Oberlandesgericht Köln:
Urteil vom 30. Oktober 2002
Aktenzeichen: 6 U 55/02
(OLG Köln: Urteil v. 30.10.2002, Az.: 6 U 55/02)
Tenor
Die Berufung der Klägerin gegen das am 05. Februar 2002 verkündete Urteil der 33. Zivilkammer des Landgerichts Köln - 6 U 55/02 - wird auf ihre Kosten zurückgewiesen.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
Der Wert der mit diesem Urteil verbundenen Beschwer der Beklagten wird auf unter 20.000,-- Euro festgesetzt.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Die Klägerin, ein Einzelhandelsunternehmen für Produkte der Telekommunikation, Elektro- und Fotoartikel etc., eröffnete am 17.04.1997 neue Geschäftsräume in K.. Wegen ihrer Eröffnungswerbung erwirkte der Beklagte nach vorheriger Abmahnung der Klägerin am 11.04.1997 beim Landgericht Köln eine einstweilige Verfügung, durch die der Klägerin die Fortführung ihrer Eröffnungswerbung untersagt wurde. In dieser Werbung, auf die wegen der Einzelheiten verwiesen wird (Blatt 11 ff. d.A.), hatte der bekannte, zwischenzeitlich verstorbene K. Schauspieler W. M. in rheinischer Mundart empfohlen, bis zum 17.04.1997 - dem Eröffnungstag - zum Sortiment der Klägerin zählende Artikel nicht bzw. erst ab diesem Datum zu kaufen. Diese einstweilige Verfügung vom 11.04.1997 stellte der Beklagte der Klägerin 2 Tage vor der Eröffnung, nämlich am 15.04.1997, im Parteibetrieb zu. Zuvor hatte der Beklagte allerdings bereits die beiden Herausgeber der Kölner Tageszeitungen erfolgreich abgemahnt, die die Werbung veröffentlicht hatten. Im Anschluss an die Abmahnung des Beklagten, aber noch vor Zustellung der einstweiligen Verfügung stellte die Klägerin ihre Eröffnungswerbung um.
Durch Urteil vom 14.12.2000 (WRP 2001, 688 ff. = GRUR 2001, 752 ff. "Eröffnungswerbung") wies der Bundesgerichtshof die im Anschluss an das einstweilige Verfügungsverfahren erhobene Unterlassungsklage des Beklagten im Hauptsacheverfahren rechtskräftig ab. Daraufhin nahm der Beklagte den Antrag auf Erlass der einstweiligen Verfügung zurück und verzichtete auf die Rechte aus der von ihm erwirkten Beschlussverfügung.
Mit der vorliegenden Klage verlangt die Klägerin Ersatz der ihr im Zusammenhang mit der Umstellung der Eröffnungswerbung nach ihrem Vortrag entstandenen Kosten. Sie behauptet in diesem Zusammenhang, für die dafür erforderliche Beratung und Kreationsüberarbeitung habe sie 30.000,-- DM aufwenden müssen, das vor dem 15.04.1997 erfolgte Anbringen eines "Störers" zum Überkleben der untersagten Aussage auf Großflächenplakaten etc. habe 3.284,55 DM gekostet. Wegen der Einzelheiten wird insoweit auf die als Anlagen JS 2 und JS 3 zur Klageschrift zur Akte gereichten Rechnungen vom 20. und 21.05.1997 verwiesen.
Durch das angefochtene Urteil, auf das wegen der Einzelheiten Bezug genommen wird (Blatt 99 ff. d.A.), hat das Landgericht die Schadensersatzklage abgewiesen und zur Begründung seiner Entscheidung im wesentlichen ausgeführt, die dem Beklagten ggf. zum Schadensersatz verpflichtende Bestimmung des § 945 ZPO setze die Zustellung der Beschlussverfügung im Parteibetrieb voraus, vor diesem Zeitpunkt aufgewendete Kosten könnten nicht zu einem Schadensersatzanspruch führen, überdies habe die Klägerin den Schadensposten von 30.000,-- DM nicht substantiiert.
Mit ihrer Berufung wendet sich die Klägerin gegen das angefochtene Urteil, wiederholt und vertieft ihr erstinstanzliches Vorbringen und beantragt,
das angefochtene Urteil zu ändern und
1.
den Beklagten zu verurteilen, an sie 17.018,12 EUR (= 33.284,55 DM) nebst 5 % Zinsen über den Basiszinssatz nach § 247 BGB seit dem 01.08.2001 zu zahlen.
2.
festzustellen, dass der Beklagte verpflichtet ist, auf die von ihr verauslagten Gerichtskosten Zinsen gemäß § 288 Abs. 1 Satz 1 BGB seit dem Zeitpunkt ihrer Einzahlung bis zur Beantragung der Kostenfestsetzung nach Maßgabe der Kostenquote zu zahlen.
Der Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die zwischen den Parteien gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen Bezug genommen, die mit Ausnahme des nicht nachgelassenen Schriftsatzes der Klägerin vom 09.10.2002 (Blatt 183 ff. d.A.) sämtlich Gegenstand der mündlichen Verhandlung waren.
Gründe
Die zulässige Berufung der Beklagten hat in der Sache keinen Erfolg. Denn das Landgericht hat die insbesondere auf die Vorschrift des § 945 ZPO gestützte Schadenersatzklage der Klägerin zu Recht und mit zutreffender Begründung abgewiesen. Der Senat nimmt den Inhalt der angefochtenen Entscheidung ausdrücklich als richtig in Bezug und fasst nachfolgend zusammen, warum auch nach seiner Auffassung die klagebegründenden Voraussetzungen nicht schlüssig dargetan sind:
Nach dem Wortlaut der neben dem Deliktstatbestand des § 823 Abs. 1 BGB einzig in Betracht kommenden Anspruchsgrundlage des § 945 ZPO ist im Falle der Aufhebung einer einstweiligen Verfügung nur der Schaden zu ersetzen, der durch ihre Vollziehung, mithin ihre Zustellung im Parteibetrieb, entstanden ist. Kommt - wie im Streitfall - ein Schadenersatzanspruch aus § 945 ZPO 2. Alternative aus den vom Landgericht genannten Gründen nicht in Betracht, und ist umstritten, ab wann die Befolgung einer in Urteilsform ergangenen einstweiligen Verfügung schadenersatzbegründend wirken kann, herrscht in der Rechtsprechung und dem juristischen Schrifttum allseitiges Einvernehmen, dass die von § 945 ZPO vorausgesetzte Vollziehung bei der in Beschlussform ergangenen einstweiligen Verfügung die wirksame Zustellung des Beschlusses im Parteibetrieb bedeutet; selbst ernstgemeinte Zustellungsversuche genügen hier nicht, und zwar deshalb, weil das in einer Beschlussverfügung enthaltene Verbot vor Zustellung des Beschlusses Wirksamkeit nicht entfalten kann (vgl. hierzu BGH NJW 1988, 3268, 3269 und Teplitzky, Wettbewerbsrechtliche Ansprüche, 8. Auflage, Kapitel 36 Rnr. 28 m.w.N.).
Auch im Streitfall stehen der Klägerin die auf § 945 ZPO geschützten Schadenersatzansprüche deshalb auf keinen Fall zu, soweit diese Ansprüche - wie unstreitig jene für das Anbringen eines "Störers" in Höhe von 3.284,55 DM - Kosten beinhalten, die vor Zustellung der einstweiligen Verfügung angefallen sind, es sei denn, etwaige Besonderheiten des Streitfalles zwängen zu der Annahme, ausnahmsweise seien auch nach Erlass, aber vor Zustellung der einstweiligen Verfügung auf Seiten der Klägerin entstandene Aufwendungen erstattungsfähig. Das ist jedoch nicht der Fall. Der Wortlaut des § 945 ZPO ist eindeutig, er knüpft die verschuldensunabhängige Schadenersatzhaftung an die Vollziehung der einstweiligen Verfügung und nicht daran, ob - so aber die Rechtsauffassung der Klägerin - die Aufwendungen "kausal mit der drohenden Vollziehung zu tun haben". Für die von der Klägerin letztlich erstrebte analoge Anwendung des § 945 ZPO auf Fälle der vorliegenden Art ist kein Raum. Denn zum einen ist § 945 ZPO bereits insoweit eine Ausnahmevorschrift, als sie eine Haftung des Antragstellers im Verfügungsverfahren nicht an ein Verschuldenserfordernis knüpft, vielmehr auf dem Rechtsgedanken beruht, dass die Vollstreckung aus einem noch nicht endgültigen Vollstreckungstitel sein Risiko darstellt und deshalb auf seine Gefahr geht. Erst mit der Vollziehung der einstweiligen Verfügung und damit dem im Regelfall leicht festzustellenden Tatbestandsmerkmal der Zustellung im Parteibetrieb weiß der Antragsgegner, dass der Antragsteller nunmehr die geltend gemachten Rechte gerichtlich durchzusetzen beabsichtigt, und erst mit der Vollziehung muss der Antragsteller gegenwärtigen, dass er ggf. auch für einen Schaden seines Prozessgegners aufzukommen hat, den er außerhalb der Gefährdungshaftung des § 945 ZPO mangels Verschuldens nicht zu vertreten hätte. Zum anderen würde die vom Wortlaut des § 945 ZPO abweichende und erweiternde Auslegung dieser Vorschrift in nicht hinnehmbarer Weise zur Rechtsunsicherheit führen: Denn wie die Klägerin selbst konstatiert, kann allein die Tatsache einer Abmahnung niemals zur Haftung aus § 945 ZPO führen. Wenn demgegenüber die Klägerin die Auffassung vertritt, das sei anders zu sehen bei einer Abmahnung, bei der ernsthaft damit zu rechnen sei, dass der Abmahnende Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung stellt und diese alsdann auch zustellt, ist dem entgegenzuhalten, dass eine wettbewerbsrechtliche Abmahnung immer dazu dient, die Einleitung gerichtlicher Schritte und damit auch die Stellung eines Antrags auf Erlass einer einstweiligen Verfügung entbehrlich zu machen. Zum anderen zeigt gerade der vorliegende Fall, dass allein die erfolglose Abmahnung und das Erwirken einer einstweiligen Verfügung noch nicht zwangsläufig bedeutet, dass die einstweilige Verfügung zu einem bestimmten Zeitpunkt auch zugestellt wird. Denn die Mutmaßung der Klägerin, der Beklagte habe vor Zustellung der einstweiligen Verfügung unstreitig erfolgreich die beide Verlage abgemahnt, die die streitigen Werbungen veröffentlicht hatten, deshalb habe es auf der Hand gelegen, dass der Beklagte infolge ihrer - der Klägerin - Weigerung, eine uneingeschränkte strafbewehrte Unterlassungsverpflichtungserklärung abzugeben, ein vorläufiges gerichtliches Verbot erstreben und dieses alsdann zustellen werde, liegt zwar nicht fern. Zwingend ist sie jedoch nicht. Denn in Anbetracht der Tatsache, dass der Beklagte sein Ziel, die ohnehin bis zum 17.04.1997 befristete Werbeaktion der Klägerin kurzfristig zu unterbinden, bereits durch die erfolgreiche Abmahnung der beiden Zeitungsverlage erreicht hatte, hätte sich der Beklagte ebenso gut auf den Standpunkt stellen können, zum Beispiel zur Vermeidung weiterer Haftungsrisiken sei es für ihn vorteilhafter, die Klägerin nicht im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes, sondern in einem Hauptsacheverfahren auf Unterlassung in Anspruch zu nehmen. Spricht damit auch die auf der Basis der Rechtsauffassung der Beklagten zwangsläufig eintretende Rechtsunsicherheit gegen eine analoge Anwendung des § 945 ZPO im Streitfall, kommt hinzu, dass der Gläubiger es bei wortgetreuer Auslegung des § 945 ZPO in der Hand hat, nach Erwirken einer einstweiligen Verfügung sein Haftungsrisiko zu minimieren und den Eintritt eines etwaigen Schadens zu begrenzen, indem er den Zeitpunkt der Zustellung des vorläufigen Titels mit Bedacht wählt. Diese faktische Möglichkeit zur Haftungsminimierung würde dem Antragsteller indes genommen, wollte man der Rechtsauffassung der Klägerin beipflichten und im Einzelfall nicht mehr auf die Vollziehung, sondern das bloße Erwirken einer Beschlussverfügung abstellen.
Soweit der von der Klägerin geltend gemachte Schadenersatzanspruch in Höhe von 30.000,-- DM in Rede steht, kann ihr auch dieser Anspruch aus den vorgenannten Rechtsgründen schon deshalb nicht zuerkannt werden, weil die Klägerin nicht dargetan hat, ob und in welchem Umfang die angeblich notwendigen und zu ihrer Kostenbelastung führenden Tätigkeiten (die Rechnung vom 20.05.1997 ist nicht an sie, sondern an die Firm M. M. K. GmbH gerichtet) vor oder nach Zustellung der einstweiligen Verfügung durchgeführt worden sind. Im übrigen trifft die Rechtsauffassung des Landgerichts zu, dass die Klägerin diesen Anspruch auch aus einem anderen Grunde nicht mit Erfolg durchsetzen kann: Es wäre nämlich ihre Sache gewesen, im einzelnen zu substantiieren, welche genauen Arbeiten sie in Auftrag gegeben hat und welche notwendigen Arbeiten und/oder Dienstleistungen dann verrichtet worden sind. Anlass hierzu hat insbesondere auch deshalb bestanden, weil die einstweilige Verfügung der Klägerin erst am 15.04.1997 zugestellt worden ist und die Werbung ab dem 17.04.1997 ohnehin keinen Sinn mehr gemacht hätte, da sie ja sinngemäß dahin lautete, Willy Millowitsch rate, vor dem 17.04.1997 keine ab diesem Zeitpunkt bei der Klägerin erhältliche Produkte wie Computer, Elektro- und Fotoartikel etc. zu kaufen. Welcher genaue Aufwand innerhalb des sehr kurzen Zeitraums von nicht einmal 2 Tagen betrieben worden ist, lässt sich dem Vortrag der Klägerin auch nicht ansatzweise entnehmen.
Das Schadenersatzbegehren der Klägerin erweist sich auch nicht aus § 823 Abs. 1 BGB unter dem Gesichtspunkt des zielgerichteten Eingriffs in den eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb als gerechtfertigt. Dabei kann offen bleiben, ob die objektiven Tatbestandsvoraussetzungen des § 823 Abs. 1 BGB als erfüllt angesehen werden müssten. Denn es fehlt jedenfalls an dem für § 823 Abs. 1 BGB erforderlichen Verschulden der Beklagten. Das folgt aus folgender Überlegung: Der Bundesgerichtshof hat in seiner im Hauptsacheverfahren ergangenen Entscheidung "Eröffnungswerbung" (a.a.O.) bei der Prüfung, ob die vom Beklagten seinerzeit angegriffene Werbung unter dem Gesichtspunkt einer pauschalen Herabsetzung ungenannter Mitbewerber, wegen wettbewerbswidriger Marktstörung oder wegen übertriebenen Anlockens im Sinne des § 1 UWG wettbewerbswidrig war, maßgeblich auf die Sicht eines verständigen Durchschnittsverbrauchers abgestellt. Er hat seiner Entscheidung damit der Rechtsprechung des Gerichtshofes der Europäischen Gemeinschaften folgend (vgl. EuGH, GRUR Int. 1998, 795 = WRP 1998, 848 "Gut Springenheide"; EuGH, GRUR Int. 1999, 734, 736 Tz. 26 = WRP 1999, 806 "Lloyd" und EuGH, GRUR Int. 2000, 354 = WRP 2000, 289, 292 "Lifting-Creme") ein gegenüber früher verändertes Verbraucherleitbild zugrunde gelegt, indem er nunmehr in Abkehr von seiner ständigen vorherigen Rechtsprechung sowohl im Wettbewerbs- als auch im Markenrecht von dem Leitbild des durchschnittlich informierten verständigen Verbrauchers ausging, der das fragliche Werbeverhalten mit einer der Situation angemessenen Aufmerksamkeit verfolgt (vgl. dazu etwa BGH, Urteil vom 19.09.2001, WRP 2001, 1450 ff. = GRUR 2002, 160 ff. "Warsteiner III" mit zahlreichen Nachweisen aus seiner Rechtsprechung). Dass der Beklagte diese spätere Liberalisierung der Rechtsprechung zum Zeitpunkt der Einreichung seines Antrags auf Erlass einer einstweiligen Verfügung und ihrer Zustellung nicht antizipiert hat, kann ihm schlechterdings nicht vorgeworfen werden.
Besteht demgemäß der geltend gemachte Schadenersatzanspruch unter keinem denkbaren Gesichtspunkt, und folgt daraus zugleich, dass der in Abhängigkeit vom Erfolg der Klage geltend gemachte Feststellungsantrag keinen Erfolg haben kann, war die Berufung der Klägerin mit sich aus §§ 97 Abs. 1, 708 Nr. 10, 713 ZPO ergebenden prozessualen Nebenentscheidungen zurückzuweisen.
Die Voraussetzungen für eine Zulassung der Revision nach § 543 Abs. 1 Nr. 1, Abs. 2 ZPO liegen nicht vor. Der Rechtssache kommt weder grundsätzliche Bedeutung zu, noch erfordert die Rechtsfortbildung oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung durch den Bundesgerichtshof. Es handelt sich vielmehr um eine Entscheidung im Einzelfall, die namentlich der bisherigen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs (BGH NJW 1988, 3268, 3269) Rechnung trägt, wonach ein Schaden, der sich aus der bloßen Anordnung einer einstweiligen Verfügung ergibt, nicht nach § 945 ZPO zu ersetzen ist.
Der Wert der mit diesem Urteil verbundenen Beschwer der Klägerin übersteigt den Betrag von 20.000,-- EUR nicht.
OLG Köln:
Urteil v. 30.10.2002
Az: 6 U 55/02
Link zum Urteil:
https://www.admody.com/urteilsdatenbank/13b08362970d/OLG-Koeln_Urteil_vom_30-Oktober-2002_Az_6-U-55-02