Oberlandesgericht Frankfurt am Main:
Urteil vom 8. Juni 2010
Aktenzeichen: 11 U 52/09
(OLG Frankfurt am Main: Urteil v. 08.06.2010, Az.: 11 U 52/09)
Tenor
Die Berufungen der Klägerin und der Beklagten gegen das Urteil des Landgerichts Frankfurt am Main - 18. Zivilkammer - vom 14.7.2009 werden zurückgewiesen.
Von den Kosten des Berufungsverfahrens tragen die Klägerin 4/5 und die Beklagte 1/5.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
Den Parteien bleibt nachgelassen, eine Vollstreckung der gegnerischen Partei gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110% des vollstreckbaren Betrages abzuwenden, wenn nicht der jeweilige Vollstreckungsgläubiger zuvor Sicherheit in Höhe von 110% des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Gründe
I.
Die Klägerin nimmt die Beklagte aus Urheberrecht, Geschmacksmusterrecht und wegen unlauteren Wettbewerbs auf Unterlassung, Auskunft, Feststellung der Schadensersatzverpflichtung sowie Erstattung von Anwalts- und Patentanwaltskosten im vorangegangenen einstweiligen Verfügungsverfahren in Anspruch.
Widerklagend begehrt die Beklagte die Nichtigerklärung zweier Gemeinschaftsgeschmacksmuster sowie die Erstattung von Anwalts- und Patentanwaltskosten.
Die Klägerin ist Inhaberin des Gemeinschaftsgeschmacksmusters Nr. €1-0001, das am 8.8.2005 angemeldet und am ...9.2005 eingetragen wurde, sowie des Gemeinschaftsgeschmacksmusters Nr. ...2-0001, das am 8.2.2005 angemeldet und am ...4.2005 eingetragen wurde. Die Geschmacksmuster zeigen eine Karaffe in mehreren Ansichten teilweise mit und teilweise ohne Sockel. Wegen der Einzelheiten wird auf die Ablichtungen des Registerauszugs des Harmonisierungsamtes (GA 37 ff) Bezug genommen.
Die Klägerin hat bisher in Deutschland 635 dieser Karaffen unter der Bezeichnung €A€ abgesetzt. Die Beklagte vertreibt eine Weinkaraffe B, wegen deren Gestaltung auf Bl. 60 d. A. Bezug genommen wird.
Die Klägerin meint, die Beklagte verletze ihre, der Klägerin, Schutzrechte durch den Vertrieb der beanstandeten Karaffe. Die Klägerin hat beantragt,
1. die Beklagte zu verurteilen, es zur Vermeidung eines vom Gericht für jeden Fall der Zuwiderhandlung festzusetzenden Ordnungsgeldes von bis zu 250.000,- Euro, ersatzweise Ordnungshaft bis zu sechs Monaten, im Wiederholungsfall bis zu zwei Jahren, zu vollziehen an den Geschäftsführern der Beklagten, zu unterlassen, Karaffen gemäß Abbildung - wie Bl. 18 d. A. - mit den folgenden Kombinationsmerkmalen gewerbsmäßig anzubieten und/oder in den Verkehr zu bringen:
- die Karaffe besteht aus einem kugelförmigen Boden;
- der obere Teil dieser kugelförmigen Ausgestaltung führt in einen stielförmigen, langen, schmalen Ausguss;
- der Ausguss verbreitert sich leicht nach oben hin und weist in der Seitenansicht eine abgewinkelte Form auf.
2. die Beklagte wird verurteilt, der Klägerin Auskunft zu erteilen über die Herkunft und den Vertriebsweg der unter Ziffer 1. beschriebenen Erzeugnisse, und zwar unter Angabe
- der einzelnen Lieferungen, aufgeschlüsselt nach Liefermengen, Lieferzeiten und Lieferpreisen, sowie der Namen und Anschriften der gewerblichen Abnehmer,
- der einzelnen Angebote, aufgeschlüsselt nach Angebotsmengen, Angebotszeiten und Angebotspreisen sowie der Namen und Anschriften der Angebotsempfänger,
- der betriebenen Werbung, aufgeschlüsselt nach Werbeträgern, deren Auflage in Höhe Verbreitungszeitraum und Verbreitungsgebiet,
- die Gestehungskosten unter Angabe der einzelnen Kostenfaktoren sowie des erzielten Gewinns, der nicht durch den Abzug von Fixkosten und variablen Gemeinkosten gemindert werden darf, es sei denn, diese können ausnahmsweise den vorstehend zu Ziffer 1. genannten Produkten zugeordnet werden, und des erzielten Umsatzes,
3. festzustellen, dass die Beklagte gegenüber der Klägerin zum Ersatz all desjenigen Schadens verpflichtet ist, welcher dieser aus Handlungen gemäß Ziffer 1. entstanden ist oder zukünftig noch entstehen wird.
4. die Beklagten zu verurteilen, an die Klägerin einen Betrag in Höhe von 4.795,00 Euro nebst Zinsen hieraus in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit zu zahlen.
Die Beklagte hat beantragt,
die Klage abzuweisen.
Widerklagend hat sie beantragt,
1. das Gemeinschaftsgeschmacksmuster €1-0001 der Klägerin und Widerbeklagten für nichtig zu erklären,
2. das Gemeinschaftsgeschmacksmuster €2-0001 der Klägerin und Widerbeklagten für nichtig zu erklären,
3. die Klägerin zu verurteilen, an die Beklagte einen Betrag in Höhe von 5.488,- Euro nebst Zinsen hieraus in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz ab Rechtshängigkeit zu zahlen.
Die Klägerin hat beantragt,
die Widerklage abzuweisen.
Das Landgericht hat Klage und Widerklage abgewiesen. Wegen der weitergehenden Einzelheiten des Sach- und Streitstandes, der tatsächlichen Feststellungen in erster Instanz sowie der Begründung der Entscheidung wird auf das angefochtene Urteil des Landgerichts v. 14.7.2009 (GA 426 ff) Bezug genommen.
Hiergegen richten sich die Berufungen der Parteien.
Die Klägerin trägt zur Begründung ihrer Berufung im Wesentlichen vor, das Landgericht habe sich über das Bestehen eines Urheberrechtsschutzes mit wenigen oberflächlichen und im Einzelnen nicht nachvollziehbaren Bemerkungen hinweg gesetzt. Auch die Verneinung eines ergänzenden wettbewerbsrechtlichen Leistungsschutzes wegen nicht ausreichender Bekanntheit der Karaffe im Verkehr sei unzutreffend und mit dem Sachvortrag der Klägerin nicht in Einklang zu bringen. Beide Karaffen stimmten in ihrer äußeren Erscheinungsform nahezu vollständig überein. Ihre, der Klägerin, Karaffe weise gegenüber dem vorbekannten Formenschatz eine völlig andere Ausgestaltung auf und zeige, dass sie das Ergebnis einer individuellen geistigen Leistung sei. Der Schöpfer habe auch nicht lediglich vorhandene Ausdrucksformen wiederholt, sondern nicht bekannte Formen neu geschaffen, so dass die Karaffe die geforderte erhebliche individuelle Prägung besitze. Gleiche Maßstäbe seien im Übrigen anzulegen, wenn davon auszugehen sein sollte, dass es für die Schutzfähigkeit der Karaffe auf das italienische Urheberrecht ankomme.
Die Karaffe weise darüber hinaus auch wettbewerbliche Eigenart auf. Durch den Vertrieb des Verletzungsmodells verstoße die Beklagte sowohl unter dem Gesichtspunkt der vermeidbaren Herkunftstäuschung (§ 4 Nr. 9 a UWG), der Ausbeutung einer schutzwürdigen Leistung der Klägerin wie auch unter dem Gesichtspunkt der Behinderung gegen das UWG. Dabei komme es für die Bejahung der wettbewerblichen Eigenart nicht auf die Verkehrsbekanntheit des Produkts an.
Die geltend gemachten Ansprüche stünden ihr, der Klägerin, darüber hinaus auch auf Grund der einschlägigen geschmacksmusterrechtlichen Vorschriften zu. Dabei sei davon auszugehen, dass das Gemeinschaftsgeschmacksmuster Nr. €2-0001 eine Karaffe ohne Bodenplatte unter Schutz stelle. Dies ergebe sich bereits daraus, dass bei dem vorgenannten Geschmacksmuster 5 Abbildungen ohne Sockel zu finden seien. Somit sei der Sockel kein Bestandteil der Geschmacksmuster-anmeldung. Selbst anderenfalls würde es sich bei dem Sockel um ein völlig unbeachtliches Beiwerk handeln, welches für den beim informierten Benutzer hervorgerufenen Gesamteindruck keinerlei Relevanz besitze. Das Geschmacks-muster sei im Anmeldezeitpunkt auch neu im Sinne von Art. 5 GGV gewesen. Weder der Sockel, der Durchmesser des Halses der Karaffe, die sich öffnende Form des Halses noch die Abschrägung des oberen Endes des Karaffenhalses seien technisch bedingt.
Die Klägerin beantragt,
1. das Urteil des Landgerichts Frankfurt am Main vom 14.7.2009 - Az. 2/18 O 320/07 - abzuändern, soweit es sich auf die Klage bezieht;
2. nach ihren Schlussanträgen erster Instanz zu erkennen.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung der Klägerin zurückzuweisen
sowie widerklagend,
unter Abänderung des am 14.7.2009 verkündeten Urteils des Landgerichts Frankfurt am Main die Gemeinschaftsgeschmacksmuster €1-0001 und €2-0001 der Klägerin für nichtig zu erklären.
Die Beklagte tritt der Berufung der Klägerin entgegen, verteidigt das erstinstanzliche Urteil und behauptet, dem Designer der Karaffe €B€ sei das Klagemodell nicht bekannt gewesen. Zu ihrer eigenen Berufung führt sie im Wesentlichen aus:
Das Landgericht habe im Rahmen der Widerklage nicht ausreichend beachtet, dass sich der Gesamteindruck des Geschmacksmusters deutlich von dem vorbekannten Formenschatz unterscheiden müsse. Dabei habe das Landgericht den vorbenannten Formenschatz nicht einmal dargestellt. Tatsächlich unterschieden sich die Geschmacksmuster nicht deutlich vom vorbekannten Formenschatz. Sie seien weder neu noch eigenartig. Auch das Geschmacksmuster €2-0001 sei weder neu noch eigentümlich. Es unterscheide sich nicht deutlich von dem Gesamteindruck von Gestaltungen, die aus dem vorbekannten Formenschatz bekannt seien. Selbst wenn man dies bejahen wolle, bestünden die Unterschiede jedoch in Merkmalen, die rein technisch oder funktional bedingt seien und deshalb bei der Beurteilung der Eigenart nicht berücksichtigt werden könnten.
Die Klägerin beantragt,
die Berufung der Beklagten zurückzuweisen.
Ergänzend wird wegen der Einzelheiten des Sach- und Streitstandes auf die von den Parteien in der Berufungsinstanz gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen Bezug genommen.
II.
A. Berufung der Klägerin:
1. Die Berufung der Klägerin ist zulässig, insbesondere fristgerecht eingelegt und begründet. Ohne Erfolg macht die Beklagte geltend, die Berufung sei nicht in der gesetzlich vorgesehenen Form begründet. Von einer Berufungsbegründung ist zwar zu verlangen, dass sie auf den zur Entscheidung stehenden Streitfall zugeschnitten ist und erkennen lässt, aus welchen tatsächlichen oder rechtlichen Gründen das angefochtene Urteil unrichtig sei (Zöller/Heßler, ZPO, 28. Aufl. § 520 Rdnr. 35). Die Beklagte weist auch zu Recht darauf hin, dass die Berufungsbegründung über weite Strecken lediglich den erstinstanzlichen Vortrag wiederholt. Indessen sind an die Berufungsbegründung keine übertriebenen Anforderungen zu stellen. Es genügt, wenn die Begründung sich in ausreichender Weise mit einem der in § 520 Abs. 3 Nr. 2-4 ZPO genannten Berufungsgründe auseinander setzt. Werden nur die erstinstanzlichen Rechtsausführungen angegriffen, so muss die eigene Rechtsansicht dargelegt werden. Dem genügt die Berufungsbegründung der Klägerin, da aus ihr deutlich wird, dass sie sowohl hinsichtlich der urheberrechtlichen wie der wettbewerbsrechtlichen und geschmacksmusterrechtlichen Beurteilung eine gegenüber dem Landgericht abweichende Rechtsauffassung vertritt.
2. In der Sache hat die Berufung jedoch keinen Erfolg.
a) Zu Recht hat das Landgericht urheberrechtliche Ansprüche der Klägerin verneint. Der Prozessbevollmächtigte der Klägerin hat in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat klargestellt, dass die Klägerin in diesem Rechtsstreit Urheberrechtschutz für die in dem späteren Geschmacksmuster Nr. €1-0001 dargestellte Karaffenform beanspruche, bei der der Ausguss mittig auf den kugelförmigen Korpus aufgesetzt ist.
43aa) Zutreffend geht die Berufung zwar davon aus, dass ein Design, selbst wenn es als Geschmacksmuster eingetragen ist, urheberrechtlich schutzfähig sein kann, da beide Schutzrechte selbständig und unabhängig voneinander bestehen.
Nach dem maßgeblichen Schutzlandsprinzip richtet sich der Schutz des Klagemodells im Inland nach deutschem Urheberrecht. Das Schutzlandrecht bestimmt sowohl über das Entstehen als auch über Inhalt und Bestand des Urheberrechts (BGHZ 171, 151 -Wagenfeldleuchte; BGH ZUM-RD 2009, 531; OLG Hamburg, GRUR 1979, 235-Arival; OLG Karlsruhe, GRUR 1984, 521-Atari-Spielkassetten; OLG Düsseldorf, ZUM-RD 2007, 465 - The Three Investigators). Demnach ist es unerheblich, ob das Klagemodell als Gebrauchsgegenstand nach dem italienischen Urheberrecht überhaupt schutzfähig ist.
45Da es sich bei den streitgegenständlichen Karaffen um Gebrauchsgegenstände handelt, kommt nach dem maßgeblichen deutschen Recht Urheberrechtsschutz als Werk der angewandten Kunst in Betracht (§ 2 Abs. 1 Nr. 4 UrhG). Einem Werk der angewandten Kunst kann Urheberrechtsschutz zuerkannt werden, wenn es sich um eine Schöpfung individueller Prägung handelt, die mit den Darstellungsmitteln der Kunst durch formgebende Tätigkeit hervorgebracht ist und deren ästhetischer Gehalt einen solchen Grad erreicht hat, dass nach Auffassung der für Kunst empfänglichen und mit Kunstanschauungen einigermaßen vertrauten Kreise im Zeitpunkt der Schöpfung des Werkes von einer künstlerischen Leistung gesprochen werden kann (BGH GRUR 1972, 28 - Vasenleuchter; GRUR 1983, 377, 378 -Brombeermuster; GRUR 1987, 903 - Corbusier-Möbel).
Dabei sind an die Gestaltungshöhe bei Werken der angewandten Kunst, soweit sie einem Geschmacksmusterschutz zugänglich sind, höhere Anforderungen zu stellen. Da sich bereits die geschmacksmusterfähige Gestaltung von der nicht geschützten Gestaltung, dem rein Handwerksmäßigen und Alltäglichen abheben muss, ist für die Urheberrechtsschutzfähigkeit ein noch weiterer Abstand, das heißt ein deutliches Überragen der Durchschnittsgestaltung zu fordern.
Urheberrechtsschutz von Gebrauchsgegenständen setzt deshalb einen höheren schöpferischen Eigentümlichkeitsgrad voraus als bei nur geschmacksmusterfähigen Gegenständen, wobei die Grenze zwischen Beiden nicht zu niedrig angesetzt werden darf (BGH GRUR 1995, 581 - Silberdistel; Dreier/Schulze, Urhebergesetz, 3. Aufl. § 2 Rdnr. 160 f).
48Erforderlich ist danach ein über die sogenannte kleine Münze hinausgehender ästhetischer Überschuss, der sich aus der erkennbaren Gestaltung eines besonderen künstlerischen Formgedankens ergibt. Diese Anforderung darf andererseits weder dahin missverstanden werden, dass das künstlerische Element im schmückenden Beiwerk - im Zierrat oder Ornament - liegen muss, noch dahin, dass hiermit ein Überwiegen des ästhetischen Gehalts über den Gebrauchszweck vorausgesetzt wird. Die Kunstschutzfähigkeit besteht vielmehr auch bei einem überwiegenden Gebrauchszweck und kann auch dann gegeben sein, wenn der ästhetische Gehalt in die ihrem Zweck gemäß - in klarer Linienführung ohne schmückendes Beiwerk - gestaltete Gebrauchsform eingegangen ist. Maßgebend ist allein, ob der ästhetische Gehalt als solcher ausreicht, nicht nur von einer geschmacklichen, sondern einer künstlerischen Leistung zu sprechen (BGH GRUR 1995, 581 - Silberdistel; LG Hamburg, GRUR-RR 2009, 123 - Gartenstühle).
Bei der Prüfung, ob ein Werk der angewandten Kunst die erforderliche Individualität aufweist, müssen alle Formungselemente, die auf bekannte Vorbilder zurückgehen, ausscheiden, soweit nicht gerade in ihrer Kombination untereinander oder mit neuen Elementen eine schöpferische Leistung zu erblicken ist (BGH GRUR 1972, 38 - Vasenleuchter; GRUR 1979, 332 - Brombeerleuchte). Maßgeblich bleibt jedoch der ästhetische Gesamteindruck. Denn abweichend vom Geschmacksmusterschutz kommt es für die Zubilligung von Urheberrechtsschutz nicht auf die Neuheit der Gestaltung an, sondern allein darauf, dass die fragliche Formgestaltung eine für den Urheberrechtsschutz hinreichende eigenschöpferische Prägung aufweist. Eine eigenschöpferische Prägung wird aber noch nicht ohne Weiteres deshalb ausgeschlossen, weil sich ein Werk am vorbekannten Formenschatz orientiert bzw. sich an diesen anlehnt und darauf aufbaut (BGH a.a.O.).
50bb) Unter Berücksichtigung dieser Maßstäbe ist zunächst durch Vergleich mit dem vorbekannten Formenschatz die eigenschöpferische, individuelle Leistung zu ermitteln, dann ist zu prüfen, ob deren Gestaltungshöhe für Urheberschutz ausreicht.
Die Klägerin meint, der maßgebliche Gesamteindruck ihrer Karaffe werde im Wesentlichen durch
- den kugelförmigen Korpus,
- die halbkreisförmige Einwölbung auf der Unterseite des Bodens,
- den konisch verlaufenden Hals sowie
- das abgeschrägte obere Ende des Halses
geprägt. Diese Ausdrucksformen fänden sich im gesamten vorbekannten Formenschatz nicht. Dem vermag der Senat nicht zu folgen. Jedenfalls einzelne dieser Gestaltungselemente gehören zum vorbekannten Formenschatz. Die Beklagte hat sich in ihrem erstinstanzlichen Schriftsatz vom 12. Dezember 2007 (GA 85) mit dem vorbekannten Formenschatz auseinander gesetzt und Entgegenhaltungen vorgelegt. Daraus ergibt sich, dass zum vorbekannten Formenschatz eine Reihe von Karaffen mit rundem Korpus und zylinder- oder kegelförmigem Hals gehören (Anlagen B1 = GA 90; 106; B2 = GA 91, 115; B 3 = GA 92, 116; B 6 = GA 121). Diese Abbildungen zeigen im wesentlichen Karaffen mit einem rundlichen Korpus und einem aufstehenden Karaffenhals, der sich bei einigen Modellen (B1, B2, B6) auch nach oben verbreitert. Darüber hinaus hat die Beklagte eine Reihe von Modellen aufgezeigt, die eine abgeschrägte Öffnung des Karaffenhalses aufweisen (Ss. v. 12.12.2007, S.10 = GA 94).
Soweit die Klägerin bestritten hat, dass die €angeblich römischen, böhmischen und lothringischen Karaffen tatsächlich aus den angegebenen Zeiträumen stammen€ (Replik v. 2.6.2008, S. 7 = GA 176), ist ihr Bestreiten pauschal und unbeachtlich. Entscheidend ist nicht, ob die angegebenen Zeiträume exakt stimmen, sondern ob es sich um vorbekannte Karaffenmodelle handelt. Daran kann indes kein ernsthafter Zweifel bestehen, zumal die Beklagte die jeweiligen Internetseiten mit entsprechenden Angeboten vorgelegt hat, auf denen sich auch Angaben zu den Epochen finden, aus denen die abgebildeten Modelle stammen.
Vor diesem Hintergrund hätte die Klägerin näher vortragen müssen, warum sie meint, dass die angegebenen Zeiträume unzutreffend und alle angeführten Modelle erst nach dem Modell der Klägerin bekannt geworden seien.
Hinsichtlich der Anlage B 6 bestreitet die Klägerin, dass diese Form einer Karaffe von dem Designer namens C entworfen wurde und dieser die als Anlage B 6 vorgelegte französische Geschmacksmusteranmeldung eingereicht habe. Damit bestreitet die Klägerin aber ersichtlich nicht, dass das Karaffenmodell zum vorbekannten Formenschatz gehört. Im Übrigen vermag der Senat auch aus eigener Sachkunde zu beurteilen, dass sämtliche als Entgegenhaltungen aufgezeigten Karaffen zum klassischen und damit vorbekannten Formenschatz zählen.
Der Klägerin ist allerdings einzuräumen, dass keine der Entgegenhaltungen eine mit dem Klagemodell in allen Einzelheiten vergleichbare oder vollständig übereinstimmende Anmutung aufweist. Eine individuelle Prägung erhält das Klagemodell danach im Wesentlichen durch eine Kombination und Abwandlung vorbekannter Formelemente, während neu allein die Einwölbung am Karaffenboden erscheint, welche in ähnlicher Form von Wein- und Sektflaschen bekannt ist.
57cc) Gleichwohl kann der Karaffe €A€ - jedenfalls in der Version mit einem mittig auf den kugelrunden Korpus aufgesetzten Karaffenhals - die für die Zubilligung von Urheberrechtsschutz erforderliche Gestaltungshöhe nicht zuerkannt werden.
Einem Urheberrechtsschutz stünde zwar nicht notwendig entgegen, dass die einzelnen Gestaltungselemente technisch bedingt sind. Selbst wenn dies - wie die Beklagte behauptet - zuträfe, ist zu berücksichtigen, dass sich die künstlerische Gestaltung auch auf die Integration technischer Anforderungen in den ästhetischen Bereich beziehen kann. Wie die Vielzahl anders gestalteter Karaffen belegt, wäre es aus technischen Gründen keineswegs erforderlich, Karaffenkorpus und -ausguss exakt so zu gestalten wie beim Klagemodell.
Andererseits ist bei der Prüfung der erforderlichen Schöpfungshöhe auch zu berücksichtigen, dass sich künstlerische Individualität nicht oder nur begrenzt entfalten kann, wo eine bestimmte Formgebung durch den Gebrauchszweck oder aufgrund technischer Gegebenheiten vorgegeben ist (Schricker/Loewenheim, UrhG, 3. Aufl. § 2 Rn. 160).
Letztlich beruht die konkrete Gestaltung auf einer Kombination weniger, von klassischen Modellen vorbekannten Gestaltungselementen, für die an sich auch eine technische Notwendigkeit besteht, nämlich einem (runden) Korpus zur Aufnahme von Flüssigkeit und einem Karaffenhals, der ein möglichst bequemes und sicheres Ausschenken ermöglicht. Darüber hinaus besteht auch für die Wölbung am Boden ein technischer Grund, nämlich dass die Karaffe beim Ausschenken sicherer gehalten werden kann, indem der Daumen in die Wölbung greift und der Korpus von vier Fingern umfasst werden kann.
Nach allem hat der Designer der Karaffe €A€ zwar eine neuartig und durchaus ästhetisch anmutende Wirkung erreicht, die über das durchschnittliche handwerkliche Können hinausgeht. Im Vordergrund steht gleichwohl der Gebrauchszweck und nicht die für den Urheberrechtsschutz allein maßgebliche Sinnesanregung (OLG Köln, GRUR 1986, 889 - ARD -1).
Damit erreicht die Karaffe nicht einen solchen Grad von ästhetischem Gehalt, dass nach Auffassung der für Kunst empfänglichen und mit Kunstanschauungen einigermaßen vertrauten Kreise von einer künstlerischen Leistung gesprochen werden kann.
Sonstige Indizien, die eine andere Beurteilung rechtfertigen könnten, sind nicht vorhanden. Die Karaffe ist bislang weder von der Fachwelt in besonderer Weise - etwa durch Aufnahme in Museen oder Bücher - zur Kenntnis genommen worden, noch hat sich die Klägerin auf besondere, außergewöhnliche Verkaufserfolge berufen (zu diesen Gesichtspunkten vgl. Dreier/Schulze a.a.O. § 2 Rn. 61 ff.).
dd) Der Senat ist zu dieser Beurteilung ohne sachverständige Hilfe in der Lage. Der vorbekannte Formenschatz ist ausreichend bekannt. Weitere Tatsachen sind für die Beurteilung des Werkcharakters nicht erforderlich. Allein für die auf einer Wertung beruhende Frage, ob die erforderliche Schöpfungshöhe erreicht wird, bedarf es vor diesem Hintergrund keines Sachverständigenbeweises. Der Tatrichter kann die Schöpfungshöhe in aller Regel aus eigener Sachkunde beurteilen (BGH GRUR 2008, 984 - St. Gottfried).
ee) Die von dem Prozessbevollmächtigten der Klägerin vorgelegte Entscheidung des OLG Köln (Urteil v. 14.10.2009 - 6 U 115/09 = MIR 02, 2010) steht diesem Ergebnis nicht entgegen. Der dort bejahte Urheberrechtsschutz für die Kombination eines Fußballs mit einem Weißbierglas beruht auf Umständen, die hier gerade nicht vorliegen, nämlich der €Verbindung an sich optisch gegensätzlicher Elemente zu einem ästhetischen Gesamtbild€. Ausdrücklich heißt es in jener Entscheidung, das Glas vermittele damit einen Gesamteindruck, bei dem seine Funktion als Trinkgefäß zwar nicht zu verkennen sei, im Vordergrund stehe aber nicht die Benutzbarkeit des Glases, sondern es sei zum Betrachten bestimmt und spreche das ästhetische Empfinden des Betrachters an. Darin liegt der entscheidende Unterschied. Denn bei dem Klagemodell bleibt trotz seiner ästhetischen Gestaltung der Gebrauchszweck im Vordergrund, weil es sich um eine, wenngleich ästhetisch ansprechende, so doch Kombination vorbekannter und technisch vorgegebener Elemente handelt, die zu nahe am vorbekannten Formenschatz liegt, um den Gebrauchszweck hinter einer maßgeblichen Sinnesanregung zurücktreten zu lassen.
ff) Der Senat sieht sich an dieser Beurteilung auch nicht deshalb gehindert, weil unter Berücksichtigung der Regelungen der Gemeinschaftsgeschmacksmusterverordnung und des deutschen Geschmacksmustergesetzes vom 12.3.2004 auch für den Bereich der angewandten Kunst die kleine Münze für schutzfähig zu erachten sei. Zwar wird diese Frage im Schrifttum zunehmend vertreten (vgl. nur Löwenheim a.a.O. § 2 Rdnr. 158 und die dortigen zahlreichen Nachweise; offen gelassen bei LG Hamburg, GRUR - RR 2009, 123 - Gartenstühle).
Die Rechtsprechung hat dessen ungeachtet bislang an den höheren Anforderungen an die Schutzfähigkeit von Werken der angewandten Kunst festgehalten (vgl. gerade auch das vorstehend erwähnte Urteil des OLG Köln a.a.O.).Sie werden auch nicht durch einen einheitlichen europäischen Werkbegriff mit einheitlicher Schutzuntergrenze (so Loewenheim a.a.O.) in Frage gestellt.
Auch die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs schließt es nicht aus, dass für bestimmte Werkarten höhere Anforderungen gestellt werden (EuGH, Urteil v. 16.7.2009, - C 5/08 - Infopaq/DDF m. Anm. v. Schulze, GRUR 2009, 1019). Dafür spricht, dass auch das europäische Recht keine einheitliche Schutzuntergrenze für alle Werkarten kennt. Bei Werken der angewandten Kunst ist die Festlegung der Gestaltungshöhe, die für einen urheberrechtlichen Schutz von Mustern erforderlich ist, nach Art. 17 Satz 2 der Geschmacksmusterrichtlinie den Mitgliedstaaten überlassen (so auch von Ungern-Sternberg, GRUR 2010, 273).
gg) Selbst wenn man die urheberrechtliche Schutzfähigkeit der Karaffe anders beurteilen wollte, würde das angegriffene Modell dessen Schutzbereich nicht verletzen, weil die Karaffe ihren besonderen ästhetischen Gehalt, der eine Schutzfähigkeit begründen könnte, in Verbindung mit dem Sockel erzielt, der mittels einer Ausstülpung eine Schrägstellung der Karaffe bewirkt, so dass die Karaffe, obwohl sie über einen gerade nach oben verlaufenden Ausguss verfügt, den Anschein eines schräg verlaufenden Ausgusses erweckt, wenn sie auf dem Sockel aufgestellt wird. Da diese Positionierung, in der die Klägerin die Karaffe auch auf der Umverpackung darstellt, von dem angegriffenen Modell nicht aufgegriffen wird, bleibt der jeweilige Gesamteindruck beider Modelle hinreichend unterscheidbar, so dass nicht von einer unfreien Bearbeitung auszugehen wäre.
hh) Ob die urheberrechtliche Schutzfähigkeit des Karaffenmodells, bei dem der Karaffenhals nicht mittig auf dem Korpus aufgesetzt ist, sondern schräg nach oben verläuft, anders zu beurteilen wäre, kann dahin gestellt bleiben, nachdem der Prozessbevollmächtigte der Klägerin Urheberrechtsschutz ausdrücklich für das im Verhandlungstermin überreichte Modell mit dem mittig aufgesetzten, gerade nach oben verlaufenden Flaschenausguss beansprucht hat. Selbst wenn man aber für die andere Variante der Karaffe Urheberschutz zubilligen würde, könnte dies dem Unterlassungsantrag der Klägerin nicht zum Erfolg verhelfen, weil die Anmutung des Verletzermodells eine völlig andere ist, so dass nicht von einer unfreien Bearbeitung auszugehen wäre.
b) Die Klage ist auch nicht wegen geschmacksmusterrechtlicher Ansprüche begründet. Der Zivilsenat des Oberlandesgerichts hat im Voraus ergangenen Eilverfahren hierzu ausgeführt (GRUR - RR 2008, 333):
aa) Das Geschmacksmuster €1-0001 zeigt sieben verschiedene Ansichten einer Karaffe nebst Sockel, wobei auf den Ansichten 1.1 - 1.4 die Karaffe mit dem Sockel zusammen abgebildet ist, während auf den Ansichten 1.5 - 1.7 die Karaffe allein wiedergegeben ist. Danach bezieht sich der Schutz dieses Geschmacksmusters auf die in den Einzeldarstellungen 1.1 - 1.4 wiedergegebene Kombination aus Karaffe und Sockel, wobei die Einzeldarstellungen 1.5 - 1.7 die Gestaltung der Karaffe weiter verdeutlichen, ohne jedoch einen eigenständigen Schutz für die Karaffe isoliert zu begründen.
Wählt der Geschmacksmusterinhaber eine solche Form der Anmeldung, sind die eingetragenen Einzeldarstellungen rechtlich als einheitliche Erscheinungsform desjenigen Erzeugnisses oder Erzeugnisteiles anzusehen, für die Geschmacksmusterschutz beansprucht wird. Insbesondere führen Abweichungen der Einzeldarstellungen voneinander nicht zu einer Vermehrung der Schutzgegenstände, sondern müssen bei der Bestimmung des Schutzgegenstandes außer Betracht bleiben. Es besteht auch nach Auffassung des Senats kein Grund, diese zum früheren deutschen Geschmacksmusterrecht anerkannten Grundsätze (BGH WRP 2001, 946 - Sitz-Liegemöbel) nicht auch auf das Gemeinschaftsgeschmacksmuster anzuwenden.
Ein solcher Kombinationsschutz ist grundsätzlich möglich, soweit körperlich unverbundene Einzelgegenstände ästhetisch aufeinander abgestimmt sind und in einem funktionalen Zusammenhang stehen (Ruhl, Gemeinschaftsgeschmacks-muster, Art. 3, Rn. 26 m.w.N.).
Ausgehend von dem so zu bestimmenden Schutzgegenstand des Klagemusters erweckt die beanstandete Karaffe beim informierten Benutzer einen anderen Gesamteindruck, denn der Gesamteindruck des Kombinationsmusters wird maßgeblich auch von dem Sockel mitbestimmt, auf den die Beklagte bei dem angegriffenen Modell gänzlich verzichtet.
bb) Die Klägerin kann auf der Grundlage des Musters €1-0001 keinen isolierten Schutz für die dort abgebildete Karaffe in Anspruch nehmen. Dem Wortlaut der Geschmacksmusterverordnung lässt sich kein Anhalt dafür entnehmen, dass auch für Teile oder Elemente eines eingetragenen Musters isolierter Schutz beansprucht werden könnte. Dafür besteht auch kein Bedürfnis mehr, da durch Art. 3 a) GGV klargestellt ist, dass - abweichend vom früheren deutschen Geschmacksmusterrecht - Teile eines Erzeugnisses bereits als solche Gegenstand eines eigenständigen Geschmacksmusters sein können. Unter diesen Umständen kann und muss im Interesse der Rechtssicherheit vom Anmelder verlangt werden, bereits bei der Anmeldung unzweifelhaft klarzustellen, wofür Musterschutz beansprucht wird. So hätte es die Klägerin in der Hand gehabt, die Karaffe allein zum Gegenstand einer Geschmacksmusteranmeldung zu machen.
cc) Ob das Geschmacksmuster €2-0001 im Hinblick darauf, dass dort ein Sockel lediglich in zwei von insgesamt sieben Ansichten dargestellt wird, eine andere Beurteilung rechtfertigt, kann dahingestellt bleiben. Denn selbst wenn insoweit ein isolierter Musterschutz der dargestellten Karaffe angenommen würde, verletzt die beanstandete Karaffe das Muster nicht, weil die sich insoweit gegenüberstehenden Karaffen auch bei isolierter Betrachtung beim informierten Benutzer nicht den gleichen Gesamteindruck erwecken (Art. 10 Abs. 1 GGV).
78Der ästhetische Gesamteindruck der im Klagemuster wiedergegebenen Karaffe wird nicht allein durch den kugelförmigen Behälter und den schlanken, sich nach unten verjüngenden Ausguss geprägt. Ein besonderer gestalterischer Akzent wird bei der Karaffe auch dadurch gesetzt, dass der Ausguss nicht, - wie es dem informierten Betrachter als Gestaltungsmerkmal von Karaffen geläufig ist - in der Mitte des Behälters, sondern leicht seitlich versetzt angeordnet ist mit der Folge, dass der Ausguss der stehenden Karaffe nicht gerade, sondern schräg nach oben verläuft. Dieses für den Gesamteindruck wichtige Gestaltungsmerkmal, weist die beanstandete Karaffe, bei der der Ausguss mittig auf den Behälter aufgesetzt ist, gerade nicht auf. Dieser Umstand reicht, um die beanstandete Form aus dem Schutzbereich des Musters herauszuführen (so schon OLG Frankfurt, GRUR-RR 2008, 333). Dieser Auffassung folgt der erkennende Senat.
c) Der Klägerin steht ein Unterlassungsanspruch auch nicht unter wettbewerbsrechtlichen Gesichtspunkten zu.
80aa) Ein Anspruch unter dem Gesichtspunkt der vermeidbaren Herkunftstäuschung scheidet aus (§ 4 Nr. 9a UWG). Der ergänzende wettbewerbsrechtliche Leistungsschutz hat nicht nur zur Voraussetzung, dass das nachgeahmte Erzeugnis wettbewerbliche Eigenart besitzt. Erforderlich ist auch, dass das Erzeugnis bei den maßgeblichen Verkehrskreisen eine gewisse Bekanntheit erreicht hat, da eine Herkunftstäuschung in aller Regel bereits begrifflich nicht möglich ist, wenn dem Verkehr nicht bekannt ist, dass es ein Original gibt (BGH WRP 2005, 878 -Handtuchklemmen). Im vorliegenden Fall fehlt es schon an der erforderlichen Verkehrsbekanntheit, weil die Klägerin nach ihrem eigenen Vortrag bislang lediglich 635 Stück von dem Klagemodell im Inland abgesetzt hat. Darüber hinaus hat die Klägerin vorgetragen, sie vertreibe die Karaffe ausschließlich an Hersteller von Weinen und nicht an Endverbraucher. Demgegenüber wendet sich die Beklagte an den privaten Endabnehmer. Auch dieser Unterschied in den jeweils angesprochenen Verkehrskreisen spricht gegen die Gefahr einer Herkunftstäuschung, die ausnahmsweise auch vorliegen kann, wenn Original und Nachahmung nebeneinander vertrieben werden, so dass der Verkehr beides unmittelbar miteinander vergleichen kann. Darüber hinaus werden beide Karaffen - wie die dem Senat in der mündlichen Verhandlung überreichten Exemplare zeigen - in aufwendigen Umverpackungen vertrieben, die deutliche und unterscheidbare Hinweise auf die Herkunft des Produktes enthalten. Schließlich scheidet eine Herkunftstäuschung auch deshalb aus, weil die Karaffe der Klägerin mit einem Untersetzer vertrieben wird und sich schon deshalb deutlich von dem angegriffenen Modell unterscheidet. Nach dem Vortrag der Parteien ist nichts dafür ersichtlich, dass das Klagemodell auch ohne solche Umverpackungen und ohne Sockel vertrieben wird.
bb) Da die von der Klägerin vertriebene Karaffe im Inland über keinen nennenswerten Bekanntheitsgrad verfügt, fehlt auch für den Vorwurf der Rufausbeutung die Grundlage (§ 4 Nr. 9 b). Die Berufung trägt zu den Voraussetzungen einer Rufausbeutung im konkreten Fall nichts vor. Soweit sie den Werbeaufwand der Klägerin für die Karaffe darlegt, ist festzustellen, dass Werbung offenbar nur in ausländischen Zeitschriften betrieben worden ist, so dass es auch insoweit an dem für eine Rufausbeutung erforderlichen Bekanntheitsgrad fehlt.
cc) Eben so wenig lässt sich nach dem Berufungsvortrag eine wettbewerbswidrige Behinderung feststellen. Beim Fehlen einer gewissen Bekanntheit kann zwar eine wettbewerbswidrige Behinderung in Betracht kommen (BGH a.a.O. - Handtuchklemmen). Eine unlautere Behinderung ist anzunehmen, wenn dem Schöpfer des Originals durch das Anbieten der Nachahmung die Möglichkeit genommen wird, sein Produkt auf dem Markt anzubieten. Davon kann hier schon deshalb keine Rede sein, weil sich die Klägerin nach ihrer Darstellung nur an einen besonderen Abnehmerkreis - Wein- und Spirituosenhersteller - wendet, und ihr Produkt durch den Sockel und den schräg aufgesetzten Ausguss so eigenständige Merkmale aufweist, dass das angegriffene Modell einer erfolgreichen Vermarktung nicht im Wege steht.
Da die Klägerin durch den Vertrieb der Karaffe €B€ nicht in ihren Rechten verletzt wird, steht ihr auch kein Schadensersatzanspruch und kein Anspruch auf Erstattung von Anwaltskosten zu.
B. Berufung der Beklagten
Das Landgericht hat ebenso im Ergebnis zu Recht die Widerklage abgewiesen. Auch die dagegen Berufung führt nicht zum Erfolg.
1. Die Widerklage ist zulässig.
Ein eingetragenes Gemeinschaftsgeschmacksmuster wird von einem Geschmacksmustergericht auf Widerklage im Verletzungsverfahren für nichtig erklärt (Art. 24 Abs. 1 GGVO).
Die ausschließliche Zuständigkeit der Gemeinschaftsgeschmacksmustergerichte folgt aus Art. 81 d GGVO. In Hessen ist aufgrund der VO v. 8.4.2005 (GVBl. I, 267) das LG Frankfurt Gemeinschaftsgeschmacksmustergericht für alle Landgerichtsbezirke. In der Berufungsinstanz bleibt es bei der Zuständigkeit des allgemein zuständigen OLG.
2. Die Berufung ist unbegründet.
Ein Gemeinschaftsgeschmackmuster ist für nichtig zu erklären, wenn einer der in Art. 25 Abs. 1 a) - g) genannten Gründe vorliegt. Hier kommt als Nichtigkeitsgrund Art. 25 Abs. 1 b) in Betracht, wenn die Voraussetzungen der Art.5 (Neuheit) und 6 (Eigenart) nicht erfüllt sind. Das hat das LG zutreffend verneint.
a) Die Berufung rügt ohne Erfolg, das LG habe sich nicht ausreichend mit dem vorbekannten Formenschatz auseinandergesetzt und nicht beachtet, dass der Gesamteindruck von diesem hinreichend weit entfernt sein müsse. Es habe verkannt, dass der Gesamteindruck der beiden Klagemuster praktisch identisch sei. Angebliche Unterschiede seien rein technisch bedingt, so dass sie bei dem Vergleich des Gesamteindrucks nicht zu berücksichtigen seien. Das (prioritätsältere) Geschmacksmuster €2-0001 (GA 40 f) vermittele keinen deutlich anderen Gesamteindruck als einige Karaffen, die zum vorbekannten Formenschatz gehörten.
b) Ein eingetragenes Gemeinschaftsgeschmacksmuster hat nach Art. 6 Abs. 1 Nr. 2 GGV Eigenart, wenn sich der Gesamteindruck, den es beim informierten Benutzer hervorruft, von dem Gesamteindruck unterscheidet, den ein anderes, das heißt jedes andere Muster, hervorruft. Dabei ist für die Feststellung der Eigenart weder eine bestimmte Gestaltungshöhe erforderlich, noch muss das Muster zwingend einen ästhetischen Gehalt aufweisen. Für den Vergleich gilt weiter, dass es sich bei der Eigenart um eine variable Größe handelt, welche durch die Musterdichte innerhalb der Erzeugnisklasse bestimmt wird, der das Geschmacksmuster angehört (OLG Frankfurt, GRUR - RR 09, 16 - juris). Je höher die Musterdichte in einer bestimmten Erzeugnisklasse ist, desto geringere Anforderungen sind an die Unterscheidbarkeit zu stellen und umgekehrt (Kotschial, GRUR-Int 2003, 973). Dabei hat der informierte Betrachter bei seinen Vergleichsbetrachtungen jede Gestaltung aus dem vorbekannten Formenschatz, die der Eigenart des Geschmacksmusters entgegenstehen könnte, in unmittelbarem zeitlichen und räumlichen Zusammenhang bei der bestimmungsgemäßen Verwendung der Erzeugnisse in einen Einzelvergleich einzubeziehen (OLG Frankfurt a.a.O.).
aa) Nach der zutreffenden Einschätzung des Landgerichts im Anschluss an die Entscheidung des 6. Zivilsenats im Eilverfahren (a.a.O.) ist der Gestaltungsspielraum für Weinkaraffen nicht als besonders hoch einzuschätzen, so dass von einer entsprechend hohen Musterdichte auszugehen ist, was zur Folge hat, dass die Anforderungen an die Unterscheidbarkeit eher geringer sind.
Die Beklagte hat zwar in erster Instanz eine Reihe von Entgegenhaltungen vorgelegt, die belegen sollen, dass die Gestaltung mit einem kugelförmigen Gefäßkorpus und einem schmalen, langgezogen Karaffenhals mit abgeschrägter oberer Öffnung vorbekannt war (GA 89 ff.). Dem ist aber nur im Ansatz zuzustimmen. Wie bereits oben unter A. dargelegt, ist entscheidend, dass durch die neuartige Kombination einzelner vorbekannter Gestaltungselemente eine Anmutung des Klagemusters entsteht, die in dieser Form im vorbekannten Formenschatz nicht aufgezeigt worden ist.
bb) Soweit die Beklagte als den Gesamteindruck prägend nur den Sockel, den vergleichsweise schmalen Karaffenausguss und die Abschrägung der oberen Öffnung anerkennen will, aber meint, diese Merkmale seien technisch bedingt und dürften bei der Beurteilung der Eigenart daher nicht berücksichtigt werden, ist dem nicht zu folgen.
Ein Merkmal ist dann nicht im Sinne des Art. 8 Abs. 1 GGV ausschließlich durch die technische Funktion bedingt, wenn eine gangbare Designalternative zu ihm existiert, mit der das Erzeugnis seine Funktion in technischer Hinsicht in zumindest gleicher Weise erfüllt (Ruhl, a.a.O. Art. 8 Rn. 18). So liegt der Fall hier, wie die Zahl der unterschiedlich gestalteten Dekantierkaraffen beweist, die trotz unterschiedlicher Ausgestaltung im Detail alle die gleiche Funktion erfüllen.
b) Auch das prioritätsjüngere Geschmacksmuster €1-0001 besitzt Eigenart und Neuheit und wird nicht durch das prioritätsältere Geschmacksmuster €2-0001 der Klägerin vorweggenommen werden. Dabei ist davon auszugehen, dass das zuerst eingetragene Muster bei Eintragung des späteren Musters grds. zum vorbekannten Formenschatz gehört und ebenfalls in den Gesamtvergleich einzubeziehen ist.
aa) Zutreffend hat das Landgericht indes darauf abgestellt, dass die in den jeweiligen Mustern dargestellte Karaffenform so wesentliche Unterschiede aufweist, dass ein hinreichender Abstand auch zu bejahen wäre, wenn der Sockel die Neuheit und Eigenart nicht begründen könnte, weil bereits das prioritätsältere Geschmacksmuster eine Karaffe mit Sockel unter Schutz stellt. Unstreitig stellt das prioritätsältere Geschmacksmuster nämlich eine Karaffe dar, deren Ausguss nicht mittig auf den kugelförmigen Korpus aufgesetzt ist, sondern seitlich versetzt ist und schräg nach oben verläuft. Demgegenüber zeigt das prioritätsjüngere Geschmacksmuster eine Karaffe, deren Ausguss - wie üblich - mittig auf den kugelförmigen Korpus gesetzt ist, die indes auf einem Sockel steht, der eine konkave Wölbung zur Aufnahme des kugelförmigen Korpus aufweist, in welcher sich seitlich versetzt am Rand der konkaven Wölbung eine konvexe Ausstülpung findet, die in die Wölbung des Karaffenbodens passt, so dass der Karaffenausguss, wenn diese hier aufgesetzt wird, eine schräge Position einnimmt. Hierdurch gewinnt das spätere Muster gegenüber dem älteren ausreichende Neuheit und Eigenart.
bb) Auf die von dem Prozessbevollmächtigten der Beklagten in seinem Schriftsatz vom 31.5.2010 vertretene Auffassung, der Anmelder selbst könne sich gegenüber einer eigenen Voranmeldung nicht auf die Neuheitenschonfrist ( § 7 Abs. 2 b) GVG) berufen, kommt es nach allem nicht an.
C) Da der Schriftsatz der Beklagten vom 20.4.2010 keine neuen Tatsachen enthält, die der Senat bei der Entscheidung berücksichtigt hat, bestand für einen Schriftsatznachlass, den der Prozessbevollmächtigte der Klägerin vorsorglich beantragt hat, kein Anlass. Ebenso war dem Vertreter der Beklagten keine Gelegenheit zu neuem Vortrag in Bezug auf die Gestaltung des Klagemodells und den Formenschatz zu geben. In der mündlichen Verhandlung sind gegenüber dem bisherigen schriftsätzlichen Vortrag keine neuen Tatsachen vorgetragen worden, die einen Schriftsatznachlass erfordert hätten.
Die Nebenentscheidungen beruhen auf §§ 92 Abs. 1, 708 Nr. 10, 711 ZPO.
Die Revision war nicht zuzulassen, weil die Entscheidung auf einer Anwendung anerkannter Rechtsgrundsätze auf den Einzelfall beruht.
OLG Frankfurt am Main:
Urteil v. 08.06.2010
Az: 11 U 52/09
Link zum Urteil:
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