Landgericht München I:
Beschluss vom 31. März 2008
Aktenzeichen: 4 Qs 9/08

(LG München I: Beschluss v. 31.03.2008, Az.: 4 Qs 9/08)

Tenor

Die Beschwerde wird als unbegründet kostenpflichtig verworfen.

Gründe

Der angegriffene Beschluss erging und besteht zu Recht. Weder ist er derzeit aufzuheben noch seine Rechtswidrigkeit festzustellen noch sind derzeit Unterlagen herauszugeben noch gar Daten zu löschen. Auch eine Aussetzung und Vorlage an den Europäischen Gerichtshof ist nicht veranlasst.

1.€

Hinsichtlich des Tatvorwurfes ist auf den angegriffenen Beschluss Bezug zu nehmen. Hinsichtlich der Rechtslage ist ferner zunächst einmal Bezug zu nehmen auf die Stellungnahme der Staatsanwaltschaft München II vom 4.3.2008 (nach neuer Paginierung: Blatt 987 ff d. A.), der sich die Kammer anschließt.

Ergänzend ist zum Beschwerdevorbringen auszuführen:

a.€

Dass der Vertrieb nachgemachter Designermöbel nach Mustern, die bis 2001 Allgemeingut waren, in Italien legal ist, hindert nicht die Strafbarkeit nach § 106 des (deutschen) Urheberrechtsgesetzes. Denn die Strafbarkeit wegen Verbreitens oder Einführens urheberrechtswidrig hergestellter Ware richtet sich ausschließlich nach deutschem Recht, da im Urheberrecht das so genannte Territorialitäts- und Schutzlandsprinzip gilt und beim Einführen (vgl. BGH 2 StR 109/03) wie auch beim Verbreiten jeweils ein Erfolgsort in Deutschland begründet wird, weshalb ohne weiteres ein inländischer Tatort anzunehmen ist.

Höherrangiges Gemeinschaftsrecht hindert die Anwendung der §§ 106, 17 UrhG nicht. Es gibt keine gemeinschaftsrechtliche Norm, die es einem Mitgliedsstaat verböte, Normen dieses Inhalts zu erlassen und auf den vorliegenden Fall anzuwenden.

b.€

Nicht zu überzeugen vermag der Einwand, die Verantwortlichen der Beschwerdeführerin hätten die Waren nicht nach Deutschland eingeführt, sondern dies hätten die Erwerber selbst getan, und zwar immer erst nachdem sie € schon in Italien € Eigentum an den Möbeln erlangt hatten (so die Beschwerde, wenn sie unter Ziffer 1.2 behauptet, die Möbel würden in Italien "hergestellt und vertrieben" und hierfür als Beleg ein Protokoll der Steuerpolizei in Bologna anführt).

Die Kammer hat ihre Aufgabe darin gesehen, sich anhand der Aktenlage ein eigenes Bild in dieser Frage zu machen. Soweit € wie die Beschwerde auf Seite 4 ausführt € die italienischen Behörden in Bologna für richtig hielten, es gleichsam im Vorbeigehen als "Tatsache" hinzustellen, "dass in Deutschland keine Verkäufe erfolgten, da diese de facto auf nationalem (d. h. italienischem) Staatsgebiet abgeschlossen wurden", bindet das die Kammer weder rechtlich noch faktisch. Dies gilt umso mehr, als die vorgenannte Kurzbetrachtung ebenso eine einmalige Ausnahme bleiben wird wie die darauf gestützte Verweigerung der ersuchten Rechtshilfe seitens der Bologneser Behörden. Denn diese haben hier unter flagrantem Verstoß gegen die Grundsätze der internationalen Zusammenarbeit in Strafsachen den Tatvorwurf in tatsächlicher Hinsicht überprüft und ihre eigene Einschätzung der Verdachtslage an die Stelle jener gesetzt, die dem Rechtshilfeersuchen aus Deutschland zugrunde lag. Ein solcher Vorgang setzt schon deshalb keine Maßstäbe, weil er sich voraussichtlich nicht wiederholen wird. Denn auch die Behörden in Bologna werden gelegentlich auf Rechtshilfehandlungen in anderen EU-Mitgliedstaaten (oder sonstigen Vertragsstaaten des EuRhÜbK) angewiesen sein. Spätestens dann wird ihnen auffallen, dass sie selbst es sich energisch verbitten würden, wenn die von ihnen ersuchten Mitgliedstaaten ein Bologneser Rechtshilfeersuchen mit der (obendrein durch keinerlei eigene Aktenkenntnis gestützten) Begründung zurückweisen wollten, man habe in Bologna zu Unrecht einen Tatverdacht angenommen.

Dass die Transporte im Auftrage der deutschen Kunden durchgeführt worden sein sollen, entspricht zwar den Schilderungen der Beschuldigten, die zugleich behaupten, sie hätten in Abstimmung mit der italienischen Firma ... die Kaufpreise (gemeinsam mit dem Frachtlohn) von den Kunden in Deutschland kassiert und die auf den jeweiligen Kaufpreis entfallenden Beträge alsdann an ... abgeführt, d. h. von Deutschland nach Italien überwiesen. Dies ist jedoch nach Aktenlage widerlegt. Eine Übereignung in Italien war nach derzeitigem Sachstand nicht ernsthaft gewollt, sondern wurde nur vorgeschützt, so dass der Vertrieb gerade nicht einzig in Italien erfolgte.

(1.) Zwar kennt das italienische Vertragsrecht bekanntlich kein Abstraktionsprinzip, so dass grundsätzlich das Zustandekommen des Kaufvertrages den Eigentumsübergang herbeiführen könnte.

(2.) Bewirkt indes die kaufvertragliche Einigung den Eigentumsübergang, dann muss sie sich denknotwendig auf eine konkret bestimmte Kaufsache beziehen, damit definiert ist, woran das Eigentum übergeht. Der Wille der Parteien muss sich auf Sache und Rechtsgrund ("cosa" und "causa") beziehen. Im Zeitpunkt der Bestellung und ihrer Annahme durch Auftragsbestätigung ist die bestellte Sache jedoch in der Regel noch nicht einmal hergestellt, wie der Hinweis auf die "Produktionszeiten" in der Auftragsbestätigung zeigt. Dieser findet sich in ZWA Bd. I, als Anlage 2 zum Bericht des ..., den die Kammer zur besseren Auffindung mit einem Trennblatt eingemerkt hat, nachdem dieser Abschnitt der Akte nicht paginiert ist (wobei aus Sicht der Kammer nichts dagegen spräche, wenn die Staatsanwaltschaft gelegentlich eine umfassende Blattierung der Akte in Erwägung ziehen wollte). Als Einigungszeitpunkt kommt nach alldem € wie wohl auch die Beschwerde annimmt € nur der Abholungstermin in Betracht.

(3.) Nach Sachlage übernehmen die Beschuldigten in Italien ganze Lkw-Ladungen voller Produkte für eine Vielzahl von deutschen Abnehmern. Daher ist schon fraglich, wie sie in diesem Moment ein auf die einzelne Kaufsache und den konkreten Abnehmer/Auftraggeber bezogenes Erklärungsbewusstsein haben können, sei es bezüglich der bloßen Übereignung, sei es bezüglich einer Vollendung des Kaufvertrages nach italienischem Recht. Dies gilt umso mehr angesichts der Mitteilungen der ..., wonach die Beschuldigten mit mehren Last- bzw. Lieferfahrzeugen in Sterzing Kisten aufluden, die sie auf einer Rampe bereitgelegt fanden. Es ergeben sich aus dem Bericht keine Hinweise darauf, dass die Beschuldigten die Kisten vor dem Verladen geöffnet und etwa die Ware auf ordnungsgemäßen Zustand überprüft hätten, was aber zu erwarten gewesen wäre, wenn sie aus dem Bewusstsein heraus gehandelt hätten, dass sie sich die Kaufsache in diesem Moment namens des deutschen Abnehmers übereignen lassen (welcher deutsche Abnehmer möchte schon Eigentümer z. B. einer zersprungenen Wagenfeld-Lampe werden€).

(4.) Auch im übrigen können die deutschen Abnehmer kaum ernstlich den Willen haben, einen Eigentums- und Gefahrübergang in Italien herbeizuführen, denn dieser würde dazu führen, dass sie die Kaufsache auch dann voll vergüten müssen, wenn es auf dem Transport von Sterzing nach Deutschland noch zu Beschädigungen kommt. Dass dies gleichwohl in den AGB der ... so vorgesehen ist (Beschwerde S. 4), bedeutet noch nicht, dass das Vertragsverhältnis AGB-gemäß "gelebt" wurde.

Nach alldem bestehen erhebliche Zweifel an der Ernstlichkeit des Willens auf Käuferseite, schon in Italien Eigentümer zu werden, etwa Eigentümer jener "defekten Retourware", die nach Angaben der ... (vgl. deren Beschwerde zu 2.€ und 3.-, dort Seite 5 = ZWA Bd. II, Blatt 677) in den beschlagnahmten Lagerbeständen vorhanden ist.

(5.) Davon abgesehen fehlt es nach derzeitiger Aktenlage an einer Ernstlichkeit der Beschuldigten bzw. der von ihnen betriebenen juristischen Person ... (was für die Zwecke der vorstehenden Entscheidung der Einfachheit halber gleich gesetzt werden soll), in diesem Sinne namens des deutschen Käufers in Italien eine bestimmte Willenserklärung abzugeben: Den Kunden stellten die Beschuldigten es in dem von ihnen vorformulierten Speditionsauftrag (ZWA Bd. I, Paginierung nicht erkennbar, Anlage 6 zum Bericht der ...) zwar so dar, als ob sie bei der Abholung der Möbel den Kaufpreis an ... bezahlen, diesen also für den Kunden in dessen Auftrag verauslagen, und hernach von diesem erstattet verlangen würden. Dadurch wurde den Kunden (soweit sie auf solche Details überhaupt achteten) Italien als "Zahlungs- und Lieferort" plausibel gemacht, so dass es ihnen desto eher einleuchten konnte, warum sie bereits in Italien Eigentum erwerben.

Die festgestellte und von den Beschuldigten eingeräumte Handhabung war indes, dass die Beschwerdeführerin die Ware übernahm, den Kaufpreis vom Kunden in Deutschland eintrieb und ihn erst dann € also nachträglich € an die ... weiterleitete. Der Ort, an dem "Zahlung bei Lieferung" erfolgt, liegt hiernach in Deutschland, und die Beschuldigten haben den Auftrag des Kunden, die Möbel für ihn in Italien "auszulösen", nicht umgesetzt.

Kommen aber die Beschuldigten einem solchen von ihnen selbst vorformulierten Auftragsinhalt nicht nach, so können auch etwa abgegebene Erklärungen, in Italien die Sache namens des Kunden zu dessen Eigentum zu übernehmen, kaum ernstlich gewollt gewesen sein. Das wirklich Gewollte bestand hiernach darin, die Ware für die ... (die gegenüber den Kunden regelmäßig zur Beauftragung der Beschwerdeführerin riet) nach Deutschland zu schaffen und dort an eine Vielzahl von Kunden zu verteilen.

c.€

Dies kann jedoch letztlich dahinstehen, weil der Tatvorwurf jedenfalls aus folgenden Gründen besteht:

(1.) Erstens ist schon das Anbieten der Ware in Deutschland (über die Internetpräsenz "www. ..." bzw. über Handreichungen wie in ZWA Bd. I Blatt 89, Blatt 336/351, ZWA Bd. II, Blatt 531/538, 544/554) in der hier geschehenen Form strafbar:

(a.) Das Anbieten ist nämlich ein Teil der "Verbreitung" im Sinne von § 106 UrhG, da diese nach § 17 UrhG legaldefiniert ist als "Anbieten in der (deutschen) Öffentlichkeit" oder "Inverkehrbringen"

(vgl. a.^ LG Hamburg, Beschluss vom 3.1.2000, ZWA Bd. I, Blatt 214 ff, 219,

LG Hamburg, Beschluss vom 15.12.2000, ZWA Bd. I, Blatt 181 ff, 185/186),

weshalb das Anbieten daher eine gegenüber dem Inverkehrbringen eigenständige Verbreitungshandlung ist und auch dann unter § 17 UrhG fällt, wenn im Inland zum Erwerb im Ausland aufgefordert wird und der im Auslandsstaat stattfindende Veräußerungsvorgang dort kein Urheberrecht verletzt

(BGH I ZR 114/04, ZWA Bd. II 556 ff, 568/569, 571/574).

(b.) Daneben ist die hier gegebene Art des Anbietens strafbare Werbung nach § 16 Absatz 1 UWG, weil sie die potenziellen Kunden darüber hinwegtäuscht, dass die als besonders preisgünstig dargestellten Produkte in Deutschland nicht vertrieben werden dürfen (was die Beschuldigten für sich genommen auch nicht bezweifeln), und weil diese Angaben irreführend sind im Sinne des Regelbeispiels des § 5 Absatz 2 Satz 1 Nr. 3 UWG (so auch LG Hamburg, Urteil vom 24.10.2006, ZWA Bd. I, Blatt 245 ff, 252, 256). Dass der angegriffene Beschluss sich nicht (auch noch) auf § 16 Abs. 1 UWG stützt, ändert nichts an seiner Rechtmäßigkeit.

(2.) Zweitens brauchen die Beschuldigten nicht selbst die Anbietung im Sinne des UrhG bzw. die strafbare Werbung im Sinne des UWG vollzogen zu haben, um strafbar zu sein, vielmehr können sie sich als Gehilfen betätigt haben € wofür vorliegend das meiste spricht, da die Anbietung/Werbung hier auf Dauer angelegt ist und mittelfristig am Markt nur dann glaubhaft bleibt und ihrem sozialen Sinne gemäß "wirkt", wenn sich Transporteure finden, die das Angebotene kurzfristig dem Annehmenden anliefern. Dieser einfache Zusammenhang kann den Beschuldigten nicht verborgen geblieben sein, da sie nach Sachlage in fortwährender Kooperation mit denen der Firma ... am Geschäftsleben teilnahmen.

Damit kommt es derzeit nicht entscheidend darauf an, ob die Transporte nach Deutschland (neben der Teilnahme am Anbieten) zusätzlich noch ein "Inverkehrbringen" (durch die Beschuldigten als Täter) darstellen.

d.€

Dessen ungeachtet ist auch letzteres der Fall:

(1.) Zum einen wird die rechtliche Konstruktion der "Sterzinger Übereignungen" in Wirklichkeit offensichtlich nicht "gelebt", sondern verschleiert ein System, mit dem zielgerichtet Versandhandel von Italien nach Deutschland betrieben wird, was die Beschuldigten für sich genommen nicht in Abrede stellt (vgl. insbesondere Schriftsatz der ... vom 25.2.2008, wonach "die Einschaltung einer Hausspedition im Versandhandel absolut üblich" ist).

(2.) Zum anderen wäre selbst bei einer rechtlichen Anerkennung der "Sterzinger Übereignungen" der Begriff des "Inverkehrbringens" nicht davon abhängig, wo genau die Übereignung und/oder der Gefahrübergang stattfindet. Der Begriff des "Inverkehrbringens" ist nämlich seinem sozialen und wirtschaftlichen Sinne nach auszulegen und (bezogen auf die Verantwortlichen der ... und die bei der ... handelnden Beschuldigten) zwanglos zu bejahen, da diese ein System aufgebaut haben, mit dem sie zielgerichtet und massenhaft Plagiate auf den deutschen Markt werfen. Jeder Geschäftsmann und jeder sonstige Zeitgenosse, der ein Minimum an Sinn für praktische wirtschaftliche Zusammenhänge aufbringt, wird hierin ein "Inverkehrbringen" sehen, ohne vorher begriffsjuristische Analysen angestellt haben zu müssen. Wer ein "Vertriebsmodell" (so die Beschwerde auf Seiten 4+5) betreibt, als dessen Ergebnis ein "Versandhandel" lizenzloser Produkte von Italien nach Deutschland entsteht, der wird sich verständigerweise der Einsicht nicht verschließen können, dass er am Inverkehrbringen dieser Produkte mitwirkt.

e.€

Auch im übrigen geht der Einwand fehl, wonach die urheberzivilrechtliche Bewertung des Sachverhalts unklar und daher § 106 UrhG unbestimmt und eine Bestrafung verfassungswidrig sei. Die zivilrechtlichen Judikate sind sich in der oben herausgearbeiteten Interpretation des "Anbietens" als Teil des "Verbreitens" einig. Sie sind sich alle darin einig, dass das Vertriebsmodell auf der Basis der "Übereignung in Sterzing" selbst bei deren sachenrechtlicher Anerkennung, urheberrechtswidrig ist, außer wenn der deutsche Abnehmer (ausnahmsweise einmal) wirklich nach Italien fährt und dort selbst die Ware entgegennimmt, wobei letztere Konstellation € soweit ersichtlich € nicht Gegenstand des Tatvorwurfs im hier geführten Strafverfahren ist, sich ferner nicht als "Versandhandel" darstellen würde und auch keine Säule des in der Beschwerde eingeräumten "Vertriebskonzepts" ist. Einzig das OLG Hamburg (Urteil vom 7.7.2004, GRUR-RR 2005, 41) hat beim hier diskutierten Vertriebsmodell kein "Anbieten" und kein urheberrechtswidriges "Inverkehrbringen" sehen wollen, ist aber vom BGH in beiden Punktenaufgehobenworden (I ZR 114/04). Damit ist die Ziviljurisprudenz eindeutig.

Soweit die Strafjustiz nunmehr dieser klar markierten und einleuchtend begründeten Linie folgt, ist dies für die Beschuldigten voraussehbar gewesen, die im übrigen vorbringen lassen, sich mit der Problematik des Inverkehrbringens schon einmal in einem Strafverfahren beschäftigt zu haben, das keineswegs sanktionslos, sondern nur gegen beträchtliche Auflagen eingestellt wurde. Ein Verstoß gegen das Gebot der Bestimmtheit strafrechtlicher Normen (§ 103 Abs. 2 GG) liegt nach alldem so fern, dass die Kammer hierauf nicht weiter einzugehen braucht.

2.€

Nicht stichhaltig ist der Einwand der Beschwerde, wonach die vorgenannte Bewertung den Normen des Gemeinschaftsrechts zuwiderlaufe.

a.€

Insbesondere die Richtlinie 2001/29/EG steht in einem Regelungszusammenhang, der auf die Wahrung eines hohen Schutzniveaus im Bereich des geistigen Eigentums durch eine "rigorose" Regelung abzielt (BGH I ZR 114/04, ZWA Bd. II 556 ff, 568/569, 571/574). Diese Richtlinie gebietet in denkbar weit gefasster Formulierung, eine wirksamen Schutz vor "Verbreitung an die Öffentlichkeit in beliebiger Form durch Verkauf oder auf sonstige Weise" (Artikel 4 Abs. 1 der Richtlinie). Sie erlaubt es daher ersichtlich nicht, einen Verstoß gegen Gemeinschaftsrecht darin zu sehen, dass §§ 106, 17 UrhG das Anbieten eines Vervielfältigungsstückes in Deutschland selbst dann als Verbreitungshandlung erfassen, wenn dessen Inverkehrbringen vom schutzfreien Italien aus erfolgen soll.

b.€

Gegenteiliges folgt auch nicht etwa aus der Rechtsprechung des EuGH. Die §§ 106, 17 UrhG sind erforderlich, damit die Anzeigenerstatter gerade jene Rechte wahren können, die den spezifischen Gegenstand des gewerblichen und kommerziellen Eigentums ausmachen, nämlich Alleinvertrieb in Deutschland aufgrund Lizenz für Deutschland, die anderenfalls wirkungslos wäre. Wo der EuGH die gewerblichen Schutzrechte gegenüber dem freien Warenverkehr zurücktreten ließ, hat er das in den Entscheidungsfällen jeweils mit einem eigenen, freiwilligen Verhalten des Rechteinhabers begründet:

€ So hatte im Fall "Merck" der Patentinhaber das im Inland geschützte Medikament auch in Italien auf den Markt gebracht, wissend, dass es dort keinen Patentschutz erhalten konnte; Schutz gegen (Re-)Importe seines eigenen Produkts aus Italien konnte er danach nicht mehr in Anspruch nehmen. In diesem Zusammenhang bemerkt der EuGH, dass der Ausgleich für schöpferische Erfindertätigkeit "nicht unter allen Umständen garantiert" sei (Slg 81, 2063, "Merck") und berief sich auf eine entsprechende Vorentscheidung der gleichen Konstellation (74, 1174 "Centrafarm").

€ Entsprechend würdigte der EuGH den Fall, dass der Urheber Lizenzen in Deutschland und im Ausland vergibt (wenn auch jeweils zu unterschiedlichen Preisen): Er soll sich dann gegen den Import lizenzierter Produkte aus dem Ausland nach Deutschland nicht mehr wehren können (Slg. 81, 147 "GEMA").

c.€

Die Rechtsprechung des EuGH bietet indes keinen Anhaltspunkt dafür, dass es an einer europarechtlich tragfähigen Rechtfertigung fehlen könnte, wenn der deutsche Gesetzgeber zur Wahrung der Urheberrechte einen wirksamen Schutz vor Piraterieprodukten für derart notwendig hält, dass es einen Versandhandel gemäß dem hier zur Diskussion stehenden Vertriebsmodell unter Strafe stellt.

Insbesondere regelt der deutsche Gesetzgeber im Urheberrechtsgesetz nicht "lediglich die Ausgestaltung oder Ausübung" des Urheberrechts bzw. der Lizenz, sondern schützt unmittelbar den Bestand dieses Rechts. Der Bestand ist nämlich keine abstrakte Vorstellung, durch die der Inhaber als Urheber moralisch anerkannt würde (dafür bezahlt ihm kein Lizenznehmer Gebühren). Sondern zum Bestand gehört untrennbar die alleinige Verwertungsbefugnis; erst in dieser manifestiert sich eine konkret fassbare rechtliche Zuweisungsfunktion. Deren Wahrung ist (entgegen der Beschwerde, dort S. 10) ersichtlich auch von den Interessen des Gemeinwohls getragen, da alle darauf angewiesen sind, dass der Schutz geistigen Eigentums nicht bloß auf dem Papier steht, sondern am Markt durchgesetzt werden kann.

d.€

Diese Auffassung vom Bestand gewerblicher Rechte vertritt erkennbar auch der EuGH (Slg. 1982 S. 707, Urteil vom 2.3.1982):

"Eine nationale Rechtsprechung, die die sklavische, Verwechslungen hervorrufende Nachahmung eines fremden Erzeugnisses verbietet, ist in der Tat geeignet, die Verbraucher zu schützen und die Lauterkeit des Handelsverkehrs zu fördern ... Dass eine solche Regelung tatsächlich zwingenden Erfordernissen genügt, wird im übrigen durch die Tatsache bestätigt, dass sie dem Grundgedanken von Artikel 10-bis der zuletzt am 14. Juli 1967 in Stockholm revidierten Pariser Verbandsübereinkunft zum Schutze des gewerblichen Eigentums entspricht, wonach jegliches Tun, das geeignet ist, auf welchem Wege es auch sei, eine Verwechslung mit den Waren eines Wettbewerbers hervorzurufen, untersagt ist, wie auch durch die Tatsache, dass diese Regelung in der Rechtsprechung der meisten Mitgliedstaaten grundsätzlich anerkannt ist ..."

Die Sicherung dieses Bestandes hält der EuGH für gerechtfertigt, und zwar ausdrücklich auch in dem Falle, dass das Plagiatin seinem Ursprungsland legal hergestellt und sogar bereits von dort aus in den Verkehr gebracht worden ist.Der EuGH führt nämlich aus,

"dass die Bestimmungen des EWG-Vertrages über den freien Warenverkehr es nicht verhindern, dass ein Händler, der schon seit geraumer Zeit in einem Mitgliedstaat ein Erzeugnis in den Handel bringt, das von anderen gleichartigen Waren abweicht, aufgrund einer nationalen Rechtsvorschrift, die unterschiedslos für einheimische wie für eingeführte Erzeugnisse gilt, ein gerichtliches Verbot gegen einen anderen Händler erwirken kann, in diesem Mitgliedsstaat weiterhin ein Erzeugnis in den Handel zu bringen, das aus einem anderen Mitgliedstaat stammt, wo es rechtmäßig in den Verkehr gebracht worden ist, das aber ohne Notwendigkeit mit dem ersten Erzeugnis nahezu identisch ist und dadurch unnötig Verwechslungen zwischen den beiden Erzeugnissen hervorruft".

Diese Wertung des EuGH kann nicht mit dem Hinweis abgetan werde, im Entscheidungsfall seien die Nachahmungen zum gleichen Preis wie Originale auf den Markt geworfen worden, während die vorliegend interessierenden lizenzlosen Designprodukte billiger angeboten werden als die lizenzierten. Erstens kann es nicht darauf ankommen, ob ein Täter durch den Vertrieb lizenzloser Produkte primär seinen Umsatz oder seinen Absatz ankurbeln will. Zweitens kann eine "Notwendigkeit sklavischer Nachahmung" nicht damit begründet werden, das Plagiat sei billiger als das Original. Wer so argumentieren wollte, würde sich vorhalten lassen müssen, dass er das Anliegen des gewerblichen Rechtsschutzes entweder nicht begriffen hat oder nicht ernst nimmt.

e.€

Die gleiche Wertung liegt dem Urteil des EuGH vom 9.11.2006 (C-281/05, "Montex/Diesel") zugrunde: Die Durchfuhr lizenzloser Markenjeans in plombierten Lkws durch deutsches Gebiet nach Irland (wo kein Lizenzschutz besteht) kann der deutsche Lizenzinhaber nicht verhindern, und zwar genau deshalb nicht, weil die Durchfuhr kein Inverkehrbringen in Deutschland darstellt und ein solches auch nicht ernsthaft besorgen lässt. Dabei hat der EuGH zugleich ausdrücklich bekräftigt, dass bei einem Inverkehrbringen im Lizenzgebiet der Abwehranspruch bestünde.

f.€

Die Mitgliedstaaten sind nach alldem europarechtlich nicht nur berechtigt, sondern verpflichtet, das ihre zu tun, damit die alleinige Verwertungsbefugnis des Rechteinhabers im jeweiligen Territorium wirksam durchgesetzt werden kann. Nur dann lässt sich ernsthaft davon reden, dass der Staat bemüht ist, den Bestand des Urheberrechts zu wahren. Die Rechtsprechung des EuGH ergibt keinen Anhaltspunkt dafür, dass die nationalen Rechtsordnungen hierbei nicht zum Instrument des Strafrechts greifen dürften.

Im Gegenteil setzt der EuGH im Urteil vom 29.1.2008 (C-275/06) gerade als gegeben voraus, dass die Mitgliedstaaten strafrechtliche Sanktionsmöglichkeiten zum Schutz geistigen Eigentums schaffen müssen (Artikel 8 Abs. 1 der Richtlinie 2001/29), und zwar zusätzlich zu den zivilrechtlichen Abwehrmöglichkeiten, die sie ebenfalls vorhalten müssen (Artikel 8 Absatz 2 der Richtlinie 2001/29). Der Entscheidungstenor des EuGH ist in Verbindung mit der Vorlagefrage zu sehen. Letztere ging dahin, ob das Gemeinschaftsrecht den Mitgliedstaaten gestatte, die den Kommunikationsdiensten obliegende Datenspeicherungs- und Datenherausgabepflichten "auf eine strafrechtliche Untersuchung (und weitere öffentliche Verwendungen) zu beschränken und damit davon zivilrechtliche Verfahren auszuschließen". Diese Vorlagefrage hat der EuGH mit ja beantwortet, nachdem er die Belange "geistiges Eigentum", "effektiver Rechtsschutz" und "Schutz personenbezogener Daten" miteinander abgewogen hatte. In diesem Zusammenhang ist die Antwort zu sehen, wonach der Mitgliedsstaat seine gemeinschaftsrechtlichen Pflichten zum effektiven Schutz des Urheberrechts auch dann hinreichend umsetzt, wenn er die Kommunikationsdienstleister zur Weitergabe personenbezogener Daten in anderer Weise heranzieht als gerade in einem zivilgerichtlichen Verfahren (obgleich auch letzteres ihm gemeinschaftsrechtlich möglich wäre). Der EuGH hält hiernach strafrechtliche Ermittlungsverfahren wegen Urheberrechtsverstößen für zulässig, wenn nicht sogar geboten, und zwar gerade im Vorlagefall, in dem zahlreiche Benutzer über gemeinsame Dateiordner lizenzlos Musikaufnahmen verbreitet haben sollten. Diese Haltung des EuGH wird nicht nur durch seine Ausführungen impliziert, sondern auch darin deutlich, dass er € wäre er anderer Ansicht € dies zum Ausdruck gebracht hätte: Hielte er strafrechtliche Daten-Ermittlungen der genannten Art mit Gemeinschaftsrecht für nicht oder nur bedingt vereinbar, so hätte sich notwendig die Frage aufgedrängt (und wäre folglich vom EuGH auch diskutiert worden), ob die Lizenzinhaber dann nicht gerade besonders darauf angewiesen sind, solche Ermittlungen im Rahmen von Zivilverfahren anstellen lassen zu können oder ob ihnen diese Möglichkeit u. U. komplett verwehrt werden darf. Die im Schriftsatz vom 27.3.2008 (auf Seite 3) zitierte Passage aus dem hier betrachteten EuGH-Urteil soll im Zusammenhang der Entscheidungsgründe gerade untermauern, dass den Mitgliedstaaten ein gewisser Ermessensspielraum verbleibt, inwieweit sie den Schutz des geistigen Eigentums zivilprozessual oder mit dem Instrumentarium des Strafrechts verwirklichen, und soweit der EuGH hier den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz in Erinnerung ruft, besagt dies € im Zusammenhang gelesen € gerade nicht, dass strafrechtliche Sanktionen für Urheberrechtsverstöße per se unverhältnismäßig wären.

g.€

Das wäre auch nicht einzusehen. Denn Artikel 30 Satz 1 EGV stellt den wirksamen Schutz gewerblicher und kommerziellen Eigentums in eine Reihe mit Belangen wie öffentliche Sittlichkeit, Ordnung und Sicherheit, Gesundheits- und Lebensschutz und nationales Kulturgut. Diese Belange sind zwar eng auszulegen und dürfen nach Artikel 30 Satz 2 EGV nicht für willkürliche Diskriminierung oder maskierte Handelsbeschränkungen missbraucht werden, es ist aber nicht ersichtlich, warum nur und gerade bei dem hier berührten Belang des gewerblichen Rechtsschutzes Strafsanktionen a priori ausscheiden sollten, während dies € wohl unbestritten € für die übrigen Belange des Artikels 30 Satz 1 EGV nicht der Fall wäre. Dass Strafnormen in sich verhältnismäßig sein müssen und auch unter Verhältnismäßigkeitsgesichtspunkten ausgelegt und maßvoll angewandt werden müssen, ist im nationalem Recht ebenso anerkannt wie im Gemeinschaftsrecht, liefert aber keine Begründung für kategorische Anwendungssperren im Rahmen von Artikel 30 EGV.

Solche ließen sich übrigens beim "Schutz gewerblichen und kommerziellen Eigentums" auch nicht daraus rechtfertigen, dass dieser nur ein Anliegen der jeweiligen Rechteinhaber sei. Effektiver und funktionierender gewerblicher Rechtsschutz ist ein Gemeinwohlbelang. So sieht ihn Artikel 30 EGV, was aus seiner Systematik ersichtlich wird (gleichstufige Nennung mit den voranstehenden Allgemeinwohlzielen). Recht plastisch verdeutlicht dies etwa die Verordnung (EG) Nr. 3295/04 des Rates vom 22.12.1994, wo es in den Begründungserwägungen treffend heißt:

"Durch das Inverkehrbringen nachgeahmter Waren und unerlaubt hergestellter Vervielfältigungsstücke oder Nachbildungen wird den gesetzestreuen Herstellern und Händlern sowie den Inhabern von Urheberrechten und verwandten Schutzrechten erheblicher Schaden zugefügt und der Verbraucher getäuscht ...".

Gewerblicher Rechtsschutz kann somit nicht als Privatanliegen der Lizenzberechtigten oder sonst als Belang "zweiter Klasse" verstanden werden und wird im übrigen von der Allgemeinheit auch nicht so verstanden, denn es ist im Rechtsverkehr anerkannt, dass "Kreativität sich lohnen soll" und "Verbraucherschutz sein muss".

h.€

Anderes ergibt sich gleichfalls nicht aus der Entscheidung des EuGH vom 6.11.2003 (C-243/01): Ob die zur Überprüfung gestellte italienische Strafrechtslage dem "ultima-ratio"-Prinzip genüge, ließ der EuGH offen und stellte die Beantwortung dem vorlegenden Gericht anheim. Die Zweifel, die der EuGH an der Verhältnismäßigkeit der italienischen Strafnormen aufwarf, begründete er damit, dass der italienische Staat die Wett-Tätigkeit offenbar nicht eindämmen wolle, sondern im konzessionierten Bereich wohl selbst forciert habe. Gerade deshalb könne es als unverhältnismäßig erscheinen, sie im nicht-konzessionierten Bereich mit Strafen zu verfolgen, zumal unklar sei, ob die Konzessionen diskriminierungsfrei vergeben werden und weitere Umstände zu erhellen seien, etwa ob angesichts einer bis vor kurzem noch anderen nationalen Rechtslage ein Verschulden der Wettenvermittler derart schwer wiege, dass eine Strafsanktion bis zu einem Jahr noch angemessen erscheinen könne. Keinen Zweifel lässt der EuGH indes daran, dass der Mitgliedstaat ein Allgemeininteresse verfolgen kann, die Spielleidenschaft und die mit Wetten verbundenen sozialschädlichen Folgen einzudämmen und unlauteren Praktiken vorzubeugen. Verfolgt der Mitgliedstaat solche Belange konsequent und glaubwürdig, so kann dies € umgekehrt € Eingriffe in den freien Dienstleistungsverkehr rechtfertigen, die sogar bis zu strafrechtlichen Sanktionen reichen können, sofern aufsichtsrechtliche Maßnahmen nicht ausreichen. In einem solchen Falle stellt es keinen durchgreifenden Einwand dar, dass der Anbieter von einem anderen Mitgliedstaat aus agiert, ohne gegen dessen gesetzliche Vorschriften zu verstoßen.

Diese Erwägungen sind zwar für den Bereich des freien Dienstleistungsverkehrs getroffen, jedoch ohne weiteres übertragbar auf den strukturell gleich geregelten freien Warenverkehr.

i.€

Die Rechtsprechung des EuGH markiert somit hinreichend deutlich folgende Linie:

€ Sie geht erkennbar davon aus, dass Strafsanktionen bei Urheber- und Markenrechtsverstößen weder a priori ausscheiden noch im Einzelfall wegen Unverhältnismäßigkeit nur deshalb zu unterbleiben haben, weil der Anbieter im Staat seiner Niederlassung die Produkte lizenzfrei herstellen darf.

€ Sie disqualifiziert gewerblichen Rechtsschutz nicht als wirtschaftlichen Konkurrenzschutz zugunsten einzelner, sondern sieht ihn als wichtigen Gemeinwohlbelang, den die Mitgliedstaaten € bezogen auf ihr Territorium € zu wahren haben.

€ Sie stellt für die Frage der Verhältnismäßigkeit der jeweils einschlägigen Strafnormen auf die konkrete Ausgestaltung des nationalen Rechts im Gesamtkontext ab.

j.€

Für den vorliegend verfahrensgegenständlichen Sachverhalt ergibt die vorstehend skizzierte Rechtslage daher Folgendes:

Eine Bestrafung, zu der das vorliegende Verfahren führen kann, ist geeignet, die hier diskutierten Urheber- und Markenrechtsverstöße abzustellen. Sie dient daher dem Ziel, gewerbliches und kommerzielles Eigentum im Sinne von Artikel 30 EGV zu schützen.

Sie ist € angenommen der Tatnachweis gelingt, wofür derzeit alles spricht € auch erforderlich, da mildere Maßnahmen bereits vollständig ausgereizt sind: Die Anzeigenerstatter haben gegen die Beschuldigten bzw. deren Firmen wegen Sachverhalten wie dem verfahrensgegenständlichen vor den Zivilgerichten prozessiert und gewonnen. Das hat die Beschuldigten nicht dazu gebracht, ihr "Vertriebskonzept" aufzugeben. Der vorliegende Fall ist nach Aktenlage somit eine typische "ultima-ratio-Konstellation": Wo die zivilrechtlichen Judikate nicht befolgt oder systematisch unterlaufen werden (vgl. Stellungnahme der Staatsanwaltschaft vom 4.3.2008), ist der Staat nach den Wertungen, die insbesondere der EuGH-Entscheidung 275/06 zugrunde liegen, gemeinschaftsrechtlich gehalten, zur "Notbremse" des Strafrechts zu greifen. Ein Vorrang aufsichtsrechtlicher Maßnahmen lässt sich vorliegend nicht statuieren, da nicht ersichtlich ist, welche behördlichen Aufsichtsmaßnahmen geeignet sein sollten, den Versandhandel nach dem hier untersuchten Vertriebsmodell zu unterbinden.

Nicht zu überzeugen vermag in diesem Zusammenhang der Einwand, die Plagiate würden in der Regel von Kunden gekauft, die sich die teureren Originalprodukte ohnehin nicht zulegen würden, so dass den Anzeigenerstattern kaum wirtschaftliche Einbußen entstünden: Erstens beeinträchtigt schon die Sättigung des Marktes mit billigeren Plagiaten die alleinige Verwertungsbefugnis des Lizenzinhabers. Zweitens spricht die Werbung der Beschuldigten nach Aktenlage auch die Zielgruppe derjenigen an, die an sich geneigt wären, Originalprodukte zu erwerben; so etwa mit dem Slogan (ZWA II, 586): "Über 300.000 Deutsche haben ihre Möbel günstig im Direktvertrieb gekauft. Nur Sie vollen unbedingt zu viel bezahlen€". Drittens werden die Kunden darüber getäuscht, dass sie lizenzlose Produkte erwerben, indem ihnen suggeriert wird, die Schnäppchenpreise beruhten allein darauf, dass die Hersteller ihren Absatz durch einen Direktvertrieb ab Werk ankurbeln wollen. Letzteres zeigt, dass vorliegend auch die verbraucherschutzrechtliche Dimension des kommerziellen und gewerblichen Eigentumsschutzes berührt ist.

Eine Bestrafung ist auch als angemessenes Mittel zur Erreichung des (legitimen) Ziels anzusehen. Sie behindert nicht den Vertrieb der lizenzlosen Produkte auf dem italienischen Markt und "beeinträchtigt" den Warenverkehr nur insoweit, als sie darauf abzielt, das hier untersuchte Vertriebsmodell zu unterbinden, das darin besteht, die Plagiate im Wege systematischen Versandhandels auf den lizenzgeschützten deutschen Markt zu werfen. Sie diskriminiert die Firmen der Beschuldigten und der Hersteller nicht, da sie nicht an deren Sitz in Italien anknüpft, sondern jede inlandsansässige Person träfe, die lizenzlose Produkte in Deutschland in den Verkehr brächte.

Nach alldem sieht sich die Kammer zu einer Vorlage des Falles an den Europäischen Gerichtshof im Rahmen eines Vorabentscheidungsverfahrens nicht veranlasst. Ein Bedürfnis hierfür kann nicht schon deshalb angenommen werden, weil auf die im vorliegenden Strafverfahren gegebene Konstellation noch keine "genau passende" Entscheidung des EuGH vorliegt. Die bisherigen Vorgaben des EuGH lassen nämlich eine Linie erkennen, anhand derer keine Zweifel (insbesondere keine ernsthaften Zweifel) daran bestehen, dass die hier subsumierten deutschen Strafnormen europarechtskonform sind.

2.€ Auch im übrigen ist der angegriffene Beschluss taugliche Grundlage für die Maßnahmen.

a.€

Dass die am 9.5.2007 erlassenen Durchsuchungs- und Beschlagnahmebeschlüsse erst am 16.1.2008 vollzogen worden sind, mithin jenseits des vom Bundesverfassungsgericht gezogenen Zeitrahmens, macht die Maßnahme nicht rechtswidrig. Denn die Beschlüsse wurden bereitsvorihrem Vollzug, nämlich am 25.10.2007, durch einen erneuten Beschluss des zuständigen Ermittlungsrichters bestätigt (ZWA Bd. II, 588), und diesem ist zu entnehmen, dass nach der dort formulierten Ansicht des Ermittlungsrichters "die Gründe, die zum Erlass (der Beschlüsse vom 9.5.2007, insbesondere des Beschlusses ER I 4258/07 gegen die hiesige Beschwerdeführerin) geführt haben, unverändert fortbestehen". Damit folgte das Gericht erkennbar aufgrund eigener Überprüfung der Auffassung, welche in der Vorlageverfügung der Staatsanwaltschaft München II vom 22.10.2007 (ZWA Bd. II, 587) dargelegt und begründet worden war. Dies scheint die Beschwerde im übrigen auch nicht in Frage zu stellen.

b.€

Der angegriffene Beschluss genügt den Bestimmtheitsanforderungen. Es liegt in der Natur der Sache, dass hinsichtlich der zu beschlagnahmenden Gegenstände, die a priori nicht im einzelnen bekannt sind, keine individualisierende Beschreibung möglich war, sondern nur eine auf den Zusammenhang mit dem Tatvorwurf abstellende Umschreibung, die sich anschließend durch eine Reihe von Beispielen ("insbesondere ...") verdeutlichen ließ. Was genau zu beschlagnahmen ist, kann nur eine Sichtung ergeben. Auch dies liegt in der Natur der Sache und nimmt dem Beschluss nichts an Bestimmtheit. Anhaltspunkte dafür, dass der Beschluss durch eine überlange Dauer der Sichtung unverhältnismäßig geworden wäre, ergeben sich nach Aktenlage nicht. Dazu ist auch nichts vorgebracht. Soweit sichergestellte Unterlagen für die Fortführung des Geschäfts der Beschwerdeführerin erforderlich sind, können diese kopiert werden, jedenfalls ist nicht ersichtlich, dass der Grundrechtsschutz der Beschwerdeführerin nur durch eine komplette Herausgabe zu verwirklichen wäre.

c.€

Der angegriffene Beschluss genügt den Bestimmtheits- und Begründungsanforderungen auch insoweit, als er die Durchsuchung gerade in den Räumen der Beschwerdeführerin damit rechtfertigt, die Beschuldigten hätten Kontakt zu dieser, und (auch) sie handele mit Designermöbeln. Die kriminalistische Erfahrung sprach nach Aktenlage dafür, dass die Beschuldigten geschäftlichen Kontakt zur Beschwerdeführerin hatten und diese mit Plagiaten der hier interessierenden Art beliefert haben.

3.€

Die Kostenentscheidung folgt aus § 473 Absatz 1 StPO.






LG München I:
Beschluss v. 31.03.2008
Az: 4 Qs 9/08


Link zum Urteil:
https://www.admody.com/urteilsdatenbank/12b88f70037a/LG-Muenchen-I_Beschluss_vom_31-Maerz-2008_Az_4-Qs-9-08




Diese Seite teilen (soziale Medien):

LinkedIn+ Social Share Twitter Social Share Facebook Social Share