Bundespatentgericht:
Beschluss vom 27. November 2007
Aktenzeichen: 14 W (pat) 28/04
(BPatG: Beschluss v. 27.11.2007, Az.: 14 W (pat) 28/04)
Tenor
Der angefochtene Beschluss wird aufgehoben und das Patent erteilt.
Bezeichnung: Verwendung von Vitex agnuscastus als Repellent gegen Zecken und/oder Milben Anmeldetag: 19. November 2002 Der Erteilung liegen folgende Unterlagen zu Grunde:
Patentansprüche 1 bis 11, Beschreibung Seiten 1 und 5 bis 11, jeweils überreicht in der mündlichen Verhandlung vom 27. November 2007.
Gründe
I Mit Beschluss vom 5. Februar 2004 hat die Prüfungsstelle für Klasse A01N des Deutschen Patent- und Markenamts die Patentanmeldung 102 54 072.1 - 41 mit der Bezeichnung
"Vitex agnuscastus als Repellent gegen lästige, parasitische oder schädliche Arthropoden"
zurückgewiesen.
Die Zurückweisung ist unter Hinweis auf die Literaturstelle
(1) May 1998 Newsletter unter Internetadressehttp://www.essentiallyoils.com/Newsletters/May_1998_Newsletter/may_1998_newsletter.htmlim Wesentlichen damit begründet, der Gegenstand des seinerzeit geltenden Patentanspruchs 1 sei gegenüber (1) nicht mehr neu. Die Druckschrift (1) sei ausweislich der Angaben aus dem Internet Archiv vorveröffentlicht, so dass ihr Inhalt Stand der Technik sei.
Gegen diesen Beschluss der Prüfungsstelle hat die Anmelderin Beschwerde eingelegt. Sie ist der Ansicht, die Internet-Fundstelle sei vor dem Anmeldetag der vorliegenden Anmeldung nicht der Öffentlichkeit zugänglich gewesen. Es bestünden Zweifel an der Seriosität und hinsichtlich der Manipulierbarkeit des Internet-Archivs. Selbst wenn die Zugänglichkeit zu bejahen sei, stelle sich die Frage, inwieweit die dort getroffene Aussage als technische Offenbarung gelten könne, denn es handle sich erkennbar um eine Meinungsäußerung, die in keiner Weise verifiziert worden sei.
Mit der Ladung zur mündlichen Verhandlung hat der Senat noch auf die Druckschriften
(2) Watanabe K. et al., Rotundial, a New Natural Mosquito Repellent from Leaves of Vitex rotundifolia, in Biosci. Biotech. Biochem. 59 (10), 1995, Seiten 1979/1980 und
(3) Hänsel R. et al., Auszug aus Drogen P-Z, Springer Verlag, Band 6, 1994, Seiten 1183/1184 hingewiesen.
Die Anmelderin verfolgt ihr Patentbegehren mit den in der mündlichen Verhandlung überreichten Patentansprüchen bis 11 weiter. Der Anspruch 1 hat folgenden Wortlaut:
"Verwendung von Repellents, die aus der Pflanze Vitex agnuscastus gewonnen werden, gegen Zecken und/oder Milben."
Die rückbezogenen Patentansprüche 2 bis 11 sind auf weitere Verwendungen gerichtet; wegen des Wortlauts der Ansprüche und weiterer Einzelheiten wird auf den Inhalt der Akten verwiesen.
Die Anmelderin macht im Wesentlichen geltend, dass sich die Entgegenhaltung (2) lediglich mit dem Wirkstoff "Rotundial" beschäftige, der sich als wirksames Repellent gegen die Gelbfiebermücke Aedes aegypti erwiesen habe. Obwohl die Untersuchungen schon seit 1995 bekannt seien, gebe es keine neuen Erkenntnisse dahingehend, dass der Wirkstoff auch gegenüber anderen Schadarthropoden abstoßende Wirkung entfalte. Rotundial sei auch noch nie in Vitex agnuscastus nachgewiesen worden, wenngleich andere Inhaltsstoffe, wie z. B. Agnusid, sowohl in der Art Vitex agnuscastus als auch in der Art Vitex rotundifolia vorkämen. Auch die Anmelderin habe diesbezüglich Untersuchungen durchgeführt. Im Übrigen umfasse die Gattung "Vitex" gemäß (3) 250 verschiedene Arten, wobei Vitex agnuscastus und Vitex rotundifolia untereinander nicht kreuzbar seien. Letztlich sei auch von anderen Pflanzenarten einer Gattung bekannt, dass sie höchst unterschiedliche Wirkung entfalteten, beispielsweise Kartoffeln und Tomaten, die beide Nachtschattengewächse seien und in rohem Zustand giftig (Kartoffeln) bzw. ungiftig (Tomate) seien.
Im Übrigen sei dem Stand der Technik (2) und auch der dort zitierten Referenz Nr. 4,
"Vitex genus", O. Okuda, "Kouryou Kagaku Soran" (In Japanese), Hirokawa Shoten, Tokyo, Japan, 1967 pp. 310-311, deren englische Übersetzung die Anmelderin in der mündlichen Verhandlung vorgelegt hat, kein Hinweis auf die Verwendung von Repellents aus Vitex agnuscastus gegen Zecken und/oder Milben zu entnehmen. Auch ließen die Unterschiede wie Lebenszeit, Anordnung der Riechzellen oder Geschlecht zwischen den Blut saugenden Spinnentieren, wozu Zecken und Milben zählten, und den Blut saugenden Insekten erwarten, dass die Anforderungen an ein Repellent gegen die beiden Gruppen von Schadarthropoden verschieden sein müssen. Im Ergebnis gehe die Entgegenhaltung (2) von anderen Wirkstoffen und anderen Tieren als abzustoßende Zielgruppen aus.
Schließlich sei noch von den Extrakten des Vitex agnuscastus bekannt, dass sie im Gegensatz zu anderen Naturstoffen keine allergenen Reaktionen auslösen, das Mittel lagerstabil sei und überraschend gute Effekte bewirke. Nicht zuletzt sei es eines von drei gegen Zecken wirkende Mitteln aus einer 104 Mittel umfassenden Liste, die Wald- und Forstarbeitern ausdrücklich zur Nutzung empfohlen werden.
Die Anmelderin beantragt, den angefochtenen Beschluss aufzuheben und das Patent unter Abänderung der Bezeichnung in "Verwendung von Vitex agnuscastus als Repellent gegen Zecken und/oder Milben" zu erteilen auf der Grundlage der Patentansprüche 1 bis 11 und der Beschreibung Seiten 1 und 5 bis 11, jeweils überreicht in der mündlichen Verhandlung.
II 1. Die Beschwerde ist zulässig (§ 73 PatG) und hat auch Erfolg.
2. Bezüglich ausreichender Offenbarung der Verwendung von Repellents nach dem geltenden Anspruch 1 bestehen keine Bedenken; seine Merkmale lassen sich aus den ursprünglich eingereichten Ansprüchen 1 und 3 herleiten. Die Verwendungen nach den Ansprüchen 2 bis 11 sind den ursprünglichen Ansprüchen 2, 10 und 12 bis 19 zu entnehmen.
3. Die Neuheit der Verwendung nach Anspruch 1 ist gegeben.
Weder die hinsichtlich ihrer Vorveröffentlichung umstrittene Entgegenhaltung (1) noch die Druckschriften (2) und (3) beschreiben die Verwendung von Repellents, die aus der Pflanze Vitex agnuscastus gewonnen werden, gegen Zecken und/oder Milben.
Entgegenhaltung (1) enthält lediglich den Hinweis, dass Öle aus Vitex agnuscastus gegen Insektenstiche und als gutes Repellent wirken. Eine Wirkung auf Zecken und/oder Milben wird nicht erwähnt.
Der Druckschrift (2) ist zu entnehmen, dass ein aus frischen Blättern der Pflanze Vitex rotundifolia gewonnener Inhaltsstoff, das Rotundial, als natürliches Repellent gegen Stechmücken wirkt (Abstract).
Die Übersicht über die Gattung Vitex (3) offenbart, dass die ca. 250 Arten der Gattung eine Reihe von gleichen Inhaltsstoffen, wie z. B. das Agnusid, aufweisen. Auch einige Bestandteile der aetherischen Öle, die in Vitex agnuscastus und Vitex rotundifolia gefunden wurden, stimmen überein, wohingegen sich weitere Verbindungen nur in Vitex agnuscastus nachweisen lassen (S. 1183, re. Sp. Abs. 3; S. 1184, li. Sp. Abs. 2 bis re. Sp. Abs. 1).
4. Die Verwendung gemäß Anspruch 1 beruht auch auf einer erfinderischen Tätigkeit.
Aufgabe der vorliegenden Anmeldung ist es, ein einfach anzuwendendes, breit wirkendes und zudem lang anhaltendes, d. h. für mindestens 8 Stunden, effektives Repellent gegen den Befall mit Zecken und/oder Milben zur Verwendung bereitzustellen (geltende Unterlagen S. 7, vorletzt. Abs.).
Die Aufgabe wird gelöst durch die Verwendung eines Repellents gemäß Anspruch 1.
Als nächst liegender Stand der Technik ist die Entgegenhaltung (2) anzusehen. Sie beschreibt den Inhaltsstoff Rotundial aus Vitex rotundifolia als einen für die Repellent-Wirkung gegen die Gelbfiebermücke Aedes aegypti verantwortlichen Wirkstoff (S. 1979, li. Sp. letzter Abs. bis re. Sp. Abs. 1). Anhaltspunkte, dass dieser Wirkstoff auch Repellent-Wirkung gegenüber Zecken und/oder Milben entfaltet, kann der Fachmann der Entgegenhaltung (2) indessen nicht entnehmen. Hinweise dahingehend offenbaren aber auch die Druckschriften (1) und (3) nicht. Selbst wenn der Fachmann angenommen hätte, dass auch Vitex agnuscastus Rotundial enthält, ergeben sich aus der Zusammenschau der Druckschriften keine Anhaltspunkte dafür, dass gerade dieser Inhaltsstoff eine abstoßende Wirkung auf Zecken und/oder Milben entfaltet. Der Fachmann konnte somit nicht erwarten, dass Repellents, die aus der Pflanze Vitex agnuscastus gewonnen werden, gegen Zecken und/oder Milben wirken.
Bei dieser Sachlage kommt es nicht mehr darauf an, ob die Entgegenhaltung (1) vor dem Anmeldetag der vorliegenden Patentanmeldung der Öffentlichkeit zugänglich war.
Nach alledem ist die Verwendung nach dem geltenden Patentanspruch 1 gegenüber dem Stand der Technik neu und beruht auch auf einer erfinderischen Tätigkeit, so dass der Anspruch 1 gewährbar ist.
5. Das Gleiche gilt für die auf den Patentanspruch 1 rückbezogenen Ansprüche 2 bis 11, die weitere über Selbstverständlichkeiten hinausgehende Verwendungen betreffen.
Schröder Harrer Gerster Schuster Na
BPatG:
Beschluss v. 27.11.2007
Az: 14 W (pat) 28/04
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