Bundespatentgericht:
Beschluss vom 11. Februar 2009
Aktenzeichen: 20 W (pat) 333/05

(BPatG: Beschluss v. 11.02.2009, Az.: 20 W (pat) 333/05)

Tenor

Das Patent 196 26 066 wird widerrufen.

Gründe

I.

Auf die am 28. Juni 1996 eingereichte Patentanmeldung hat das Deutsche Patentund Markenamt das Patent mit der Bezeichnung "Schaltung und Verfahren zum Darstellen von Rundfunkbzw. Fernsehprogramminformationen" erteilt. Das erteilte Patent umfasst 7 Patentansprüche. Die Patenterteilung wurde am 23. September 2004 im Patentblatt veröffentlicht.

Gegen das Patent hat die Einsprechende unter ihrer damaligen Firma, der I...GmbH & Co. KG in D... mit Schriftsatz vom 22. Dezember 2004 (eingegangen per Fax am 22. Dezember 2004) Einspruch nach § 59 PatG erhoben.

Der Einspruch stützt sich auf die im § 21 (1) Nr. 1 PatG angegebenen Gründe. Die Einsprechende ist der Auffassung, der angegriffene Patentgegenstand sei nicht mehr neu (§ 3 PatG) und beruhe gegenüber dem Stand der Technik auf keiner erfinderischen Tätigkeit nach § 4 PatG. Sie begründet dies mit folgendem Stand der Technik:

D1 DE3935294A1 Mit Eingabe vom 8. August 2005 macht die Einsprechende als weiteren Widerrufsgrund geltend, dass Begriffe neu eingeführt worden seien, für die die ursprüngliche Offenbarung keinen Spielraum lasse, so dass auch eine unzulässige Erweiterung gegeben sei.

Die Einsprechende beantragt, das Patent zu widerrufen.

Die Patentinhaberin widerspricht dem Vorwurf der unzulässigen Erweiterung und sieht sämtliche abgeänderten Merkmale in den ursprünglichen Unterlagen offenbart. Insbesondere bezüglich des neu eingeführten Begriffs "Decoder" verweist sie auf die ursprünglich offenbarte "Datentrennungseinrichtung", in der sie eine Decodiereinrichtung implizit enthalten sieht. Zudem ergebe sich die Existenz eines Decoders aus dem dargelegten funktionalen Zusammenhang für den Fachmann von selbst. Auch der Begriff "Programm-ID" sei unmittelbar aus dem der Erfindung zugrunde liegenden Ziel der Identifizierung eines bestimmten Programms vorgegeben. Die Patentinhaberin vertritt auch die Auffassung, der Patentgegenstand sei neu und beruhe auch auf einer erfinderischen Tätigkeit, da weder die Druckschrift D1 noch die in der mündlichen Verhandlung diskutierte EP 0 581 601 A1 eine Programm-ID verwende, mit der in einem Speicher abgelegte Programminformationen zur Anzeige gebracht werden könnten.

Die Patentinhaberin beantragt, das Patent aufrechtzuerhalten.

Der angegriffene Patentanspruch 1 lautet:

"Vorrichtung zum Darstellen von Aufzeichnungsinformationen eines Rundfunkprogramms, mit: einem Empfänger zum Empfangen eines Rundfunksignals; einem Decoder zum Dekodieren von Rundfunkprogramminformationen aus dem empfangenen Rundfunksignal und zum Dekodieren einer Programm-ID aus einem von einem Aufzeichnungsmedium wiedergegebenen Signal; einem Speicher zum Speichern von Aufzeichnungsinformationen, die Aufzeichnungszeitinformationen des Rundfunkprogramms und/oder die Rundfunkprogramminformationen enthalten, denen eine Programm-ID zugeordnet ist, während das Rundfunkprogramm und die Programm-ID auf dem Aufzeichnungsmedium aufgezeichnet werden; und einer Steuereinrichtung zum Vergleichen der aufgezeichneten Programm-ID mit den gespeicherten Aufzeichnungsinformationen während der Wiedergabe der Aufzeichnung, und zum Darstellen der gespeicherten Aufzeichnungsinformationen, die der verglichenen Programm-ID entsprechen."

Der nebengeordnete Patentanspruch 5 lautet:

"Verfahren zum Darstellen von Aufzeichnungsinformationen eines Rundfunkprogramms, mit den Schritten: Empfangen eines Rundfunksignals; Dekodieren von Rundfunkprogramminformationen aus dem Rundfunksignal; Aufzeichnen des Rundfunkprogramms und einer diesem und den Rundfunkprogramminformationen zugeordneten Programm-ID auf einem Aufzeichnungsmedium;

Speichern von Aufzeichnungsinformationen, die Aufzeichnungszeitinformationen des Rundfunkprogramms und/oder die Rundfunkprogramminformationen enthalten; Wiedergeben des Rundfunkprogramms und der Programm-ID von dem Aufzeichnungsmedium; Vergleichen der von dem Aufzeichnungsmedium wiedergegebenen Programm-ID mit den Aufzeichnungsinformationen während der Wiedergabe des Aufzeichnungsmediums; und Darstellen der gespeicherten Aufzeichnungsinformationen, die der verglichenen Programm-ID entsprechen."

Wegen weiterer Einzelheiten wird auf den Akteninhalt verwiesen.

II.

1. Der fristund formgerecht erhobene Einspruch ist auch im Übrigen zulässig und führt zum Erfolg, da der Gegenstand des angegriffenen Patentanspruchs 1 über den Inhalt der Anmeldung in der Fassung hinausgeht, in der er bei der für die Einreichung der Anmeldung zuständigen Behörde, dem Deutschen Patentund Markenamt, ursprünglich eingereicht worden ist.

Der zur Beurteilung der Frage der ursprünglichen Offenbarung des erteilten Patentgegenstandes zu berücksichtigende Fachmann ist ein Diplomingenieur der elektrischen Nachrichtentechnik mit besonderen Kenntnissen auf dem Gebiet der Rundfunkund Fernsehübertragung.

Im geltenden Patentanspruch 1 ist als wesentliches Merkmal ein Decoder zum Decodieren von Rundfunkprogramminformationen aus dem empfangenen Rundfunksignal und zum Decodieren einer Programm-ID aus einem von einem Aufzeichnungsmedium wiedergegebenen Signal beansprucht.

Ein derartiger Decoder ist nach Überzeugung des Senats aber weder Gegenstand der ursprünglichen Anspruchsfassung noch kann der Fachmann einen solchen Decoder im Wege der Auslegung der Beschreibung und den Zeichnungen entnehmen, wie sie als Anmeldeunterlagen eingereicht worden sind (BGH, GRUR 2007, 859 -862 -InformationsÜbermittlungsverfahren I).

Die Patentinhaberin hat zwar in der mündlichen Verhandlung unter Verweis auf die Textabschnitte [0039] und [0040] in der Streitpatentschrift (vgl. S. 12, Zeilen 6 bis 27 der ursprünglichen Beschreibung) eingehend dargelegt, dass sie die Funktion der Decodierung einer Programm-ID in der ursprünglich offenbarten Datentrennungseinrichtung integriert sieht. Die zum Nachweis der Offenbarung herangezogenen Textstellen gehen aber nicht über die, bereits durch den in der Datenverarbeitung an sich etablierten Fachbegriff "Datentrennungseinrichtung" umschriebene Funktionalität hinaus. Diese Sicht wird im Weiteren auch dadurch gestützt, dass die Datentrennungseinrichtung in ihrer Funktionalität dahingehend festgelegt wird, dass Teletextinformationen (vgl. ursprüngliche Patentansprüche 1, 7 und 14), Rundfunkprogramminformationen (vgl. ursprüngliche Patentansprüche 2, 9 und 16), Rundfunkprogrammidentifizierungsdaten (vgl. ursprüngliche Patentansprüche 11 und 18), die Identifizierungsnummer eines Programms (vgl. ursprünglicher Patentanspruch 3) bzw. Aufzeichnungsträgeridentifizierungsdaten (vgl. ursprüngliche Patentansprüche 10 und 17) aus dem Videosignalgemisch abgetrennt werden. Soweit in der Streitpatentschrift bzw. in den ursprünglichen Unterlagen auf eine Codieroder Decodiereinrichtung überhaupt Bezug genommen wird, geschieht dies, für den Fachmann erkennbar, ausschließlich im Zusammenhang mit der Vergabe von Aufzeichnungsträgerinformationen in Form einer Bandidentifizierung (vgl. Streitpatentschrift Textabschnitt [0061] bzw. ursprüngliche Patentansprüche 7, 8, 14, 15 und 20). Eine Decodierung oder Codierung einer Programm-ID wird in diesem Zusammenhang aber nicht erwähnt. Da die Datentrennungseinrichtung angesichts der in den ursprünglichen Unterlagen beschriebenen Funktionalität unmissverständlich spezifiziert ist, bleibt für die von der Patentinhaberin hineininterpretierte Zusatzfunktion eines Decoders auch bei großzügigster Auslegung kein Raum. Auch der weiteren Argumentation der Patentinhaberin, der Fachmann subsumiere schon aufgrund der aufgabengemäßen Funktion des Patentgegenstands einen Decoder zum Decodieren einer Programm-ID, kann sich der Senat nicht anschließen. Denn für den Fachmann ist eine Decodierung der Programm-ID grundsätzlich nicht zwingend, da ihm bspw. im Zuge der direkten Speicheradressierung auch die Möglichkeit an die Hand gegeben ist, mit den aus dem Videosignalgemisch abgetrennten Programm-ID-Daten direkt auf die in einem Speicher abgelegten Programminhalte zuzugreifen und diese zur Anzeige zu bringen. In Verbindung mit den klaren funktionalen Vorgaben in den ursprünglichen Anmeldeunterlagen hat der Fachmann keine Veranlassung, von diesen abzuweichen und eine zusätzliche, nicht erforderliche Decodierfunktionalität in eine in sich eindeutig und klar abgefasste Lehre hineinzuinterpretieren.

Der im Patentanspruch 1 enthaltene Decoder zum Decodieren von Rundfunkprogramminformationen aus dem empfangenen Rundfunksignal und zum Decodieren einer Programm-ID aus einem von einem Aufzeichnungsmedium wiedergegebenen Signal ist den ursprünglichen Unterlagen demnach nicht als zur Erfindung gehörend zu entnehmen und erweitert den Patentgegenstand in unzulässiger Weise.

Bei dieser Sachlage kommt es nicht mehr darauf an, inwieweit noch weitere abgeänderte Begriffe in der angegriffenen Anspruchsfassung durch die ursprüngliche Offenbarung nicht gedeckt sind.

2.

Ob der im Einspruch geltend gemachte Widerrufsgrund der mangelnden Patentfähigkeit vorliegt, kann folglich dahingestellt bleiben.

3.

Da die Patentinhaberin die Aufrechterhaltung des Patents im Umfang des vorliegenden Anspruchssatzes begehrt und der Patentanspruch 1 sich als nicht rechtsbeständig erweist, ist das Patent im vollem Umfang zu widerrufen (BGH GRUR 2007, 862-865 -Informationsübermittlungsverfahren II).

Dr. Mayer Dr. Hartung Werner Gottstein Pr






BPatG:
Beschluss v. 11.02.2009
Az: 20 W (pat) 333/05


Link zum Urteil:
https://www.admody.com/urteilsdatenbank/13690567cccc/BPatG_Beschluss_vom_11-Februar-2009_Az_20-W-pat-333-05




Diese Seite teilen (soziale Medien):

LinkedIn+ Social Share Twitter Social Share Facebook Social Share