Landgericht Freiburg:
Beschluss vom 7. Mai 2012
Aktenzeichen: 12 O 39/12
(LG Freiburg: Beschluss v. 07.05.2012, Az.: 12 O 39/12)
Wird der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung zurückgenommen, ist § 269 Abs. 3 S. 3 ZPO auch dann anwendbar, wenn das erledigende Ereignis erst nach Eingang des Antrags bei Gericht eingegangen ist.
Tenor
1. Die Kosten des Rechtsstreits werden gegeneinander aufgehoben.
2. Der Streitwert des Verfahrens beträgt Euro 40.000.
Gründe
I.
Mit Schriftsatz vom 5.3.2012 hat der Verfügungskläger (im folgenden: Kläger) den Erlass einer einstweiligen Verfügung beantragt. Der Schriftsatz ging zu einem nicht näher bekannten Zeitpunkt im Verlaufe des 5.3.2012 bei Gericht ein. Das Verfahren wurde am 6.3.2012 im Register eingetragen. Am selben Tage erging - allerdings nur teilweise dem Antrag entsprechend - im Beschlusswege eine einstweilige Verfügung; über den weitergehenden Antrag sollte - nach telefonischer Rücksprache mit dem Klägervertreter, der den darüberhinausgehenden Antrag nicht zurücknehmen wollte - mündlich verhandelt werden. Termin wurde angesetzt auf den 22.3.2012. Noch am 6.3. ging ein Schriftsatz des Klägers ein, wonach zwischenzeitlich Herr Rechtsanwalt P. per Fax angezeigt habe, den Antragsgegner anwaltlich zu vertreten. Der Beklagte habe eine strafbewehrte Unterlassungserklärung abgegeben, die sämtliche mit dem Antrag vom 5.3.2012 verfolgten Ansprüche erfasse. Diese Erklärung sei namens des Antragstellers von den Klägervertretern angenommen worden. Der Rechtsstreit werde damit für erledigt erklärt.
Zu den zeitlichen Verhältnissen hat der Kläger im Schriftsatz vom 2.4.2012 - letztlich unklar bleibend - formuliert, nach Fristablauf (der Abmahnung) am 5.3.2012 12 Uhr sei der Antrag bei Gericht eingereicht worden, einige Stunden später sei die strafbewehrte Unterlassungserklärung abgegeben worden.
Mit Verfügung vom 7.3.2012 wurde der Verhandlungstermin vom 20.3.2012 aufgehoben, dem Beklagten sämtliche bis dahin angefallenen Schriftsätze des Klägers zugestellt und der Kläger um Klarstellung gebeten, ob seine Erledigungserklärung im prozessualen Sinne als solche oder aber als Rücknahme des Antrags zu verstehen sei (unter Hinweis auf § 269 ZPO). Der Kläger hat daraufhin mit Schriftsatz vom 12.3.2012 auf die zitierte Verfügung Bezug genommen und klargestellt, dass er den Antrag vom 5.3.2012 zurücknehme. Er bat, dem Beklagten die Kosten nach § 269 Abs. 3 S. 3 ZPO aufzuerlegen. Nachdem der Beklagte mit Schriftsatz vom 26.3.2012 beantragt hatte, dem Kläger die Kosten des Verfahrens nach § 269 Abs. 3 S. 2 ZPO aufzuerlegen, hat der Kläger mitgeteilt, dass die Erklärung vom 6.2.2012 nicht auslegungsfähig gewesen sei, eine Umdeutung der Erledigungserklärung in eine Rücknahme komme nicht in Betracht. Es bleibe damit trotz der Klarstellung vom 12.3.2012 dabei, dass er den Rechtsstreit am 6.3.2012 für erledigt erklärt habe.
Der Beklagte meint, der Kläger müsse sich an seiner Rücknahme festhalten lassen. Die Voraussetzungen von § 269 Abs. 3 S. 3 ZPO seien nicht erfüllt, da bei Anträgen auf Erlass einer einstweiligen Verfügung Rechtshängigkeit bereits mit Einreichung bei Gericht eintrete. Die Erledigung sei erst danach eingetreten. Dass der Klägervertreter eine anwaltliche Bevollmächtigung der Beklagtenvertreter für die Unterlassungserklärung gefordert und deshalb nicht sofort bei Eingang der Erklärung am 5.3., sondern erst am 6.3. die Erledigung angezeigt habe, sei schlichte Förmelei gewesen. Zu jenem Zeitpunkt sei die einstweilige Verfügung bereits erlassen gewesen. Der Kläger könne sich von seiner Antragsrücknahme nicht mehr lösen.II.
Nach der hier anwendbaren Vorschrift des § 269 Abs. 3 S. 3 ZPO sind die Kosten des Rechtsstreits gegeneinander aufzuheben.
1. Prozesserklärungen sind stets unter Beachtung des Grundsatzes auszulegen, dass eine Partei im Zweifel dasjenige will, was nach den Maßstäben der Rechtsordnung vernünftig ist und ihrer wohlverstandenen Interessenlage entspricht (vgl. BGH NJW 2011,1455 m.w.N.). Vorliegend strebt der Kläger eine ihm günstige Kostenentscheidung unter Berücksichtigung des bisherigen Sach- und Streitstandes an. Nachdem der Beklagte sich der Erledigungserklärung des Klägers nicht angeschlossen hat, beide Parteien ersichtlich nicht streitig über eine etwaige einseitige Erledigungserklärung des Klägers verhandeln wollen, sind die klägerischen Erklärungen im Sinne einer Antragsrücknahme nach § 269 ZPO zu verstehen mit der angestrebten Rechtsfolge einer Entscheidung nach Absatz 3 S. 3 der genannten Bestimmung.
2. Entgegen der Auffassung des Beklagten ist hier der Weg zu einer Entscheidung nach dieser Vorschrift eröffnet (vgl. a. OLG Stuttgart NJW-RR 2007,527).
3. § 269 Abs. 3 S. 3 ZPO stellt trotz der anderweitigen systematischen Stellung eine Sonderregelung des Problems der (einseitigen) Erledigung vor Rechtshängigkeit dar (vgl. Zöller/Vollkommer ZPO 29. Auflage § 91a Rdnr. 31), die entgegen vereinzelten Stimmen im Schrifttum grundsätzlich auch im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes anwendbar ist (vgl. OLG Karlsruhe NJW 2012,1373).
4. Der vorliegende Fall zeigt, dass die Abgrenzung zwischen (gegebenenfalls einseitig erklärter) Erledigung der Hauptsache nach Rechtshängigkeit und Rücknahme des Antrags auf Erlass einer einstweilen Verfügung vor Rechtshängigkeit im Tatsächlichen schwierig bis unmöglich und letztlich zufällig ist. Ob der klägerische Antrag bei Eingang der Unterwerfungserklärung durch den Beklagten schon bei Gericht eingereicht war, bleibt unklar. Der Kläger hat sich insoweit nicht klar erklärt. Der Sachverhalt könnte vorliegend möglicherweise im Wege des Freibeweises geklärt werden, nachdem wohl Mitarbeiter der Klägervertreter den Antrag bei Gericht persönlich abgegeben haben und die Unterwerfungserklärung ersichtlich per FAX eingegangen ist. In dem häufigen Fall einer Übersendung des Antrags per Post wird dagegen regelmäßig nicht mehr zu klären sein, ob der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung bei Gericht vor dem erledigenden Ereignis eingereicht worden ist und ob die bei einem Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes besonderen Regeln unterliegende Rechtshängigkeit vorher oder nachher eingetreten ist. Der Zeitpunkt der Erfüllung des geltend gemachten Anspruchs kann im Recht des unlauteren Wettbewerbs auch deshalb im Einzelfall durchaus unklar und streitträchtig sein, weil, worum auch vorliegend gestritten worden ist, eine wirksame und die Wiederholungsgefahr beseitigende Unterwerfungserklärung vorliegen muss.
Die Auffassung, dass der Kläger das Beweisrisiko für die Unaufklärbarkeit des Sachverhalts trägt (OLG Brandenburg BauR 2012, 556; KGR Berlin 2009,765), befriedigt hier nicht. Stimmt nämlich der (Verfügungs)Beklagte einer etwaigen Erledigungserklärung zu, obliegt ihm, unabhängig davon, wann das erledigende Ereignis eingetreten ist, die Beweislast für die Voraussetzungen einer analogen Anwendbarkeit von § 93 ZPO, zumindest aber kommt im Rahmen einer Entscheidung nach dem bisherigen Sach- und Streitstand im Sinne von § 91a ZPO die jeweils differenzierte Beweislastverteilung des materiellen Rechts zur Anwendung. In Gegensatz hierzu würde der (Verfügungs)Kläger sowohl bei einseitiger Erledigungserklärung wie auch bei Antragsrücknahme die Darlegungs- und Beweislast dafür tragen, dass nicht der Regelfall der Kostentragung infolge Klagerücknahme vorliegt, sondern eine Kostenentscheidung nach § 269 Abs. 3 S. 3 ZPO getroffen werden kann bzw. dass der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung bis zur Erledigung zulässig und begründet war. Der Beklagte hätte es danach in der Hand, durch sein prozessuales Verhalten die Verteilung der Beweislast zu beeinflussen.
Für beide - im Bereich des einstweiligen Rechtsschutzes und der damit verbundenen engen zeitlichen Zusammenhänge oft nur theoretisch klärbaren - Sachverhalte hat der Gesetzgeber einen Weg eröffnet, unmittelbar eine Kostengrundentscheidung entsprechend dem bisherigen Sach- und Streitstand zu treffen. Es wäre nicht einsichtig, dem Verfügungskläger, die Berechtigung seines Anliegens unterstellt, diesen Weg abzuscheiden, nur weil die prozessuale Sachlage unklar ist und obwohl es keinen Gesichtspunkt dafür gibt, ihn insoweit - wohl endgültig (vgl. BGH NJW 2011, 2368 zu § 269 Abs. 3 S. 2 ZPO) - Prozessrisiken tragen zu lassen. Nur im Ergebnis bedeutet die hier befürwortete Auffassung für den Fall der Unaufklärbarkeit ein Wahlrecht zwischen Antragsrücknahme bzw. Erledigungserklärung. Entgegen der Auffassung des Kammergerichts und des Brandenburgischen Oberlandesgerichts (aaO) ist ein solches Wahlrecht nicht zu beanstanden, weil - im Falle, dass sich der Beklagte einer Erledigungserklärung des Kläger anschließt - beide Verfahren Beschlussverfahren sind, die sich weder verfahrensrechtlich noch inhaltlich unterscheiden.
Kaum nachvollziehbar erscheint es, im Wege des Streng- (im Falle einseitiger Erledigungserklärung) bzw. durch Freibeweis den Anwendungsbereich der einseitigen Erledigungserklärung von dem der ermessensgebundenen Kostenentscheidung nach § 269 Abs. 3 S. 3 ZPO abzugrenzen, obwohl es in beiden Fällen der Sache nach nur um die ganz andere Frage geht, wer die Kosten des Verfahrens nach materiellrechtlichen Grundsätzen zu tragen hat.
5. Anerkannt ist, dass § 269 ZPO auf Anträge des einstweiligen Rechtsschutzes nicht uneingeschränkt anwendbar ist: So kann der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung auch nach dem nach § 269 Abs. 1 ZPO maßgeblichen Zeitpunkt ohne Zustimmung des Gegners zurückgenommen werden (vgl. Zöller/Vollkommer aaO § 920 Rdnr. 13). Die Anknüpfung an den Zeitpunkt der Rechtshängigkeit in § 269 Abs. 3 S. 3 ZPO ist, wie die Gesetzesbegründung zeigt (Entwurf eines Gesetzes zur Reform des Zivilprozesses - BT-14/4722 S. 81) und wofür die systematische Stellung der Vorschrift spricht, für den dort geregelten Fall einer Klagerhebung erfolgt (arg. "zwischen Einreichung und Zustellung der Klage, mithin vor Rechtshängigkeit") und trifft den Sonderfall des einstweiligen Rechtsschutzes nicht. Nachdem die Bestimmung der Prozessökonomie, insbesondere dazu dient, einem materiell rechtlichen Kostenerstattungsanspruch Rechnung zu tragen, ohne dass ein neues Verfahren erforderlich wird (aaO S. 81; vgl. a. Entwurf der Bundesregierung eines Gesetzes zur Modernisierung der Justiz, BT-Drucksache 15/1508 S. 18), erscheint es angezeigt, bei der hier zu beurteilenden Konstellation eines Antrags auf Erlass einer einstweiligen Verfügung § 269 Abs. 3 S. 3 ZPO auch dann zur Anwendung kommen zu lassen, wenn der Antrag bei Gericht bereits eingegangen, er dem Gegner jedoch noch nicht zugestellt worden ist.
6. Somit kommt es vorliegend auf den bisherigen Sach- und Streitstand an.
a. Der Beklagte meint, es habe kein Verfügungsgrund bestanden, weil der Kläger die beanstandete Internetwerbung schon im November 2011 gekannt habe. Dieser Vortrag ist nicht glaubhaft gemacht. Der Kläger hat demgegenüber vorgetragen und durch Auszüge aus einer Domainabfrage belegt, dass der Beklagte die Internetadresse, auf der die beanstandete Werbung erschienen ist, am 9.2.2012 hat neu registrieren lassen. Die Dringlichkeitsvermutung nach § 12 Abs. 2 UWG ist damit nicht widerlegt.
b. Der Beklagte hat unwidersprochen vorgetragen, er habe sich dem klägerischen Unterlassungsanspruch gänzlich, aber ohne Anerkenntnis einer Rechtspflicht und ohne Präjudiz für die Sach- und Rechtslage strafbewehrt unterworfen. Folglich rechtfertigt die Selbstunterwerfung des Beklagten für sich alleine nicht, ihm die Kosten des Verfahrens aufzuerlegen. Vielmehr kommt es maßgeblich darauf an, ob der klägerische Unterlassungsanspruch begründet war. Dies ist nur teilweise der Fall.
c. Dass die Aussage, der Beklagte verteidige seit 1987 den Deutschen Meistertitel, unrichtig ist, ist unstreitig. Insoweit war der klägerische Antrag begründet, es wurde auch antragsgemäß im Beschlusswege entschieden.
d. Dagegen sind die beanstandeten Behauptungen "Vizeeuropameister, (mehrfacher) Deutscher Meister" zutreffend und in keiner Weise irreführend. Das Gericht kann sich der Auffassung des Klägers, damit sei nur der jeweils aktuelle Meister gemeint, nicht anschließen. Dies mag bei juristischen Personen, beispielsweise Fußballvereinen anders sein, die (theoretisch) ein ewiges "Leben" haben, was zur Folge hätte, dass viele Vereine sich als Meister bezeichnen dürften. Dort hat der Zusatz des Jahres bzw. eine anderweitige eindeutige Kennzeichnung als aktueller Meister Sinn. Anders verhält es sich bei natürlichen Personen. Dort nimmt niemand an, dass die betreffende Person den Titel der Meisterschaft auf Ewigkeit verteidigen kann. Schon die beanstandete Formulierung "mehrfacher Deutscher Meister" zeigt dem von der Werbung des Beklagten angesprochenen aufgeklärten Verbraucher, dass es nicht um die jeweils aktuelle Meisterschaft gehen kann.
e. Das Gericht hält die begründeten und nicht begründeten Ansprüche für gleichgewichtig, weshalb die Kosten des Rechtsstreits gegeneinander aufzuheben waren.
7. Der Streitwert wurde, nachdem der Beklagte keine Einwendungen erhoben hat, nach den klägerischen Angaben festgesetzt (§ 3 ZPO).
LG Freiburg:
Beschluss v. 07.05.2012
Az: 12 O 39/12
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