Bundespatentgericht:
Beschluss vom 28. Juli 2005
Aktenzeichen: 17 W (pat) 43/03

(BPatG: Beschluss v. 28.07.2005, Az.: 17 W (pat) 43/03)

Tenor

Die Beschwerde wird zurückgewiesen.

Gründe

I.

Die vorliegende Patentanmeldung mit der Bezeichnung

"Arbeitsweise und Einsatz eines speziellen Standard-Dateneingangs-/Datenausgangsprozessors"

ist am 5. Mai 2001 beim Deutschen Patent- und Markenamt eingereicht worden.

Sie wurde von der Prüfungsstelle für Klasse G 06 F des Deutschen Patent- und Markenamts durch Beschluss vom 28. Januar 2003 mit der Begründung zurückgewiesen, dass der einzige Patentanspruch keine nacharbeitbare Lehre zum technischen Handeln gebe.

Gegen diesen Beschluss wendet sich die Beschwerde des Anmelders.

Er beantragt im Beschwerdeschriftsatz vom 12. Februar 2003 sinngemäß, den angegriffenen Beschluss aufzuheben und das nachgesuchte Patent zu erteilen;

fernerdie Rückzahlung der Beschwerdegebühr.

Der unverändert geltende Patentanspruch 1, hier mit einer denkbaren Gliederung versehen, lautet:

"Ein Spezialprozessor dadurch gekennzeichnet, dass er

(a) ohne Verlust an Übertragungsgeschwindigkeit

(b) mit einem von rund 7,3585 * 101013 möglichen Schlüsseln

(c) ein- und ausgehende Daten ent- bzw. verschlüsseln kann, indem er jedes Zeichen nach einer Tabelle ersetzt

(d) und jeweils 256 Zeichen nach einer zweiten Tabelle vertauscht,

(e) nach dem Entschlüsseln wieder die ursprüngliche Länge der Daten herstellt,

(f) den Zugriff auf die Datenbank der Schlüssel nur zur Erledigung seiner Aufgaben ausführt und sonst keinen Zugriff auf diese Datenbank ermöglicht, und

(g) zum Entschlüsseln selbst in der Lage ist, aus den Tabellen für die Verschlüsselung während des Ladens aus der Datenbank Tabellen zur Entschlüsselung zu erzeugen."

Dem Gegenstand dieses Patentanspruchs soll die Aufgabe zugrunde liegen, Daten grundsätzlich nur verschlüsselt durch die Leitungen zu senden und damit einen unberechtigten Zugang zumindest deutlich zu erschweren, sowie die Schlüssel physisch von allen übrigen Daten zu trennen (vgl. Beschreibung Seite 1 Absatz 4).

Zur Begründung seiner Beschwerde führt der Anmelder im Beschwerdeschriftsatz aus, dass die vorliegende Anmeldung auf seine gleichzeitig eingereichte Anmeldung 101 21 867.2-31 (im folgenden: "Parallelanmeldung") Bezug nehme, deren Prüfungsergebnis Voraussetzung für eine sinnvolle Prüfung seiner vorliegenden Anmeldung sei und - sinngemäß - hätte abgewartet werden müssen; insofern liege ein erheblicher Bearbeitungsmangel vor. In der Offenlegungsschrift zu 101 21 867.2-31 seien alle erforderlichen Details enthalten. Ferner gehe der Aufbau des beanspruchten Prozessors aus der (einzigen) Zeichnung hervor.

Zum Termin der mündlichen Verhandlung ist der Anmelder, wie angekündigt, nicht erschienen.

II.

Die Beschwerde ist rechtzeitig erhoben und auch im Übrigen zulässig. In der Sache hat sie keinen Erfolg, da der als Erfindung beanspruchte Gegenstand in der Anmeldung nicht so deutlich und vollständig offenbart ist, dass ein Fachmann ihn ausführen kann (PatG § 34 Abs. 4).

1. Der Offenbarungsgehalt der Parallelanmeldung 101 21 867.2-31 ist nicht Teil der Offenbarung der vorliegenden Anmeldung.

Grundsätzlich ist anerkannt, dass sich der Inhalt eines fremden Dokumentes in den Offenbarungsgehalt einer Anmeldung - unter bestimmten Bedingungen - mit aufnehmen lässt (vgl. BPatG Mitt 1985, 153). Dies setzt jedoch eine ausdrückliche Bezugnahme voraus, aus der hervorgeht, was genau aus dem fremden Dokument als wesentlich für die beanspruchte Erfindung angesehen wird (vgl. BPatGE 31, 204-207: "Bei einer Bezugnahme auf eine zuvor eingereichte Patentanmeldung ... gehört der Inhalt ... dann nicht in vollem Umfang zur Anmeldung, wenn ersichtlich nur auf einen bestimmten Teilinhalt Wert gelegt wurde."). In der vorliegenden Anmeldung befindet sich lediglich in Absatz [0006] der Offenlegungsschrift ein Bezug derart, dass sie den "nachfolgend beschriebenen Teil der Erkenntnisse aus der Erfindung ... " (der Parallelanmeldung) nutze, woraufhin vier konkrete Punkte aufgezählt und erläutert werden. Eine derartige Formulierung ist abschließend, sie lässt nicht zu, dass ein über das in der Anmeldung konkret Zitierte hinausgehender Inhalt der Parallelanmeldung als erfindungswesentlich offenbart zu betrachten wäre.

Somit kann der Offenbarungsgehalt der Parallelanmeldung 101 21 867.2-31 nicht zur Erläuterung der vorliegenden Anmeldung herangezogen werden.

2. In der Anmeldung ist eine Lehre/Erfindung nicht so vollständig offenbart, dass sie für den Fachmann am Anmeldetag nacharbeitbar gewesen wäre.

Der (einzige) Patentanspruch ist auf einen "Spezialprozessor" gerichtet. Konkrete Vorrichtungsmerkmale eines Spezialprozessors sind aber nicht beansprucht und in der Anmeldung nur bruchstückhaft (z.B. Offenlegungsschrift [0013] "Jeweils zwei Datenpuffer...") beschrieben. Im Übrigen erschöpft sich der Patentanspruch in einer - teilweise unklaren - funktionellen Beschreibung des zugrundeliegenden Kryptographieverfahrens, auch die einzige Figur wird i.w. nur funktional erläutert. Funktionelle Umschreibungen von Vorrichtungsmerkmalen sind zwar grundsätzlich zulässig, aber nur insoweit, als aus ihnen die konkrete Struktur des beanspruchten Spezialprozessors erkennbar wird. Daran fehlt es hier.

Als zuständiger Fachmann ist ein Entwicklungsingenieur für elektronische Bausteine mit Fachhochschulausbildung anzusehen, der einen Kryptographen als Fachmann für die beabsichtigte Verschlüsselungsfunktion hinzuziehen wird.

Beim Versuch, die Lehre der Anmeldung zu realisieren, wird dieser Fachmann auf zumindest drei grundsätzliche Problemstellungen stoßen, für deren Lösung er keine Hinweise in der ursprünglichen Offenbarung findet:

2.1 Gemäß Merkmal (a) soll der Spezialprozessor die Ent- bzw. Verschlüsselung "ohne Verlust an Übertragungsgeschwindigkeit" durchführen. Entsprechend den Merkmalen (c) und (d) erfolgt die Ent- bzw. Verschlüsselung in zwei aufeinanderfolgenden, d.h. nacheinander zu bearbeitenden Schritten. Diese werden beide eine gewisse Zeitspanne benötigen und somit die Übertragungsgeschwindigkeit zwangsläufig verringern. Irgendeine konkrete Anleitung oder Anregung, wie die zwei Schritte "ohne Verlust an Übertragungsgeschwindigkeit" realisiert werden könnten, findet sich in der gesamten Anmeldung nicht. Insbesondere sind keine hinreichend konkreten Hinweise auf eine strukturelle Gestaltung des Spezialprozessors entnehmbar, die dies bewirken könnte.

2.2 Beansprucht ist gemäß Merkmal (f), dass der Spezialprozessor auf die Datenbank der Schlüssel einen Zugriff "nur zur Erledigung seiner Aufgaben" ausführen darf, ansonsten aber keinen Zugriff ermöglicht.

Diese "seine Aufgaben" werden aber nirgendwo genau definiert. Ebenso sind keine Maßnahmen offenbart, mit denen "ansonsten" ein Zugriff unterbunden wird. Über die Erledigung der Ver- und Entschlüsselung hinaus dürfte auch eine Schlüsselverwaltung notwendig sein (vgl. z.B. Offenlegungsschrift [0018]: Wenn ein Schlüssel verloren ging, muss der Eintrag in einer Datenbank gelöscht werden; ebenso dürfte es erforderlich sein, erstmalig oder für neue Nutzer Schlüssel abzuspeichern). Hierzu findet sich lediglich der Hinweis, dass "der Prozessor diese Tabellen über spezielle Leitungen zugeführt bekommt" (siehe Offenlegungsschrift [0009]). Es bleibt offen, inwieweit der Prozessor dafür eine Schreiberlaubnis haben soll, woran - falls ja - ein unerlaubter Zugriff erkennbar ist oder - falls der Prozessor diese Tabellen aus Sicherheitsgründen nicht verwalten darf - wie sonst das geschehen soll und wie dann die Sicherheit der Tabellen gewährleistet wird.

Darüber hinaus: Nachdem gemäß Offenlegungsschrift [0005] die Schlüssel physisch von allen übrigen Daten getrennt sein sollen, dürfte ein Versenden eines Schlüssels über das Datennetz nicht in Frage kommen. Das bedeutet aber, dass zur Ver- und zur Entschlüsselung identische Schlüssel jeweils an zwei verschiedenen Stellen gespeichert werden müssen. Der Fachmann findet ebenfalls keinen Hinweis, ob und wie der beanspruchte Spezialprozessor auszulegen ist, damit dies möglich wird.

2.3 Ziel der Anmeldung ist eine sichere Verschlüsselung der Daten. Dazu sollen gemäß Offenlegungsschrift [0006] Punkt 1 "zwei Tabellen aus jeweils 256 Werten ... in beliebiger Reihenfolge" als Schlüssel vorgesehen sein. Diese Maßnahme kann aber eine sichere Verschlüsselung nicht in jedem Fall gewährleisten. Denn "in beliebiger Reihenfolge" umfasst auch solche Tabellen, die ganz oder nahezu mit den Eingangsdaten identische Ausgangsdaten erzeugen. Die Anzahl solcher unbrauchbarer Verschlüsselungstabellen ist größer als es zunächst scheint: Übliche zu verschlüsselnde Texte enthalten lediglich rund 80 benutzte Zeichen (26 Klein- und 26 Großbuchstaben, 10 Ziffern und 10 - 20 Satzzeichen). Sämtliche Tabellen, welche veränderte Kombinationen nur der übrigen 256 - 80 = 176 Zeichen enthalten, außerdem diejenigen, die nur wenige der 80 benutzten Zeichen verändern, sind mehr oder weniger unbrauchbar. Offensichtlich ist die Qualität der Verschlüsselung - auch wenn nicht gleich ein identischer Text als verschlüsselter Text ausgegeben wird - für den Benutzer unkalkulierbar, es dürfte etliche Tabellenkombinationen geben, deren Kodierung relativ leicht zu brechen ist. Deswegen ist allein nach der Lehre der Anmeldung die zugrundeliegende Aufgabe, einen unberechtigten Zugang zu erschweren, nicht zuverlässig gelöst. (Vgl. auch BPatGE 41, 120 - 127, 2. Leitsatz: am fertigen Produkt - hier: dem Spezialprozessor - ist nicht erkennbar, ob die erfindungsgemäße Aufgabe im Einzelfall überhaupt gelöst ist.)

Zusammenfassend kann der Durchschnittsfachmann das angestrebte Ziel mit der in der Anmeldung offenbarten Lehre allein nicht erreichen. Besonders fehlen ihm konkrete Hinweise zum Aufbau des beanspruchten Spezialprozessors. Dadurch sind weitergehende Überlegungen erforderlich, die das übliche Maß fachmännischen Handelns übersteigen und ggf. sogar selbst erfinderische Qualität haben müssten. Deshalb ist eine Patentierung mangels nacharbeitbarer Lehre nicht möglich.

3. Die Ausführungen des Anmelders im Beschwerdeschriftsatz vom 12. Februar 2003 und in seiner E-Mail vom 5. Juli 2005 vermögen an dieser Beurteilung nichts zu ändern.

Zwar werden in beiden Eingaben weitergehende technische Details angegeben. Diese sind den ursprünglichen Unterlagen aber nicht oder zumindest nicht als erfindungswesentlich entnehmbar, somit können sie nicht berücksichtigt werden. Der Bezug auf die graphische Darstellung (Figur 1) hilft ebenfalls nicht weiter, da diese in der Anmeldung nur minimal erläutert ist. Insbesondere der Hinweis, "Schlüssel abzufangen, die keine oder nur wenig Änderungen an den Daten vornehmen" (E-Mail vom 5. Juli 2005, drittletzter Absatz), ist offensichtlich eine nachträgliche Ergänzung, die in der ursprünglichen Offenbarung keinerlei Stütze findet und im übrigen den Fachmann bei der Realisierung wiederum vor Probleme stellen würde, da nicht angegeben ist, wie die Qualität eines Schlüssels gemessen werden sollte.

Ob die Lehre der Anmeldung überhaupt auf technischem Gebiet liegt oder inwieweit sie für den Fachmann nahe lag, kann bei dieser Sachlage dahingestellt bleiben.

III.

Die Rückzahlung der Beschwerdegebühr war nicht anzuordnen. Eine Rückzahlung der Beschwerdegebühr kommt nach § 80 Abs. 3 PatG nur dann in Betracht, wenn dies der Billigkeit entspricht. Die Billigkeit der Rückzahlung kann sich u.a. aus der Sachbehandlung durch das Patentamt ergeben. Eine sachliche Fehlbeurteilung, ein Verfahrensfehler oder ein Verstoß gegen die Verfahrensökonomie (Schulte, PatG, 7. Aufl., § 80 Rdnr. 66 ff. mwN.) ist aber nicht ersichtlich. Die Prüfung der vorliegenden Anmeldung erfolgte zu Recht unabhängig von der Prüfung der Parallelanmeldung 101 21 867.2-31.

Eine Abhängigkeit vom Prüfungsergebnis einer anderen Patentanmeldung sieht das Patengesetz nur im Falle einer hier nicht vorliegenden Zusatzanmeldung (§ 16) vor. Davon abgesehen ist jede Patentanmeldung "für sich", unabhängig von anderen Anmeldungen zu prüfen. Eine Aussetzung (§ 148 ZPO) eines Prüfungsverfahrens käme nur in Betracht, falls der Ausgang eines zweiten Prüfungsverfahrens zwingende Voraussetzung für das erstere Verfahren ist; die bloße Möglichkeit sich widersprechender Entscheidungen rechtfertigt eine Aussetzung jedoch nicht, vgl. Schulte, aaO., Einleitung Rdn 118.

Da eine Zusatzanmeldung nicht vorliegt und eine zwingende Abhängigkeit vom Schicksal der Parallelanmeldung nicht besteht, gibt es keinen Grund, das Prüfungsergebnis in jener Anmeldung abzuwarten. Ein Bearbeitungsmangel hinsichtlich der vorgetragenen Abhängigkeit von der Parallelanmeldung liegt somit nicht vor.

Anderweitige Bearbeitungsmängel wurden nicht geltend gemacht und sind auch nicht ersichtlich.

Die Beschwerde war daher, wie aus der Beschlussformel ersichtlich, zurückzuweisen.

Dr. Fritsch Eder Prasch Baumgardt WA






BPatG:
Beschluss v. 28.07.2005
Az: 17 W (pat) 43/03


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