Bundespatentgericht:
Beschluss vom 17. November 2005
Aktenzeichen: 17 W (pat) 44/03

(BPatG: Beschluss v. 17.11.2005, Az.: 17 W (pat) 44/03)

Tenor

Auf die Beschwerde der Patentinhaberin wird der angefochtene Beschluss aufgehoben.

Gründe

I.

Auf die Patentanmeldung wurde die Erteilung des Patents DE 37 31 514 C2 (nachfolgend Streitpatent genannt) unter der Bezeichnung

"Optisches Informationsaufzeichnungsmedium"

am 14. Mai 1998 veröffentlicht.

Der gegen das Patent erhobene Einspruch wurde im Einspruchsschriftsatz ausschließlich auf offenkundige Vorbenutzung gestützt.

Im gesamten Verfahren sind folgende Druckschriften genannt worden:

1) EP 175 905 A2 2) EP 175 905 A3 3) EP 137 246 A2 4) US 4 591 626 5) H. Schnell: "Polycarbonate, eine Gruppe neuartiger thermoplastischer Kunststoffe", Angew. Chem., 68. Jahrg. 1956, Nr. 20, Seiten 633 bis 640 6) William F. Christopher, Daniel W. Fox: Polycarbonates, Reinhold Publishing Corp., New York, 1962, Seiten 20, 21, 32 und 33 7) Hermann Schnell: Chemistry and Physics of Polycarbonates, Interscience Publishers (Div. of John Wiley and Sons), New York, 1964, Seiten 36 bis 45.

Mit Beschluss vom 20. Januar 2003 hat die Patentabteilung 53 die Zulässigkeit des Einspruchs festgestellt und das Patent widerrufen mit der Begründung, es bedürfe keiner erfinderischen Tätigkeit, um zum Gegenstand des Patentanspruchs zu gelangen.

Gegen diesen Widerrufsbeschluss wendet sich die Beschwerde der Patentinhaberin. Nach Ansicht der Patentinhaberin ist zum einen der Einspruch unzulässig, zum anderen der Gegenstand des Streitpatents durch den genannten Stand der Technik weder bekannt noch nahe gelegt.

Im Beschwerdeverfahren beantragt die Patentinhaberin, den angefochtenen Beschluss aufzuheben und das Patentgemäß Hauptantrag im erteilten Umfang, gemäß Hilfsantrag 1 mit dem einzigen Anspruch, überreicht in der mündlichen Verhandlung, gemäß Hilfsantrag 2 mit dem einzigen Anspruch, überreicht in der mündlichen Verhandlungzu bestätigen.

Sie regt an, die Rechtsbeschwerde zuzulassen.

Die Einsprechende beantragt, die Beschwerde zurückzuweisen.

Der erteilte, geltende Patentanspruch nach Hauptantrag lautet:

Optisches Informationsaufzeichnungsmedium mit einem durchsichtigen Substrat aus einem Polycarbonatharz mit einem gewichtsmittleren Molekulargewicht von 10.000 bis 100.000 und einer auf dem Substrat ausgebildeten, optischen Informationsaufzeichnungsschicht, dadurch gekennzeichnet, daß das Polycarbonatharz nicht mehr als 4 Gew.-% niedrigmolekularer Anteile mit einem bezogen auf das Molekulargewicht eines als Referenzpolymer verwendeten Polystyrols gemessenen, gewichtsmittleren Molekulargewicht von nicht mehr als 3500 enthält.

Der Patentanspruch nach Hilfsantrag 1 lautet:

Optisches Informationsaufzeichnungsmedium mit einem durchsichtigen Substrat aus einem Polycarbonatharz mit einem gewichtsmittleren Molekulargewicht von 10.000 bis 100.000 und einer auf dem Substrat ausgebildeten, optischen Informationsaufzeichnungsschicht, dadurch gekennzeichnet, dass das Polycarbonatharz nicht mehr als 3 Gew.-% niedrigmolekularer Anteile mit einem bezogen auf das Molekulargewicht eines als Referenzpolymer verwendeten Polystyrols gemessenen, gewichtsmittleren Molekulargewicht von nicht mehr als 3.500 enthält.

Der Patentanspruch nach Hilfsantrag 2 lautet:

Optisches Informationsaufzeichnungsmedium mit einem durchsichtigen Substrat aus einem Polycarbonatharz mit einem gewichtsmittleren Molekulargewicht von 10.000 bis 100.000 und einer auf dem Substrat ausgebildeten, optischen Informationsaufzeichnungsschicht, dadurch gekennzeichnet, dass das Polycarbonatharz nicht mehr als 0,8 Gew.-% niedrigmolekularer Anteile mit einem bezogen auf das Molekulargewicht eines als Referenzpolymer verwendeten Polystyrols gemessenen, gewichtsmittleren Molekulargewicht von nicht mehr als 3.500 enthält.

Zu den weiteren Einzelheiten wird auf den Akteninhalt verwiesen.

II.

Die rechtzeitig eingegangene Beschwerde der Patentinhaberin ist zulässig.

Sie ist auch begründet, denn der Einspruch der Einsprechenden ist zwar zulässig, führt in der Sache aber nicht zum Erfolg.

Die Zulässigkeit des Einspruchs ist Voraussetzung für eine sachliche Prüfung des Einspruchs und vom Gericht von Amts wegen zu prüfen (vgl. BGH BlPMZ 1972, 173 Sortiergerät).

Nach § 59 Abs. 1 PatG sind die Tatsachen, die den Einspruch rechtfertigen sollen, bis zum Ablauf der Einspruchsfrist "im Einzelnen" anzugeben. Die Begründung des Einspruchs genügt diesen gesetzlichen Anforderungen nur dann, wenn die für die Beurteilung des behaupteten Widerrufsgrundes maßgeblichen Umstände darin so vollständig dargelegt sind, dass der Patentinhaber und das Patentamt (nach § 147 Abs. 3 PatG der Beschwerdesenat des BPatG) daraus abschließende Folgerungen in Bezug auf das Vorliegen oder Nichtvorliegen eines Widerrufsgrundes ziehen können (vgl. BGH BlPMZ 1987, 203, 204 re. Sp. unter c, - Streichgarn; 1998, 201, 202 - Tabakdose). Der Einspruch muss sich dabei mit der gesamten unter Schutz gestellten Erfindung befassen und nicht nur mit einem Teilaspekt, der isoliert für sich nicht unter Schutz gestellt ist (BGH GRUR 1988, 364 - Epoxidationsverfahren). Stützt sich ein Einspruch - wie im vorliegenden Fall - auf eine offenkundige Vorbenutzung, so ist die innerhalb der Einspruchsfrist einzureichende Begründung nur dann ausreichend substantiiert, wenn sie konkrete Angaben enthält, was, wo, wann, wie, durch wen in öffentlich zugänglicher Weise geschehen ist (vgl. Schulte, Patentgesetz, 7. Auflage, § 59 Rdn. 103 ff. sowie BGH in "Tabakdose" und "Streichgarn" m. w. N).

In Anwendung dieser Grundsätze ist der ausschließlich auf offenkundige Vorbenutzung gestützte Einspruch zulässig.

Die folgende Abhandlung bezieht sich auf die erste der beiden geltend gemachten offenkundigen Vorbenutzungen, dokumentiert durch die CD "Johann Sebastian Bach, Toccata & Fugue in D minor", Titelnummer CD 410 038-2. Nach den Angaben der Einsprechenden im Einspruchsschriftsatz handelt es sich bei der untersuchten CD um ein Rückstellexemplar aus einer Produktionscharge einer im Einzelnen benannten Produktionsstätte der Firma P..., die spätestens im Jahr 1983 hergestellt, in einem benannten Katalog angeboten und über die normalen Vertriebswege in Verkehr gebracht wurde. Die Einsprechende hat somit die äußeren Umstände der Benutzung im Einzelnen dargelegt. Außerdem hat die Einsprechende den Weg der untersuchten CD lückenlos angegeben und die Untersuchungsergebnisse mit den Merkmalen 1.1., 1.1.1 und 1.1.2 des geltenden wie nachfolgend gegliederten Patentanspruchs verglichen. Die übrigen Merkmale 1., 2. und 2.1 gehen bereits implizit daraus hervor, dass es sich bei den benutzten Gegenständen um CDs handelt. Somit ist die Benutzung auch hinsichtlich ihres Gegenstands substantiiert. Die im Einspruchsschriftsatz genannten Unterlagen, die die Angaben im Einzelnen belegen sollen, wie eidesstattliche Versicherungen und Messprotokolle, hat die Einsprechende zwar erst nach Ablauf der Einspruchsfrist eingereicht; sie sind jedoch als Beweismittel nicht fristgebunden.

Der Zulässigkeit des Einspruchs steht nicht entgegen, dass die dem vorbenutzten Gegenstand zugrunde liegende technische Lehre nicht ohne weitere Untersuchungen erkennbar ist.

Vorliegend handelt es sich um Materialeigenschaften von Polycarbonaten, die ein Fachmann ohne weiteres ermitteln kann. Außerdem reichen die Angaben der Einsprechenden zum Anbieten und Inverkehrbringen der CDs aus der genannten Produktionscharge aus, um die öffentliche Zugänglichkeit der Zusammensetzung des Substratmaterials dieser CDs zu substantiieren. Die Einsprechende konnte hier auf die ständige Rechtsprechung vertrauen, wonach die chemische Zusammensetzung eines Erzeugnisses mit dessen öffentlicher Zugänglichkeit ebenfalls offenkundig geworden ist, wenn es vom Fachmann ohne unzumutbaren Aufwand analysiert und reproduziert werden kann, zumindest wenn ein wie immer gearteter Anlass besteht, seine Zusammensetzung zu untersuchen, oder sogar ohne gegebenen Anlass, vgl. Schulte, a. a. O. § 3 Rdn. 56, 57 und 101; BGH GRUR 86, 372 "Thrombozytenzählung"; EPA GrBK G 1/92 ABl. 93, 277. Nach der allgemeinen Lebenserfahrung war das Inverkehrbringen eines Massenprodukts wie der benutzten CDs für Konkurrenzfirmen Anlass genug, um diese mit Hilfe der üblichen zur Verfügung stehenden Methoden gründlich zu untersuchen, auch unter Zerstörung des Produkts. Zur Untersuchung der chemischen Zusammensetzung konnte der Fachmann, hier ein Chemiker mit physikalischen Kenntnissen und Erfahrung in der Herstellung von Polymeren für optische Aufzeichnungsmedien, auf bereits vor dem Prioritätstag des Streitpatents fachüblich bekannte Analysemethoden zurückgreifen, etwa solche, wie sie in den Anmeldeunterlagen zur Streitpatentschrift unter "Beispiel 2" angegeben sind. Mit der bereits vor dem Prioritätstag des Streitpatents fachüblich bekannten, im Übrigen ebenfalls in den Anmeldeunterlagen zur Streitpatentschrift unter "Beispiel 2" angeführten Gelpermeationschromatographie stand dem Fachmann ein geeignetes Instrument zur Untersuchung der Molekulargewichtsverteilung zur Verfügung, auch im hier relevanten niedrigmolekularen Bereich. Somit ist auch die öffentliche Zugänglichkeit der benutzten CDs einschließlich der dieser im Hinblick auf den Streitpatentgegenstand entnehmbaren Lehre hinreichend substantiiert.

Ob die Jahre nach dem Prioritätstag des Streitpatents durchgeführte Analyse der Molekulargewichte zweifelsfrei zeigen kann, dass die in Rede stehenden CDs bereits zu dieser Zeit die beanspruchten Merkmale aufwiesen, ist eine Frage der Schlüssigkeit der Einspruchsbegründung und damit der Begründetheit, nicht der Zulässigkeit des Einspruchs (BGHZ 93, 171 - Sicherheitsvorrichtung).

Da somit zumindest die erste der geltend gemachten Benutzungen ausreichend substantiiert ist, ist der Einspruch zulässig.

Der demnach zulässige Einspruch ist jedoch nicht begründet.

Das Patent betrifft ein optisches Informationsaufzeichnungsmedium, z. B. eine CD. Das Medium besteht aus einem durchsichtigen Substrat mit einer darauf ausgebildeten Informationsaufzeichnungsschicht. Das Substratmaterial ist ein Polycarbonatharz, das ein gewichtsmittleres Molekulargewicht zwischen 10.000 und 100.000 aufweist, und das außerdem nur sehr geringe Anteile, nämlich weniger als 4 Gewichtsprozent, von niedrigmolekularem Material mit einem bezogen auf das Molekulargewicht eines als Referenzpolymer verwendeten Polystyrols gemessenen, gewichtsmittleren Molekulargewicht von nicht mehr als 3500 enthält.

In der Patentschrift ist angegeben, dass handelsübliche, als Substratmaterial verwendete Polycarbonatharze einen höheren Gehalt an solchen niedrigmolekularen Anteilen aufweisen, nämlich 4 bis 6 Prozent. Gemäß Patentschrift Seite 2 Zeilen 54 bis 58 sowie Beispiel 1 auf Seiten 4 und 5 segregieren diese niedrigmolekularen Anteile während der Herstellung des Aufzeichnungsmediums und kondensieren auf der Substratoberfläche. Hierbei bilden sich Flecken, die eine abnormale optische Doppelbrechung verursachen, was sich durch Rauschen bemerkbar macht. Die patentgemäße Aufgabe besteht demgegenüber darin, ein optisches Informationsaufzeichnungsmedium zur Verfügung zu stellen, bei dem die Doppelbrechung unterdrückt ist, das ausgezeichnete mechanische und Verformungseigenschaften aufweist und dessen Geräuschpegel niedrig ist.

Die zur Lösung dieser Aufgabe eingesetzte technische Lehre gemäß dem (einzigen) Anspruch nach Hauptantrag lautet - mit hinzugefügter Gliederung - wie folgt:

Optisches Informationsaufzeichnungsmedium mit 1. einem durchsichtigen Substrat aus 1.1. einem Polycarbonatharz, das 1.1.1 ein gewichtsmittleres Molekulargewicht von 10.000 bis 100.000 aufweist, und das 1.1.2 nicht mehr als 4 Gewichtsprozent niedrigmolekularer Anteile mit einem gewichtsmittleren Molekulargewicht von nicht mehr als 3.500 enthält, wobei das gewichtsmittlere Molekulargewicht bezogen auf das Molekulargewicht eines als Referenzpolymer verwendeten Polystyrols gemessenen wird, und 2. einer optischen Informationsaufzeichnungsschicht, die 2.1 auf dem Substrat ausgebildet ist.

Verwendet man somit ein Substratmaterial, das nach dem Patentanspruch gemäß Hauptantrag weniger als 4 Gewichtsprozent (weniger als 3 bzw. 0,8 Gewichtsprozent gemäß Hilfsantrag 1 bzw. 2) niedrigmolekularer Anteile enthält, etwa durch zusätzliche Reinigung des herkömmlichen Substratmaterials, so verschwindet dieser Effekt, vgl. Patentschrift Seite 6 Beispiel 3.

Außerdem soll die Verringerung der niedrigmolekularen Anteile die thermische Stabilität und die Schlagfestigkeit des Substratmaterials verbessern, vgl. Patentschrift Beispiel 4 auf Seiten 6 und 7.

Der Gegenstand des Streitpatents ist neu, denn keine der genannten Druckschriften nimmt den Gegenstand des Hauptanspruchs gemäß Hauptantrag neuheitsschädlich vorweg.

Dies gilt auch für die benutzten Gegenstände: Von der Einsprechenden konnte nicht zweifelsfrei nachgewiesen werden, dass eine der erst im Juni 1998 und damit fast zwölf Jahre nach dem Prioritätstag des Streitpatents untersuchten CDs auch bereits vor diesem Prioritätstag das den Gehalt an niedrigmolekularem Material betreffende patentgemäße Merkmal 1.1.2 aufwies. Insbesondere konnte die Einsprechende nicht zweifelsfrei nachweisen, dass die geringen Anteile an niedrigmolekularem Material, auf die es hier ankommt, durch Alterungsprozesse der benutzten CDs nicht beeinflusst wurden. Zugunsten der Patentinhaberin ist deshalb davon auszugehen, dass die untersuchten CDs vor dem Prioritätstag des Streitpatents das Merkmal 1.1.2 nicht aufwiesen.

Der Patentanspruch 1 gemäß Hauptantrag beruht auch auf erfinderischer Tätigkeit.

Aus der Druckschrift 1) ist es bekannt, als durchsichtiges Substratmaterial für optische Informationsaufzeichnungsmedien ein Polycarbonatharz zu verwenden, dessen gewichtsmittleres Molekulargewicht zwischen 12.000 und 22.000 liegt. Hierdurch sollen sowohl gute mechanische als auch gute optische Eigenschaften erzielt werden, vgl. 1) Seite 1 erster Absatz, Seite 7 Zeilen 9 bis 13 sowie die dortigen Ansprüche 1 und 7. Bei zu hohem mittleren Molekulargewicht würde die optische Doppelbrechung zu groß, bei zu niedrigem mittleren Molekulargewicht wären die mechanischen Eigenschaften (zusammenhängend mit der zu geringen Viskosität) unbefriedigend. Über die Verteilung des Molekulargewichts ist in 1) nichts ausgesagt.

Die Druckschrift 2) ist die zu 1) gehörige A3-Schrift und geht nicht über 1) hinaus.

Die Druckschrift 3) betrifft eine Gussform für optische Platten etc. Auf Seite 2 letzter Absatz ist angegeben, dass für die Gussmaterialien PMMA (Polymethylmethacrylat) und PC (Polycarbonat) ein hohes Molekulargewicht erforderlich ist, um unter anderem gute Haltbarkeit und Wärmebeständigkeit zu erzielen. Über Molekulargewichtsverteilungen ist in 3) nichts ausgesagt.

In der Druckschrift 4) werden die Vor- und Nachteile bekannter, unter anderem für optische Platten verwendbarer Materialien wie PMMA (gute optische Eigenschaften, zu hohe Feuchtigkeitsabsorption) und PC (gute Wärmebeständigkeit, zu hohe Doppelbrechung) dargelegt, vgl. Spalte 1 Absatz 2 sowie Tabelle 1 in den Spalten 11 und 12. Es wird ein Acrylat- oder Methacrylat-Polymer vorgestellt, vgl. Spalte 2 letzter Absatz, das ebenfalls für optische Aufzeichnungsmedien verwendet werden kann und bessere Eigenschaften aufweist, vgl. Tabelle 1 in den Spalten 11 und 12. Dessen Molekulargewichtsverteilungen sind in den Figuren 3, 6, 9, 15, 18, 21, 24, 27, 30, 33, 36, 39, 42, 45, 48 und 51 dargestellt und zeigen im niedrigmolekularen Bereich sehr geringe Anteile. Diese Bereiche und die evtl. durch eine solche Molekulargewichtsverteilung erzielbaren Vorteile sind jedoch in 4) an keiner Stelle angesprochen; in Spalte 9 Zeilen 21 bis 26 wird lediglich ausgeführt, dass im Hinblick auf Wärmebeständigkeit und mechanische Eigenschaften das gewichtsmittlere Molekulargewicht zwischen 10.000 und 1.000.000 liegen sollte. Für den Fachmann bestand kein erkennbarer Anlass, die in 4) gezeigten Molekulargewichtsverteilungen oder Teile dieser Verteilungen, die im Vergleich zu Polycarbonat ein chemisch unterschiedlich aufgebautes Material mit dadurch bedingten unterschiedlichen Eigenschaften betreffen, auf Polycarbonat zu übertragen.

Die Druckschrift 5) beschreibt allgemein Polycarbonate und zeigt in den Bildern 4 bis 6 Verteilungskurven des Molekulargewichts. Insbesondere Bild 5 zeigt geringe niedrigmolekulare Anteile. Allerdings wurden diese Kurven anders gemessen als gemäß Streitpatent; nach den gezeigten Messwerten wurden die im Streitpatent relevanten niedrigmolekularen Bereiche (Molekulargewicht < 3.500) nicht erfasst. Eine Anwendung für optische Aufzeichnungsmedien ist nicht angesprochen.

Das Lehrbuch 6) zeigt auf den Seiten 20 und 21 Möglichkeiten, Polymere zu reinigen, auch mit ihren jeweiligen Nachteilen. Hierbei wird ein Polymerpulver sowie ein Lösungsmittelgemisch mit nicht näher bezifferten niedermolekularen Anteilen erhalten.

Das Lehrbuch 7) zeigt, dass eine schmalere Verteilungsfunktion der Molekulargewichte bei Polycarbonaten zu einer Verbesserung der physikalischen Eigenschaften führt, vgl. 7) Seite 40 letzter bis Seite 41 erster Absatz; dies gilt auch für Polycarbonate, die bereits eine normale Verteilung des Molekulargewichts aufweisen. Zahlenwerte zu niedrigmolekularen Anteilen sind 7) nicht zu entnehmen.

Wie oben ausgeführt, weisen die benutzten Gegenstände das Merkmal 1.1.2 nicht auf. Ihnen sind auch keine Hinweise auf dieses Merkmal zu entnehmen.

Auch aus der Zusammenschau des im Verfahren befindlichen Standes der Technik geht der Gegenstand des Patentanspruchs gemäß Hauptantrag nicht hervor:

Der Fachmann wurde zwar in 1) bereits darauf hingewiesen, dass beim dort beschriebenen Substratmaterial dem Molekulargewicht besondere Bedeutung für die Erzielung guter physikalischer (mechanischer und optischer) Eigenschaften zukommt, vgl. 1) Seite 7 Zeilen 9 bis 13. Zudem war ihm fachüblich bekannt, dass nicht nur das mittlere Molekulargewicht, sondern auch die Verteilung des Molekulargewichts für die physikalischen Eigenschaften eines Polycarbonatharzes wichtig ist, insbesondere dass ein reines, vom Molekulargewicht her gesehen möglichst einheitliches Material, d. h. mit einer schmalen Verteilungskurve des Molekulargewichts, besonders gute physikalische Eigenschaften besitzt, vgl. das Lehrbuch 7) Seite 40 letzter Absatz bis Seite 41 erster Absatz. Somit kann davon ausgegangen werden, dass der Fachmann bei der Herstellung des aus 1) bekannten Substratmaterials durchaus darauf achtete, dass zur Erzielung guter mechanischer und nach dem in 3) gegebenen Hinweis auch thermischer Eigenschaften die Verteilungskurve der Molekulargewichte nicht zu breit wurde und auch der Anteil an niedrigmolekularen Komponenten nicht zu groß wurde. Andererseits musste der Fachmann bedenken, dass ein erhöhter Aufwand zur Herstellung eines vom Molekulargewicht her gesehen relativ einheitlichen Materials sich in erhöhten Herstellungskosten, z. B. für zusätzliche (fachüblich bekannte) Reinigungsschritte, niederschlägt. Zudem konnte der Fachmann dem gesamten im Verfahren befindlichen Stand der Technik keinen Hinweis darauf entnehmen, in einem für optische Platten verwendbaren Polycarbonat-Substratmaterial, das nach dem Stand der Technik (etwa gemäß der Druckschrift 1) oder den vorbenutzten CDs) ein gewichtsmittleres Molekulargewicht zwischen 10.000 und 100.000 aufweist, zur Optimierung seiner physikalischen, insbesondere mechanischen und thermischen Eigenschaften den Anteil an niedrigmolekularen Komponenten mit einem Molekulargewicht unter 3.500 auf den geringen Wert von maximal 4 Gewichtsprozent zu begrenzen. Für die fachüblich bekannte, im Materialvolumen auftretende optische Doppelbrechung sind die hochmolekularen, nicht die niedrigmolekularen Komponenten von Bedeutung, so dass auch der Wunsch nach Verringerung dieser Doppelbrechung den Fachmann nicht zu einer Verringerung der niedrigmolekularen Anteile führen konnte. Da die im Streitpatent beschriebene abnormale Doppelbrechung, die nach den dortigen Angaben von einer von den niedrigmolekularen Anteilen verursachten Fleckenbildung im Bereich der Substratoberfläche herrührt, im Stand der Technik nicht beschrieben war und der Fachmann diese somit nicht kannte, hatte er auch keinen Anlass, zur Vermeidung dieser abnormalen Doppelbrechung und der dadurch verursachten Fehler ein Polycarbonatmaterial mit der im erteilten Patentanspruch geforderten Reinheit herzustellen. Wegen des entgegenstehenden Kostengesichtspunkts lag dies auch nicht im Bereich fachüblichen Handelns.

Auch durch die Zusammenschau des im Verfahren befindlichen Standes der Technik und unter Zuhilfenahme seines Fachwissens gelangte der Fachmann somit nicht zum Gegenstand des erteilten Patentanspruchs, ohne erfinderisch tätig werden zu müssen.

Der Patentanspruch gemäß Hauptantrag hat demnach Bestand.

Aus diesem Grund kamen die Hilfsanträge 1 und 2 nicht zum Tragen.

Der Beschwerde war demzufolge stattzugeben.

Zur öffentlichen Zugänglichkeit der chemischen Zusammensetzung eines vorbenutzten Gegenstandes liegt keine bislang noch nicht geklärte Rechtsfrage und auch kein Abweichen von der bisherigen Rechtsprechung vor. Somit war die Rechtsbeschwerde nicht zuzulassen (§ 100 Abs. 2 PatG).

Dr. Fritsch Schuster Klante Dr. Thum-Rung Pü






BPatG:
Beschluss v. 17.11.2005
Az: 17 W (pat) 44/03


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