Landesarbeitsgericht Hamm:
Beschluss vom 2. August 2005
Aktenzeichen: 13 TaBV 17/05

(LAG Hamm: Beschluss v. 02.08.2005, Az.: 13 TaBV 17/05)

Der Wert des Gegenstandes der anwaltlichen Tätigkeit ist in Streitigkeiten um das Mitbestimmungsrecht des Betriebsrates bei der Gewährung von Zulagen anhand der in § 9 BetrVG festgelegten Staffel zu bemessen.

Für den Grundfall von bis zu 20 betroffenen Arbeitnehmern sind 4.000,00 € in Ansatz zu bringen und für jede weitere der in § 9 BetrVG vorgesehenen Stufungen zusätzlich 4.000,00 €.

Im Beschwerdeverfahren nach § 33 RVG gilt das Verbot der reformatio in peius.

Tenor

Die Beschwerde der Verfahrensbevollmächtigten des Betriebsrates gegen den Beschluss des Arbeitsgerichts Bielefeld vom 12.01.2005 - 1 BV 21/04 - wird zurückgewiesen.

Gründe

A.

Im Ausgangsverfahren hat der Betriebsrat des Werkes R1xxx-W2xxxxxxxxx die Feststellung begehrt, dass die Arbeitgeberin verpflichtet ist, gemäß § 8 der zum 31.12.2003 gekündigten Betriebsvereinbarung zur Fortführung eines Vollkontibetriebes für geleistete Sonn- und Feiertagsstunden an jeden der insgesamt betroffenen 66 Mitarbeiter eine Zulage (Antrittsgeld) in Höhe von 5,11 Euro pro Stunde zu zahlen. In der Vergangenheit resultierte daraus ein jährliches Gesamtvolumen in Höhe von 60.000,00 Euro.

Der Betriebsrat ist der Ansicht, die Regelungen der gekündigten Betriebsvereinbarung würden nachwirken, weil über den 31.12.2003 hinaus ein Mitbestimmungsrecht bestehe.

Gegen den zugunsten des Betriebsrats ergangenen Beschluss des Arbeitsgerichts vom 09.12.2004 hat die Arbeitgeberin Beschwerde eingelegt, über die noch nicht entschieden ist.

Auf Antrag der Verfahrensbevollmächtigten des Betriebsrates hat das Arbeitsgericht mit Beschluss vom 12.01.2005 (Bl. 76 d. Akten) den Gegenstandswert auf 30.000,00 Euro festgesetzt.

Mit einem beim Arbeitsgericht am 26.01.2005 eingegangenen Schriftsatz haben die Verfahrensbevollmächtigten des Betriebsrates dagegen "sofortige Beschwerde" eingelegt mit dem Ziel, einen Gegenstandswert in Höhe von 45.000,00 Euro festzusetzen, ausgehend von 60.000,00 Euro jährlichem Zulagenvolumen abzüglich 25 % wegen des gestellten Feststellungsantrages.

Das Arbeitsgericht hat der Beschwerde nicht abgeholfen.

B.

I. Gemäß § 60 Abs. 1 Satz 1 RVG ist das von den Verfahrensbevollmächtigten des Betriebsrates eingelegte Rechtsmittel gegen die arbeitsgerichtliche Streitwertentscheidung vom 12.01.2005 noch nach altem Recht zu beurteilen.

Die eingelegte "sofortige Beschwerde" ist als einfache, befristete Beschwerde nach § 10 Abs. 3 BRAGO (jetzt: § 33 Abs. 3, Abs. 4 RVG) zulässig, aber unbegründet.

II. Bei der Bemessung des Gegenstandswertes ist von § 8 Abs. 2 S. 2 2. Halbsatz BRAGO (jetzt: § 23 Abs. 3 Satz 2 2. Halbsatz RVG) auszugehen. Danach ist der Gegenstandswert auf 4.000,00 Euro, je nach Lage des Falles aber auch niedriger oder höher bis zu 500.000,00 Euro anzunehmen, sofern es sich um nichtvermögensrechtliche Gegenstände handelt. Hiervon ist im arbeitsgerichtlichen Beschlussverfahren immer dann auszugehen, wenn um das Bestehen und die Beachtung betriebsverfassungsrechtlicher Beteiligungsrechte gestritten wird, weil die Begehren weder auf Geld noch auf eine geldwerte Leistung gerichtet sind und auch ihre Grundlage nicht in einem Verhältnis bestehen, dem ein Vermögenswert zukommt (BAG NZA 2005, 70; LAG Hamm LAGE Nr. 50 zu § 8 BRAGO; GK-ArbGG/Wenzel, § 12 Rdnr. 169, 181, 266).

1. Vorliegend streiten die Beteiligten im Zusammenhang mit der Frage einer Nachwirkung gemäß § 77 Abs. 6 BetrVG um das Bestehen eines Mitbestimmungsrechts des Betriebsrates bei der Zahlung von Zulagen für Sonntags- und Feiertagsarbeit. Folglich handelt es sich um eine nichtvermögensrechtliche Streitigkeit.

2. Die danach einschlägige Auffangvorschrift des § 8 Abs. 2 Satz 2 2. Halbsatz BRAGO mit ihrem außerordentlich weiten Bewertungsrahmen und dem Hilfswert in Höhe von derzeit 4.000,00 Euro stellt die Rechtsprechung vor die Aufgabe, die im Beschlussverfahren in Frage kommenden Streitgegenstände in ein Bewertungssystem einzubinden, das falladäquate Abstufungen zulässt und zugleich tragenden Grundsätzen des Arbeitsgerichtsprozesses ausreichend Rechnung trägt; erforderlich ist die Herausarbeitung typisierender Bewertungsgrundsätze, um zu einer gleichförmigen und damit den Gleichbehandlungsgrundsatz wahrenden Rechtsanwendung zu gelangen (LAG Hamm EzA Nr. 70 zu § 12 ArbGG 1979 Streitwert; Schneider, Anm. zu BAG EzA Nr. 36 zu § 12 ArbGG 1979 Streitwert; GK-ArbGG/Wenzel, § 12 Rdn. 132 b, 264).

Maßgeblich ist allerdings immer die "Lage des Falles"; es bedarf also einer auf die konkreten Umstände des einzelnen Verfahrens abgestellten Wertfestsetzung.

Was die maßgeblichen Einzelfallumstände angeht, kann auf die vergleichbaren Regelungen zur Bewertung nichtvermögensrechtlicher Streitigkeiten in § 113 Abs. 2 Satz 3 BRAGO und § 12 Abs. 2 Satz 1 GKG (jetzt: § 37 Abs. 2 Satz 2 RVG i. V. m. § 14 Abs. 1 Satz 1 RVG) zurückgegriffen werden, wonach es vor allem auf die Bedeutung der Angelegenheit und daneben auf den Umfang sowie die Schwierigkeit der anwaltlichen Tätigkeit ankommt (vgl. BVerfG NJW 1989, 2047).

Mit der Bedeutung der Angelegenheit als Ausgangspunkt der Bewertung ist die Tragweite der gerichtlichen Entscheidung für die materielle und ideelle Stellung der Betroffenen angesprochen, was ihnen selbst die Sache "wert" ist.

Daneben können auch der Umfang und die Schwierigkeit der anwaltlichen Tätigkeit bei der Wertfestsetzung zu berücksichtigen sein.

Allerdings müssen die beiden letztgenannten Gesichtspunkte in Relation zur Bedeutung der Sache gesehen werden. Entspricht also der anwaltliche Arbeitsaufwand von seinem Umfang und seiner Schwierigkeit her typischerweise der Bedeutung der Sache, bleibt es bei deren Bewertung; die Bedeutung ist also letztlich das ausschlaggebende Moment für die vorzunehmende Wertfestsetzung (BVerfG, a.a.O.; LAG Hamm LAGE Nr. 50 zu § 8 BRAGO).

Andererseits ist der im Beschlussverfahren zum Ausdruck kommenden Grundtendenz Rechnung zu tragen, wonach die dem Arbeitgeber gemäß § 40 Abs. 1 BetrVG obliegende Verpflichtung, die außergerichtlichen Kosten zu tragen, bei ihm nicht zu einer unangemessenen Belastung führen darf (LAG Hamm EzA Nr. 70 zu § 12 ArbGG 1979 Streitwert; GK-ArbGG/Wenzel, § 12 Rdn. 265).

Damit steht wiederum die Sonderbestimmung des § 12 Abs. 5 ArbGG (jetzt: § 2 Abs. 2 GKG) in Einklang, wonach in Beschlussverfahren keine Gerichtskosten erhoben werden.

Nach alledem ist also ein Wert zu finden, der für den Rechtsanwalt angemessene und für den Arbeitgeber tragbare Gebühren ergibt (LAG Hamm LAGE Nr. 50 zu § 8 BRAGO).

Unter Anwendung dieser Grundsätze kommt es also zunächst auf das Interesse an, das mit dem konkret gestellten Verfahrensantrag durchgesetzt werden soll. Insoweit geht es vorliegend dem Betriebsrat im Kern um die Wahrung des aus seiner Sicht fortbestehenden Mitbestimmungsrechtes gemäß § 87 Abs. 1 Nr. 10 BetrVG, womit die Nachwirkung der arbeitgeberseits gekündigten Betriebsvereinbarung verbunden wäre (§ 77 Abs. 6 BetrVG). Wenn damit im Erfolgsfalle auch (mittelbare) Auswirkungen auf die Vermögenslage der Arbeitgeberin und der betroffenen Mitarbeiter einhergehen würden, ändert dies nichts daran, dass der Streit der Beteiligten im vorliegenden Beschlussverfahren ausschließlich nichtvermögensrechtlicher Art ist (vgl. BAG NZA 2005, 70; LAG Düsseldorf JurBüro 1995, 483; LAG Schleswig-Holstein LAGE Nr. 17 und 24 zu § 8 BRAGO).

Dementsprechend kann das für potenzielle individualrechtliche Streitigkeiten zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer maßgebliche Zulagenvolumen nicht der Anknüpfungspunkt für die beantragte Festsetzung des Gegenstandswertes sein. Vielmehr hält es die Kammer in Fällen wie hier in der Regel für sachgerecht, bei der Bemessung der streitwertmäßigen Bedeutung, den eine Auseinandersetzung um das Bestehen eines Mitbestimmungsrechtes hat, von der Anzahl der betroffenen Arbeitnehmer auszugehen und sich dabei an der Staffel des § 9 BetrVG zu orientieren.

Dabei ist der Grundfall von bis zu 20 Mitarbeitern mit dem Auffangwert des § 8 Abs. 2 Satz 2 2. Halbsatz BRAGO (jetzt: § 23 Abs. 3 Satz 2 2. Halbsatz RVG) in Höhe von 4.000,00 Euro in Ansatz zu bringen. Für die weiteren in § 9 BetrVG vorgesehenen Staffeln sind jeweils zusätzlich 4.000,00 Euro zu berücksichtigen.

Daraus errechnet sich im vorliegenden Verfahren bei 66 betroffenen Mitarbeitern ein Gesamtgegenstandswert in Höhe von 12.000,00 Euro.

III. Gleichwohl kam eine Herabsetzung des erstinstanzlich festgesetzten Gegenstandswertes nicht in Betracht.

Denn entgegen der bislang ohne nähere Begründung vertretenden Ansicht des Landesarbeitsgerichts Hamm (Beschluss vom 30.01.1992 – 8 TaBV 153/91; Beschluss vom 26.07.1990 – 8 TaBV 70/89 – AR-Blattei ES 160.13 Nr. 187; ebenso LAG Hamburg LAGE Nr. 2 zu § 10 BRAGO; GK-ArbGG/ Wenzel, § 12 Rdnr. 213 und § 78 Rdnr. 96) ist die erkennende Kammer der Auffassung, dass in Verfahren nach § 10 Abs. 3 BRAGO (jetzt: § 33 Abs. 3, Abs. 4 RVG) das Verbot der reformatio in peius gilt, die erstinstanzliche Entscheidung also nicht zum Nachteil des Beschwerdeführers abgeändert werden darf (ebenso LAG Köln

LAGE Nr. 9 zu § 10 BRAGO; Hamburgisches OVG NVwZ–RR 1997, 503; NVwZ–RR 1998, 525; Madert in: Gerold/Schmidt/von Eicken/Madert/Müller-Rabe, RVG, 16. Aufl., § 33 Rdnr. 42).

Dafür spricht zunächst der allgemeine prozessuale Grundsatz, dass ein Rechtsmittelführer entsprechend der Regelung in § 528 S. 2 ZPO bei einer Beschwerdeentscheidung in der Sache nicht schlechter gestellt werden darf als in dem Ausgangsbeschluss, es sei denn, dies ist im Gesetz ausdrücklich anders vorgesehen (Zöller/Gummer, 24. Aufl., § 572 Rdnr. 39; GK-ArbGG/ Wenzel,. § 78 Rdnr. 96).

Eine solche Ausnahme findet sich im Bereich des Streitwertrechts nur in § 25 Abs. 2 Satz 2 GKG (jetzt: § 63 Abs. 3 Satz 1 GKG); danach kann die Festsetzung des für die Gerichtsgebühren maßgeblichen Streitwerts sowohl durch das Ausgangs- als auch durch das Rechtsmittelgericht von Amts wegen geändert, also auch herabgesetzt werden. Dies hat seinen Grund darin, dass im öffentlichen Interesse für die Liquidierung der an die Staatskasse zu entrichtenden Gebühren eine zutreffende Wertfestsetzung erfolgen soll.

Eine vergleichbare Regelung ist in § 10 Abs. 3 BRAGO nicht enthalten. Vielmehr findet hier wegen der Gerichtskostenfreiheit des Beschlussverfahrens eine Festsetzung des Gegenstandswertes nur auf Antrag der in § 10 Abs. 2 Satz 2 BRAGO (jetzt: § 33 Abs. 2 Satz 2 RVG) genannten Personen ausschließlich in deren Interesse statt. Es bleibt dann den Beteiligten, soweit sie beschwert sind, unbenommen, gegen die erstinstanzliche Entscheidung vorzugehen. Dabei kann zum Beispiel der Rechtsanwalt eine höhere Wertfestsetzung und der zur Kostentragung verpflichtete Arbeitgeber eine niedrigere Festsetzung anstreben. Vor diesem Hintergrund besteht – anders als in § 25 Abs. 2 Satz 2 GKG – kein Raum für eine amtswegig im öffentlichen Interesse zu erfolgende Wertbestimmung.

Der Antrag nach § 10 Abs. 1, Abs. 2 Satz 1 und Satz 2 BRAGO (jetzt: § 33 Abs. 1, Abs. 2 RVG) ist also nicht nur als Begehren zur Einleitung des Wertfestsetzungsverfahrens zu verstehen, sondern er enthält auf die maßgebliche Sachbitte, die – wie ansonsten auch – das Ziel der Höhe nach begrenzt (vgl. Fraunholz in: Riedel/Sußbauer, RVG, 9. Aufl., § 33 Rdnr.8). Entsprechendes gilt für die gemäß § 10 Abs. 3 BRAGO eingelegte Beschwerde. Auf diese Art und Weise bleibt es dem jeweiligen Antragsteller – wie auch im Kostenfestsetzungsverfahren nach den §§ 103 ff. ZPO – überlassen, zu bestimmen, ob und inwieweit eine gerichtliche Entscheidung ergehen soll (vgl. § 308 Abs. 1 Satz 1 ZPO).

Nach alledem kam eine Herabsetzung des Gegenstandswertes, der erstinstanzlich festgesetzt worden ist, nicht in Betracht.

Dr. Müller






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Az: 13 TaBV 17/05


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