestehen kann. Es muss zu besorgen sein, dass die Weisungs- und Richtlinienkompetenz des Arbeitgebers des Zweitberufs in die ausgeübte anwaltliche Tätigkeit hineinwirkt. Nach dem Sinn und Zweck der die Berufsfreiheit einschränkenden Regelung ist ein Tätigkeitsverbot erst dann gerechtfertigt, wenn die Gefahr besteht, dass Weisungen und Richtlinien des Vertragspartners, denen der Anwalt in seinem Zweitberuf unterworfen ist, in die anwaltliche Tätigkeit hineinwirken und mit der anwaltlichen Unabhängigkeit und Bindungsfreiheit kollidieren (vgl. BVerfG NJW 2002, 503; OLG Koblenz NJW-RR 2007, 1003; OLG Stuttgart, Urteil vom 16.12.2008 - 12 U 136/08 - juris Rn 86). Dies ist im Falle der Tätigkeit des Vorsitzenden eines Aufsichtsrats nicht der Fall. Es ist nicht erkennbar, wie dessen selbständige, nicht Weisungen unterworfene Tätigkeit als Aufsichtsrat in seine anwaltliche Tätigkeit hineingewirkt haben sollen.
Auch ein Verstoß gegen § 45 Abs. 2 Nr. 2 BRAO ist nicht erkennbar. Die Norm will Interessenkollisionen verhindern, die daraus entstehen, dass der Anwalt bereits mit einer Sache anwaltlich befasst war und mit ihr nochmals im Zweitberuf befasst wird. Für eine solche Interessenkollision, die sich im Rahmen der Tätigkeit des Rechtsanwalts Dr. S im Aufsichtsrat der Beklagten aus einer anwaltlichen Vorbefassung mit bestimmten (welchen€) Sachen ergeben könnte, ist nichts vorgetragen und auch nichts ersichtlich.
Abgesehen hiervon fehlt auch hier die Schwere und Eindeutigkeit einer eventuellen Gesetzesoder Satzungsverletzung, denn es ist nicht erkennbar, dass die Problematik des Tätigkeitsverbotes nach § 45 BRAO Gegenstand der Hauptversammlung gewesen wäre (siehe oben).
4. Verstoß des Aufsichtsrates gegen die Pflicht zur ordnungsgemäßen Organisation seiner Tätigkeit
Der Kläger meint, der Aufsichtsrat habe gegen seine gesetzlichen Pflicht verstoßen, sich selbst so zu organisieren, dass er zur Wahrnehmung seiner Aufgaben in der Lage ist. Er habe davon abgesehen, der Hauptversammlung gemäß § 124 Abs. 3 AktG Wahlvorschläge zu unterbreiten, um die fehlende Expertise des Aufsichtsrats in den Bereichen Technik und Finanzen zu beschaffen. Notfalls hätte er zurücktreten müssen.
Soweit der Kläger meint, der Aufsichtsrat hätte der Hauptversammlung Wahlvorschläge unterbreiten müssen, geht sein Vortrag schon deswegen ins Leere, weil im Geschäftsjahr 2010 keine neue Wahlen zum Aufsichtsrat anstanden.
Allenfalls hätten die Mitglieder des Aufsichtsrats ihr Amt niederlegen können, wie es der Kläger von Ihnen zu verlangen scheint. Dieser Ansatz ist indessen schon im Hinblick auf die Verfassung der Aktiengesellschaft verfehlt. Personalentscheidungen zur Besetzung des Aufsichtsrats erfolgen durch die Hauptversammlung in den Wahlen. Es geht nicht an, eine Änderung in der Besetzung des Aufsichtsrats über das Vehikel der Anfechtung von Entlastungsbeschlüssen herbeizuführen.
5. Verstoß gegen § 161 AktG
a) Entsprechenserklärung nicht unklar
Hierzu kann auf das oben Gesagte verwiesen werden.
b) fehlende Angabe von Altersgrenzen
Es liegt auch kein Verstoß gegen § 161 AktG darin, dass der Aufsichtsrat weder für den Vorstand noch für den Aufsichtsrat eine an sich gebotene Altersgrenze festgelegt bzw. es versäumt habe, darauf hinzuweisen das entsprechende Altersgrenzen für die Beklagte nicht vorhanden sind, wie der Kläger meint.
Nach § 161 AktG haben Vorstand und Aufsichtsrat von börsennotierten Gesellschaften jährlich zu erklären, dass den Empfehlungen des Deutschen Corporate Governance Kodex entsprochen wurde und wird oder welche Empfehlungen nicht angewendet wurden oder werden. Eine unrichtige Entsprechenserklärung begründet einen Gesetzesverstoß, der jedem der erklärungspflichtigen Organe zur Last fällt, soweit ihre Mitglieder die anfängliche oder später eintretende Unrichtigkeit der Erklärung kannten oder kennen mussten und sie gleichwohl nicht für eine Richtigstellung besorgt haben (BGHZ 180,9 ff.; BGHZ 182, 272 ff). Dies kann auch dann der Fall sein, wenn sich die in der Entsprechenserklärung enthaltene Absichtserklärung, den Empfehlungen folgen zu wollen, überholt. Vorstand und Aufsichtsrat sind dann verpflichtet, noch vor Vornahme der Maßnahme, die im Widerspruch zur bislang kommunizierten Absicht steht, in einer gesonderten Entsprechenserklärung offen zu legen, dass die Absicht sich ändert. Geschieht dies nicht oder entspricht die Erklärung von vorneherein in einem nicht unwesentlichen Punkt nicht der tatsächlichen Praxis der Gesellschaft, liegt darin ein Gesetzesverstoß, der Entlastungsbeschlüsse anfechtbar machen kann. In den genannten Entscheidungen vermisste der Bundesgerichtshof eine Information des Aufsichtsrats über Interessenkonflikte und deren Behandlung. Solch eine Information aber verlangt die Empfehlung 5.5.3 DCGK. Damit sei die Erklärung, der Aufsichtsrat folge den Empfehlungen des Deutschen Corporate Governance Kodex, in einer für die Organentlastung der relevanten Hinsicht unrichtig gewesen.
Nach Nr. 5.1.2 DCGK soll der Aufsichtsrat eine Altersgrenze für Vorstandsmitglieder festlegen. Die Beklagte hat durch Vorlage einer Urkunde (Anl. B3, Bl. 104 des Anlagenhefters) bewiesen, dass der Aufsichtsrat dem bereits mit Aufsichtsratsbeschluss vom 28.11.2002 nachgekommen ist und die Altersgrenzen für Vorstände und Aufsichtsräte auf 68 Jahre festgelegt hat. Dass es sich bei der Urkunde um eine Fälschung handele, behauptet der Kläger nicht.
Auch im Übrigen lassen sich in diesem Zusammenhang relevante Verstöße nicht feststellen. Wenn es in dem Konzernbericht (dort Seite 42 = Bl. 92 des Anlagenhefters) heißt: “Die nach Nummer 5.1.2 DCGK festzulegende Altersgrenze greift beim Vorstand der T6 AG nicht ein." führt dies nicht zu einer anderen Beurteilung. Was hieran unrichtig sein soll, erschließt sich nicht. Auch wenn der Aufsichtsratsvorsitzende in der Hauptversammlung angegeben hat, dass kein Vorstand des Unternehmens älter als 70 Jahre alt sein dürfe (Seite 17 des Hauptversammlungsprotokolls = Bl. 15 des Anlagenhefters), ist dies zwar unrichtig, weil die Altersgrenze bei 68 Jahren liegt. Irgendeine Relevanz entfaltet diese falsche Angabe allerdings nicht. Denn die Altersgrenze spielt für die derzeitige Besetzung des Vorstands wie auch für die des Aufsichtsrates der Beklagten keinerlei Rolle. Das älteste Solarworld-Vorstandsmitglied ist 51 Jahre alt. Für die Entlastungsentscheidung der Aktionäre kann die Äußerung deshalb bei vernünftiger Betrachtung keine Rolle gespielt haben, eine Anfechtung aus diesem Gesichtspunkt deshalb nicht möglich.
c) fehlender Hinweis auf Nichteinhaltung der Nr. 5.4.2 DCGK
Auch insofern fehlt es an einem Gesetzesverstoß.
Die Empfehlung 5.4.2 DCGK lautet:
„Um eine unabhängige Beratung und Überwachung des Vorstands durch den Aufsichtsrat zu ermöglichen, soll dem Aufsichtsrat eine nach seiner Einschätzung ausreichende Anzahl unabhängiger Mitglieder angehören ein Aufsichtsratsmitglied ist als unabhängig anzusehen, wenn es in keiner geschäftlichen oder persönlichen Beziehung zu der Gesellschaft oder deren Vorstand steht, die einen Interessenkonflikt begründet.…“
Der Kläger ist der Auffassung, der Aufsichtsrat verstoße gegen diese Empfehlung, weil dem Aufsichtsrat keine unabhängigen Mitglieder angehörten. Die entsprechende Selbsteinschätzung des Vorstands im Aufsichtsratsbericht sei unzutreffend. Für den Aufsichtsratsvorsitzenden ergebe sich das bereits aus seiner Partnerschaft in der Sozietät B. Für sämtliche Aufsichtsratsmitglieder folgende die fehlende Unabhängigkeit aus deren langer Zugehörigkeit zu dem Aufsichtsrat der Beklagten.
Diese Konsequenz ergibt sich aus dem deutschen Aktienrecht allerdings nicht. Irgendwelche Obergrenzen für die Dauer der Zugehörigkeit zu einem Aufsichtsrat sieht das AktG nicht vor. Dementsprechend zieht der Kläger zur Begründung seiner Auffassung Anhang II Nr. 1h der EU Empfehlung vom 15.2.2005 heran. Darin heißt es (vergleiche Bl. 129 der Gerichtsakte):
"Die betreffende Person darf nicht länger als drei Amtszeiten als nicht geschäftsführender Direktor bzw. Aufsichtsratsmitglied tätig gewesen sein (bzw. nicht länger als zwölf Jahre, wenn das einzelstaatliche Recht Amtszeiten von sehr kurzer Dauer vorsieht).“
Bereits hieraus ergibt sich aber, dass die Voraussetzungen dieser Empfehlung nicht erfüllt sind, denn die Aufsichtsratsmitglieder befinden sich in ihrer dritten Amtszeit. Das Recht der Bundesrepublik Deutschland sieht auch nicht Amtszeiten von sehr kurzer Dauer vor, so dass auch nicht auf den Klammerzusatz - nicht länger als zwölf Jahre - abzustellen ist. Abgesehen hiervon hat der deutsche Gesetzgeber die vorzitierte Empfehlung nicht in nationales Recht umgesetzt hat. Damit lässt sich schon nicht feststellen, dass die langjährige Zugehörigkeit der Aufsichtsräte in dem Aufsichtsrat der Beklagten zu einer Abhängigkeit der Gestalt führt, dass die Empfehlung in Nr. 5.4.2 DCGK als nicht beachtet anzusehen wäre.
Auch der Umstand, dass der Aufsichtsrat bei diversen Strukturmaßnahmen der Beklagten wie bei dem Aktientausch T AG keine Fairness-Opinion eingeholt hat verhilft der Klage nicht zum Erfolg. Denn die Empfehlung 5.4.2 DCGK räumt dem Aufsichtsrat bei der Beurteilung der Unabhängigkeit ein Ermessen ein. Ausdrücklich heißt es, dass dem Aufsichtsrat eine nach seiner Einschätzung ausreichende Anzahl unabhängiger Mitglieder angehören soll. Es handelt sich damit bei dieser Empfehlung um eine Aufforderung zur Selbstkontrolle. Für die Begründung eines Gesetzesverstoßes gegen § 161 AktG kann sie deshalb nicht herangezogen werden, wenn der Aufsichtsrat die Frage behandelt hat. Davon ist hier auszugehen, wie sich schon dem Bericht des Aufsichtsrates für das Geschäftsjahr 2010 vom 23.02.2011 entnehmen lässt. Hier heißt es nämlich: „Auch betrachtet sich der Aufsichtsrat als unabhängig im Sinne von Ziff. 5.4.2 DCGK.“
Die Klage unterliegt damit der Abweisung.
Die prozessualen Nebenentscheidungen ergeben sich aus §§ 91, 101, 709 ZPO.
Streitwert: 50.000,- €
LG Köln:
Urteil v. 12.01.2012
Az: 91 O 77/11
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